ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

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Marc of Frankfurt
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Unklugen Sexworker verurteilt

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Urteil: Verbotene Prostitution

Vor Gericht: Erotische Massagen in Heidenau, Sachsen



Donnerstag, 4. Februar 2010
(Sächsische Zeitung)
Von Anna Stoltzmann

Eine 21-jährige wurde gestern wegen Prostitution verurteilt. Sie muss 30 Arbeitsstunden leisten.

Erotische Massagen und Oralverkehr – das bot die 21-jährige Maria V. gemeinsam mit einer Kollegin vom Juni 2008 bis Oktober 2009 in Heidenau auf der Bahnhofstraße an. Gestern musste sie sich deshalb vor dem Pirnaer Amtsgericht verantworten. Sie war wegen verbotener Prostitution angeklagt.

Denn sexuelle Dienstleistungen sind seit 1991 [im Freistaat Sachsen] nur in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern erlaubt.

In Heidenau leben jedoch nur 16.500 Menschen.

Maria V. begründete den Standort ihres „Massagestudios“ in Heidenau damit, dass es hier nicht so viele Konkurrenten geben würde wie in ihrer Heimatstadt Dresden. „Mir war außerdem nicht klar, dass Oralverkehr schon Prostitution ist,“ sagte die Angeklagte vor dem Richter. Und das Gewerbeamt habe sie auch nicht auf das 1991 erlassene Gesetz aufmerksam gemacht.


Gewerbe weiter fortgeführt

Aufgeflogen war das Massagestudio nach einem Besuch der Polizei im Oktober 2008. Die Beamten waren nach einer Anzeige auf das Erotikstudio in Heidenau aufmerksam geworden.

Darauf folgte eine Vorladung zur Kripo. „Diese sagte uns, dass Oralverkehr unter eine gesetzliche Grauzone fallen würde“, berichtet Maria V. Sie ging deshalb ihrem Gewerbe bis zum 5. Oktober letzten Jahres weiter nach. Am 27. Oktober 2009 wurde dann jedoch Anklage gegen Maria V. erhoben. Die 21-jährige Dresdnerin musste sich wegen verbotener Prostitution verantworten. Sie bekam daraufhin einen Betreuer zur Seite gestellt.

Dieser schätzte die Angeklagte als intelligent und kontaktfreudig ein. Doch V. würde immer wieder viele Tatsachen verdrängen, weshalb sie auch bis heute keinen Beruf erlernt hat. Seit Anfang dieses Jahres absolviert Maria V. ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kindergarten.


Urteil nach Jugendstrafrecht

Die Staatsanwaltschaft forderte als Strafe 50 soziale Arbeitsstunden. Der Richter beurteilte die Angeklagte wegen ihrer persönlichen Umstände jedoch nach dem Jugendstrafrecht. Und da er nicht von einer Wiederholung der Tat ausgeht, muss Maria V. nun bis zum Juni dieses Jahres 30 soziale Arbeitsstunden ableisten.

http://www.sz-online.de/nachrichten/art ... id=2379172





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Strafgesetze im Bereich des Sexuellen

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Rechtsgeschichte "Lex Heinze":

- Zuhälterparagraph (heute auch Menschenhandels§§) sind geblieben!
- Zensur sexueller Darstellungen ("Theaterparagraph") mußte zurückgenommen werden.
- Werbeverbot Prostitution (§ 120 Abs.1 Nr.2 OWiG) ist geblieben!



"Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu 1.000 Mark" sollte nach dem Willen des Reichstages vor 110 Jahren bestraft werden, wer die "Darstellung unsittlicher Handlungen" veranlasst oder duldet.

Der neue Paragraph 184 des Strafgesetzbuches, im Volksmund Heinze-Paragraph[/Lex Heinze] genannt, führte 1891 zudem den Straftatbestand der Zuhälterei ein.

Künstler und liberale Bürger waren empört. Es kam zu Protesten, vor allem im Theatermilieu, weil sich Regisseure und Schauspieler mit einem Bein im Gefängnis sahen. Schließlich war es schon untersagt, Bilder oder Schriften zu verbreiten, die "ohne unzüchtig zu sein das Schamgefühl gröblich verletzen".

Benannt worden war das Gesetz nach einem verurteilten Berliner Mörder-Ehepaar namens Heinze, das mit Prostitution in Verbindung gebracht wurde.

Um Folgetaten zu verhindern, sollte das Übel an der Wurzel gepackt werden: Über beliebig auslegbare Verbote wollte der Gesetzgeber eine Zensur einführen, nach der auch antike Kunstwerke nicht mehr hätten ausgestellt werden dürfen. Ein Plan, der nicht aufging: Mitte März gründeten 150 Künstler und Gelehrte einen Bund zur Bewahrung der künstlerischen Freiheit. Bereits Mitte Mai wurde der "Theaterparagraph" ersatzlos gestrichen.

http://www.mz-web.de/servlet/ContentSer ... 8881578428

Lex Heinze:
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=39091#39091
http://de.wikipedia.org/wiki/Lex_Heinze


Mehr historische §§ (s.o.)
viewtopic.php?p=39369#39369





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 06.03.2010, 23:39, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Umfangreiche Rechtsdatenbank Sexwork für A - CH - D
www.sexarbeiterinnen.com (2005-2008)



leider nur noch im Webarchiv:
http://web.archive.org/web/200805240949 ... ht001.html


Sperrbezirksregelungen:
http://web.archive.org/web/200805090446 ... rksvo.html
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=3270





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Rechtsgutachten: Beschäftigungsverhältnis Sexwork

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Das Arbeitsrecht der Prostitution:

Erklärung von Doña Carmen zum Stuttgarter Flatrate-Prozess



im Original lesen:
http://www.donacarmen.de/?p=311


Der am 17.02.2010 in Stuttgart beginnende Prozess gegen Verantwortliche von Flatrate-Bordellen in Berlin, Wuppertal, Heidelberg und Fellbach ist die Fortsetzung der 2009 von Prostitutionsgegnern inszenierten Anti-Flatrate-Hetzkampagne mit juristischen Mitteln.

Die Anklage beruht auf diskriminierendem Sonderrecht gegenüber Prostituierten sowie einer zweifelhaften Würdigung der Beweislage zum Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Die Anklage steht auf tönernen Füßen, doch ihr Zweck ist offenkundig:

Die Schließung angeblich menschenunwürdiger Flatrate-Bordelle, wie sie im vergangenen Jahr von Prostitutionsgegnern aus dem christlichen Spektrum und dem politischem Establishment formuliert wurde, soll nachträglich rechtstaatlich legitimiert werden. Das gilt auch in Bezug auf das polizeiliche Vorgehen gegen die in den Flatrate-Bordellen tätigen Frauen: ihre Stigmatisierung, ihre Kriminalisierung, ihre menschenunwürdige Behandlung im Zuge der Razzien sowie schließlich ihre Vertreibung. Die erfolgte Existenzvernichtung der Betreiber/innen besagter Prostitutions-etablissements wird ohnehin billigend in Kauf genommen.

Der Kernvorwurf der Anklage lautet: Die in den Bordellen tätigen Frauen seien lediglich scheinselbständig gewesen. Von den Verantwortlichen der Einrichtungen seien sie entgegen geltendem Recht nicht bei der Sozialversicherung angemeldet und keine Beiträge entrichtet worden. Damit läge ein Verstoß gegen § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) und ein Schaden von 2,3 Millionen € vor.

Ein zweiter Anklagepunkt lautet: In all den Fällen, in denen Frauen unter 21 Jahren tätig waren, läge „Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft“ und somit ein Verstoß gegen § 233 StGB vor, da deren Arbeitsbedingungen angeblich in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmerinnen stehen, die die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Ein dritter Anklagepunkt wirft den Beschuldigten einen als Ordnungswidrigkeit zu ahndenden Verstoß gegen § 404 Abs. 2 SGB III vor, da sie die in ihren Etablissements tätigen Frauen ohne Arbeitsgenehmigung-EU und damit unter Verstoß gegen § 284 SGB III (Genehmigungspflicht von Ausländerbeschäftigung) hätten tätig werden lassen.

Alle Anklagepunkte beruhen auf einer einzigen Prämisse: dem von der Staatsanwaltschaft behaupteten Vorliegen eines abhängigen und somit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses der Frauen. Diese Behauptung aber ist in doppelter Hinsicht fragwürdig:

(1) mit Blick auf das die Prostitutionsausübung regelnde Prostitutionsgesetz

(2) hinsichtlich des vermeintlich geführten Nachweises, die Betreiber der Flatrate-Bordelle hätten nach geltender Rechtslage (eingeschränktes Direktionsrecht) faktisch Arbeitgeberfunktionen ausgeübt (örtliche u. zeitliche Vorgaben, festes Arbeitsentgelt nach Zeit, betriebliche Eingliederung der Frauen etc.).


Zu Punkt 1: Prostitutionsgesetz

Die Anklage verweist als Beleg für ihre Annahme auf das Prostitutionsgesetz, wonach im Falle von Prostitutionstätigkeit ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bereits dann vorliegt, wenn eine Frau sich für die Erbringung sexueller Dienstleistungen „gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine bestimmte Zeitdauer bereithält“ (§1 ProstG) und sie dabei „keinem Direktionsrecht des Bordellbetreibers unterliegt, das über die Bestimmung von Ort und Zeit hinausgeht“. (Gesetzesbegründung ProstG)

Entsprechend lautete § 3 ProstG: „Bei Prostituierten steht das eingeschränkte Weisungs-recht im Rahmen einer abhängigen Tätigkeit der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts nicht entgegen.“

Mit anderen Worten: Das ProstG relativiert exklusiv im Hinblick auf Prostitution das in § 106 GewO festgeschriebene, ansonsten allgemein geltende Weisungsrecht des Arbeitgebers („Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen…“). Bereits bei der Bestimmung von Ort und Zeit der Leistungserbringung unabhängig davon, ob und wie sie im konkreten Einzelfall erfolgt, liegt laut ProstG im Unterschied zur allgemein geltenden Rechtslage in sämtlichen anderen Bereichen des Wirtschaftslebens bei Prostitutionsausübung eine abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor. Das ist zweifellos Sonderrecht. Und auf dieses Sonderrecht stützt sich die Anklage.

Hätte das ProstG hinsichtlich abhängiger Beschäftigungsver-hältnisse in der Prostitution kein solches Sonderrecht deklariert, wäre eine Schließung der betreffenden Einrichtungen und die vorliegende Anklage gegen Verantwortliche der Flatrate-Bordelle so gar nicht möglich gewesen.

Das mit dem ProstG eingeführte Sonderrecht für abhängige Beschäftigung im Bereich Prostitution wird mit dem besonderen Schutzbedürfnis der in diesem Bereich tätigen Frauen begründet. Doch in Wirklichkeit werden die betroffenen Frauen von dieser rechtlichen Konstruktion nicht geschützt. Die rechtlichen Regelungen des ProstG haben ausweislich der von der Bundesregierung 2007 vorgelegten Evaluation dieses Gesetzes nicht zur Begründung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse beigetragen. Acht Jahre nach Inkrafttreten des ProstG gibt es sie faktisch überhaupt nicht. Stattdessen erweist sich das ProstG mit seiner allein auf Weisungen zu Ort und Zeit beschränkten, damit auf Sonderrecht fußenden Begründung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung als ein Mittel nachträglicher Existenzvernichtung gegenüber Betreiber/innen von Prosti-tutionsstätten und damit auch als Mittel der Arbeitsplatzvernichtung von Frauen in der Prostitution.

Die Möglichkeit niedrigschwelliger Begründung solcher Beschäftigungsver-hältnisse hat sich längst als Bumerang erwiesen und lässt Betreiber/innen davor zurückschrecken, solche Verhältnisse auch nur ansatzweise ins Auge zu fassen. Für die betroffenen Frauen bleibt damit nur die Wahl zwischen einer von Gerichten nachträglich verordneten Zwangssozialversicherung einerseits und dem Zwang zur absoluten Selbständigkeit andererseits.
Was das heißt, verdeutlicht die Anklage gegen die Betreiber/innen der Flatrate-Bordelle: Wenn das kostenlose Auslegen von Kondomen bereits als Fürsorge eines „Arbeitgebers“ gedeutet und als Argument missbraucht wird, um selbständig tätige Frauen als Arbeitnehmerinnen und Betreiber von Flatrate-Bordellen als kriminelle Sozialversicherungsbetrüger hinzustellen, werden sich Betreiber/innen andernorts fortan dreimal überlegen, ob sie in ihren Etablissements diese Form des Gesundheitsschutzes zukünftig unterstützen werden.

Das in § 3 ProstG sich manifestierende Sonderrecht wirkt sich mithin auf die in der Prosti-tution tätigen Frauen nicht im Sinne des Schutzes, sondern diskriminierend aus.

Es kann deshalb nur als Zynismus bezeichnet werden, wenn sich die Anklage gegen die Verantwortlichen der Flatrate-Etablissements als Wahrer der sozialen Rechte und Ansprüche von Prostituierten (Lohnfortzahlung, Mutterschutz etc.) aufspielt. Eine Verurteilung der Verantwortlichen auf der Grundlage von Sonderrecht wird vielmehr dazu führen, dass die Möglichkeit für die Inanspruchnahme solcher Rechte Prosti-tuierten andernorts zukünftig in noch höherem Maße systematisch vorenthalten wird.

Nicht eine zweifelhafte, auf Sonderrecht beruhende Kriminalisierung der Betreiber/innen von Prostitutionsstätten wäre für die betroffenen Frauen ein Ausweg aus dieser Situation, sondern der Versuch, die realen Gegebenheiten im Prostitutionsgewerbe – insbesondere in Flatrate-Bordellen – als Konstellation einer „arbeitnehmerähnlichen Selbständigkeit“ (‚wirtschaftlich abhängig, persönlich unabhängig’) zu deuten. Diese pragmatische Möglichkeit, kommt den Vertretern der Anklage offenbar gar nicht in den Sinn. Wie die Prostitutionsgegner im politischen und kirchlichen Establishment sind sie von der immanenten Kriminalität des Prostitu-tionsgewerbes zutiefst überzeugt.

Die Bestätigung dieser (Vor-)urteile scheint allemal Vorrang zu haben vor gesellschaftlichen Lösungen im Interesse der betroffenen Frauen. Wie anders ist es zu erklären, dass die Aussagen einer in einen Raubüberfall auf einen Pussy-Club verwickelten Frau hinsichtlich hierarchischer, bandenmäßiger Strukturen und hinsichtlich des Vorliegens von Bedrohung und Gewalt in Flatrate-Bordellen für glaubhaft erklärt, die Aussagen der übrigen ca. 260 Frauen, die angaben, sie hätten dort freiwillig gearbeitet, aber für unglaubwürdig einstuft werden.


Zu Punkt 2:

Scheinselbständigkeit vor dem Hintergrund organisatorischer Einbindung in den Betriebsablauf bzw. vorab vereinbarter Pauschalvergütung?

Das vom allgemeinen Recht abweichende und in § 3 ProstG festgeschriebene Sonderrecht für Prostituierte beschrieben die Spitzenverbände der Sozialversicherung (AOK-Bundesverband u.a.) in ihrer gemeinsamen Stellungnahme vom 18.11.2002 wie folgt: „Mit dem ProstG werden die Abgrenzungskriterien für den Personenkreis der Prostituierten relativiert… Daraus folgt, dass für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses von Prostituierten eine Vereinbarung ausreicht, sich gegen ein vorher vereinbartes Arbeitsentgelt an einem vorgegebenen Ort für eine bestimmte Zeitdauer zur Verfügung zu halten, das Arbeitsentgelt also grundsätzlich unabhängig von der tatsächlichen Erbringung der sexuellen Handlung gewährt wird.“

Die Verantwortlichen der Flatrate-Bordelle haben gemäß den dort abgeschlossenen Rahmenverträge den Frauen einen vorher vereinbarten Pauschalbetrag je Einsatztag vergütet, der seitens der Anklage nun nachträglich als „Arbeitslohn“ für die „Arbeitnehmertätigkeit“ der Frauen und somit als Indiz für abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung interpretiert wird.

Diese Sichtweise kann man nur teilen, wenn man mutwillig verkennt, dass sich Betreiber/innen von Prostitutionsstätten – nicht nur von Flatrate-Bordellen – aufgrund der Prostitution diskriminierenden Rechtsvorschriften in einem grundlegenden Dilemma befin-den:

- Würden sie ein Entgelt für Leistung entrichten, müssten sie im Einzelfall entsprechende Vorgaben machen und Kontrollen vornehmen. Wenn sie dies täten, würden sie sich nach § 181a StGB wegen Zuhälterei strafbar machen, da ihnen ein über Ort und Zeit hinausgehendes Direktionsrecht nicht zusteht.

- Wird demgegenüber ein zeitlicher, auf einen „Einsatztag“ bezogener Vergütungsanspruch vereinbart, wie es in den Flatrate-Bordellen der Fall war, so heißt es seitens der Anklage, damit werde unabhängig von der Leistung nur die Dauer des Einsatzes bezahlt, folglich handele es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Nunmehr werden Betreiber/innen als Sozialversicherungsbetrüger nach § 266a StGB zur Rechenschaft gezogen. Ob so oder so – das liegt offenbar ganz in der Willkür der Rechtsprechung.

Fakt ist aber, dass in der praktischen Ausübung der Prostitutionstätigkeit im Kontext der Flatrate-Bordelle Leistungen honoriert wurden und das Anbieten sexueller Dienstleistungen der Frauen gegenüber den Kunden sehr wohl mit dem „unternehmerischen Risiko“ der vorzeitigen Beendigung bzw. einer Nichtverlängerung ihres Rahmenvertrags einherging, ohne dass die Frauen dabei in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung beeinträchtigt worden wären.

Die gegenteilige Annahme der Anklage, wonach die betreffenden Frauen kein unternehmeri-sches Risiko eingegangen seien, ist ebenso wenig haltbar wie die Behauptung, die bloße Angabe der Öffnungszeiten der Flatrate-Bordelle sei ein Indiz für eine zeitliche Weisungs-gebundenheit der Frauen bzw. die Arbeitgebereigenschaft der Beschuldigten. Folgt man der Logik der Staatsanwaltschaft hätten Flatrate-Bordelle öffentlich gar keine Öffnungszeiten bekannt geben dürfen. Das freilich wäre sicherlich ganz nach dem Geschmack der Prostitutionsgegner.

Die Logik der Anklage gegen Verantwortliche der Flatrate-Bordelle ist konstruiert. So lautet ein wesentlicher Vorwurf gegenüber den Beschuldigten, durch Vorenthalten der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche gäbe es bei den in den Flatrate-Etablissements tätigen Frauen ein „auffälliges Missverhältnis“ gegenüber vergleichbaren deutschen Prostituierten. Der Witz ist: Es wird dem Gericht schwerfallen, auch nur eine einzige deutsche Prostituierte ausfindig zu machen, die sozialver-sicherungspflichtig Vollzeit in der Prostitution arbeitet. Sowohl diese Frau und damit das angeblich „auffällige Missverhältnis“ existieren real nicht, sondern nur in der Fantasie der Anklage. Es handelt sich auch hierbei um eine konstruierte Anklage, um die Beschuldigten des „Menschenhandels“ bezichtigen zu können. Allerdings ist zweifellos die Tatsache, dass nicht wenige der in den Flatrate-Bordellen tätigen Frauen unter 21 Jahre waren, ein Rechtsbruch. Doch gebrochen wurde diskriminierendes Sonder-recht, da in den Menschenhandelsparagrafen § 232 und § 233 StGB über 18-jährige Frauen faktisch mit Minderjährigen auf eine Stufe gestellt werden. Angeblich zu ihrem Schutz, in Wirklichkeit zum Schutz der Bundesrepublik vor Migration.

Doña Carmen e.V. tritt ein für das Recht auf freie Ausübung des Berufs der Prostituierten. Deshalb – und nicht etwa weil wir von der Makellosigkeit des Konzepts ‚Flatrate’ überzeugt wären – wenden wir uns entschieden gegen inszenierte Kampagnen christlich-fundamenta-listischer Prostitutionsgegner und solcher aus dem politischen Establishment. Im Zentrum steht für uns das Recht der in der Prostitution tätigen Frauen, unabhängig und selbst bestimmt zu entscheiden, unter welchen Bedingungen sie tätig werden wollen.

Das eigentliche Problem des Stuttgarter Flatrate-Prozesses ist nicht die angebliche Weisungsgebundenheit der Frauen jener Etablissements, sondern viel-mehr die Weisungsgebundenheit von Staatsanwälten, die auf prostitutionsfeindliche Stimmungen und Interessen im politischen Raum und bei ihren Vorgesetzen Rücksicht zu nehmen scheinen.

www.donaCarmen.de





Linkübersicht Thema Flatrate:

viewtopic.php?p=61383#61383 (Brief an Kanzlerin, Anzeige DC)
viewtopic.php?p=61942#61942 (Razzia Blog)
viewtopic.php?p=58196#58196 (Lokalnachrichten Stuttgart & Baden-Württemberg)
viewtopic.php?t=4860 (Lokalnachrichten Wuppertal)
viewtopic.php?t=4900 (Tanja's Besuch im Pussy Club)
viewtopic.php?t=4880 (Tanja's Planung)
viewtopic.php?t=4892 (PC, SW-only)
viewtopic.php?t=4812 (Flatrate, SW-only)
viewtopic.php?p=66334#66334 (SOLWODI's Kampf)





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Hermann
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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Hermann »

Im Zuge der Evalution des Deutschen Prostituionsgesetzes hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Publikation
Regulierung von Prostitution und Prostitutionsstätten - ein gangbarer Weg zur Verbesserung der Situation der Prostituierten und zur nachhaltigen Bekämpfung des Menschenhandels? Möglichkeiten und Grenzen des Gewerberechts; Schnittstellen zwischen Gewerbe- und Polizeirecht veröffentlicht:

http://www.kok-buero.de/data/Medien/Stu ... b=true.pdf

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Ja danke, ich der ist hier an anderer Stelle schonmal verlinkt und zwar im Schwerpunkt-Thema "Gewerberechtliche Kontrolle der Prostitution" wie sie insbesondere vom BKA vorangetrieben wird (warum eigendlich von der Bundes-Kriminalpolizei?) und findet sich hier:

viewtopic.php?t=4403





p.s. Verantwortlich beim Bund für Sexwork ist das Bundesfamilienministerium, Referat "Gewalt gegen Frauen". Da sieht man wie das uralte Gewerbe historisch bewertet und eingeordnet wird. Sexwork gehört natürlich ebenso in den Bereich Wirtschaft und Handel oder?





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Aoife
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Beitrag von Aoife »

Marc of Frankfurt hat geschrieben:(warum eigentlich von der Bundes-Kriminalpolizei?)
Nun - cui bono? :017
viewtopic.php?p=76313#76313

Dazu passt auch die in dem Papier ständig vorgebrachte Menschenhandelshype und die Argumentation mit einer angeblichen "Rotlichtkriminalität".

Aber selbst wenn sich "nur" Gutmenschentum oder (bei Polizeivertretern und Juristen eigentlich wahrscheinlicher) ein pathologischer
Reglementierungszwang dahinter verbergen sollte, so ist doch schon die alleinige Vorstellung absurd, mit weiteren Reglementierungen zu einer "Normalisierung"
des Berufs beitragen zu können. Hierbei handest es sich ganz klar um eine Projektion der fachfremden Referenten, sie stellen sich nur vor, mit welchen
Mitteln sie selbst zu beeinflussen wären, wenn sie in unserer Position wären. Dass *wir* ganz anders strukturiert sind (ansonsten wären
wir ja auch Bundekriminalamtssprecher oder berliner Staatsanwältinnen geworden :002 ) wird geflissentlich verschwiegen,
oder wahrscheinlich noch schlimmer: wird selbstgefälligerweise gar nicht erst in Betracht gezogen.

"Freiberuflichkeit" wird von den Rednern, die darauf eingehen, von vornherein und ohne Begründung ausgeschlossen, es geht offensichtich
um eine Wiedereinführung der Registrierungspflicht unter dem Deckmantel einer Gewerbeordnung. Die vollmundig im Gegenzug für uns
versprochenen Vorteile sind lächerlich, tatsächlich stünde als erstes jetzt endlich einmal an, den Geist des Prostitutionsgesetzes flächendeckend
umzusetzen, so durch Aufhebung sämtlicher Sperrgebietsverordnungen und vollständiger Entkriminalisierung unseres Berufs und seines Umfelds.

Alleine schon die Anwesenheit des Bundeskriminalamts an verschiedenen "runden Tischen" beweist, dass hier nur die Begehrlichkeiten
einiger Behörden befriedigt werden sollen. Von daher ist die Steueranmeldung mehr als genug Vorausleistung unsererseits, jetzt wäre
es an Staat und seinen Behörden, erst einmal die entsprechenden Gegenleistungen zu erbringen, anstelle uns durch die Teilnahme des BKA
an Gesprächen *über uns* weiter zu stigmatisieren und gleichzeitig neue Forderungen zu stellen.

Liebe Grüße, Aoife
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Re: Rechtsgutachten: Beschäftigungsverhältnis Sexwork

Beitrag von JaguarCat »

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Marc of Frankfurt hat geschrieben:
Erklärung von Doña Carmen zum Stuttgarter Flatrate-Prozess

[...]

Diese Sichtweise [abhängige Beschäftigung] kann man nur teilen, wenn man mutwillig verkennt, dass sich Betreiber/innen von Prostitutionsstätten - nicht nur von Flatrate-Bordellen - aufgrund der Prostitution diskriminierenden Rechtsvorschriften in einem grundlegenden Dilemma befin-den:

- Würden sie ein Entgelt für Leistung entrichten, müssten sie im Einzelfall entsprechende Vorgaben machen und Kontrollen vornehmen. Wenn sie dies täten, würden sie sich nach § 181a StGB wegen Zuhälterei strafbar machen, da ihnen ein über Ort und Zeit hinausgehendes Direktionsrecht nicht zusteht.

- Wird demgegenüber ein zeitlicher, auf einen "Einsatztag" bezogener Vergütungsanspruch vereinbart, wie es in den Flatrate-Bordellen der Fall war, so heißt es seitens der Anklage, damit werde unabhängig von der Leistung nur die Dauer des Einsatzes bezahlt, folglich handele es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Nunmehr werden Betreiber/innen als Sozialversicherungsbetrüger nach § 266a StGB zur Rechenschaft gezogen. Ob so oder so - das liegt offenbar ganz in der Willkür der Rechtsprechung.
Die Argumentation oben ist leider Humbug: Das erkennt man schon daran, dass die Flatrate-Bordellbetreiber der Strafe nach §266a StGB dadurch sofort entgehen können, dass sie die für sie arbeitenden Frauen einfach korrekt anmelden!

Zudem: Ob sie Entgelt pro "Zimmer" oder pro "Arbeitstag" vereinbaren, ändert an den Rechten und Pflichten der Flatrate-Bordellbetreiber nichts. Insbesondere hat der Arbeitgeber, wenn er (und nicht die Kunden direkt) die Frauen bezahlen, ein Interesse daran, dass die Frauen sich wie vereinbart den Kunden hingeben. Das wird er unabhängig davon, ob er pro Zimmer oder pro Tag bezahlt, z.B. durch Befragung der Kunden am Ausgang prüfen. Wird dabei eine Frau häufiger als "unwillig" geschildert, wird er - unabhängig von der Bezahlart - mit dieser ein Gespräch führen.

Die Bezahlart pro Zimmer - das entspräche dem in manchen Branchen durchaus noch üblichen Akkordlohn - oder pro Tag ändert auch nichts an der Sozialversicherungspflicht. Und wie oben schon erwähnt, wird man nicht automatisch nach § 266a StGB bestraft, sondern nur dann, wenn man seine Mitarbeiterinnen nicht anmeldet und die Beiträge zur Sozialversicherung nicht bezahlt.

Vor diesem Hintergrund gibt es das oben genannte Dilemma nicht.

Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben: Fakt ist aber, dass in der praktischen Ausübung der Prostitutionstätigkeit im Kontext der Flatrate-Bordelle Leistungen honoriert wurden und das Anbieten sexueller Dienstleistungen der Frauen gegenüber den Kunden sehr wohl mit dem "unternehmerischen Risiko" der vorzeitigen Beendigung bzw. einer Nichtverlängerung ihres Rahmenvertrags einherging, ohne dass die Frauen dabei in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung beeinträchtigt worden wären.
Das Risiko der Kündigung haben auch normale Angestellte. Übrigens könnten die Frauen, wenn sie länger als ein halbes Jahr im Pussy-Club gearbeitet haben, auf Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses klagen, da mit dem Vorliegen einer unselbständigen Beschäftigung selbstverständlich auch der volle Arbeitnehmerschutz greift! Damit wäre eine Kündigung nur noch in den wenigen gesetzlich begründeten Fällen möglich.

Fakt ist, dass das deutsche Sozialversicherungsrecht das Betriebsmodell "Flatrate-Bordell" sehr schwierig machen dürfte, unabhängig vom Prostituierten-Gesetz. Beim "herkömmlichen" Betriebsmodell für Bordelle ist die Rechtslage klar: Die Frau kommt in das Bordell (oder auch nicht), zahlt einen gewissen Eintritt (in dem in der Regel die Pauschalsteuer enthalten ist), kassiert direkt von den Freiern und bezahlt davon wiederum die Zimmermiete. Zahlt der Freier für ein paar Extras oder gibt er Trinkgeld, kann sie das behalten. Findet sie keinen Freier, macht sie dank des Eintritts ein Minusgeschäft. Sie trägt damit direkt "wirtschaftliches Risiko", und sie hat viele Auftraggeber (Freier). Damit ist sie eine klassische Selbständige.

Im Flatrate-Bordell hat sie hingegen nur noch einen wirtschaftlichen Auftraggeber - das Bordell. Das ist somit verpflichtet, die Prostituierten als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte anzumelden, genauso, wie jeder andere Betrieb es auch tut. Danach müssen dann die üblichen Beiträge zur Sozialversicherung bezahlt werden, sowie die Lohnsteuer. Im Gegenzug entfällt die übliche Pauschalsteuer.

Es gibt aber zwei Knackpunkte, die die Bordellbetreiber stören:
- Sozialversicherungspflichte Beschäftigung setzt, anders als selbständige Beschäftigung, eine Arbeitserlaubnis voraus. Diese ist für ostdeutsche Frauen derzeit oft noch schwer zu bekommen.
- I.d.R. ist ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufgrund der vielen Abzüge teurer als ein selbständiges.

Betrachten wir bei der Gelegenheit auch einmal die Frauen: Auf lustscout.to schreiben mehrere Freier, dass die Frauen im Pussy-Club (oder deren aktuellen Nachfolgern wie den "Airport-Muschis" in Berlin) "schwarze Zähne" und "Zahnlücken" haben, weil sie sich offensichtlich den Zahnarzt nicht leisten können. Eine Sozialversicherungspflicht in Deutschland würde das Problem sofort lösen, eine nur freie Beschäftigung hingegen nicht!

Aber zurück zu den Flatrate-Clubs: Wenn sie der teuren Sozialversicherungspflicht entgehen wollen, hilft nur, ansonsten ALLES zu tun, damit die Frauen als Selbständige durchgehen. Insbesondere keine Pflichten zu bestimmten Arbeitszeiten, keine Kopplung an Übernachtungsmöglichkeiten und keine langfristigen Verträge. Wenn die Frauen für ein oder zwei Wochen kommen und dann zum nächsten Club "weiterwandern", was in der Branche ja eh nicht unüblich ist, dann sind sie durchaus noch als Selbständige anzusehen. Aber sie müssen eben selber "wandern" und dürfen nicht nur zwischen diversen Instanzen derselben Bordell-Kette "hin- und hergeschoben" werden.

Wenn der Club hingegen ganz bewusst auf die Sozialversicherung setzt, dann muss er sich um die Arbeitserlaubnisse kümmern, wenn er nicht nur deutsche Frauen beschäftigen will. Erster Schritt dazu ist die Aufgabe einer Suchanzeige für Prostituierte bei der Agentur für Arbeit. Da i.d.R. die Arbeitsagentur dafür keine Bewerberinnen vermitteln kann (bzw. in vielen Fällen auch gar nicht will!), kann man im zweiten Schritt dann den Antrag auf Arbeitserlaubnis für entsprechende ausländische Bewerberinnen stellen. Zahlt der Club ein durchaus angemessenes Bruttojahresgehalt von 50000 Euro oder mehr, sollte das ganze auch relativ geräuschlos über die Bühne gehen, wie bei den ebenfalls stark gesuchten IT-Experten.

Stellt sich eine bestimmte Stadt oder ein Bundesland dabei quer, sollte es eigentlich kein Problem sein, die ganzen ausländerrechtlichen Dinge in einem liberalen Bundesland (z.B. Berlin) zu erledigen. Sobald die Frau die Arbeitserlaubnis hat, verbietet ihr ja keiner, sich bei einem höherpreisigen Club im Süden zu bewerben und dann ihren Vertrag in Berlin zu kündigen. Das gilt auch dann, wenn Berliner und "südlicher" Club demselben Betreiber gehören.


Jag

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Marc of Frankfurt
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Sind die hegemonialen Bewertungskriterien fair?

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Danke für die Information zum arbeitnehmerInnenschützenden Sozialversicherungsrecht, die in der Sexarbeit traditionell nicht verankert sind. Nicht ausreichend gewürdigt zu sein scheint mir:


Bei abhängier Beschäftigung hat der Arbeitgeber ein weitreichendes Weisungsrecht. Dieses ist laut Strafgesetzbuch bei Prostitution verboten.


Bei abhängiger Beschäftigung bekommt der Angestellte einen Pauschallohn und leistet dafür kontinuierlich während der Arbeitszeit und verpflichtenden Anwesenheit im Betrieb.


Eine Flatt-Rate-Club-Sexarbeiterin bekommt ebenso einen Pauschallohn vom Betreiber aber "leistet" über ihre schiere Anwesenheit (tanzen, Konversation oder lächeln so wie Lufthansa Stewards) hinaus erstmal nicht bzw. nur nach eigener privater Entscheidung.


Eine Flatt-Rate-Club-Sexarbeiterin geht in Vorleistung hinsichtlich verausgabter opportunistischer Kosten für Anwesenheit und Rumsitzen (Zeit ist Geld), weil sie in der Zeit ja ihre Privatkunden per Telefonauftrag nicht besuchen und bedienen kann oder sich nicht in einem ganz anderen Betrieb oder Straßenstrichbereich aufhalten kann.


Ich denke die Kategorien was ist eigentlich sensitive-sexuelle und erotisch-energetische Arbeit und wie grenzt sich Selbstbestimmung von Fremdbestimmung bei dieser Dienstleistung jeweils anders ab (im Abgrenzung zu schwerpunktmäßig geistig-anal-ytischer und körperlich-muskulärer Arbeit) muß noch viel genauer herausgearbeitet werden.

Da hat die Rechtsprechung nachvollziehbarerweise bisher einen Bogen herum gemacht :-(( Und der wissenschaftliche Diskurs ist moralisch und pseudowissenschaftlich von Christen oder FundamentalFeministInnen okkupiert.

JaguarCat
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Re: Sind die hegemonialen Bewertungskriterien fair?

Beitrag von JaguarCat »

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Marc of Frankfurt hat geschrieben:Danke für die Information zum arbeitnehmerInnenschützenden Sozialversicherungsrecht, die in der Sexarbeit traditionell nicht verankert sind. Nicht ausreichend gewürdigt zu sein scheint mir:

Bei abhängier Beschäftigung hat der Arbeitgeber ein weitreichendes Weisungsrecht. Dieses ist laut Strafgesetzbuch bei Prostitution verboten.
Vielen Dank für die Diskussion. Das Arbeitgeber-Weisungsrecht ist bei Prostitution in der Tat eingeschränkt. Dem trägt das Prostitutionsgesetz aber Rechnung mit dem (nicht unumstrittenen) §3. Dieser bewirkt, dass bei der Frage, ob "abhängige, sozialversicherungspflichtige" oder "unabhängige, selbständige, sozialversicherungsfreie" Beschäftigung vorliegt, eben die anderen Kriterien (wie "wirtschaftliches Risiko", "mehrere Auftraggeber") heranzuziehen sind. Und natürlich können auch Weisungen, die der Arbeitgeber einer Prostituierten legal erteilen kann (etwa Arbeitszeiten und -tage, Kleidung beim Aufenthalt im Barbereich, Pausenregelung etc. pp.) zugunsten bzw. zuungunsten von Selbständigkeit sprechen.

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Marc of Frankfurt hat geschrieben:Bei abhängiger Beschäftigung bekommt der Angestellte einen Pauschallohn und leistet dafür kontinuierlich während der Arbeitszeit und verpflichtenden Anwesenheit im Betrieb.

Eine Flatt-Rate-Club-Sexarbeiterin bekommt ebenso einen Pauschallohn vom Betreiber aber "leistet" über ihre schiere Anwesenheit (tanzen, Konversation oder lächeln so wie Lufthansa Stewards) hinaus erstmal nicht bzw. nur nach eigener privater Entscheidung.
Im Fall, dass ein Pauschalhonorar pro Tag vereinbart war, wird der Clubbetreiber, wenn ausreichend Gäste anwesend sind, von der Sexarbeiterin auch "Einsatz" fordern oder andererseits das Vertragsverhältnis kündigen. §2 ProstG scheint das auch so vorzusehen (Einrede der "vollständigen Nichterfüllung"). Die bereits erwähnten Einschränkungen beim Weisungsrecht verbieten aber dem Clubbetreiber, vorzuschreiben, mit wem die Sexarbeiterin aufs Zimmer geht und was sie dort genau macht.

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Marc of Frankfurt hat geschrieben:Eine Flatt-Rate-Club-Sexarbeiterin geht in Vorleistung hinsichtlich verausgabter opportunistischer Kosten für Anwesenheit und Rumsitzen (Zeit ist Geld), weil sie in der Zeit ja ihre Privatkunden per Telefonauftrag nicht besuchen und bedienen kann oder sich nicht in einem ganz anderen Betrieb oder Straßenstrichbereich aufhalten kann.
Fürs "Rumsitzen" wird sie in einem Flatrate-Club ja trotzdem bezahlt, wenn eine Pauschale pro Tag vereinbart ist. Insofern geht sie hier genau NICHT in Vorleistung.

Eine Sexarbeiterin, die neben der Arbeit im Flatrate-Bordell auch ihre Privatkunden besucht und/oder zusätzlich in anderen Betrieben arbeitet, ist hingegen ganz klar selbständig. Sie muss das dann aber auch durchziehen, so dass am Schluss ihr Einkommen tatsächlich aus vielen unterschiedlichen Quellen kommt, und keine dieser Quellen deutlich überwiegt. Eine mögliche Lösung - ein paar Wochen hier, ein paar Wochen dort - habe ich auch am Ende meines Artikels vorgestellt gehabt.

Ein reines: "Woanders könnte ich mehr verdienen" reicht hingegen nicht für die Einstufung als Selbständige aus. Denn das gilt ja auch für die meisten Arbeitnehmer.

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Marc of Frankfurt hat geschrieben:Ich denke die Kategorien was ist eigentlich sensitive-sexuelle und erotisch-energetische Arbeit und wie grenzt sich Selbstbestimmung von Fremdbestimmung bei dieser Dienstleistung jeweils anders ab (im Abgrenzung zu schwerpunktmäßig geistig-analytischer und körperlich-muskulärer Arbeit) muß noch viel genauer herausgearbeitet werden.

Da hat die Rechtsprechung nachvollziehbarerweise bisher einen Bogen herum gemacht :-(( Und der wissenschaftliche Diskurs ist moralisch und pseudowissenschaftlich von Christen oder FundamentalFeministInnen okkupiert.
Ich vermute, die Rechtsprechung wird auch weiter einen Bogen um die genannte Abgrenzung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung bei der eigentlichen Arbeit machen, zumal die Politik per §3 ProstG ja ausdrücklich vorgegeben hat, dass es auf diese Abgrenzung überhaupt nicht ankommt, da Fremdbestimmung eh verboten ist. Also kommt es um so mehr auf das "Drumherum" an: Wenn der Club pauschal pro Tag bezahlt, vollständige Anwesenheit während fester Öffnungszeiten verlangt wird, eine genaue Kleiderordnung herrscht (oder gar eine Club-Uniform Verwendung findet), die Frauen im Club schlafen und sie mehrere Monate dort arbeiten, bevor sie bei der nächsten Filiale derselben Kette den wieder gleichen Vertrag unterschreiben, dann verbleibt halt keine Selbständigkeit mehr. Auch dann nicht, wenn sich die Frauen aussuchen dürfen, neben wen sie sich im Barraum setzen und was genau sie auf dem Zimmer machen.

Wenn die Sexarbeiterin hingegen frei entscheidet: "Heute abend geh ich in Club X, da werden bestimmt viele Männer sein, es ist gleich nebenan eine Messe" und zwei Tage später: "Heute mache ich 'flat' in Club Y, möchte nicht über Geld reden" und dann noch zwei Tage später ein von einer Agentur vermitteltes "Date" wahrnimmt, dann ist das selbständig.


Für den Flatrate-Bordell-Betreiber ist das nicht einfach: Im Zweifelsfall muss pro Prostituierter individuell entschieden werden, wie sie abzurechnen ist. Das kann sich im Laufe der Beschäftigung auch ändern, etwa, wenn eine Sexarbeiterin in einem Club "sesshaft" wird. Andere Branchen - zum Beispiel Zeitschriftenverlage oder alle diejenigen, die Künstler und Schauspieler beschäftigen - haben das Problem aber auch.


Jag

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zum Buch zur Evaluation zum ProstG

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Das ProstG ist gescheitert - ein Regelungstorso


Buchrezension zum Buch von Prof. Kavemann e.a.


  • "wobei der Mythos, dass Prostituierte in besonderem Maße Geschlechtskrankheiten verbreiten würden, längst widerlegt ist (vgl. S. 254)

    und der Wandel im deutschen Gesundheitsrecht zu freiwilligen Kontrollen und aufsuchender Sozialarbeit von den Akteur/-innen durchweg positiv bewertet wird (so auch Weppert, S. 253 f.)"

http://www.querelles-net.de/index.php/q ... ew/831/816

Buchrezension von
Jun.-Prof. Dr. Ulrike Lembke
Universität Hamburg, Uni Greifswald
Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Fakultät für Rechtswissenschaft

Autorin von "Feministische Rechtswissenschaft: Ein Studienbuch"
http://www.amazon.de/dp/3832922350
http://www.feministisches-studienbuch.de


Buch zur Evaluation zum ProstG von Prof. Kavemann e.a.:
viewtopic.php?p=39673#39673 (s.o.)





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Bewertung des ProstG von 2002

Beitrag von Marc of Frankfurt »

KSTA.DE » Debatte » Rechtssachen

Prostitutionsgesetz

Bestimmung mit absurden Folgen



Von Winfried Schwabe, 08.04.10

Das „Prostitutionsgesetz“ sollte ein Meilenstein zur Legalisierung sein. Nicht zuletzt sollte es vor allem dem Schutz der Frauen dienen. Doch nun überrascht der Bundesgerichtshof mit dem Gegenteil der einstigen gesetzgeberischen Absicht.

Als im Jahre 2002 das „Prostitutionsgesetz“ in Kraft trat, waren sich die Experten einig: Es sollte ein Meilenstein zur Legalisierung sein und vor allem dem Schutz der Damen dienen.

Gut acht Jahre später überrascht nun der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Gegenteil dieser gesetzgeberischen Absicht.

Das Berliner Landgericht (LG) hatte Anfang 2009 eine Zuhälterbande zu langjährigen Haft-strafen verurteilt. Die Angeklagten hatten unter Anwendung von Gewalt im großen Stil Häuser an Prostituierte „vermietet“ und die Damen dort quasi zu Sklaven gemacht. Nach dem Auffliegen der Bande verurteilte das LG Berlin die (geständigen) Täter wegen „Zuhälterei“ gemäß § 181a des Strafgesetzbuches zu umfangreichen Gefängnisstrafen. Damit schien die Sache eigentlich erledigt.

Einer der Täter allerdings ging in die Revision zum BGH. Sein Argument: Wegen des Prostitutionsgesetzes, das ja die Prostitution quasi legalisiere, müsse er als Zuhälter jetzt auch milder bestraft werden.


Makaber bis absurd

Was makaber bis absurd klingt, bestätigte der BGH. Die Strafe des Täters müsse tatsächlich gemildert werden, die Prostitution sei ja inzwischen einer „normalen“ Arbeit gleichzusetzen. Wörtlich: „Nicht strafbar können deshalb Maßnahmen der Zuhälter sein, die auch hinsichtlich der Erbringung einer gewöhnlichen Arbeit wirksam zu vereinbaren gewesen wären. Damit scheidet die Festlegung von Zeit, Ort und Mindestentgelten als strafbares Verhalten grundsätzlich aus. Für die Festsetzung von Mieten und sonstigen Zahlungspflichten gilt im Prinzip nichts anderes, sofern deren Erfüllung in einem angemessenen Zusammenhang mit den Leistungen der Organisatoren der Prostitution stehen, wie etwa dem Aufsuchen und der Nutzung von Räumlichkeiten, dem Fernhalten von Störern und dem Schutz vor zudringlichen Freiern.“ Und abschließend heißt es: „Des Weiteren muss zugunsten des Angeklagten gewertet werden, dass sich einige der erlassenen 'Regelungen' auch zum Schutz der Prostituierten auswirkten, namentlich der Kondomzwang, die Vorgabe von Mindestvergütungen und dass die Prostituierten über auskömmliche Einkünfte verfügten.“

http://www.ksta.de/html/artikel/1270457617913.shtml





Wo liegt denn hier das absurde, makabre Moment?

Da es früher verboten war Prostitution als Arbeit und Gewerbe arbeitsteilig zu organisieren, haben sich einer marktwirtschaftlichen Schwarzmarkt-Logik folgend illegale Umgehungsmechanismen herausgebildet wie Festigung eines Arbeitgeber-Arbeitnehmer-ähnlichen-Verhältnisses durch Täuschung, Verschuldungsfalle oder gar Gewalt.

Das ProstG hatte diese Problematik der moralischen Verurteilung von Prostitutionsorganisation, vulgo: Zuhälterei, nicht beseitigt und war weithin ein "Schaufenstergesetz" geblieben. Bis heute werden in manchen Bundesländern Betreiber allein deshalb als Zuhälter verfolgt, weil sie Einsicht in die Preispolitik des Sexverkaufs nehmen, um ihre Steuern erklären zu können.

Das Regulierungsproblem freie Entscheidung und Selbstbestimmung hinsichtlich der privaten Sache Sexualität vs. Kontrollgewalt seitens Betrieber und auch des Staates (Steuern, Registrierungszwang, Gesundheitsuntersuchungszwang, Kondomzwang) bleibt bestehen und somit weiterhin eine Gefahr für Ausbeutung besonders der schwächsten Glieder in der Wertschöpfungskette Prostitution, der Sexworker.

Clevere Win-Win-Lösungen müssen designed werden. Die kommen aber nur zustande im gemeinsamen Dialog mit den Betroffenen. Also muß auch die Politik mit Sexworkern, Kunden und Betreibern und ihren jeweiligen Interessensorganisationen sprechen und deren Existenz ersteinmal akzeptieren bzw. diese bei Sexworkern aktiv durch institutionelle Unterstützung ersteinmal ermöglichen.

Solange die Grenzziehung der Werteurteile den Betroffenen fremdbestimmt aufgezwungen wird, bleibt jedes regulierende Unterfangen und auch die Berichterstattung darüber scheinheilig.

"Nothing about us, without us."

Nicht über uns, sondern mit uns ... Sexarbeit ist nicht das Problem ... Sexarbeiter sind Teil der Lösung.






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Beitrag von Marc of Frankfurt »

juraforum.de/lexikon/prostitution

Infizierte Webseite?
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 12.05.2010, 09:00, insgesamt 2-mal geändert.

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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von certik »

Ich habe eben den Link von Marc geklickt und mir wurde von Avast ein Trojaner gemeldet - bitte Vorsicht!

LG certik
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Beitrag von ehemaliger_User »

Weder McAfee noch Norton Internet Security beanstanden die von Marc zitierte Seite.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

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Was ist Zuhälterei: Abgrenzungsproblem Arbeitsrecht Sexwork

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Urteil:
Zuhälterei vs. Arbeitsrecht

Zuhälterei-Paragraph im Strafgesetzbuch oder Regelwerk wie bei legalen Arbeitsverhätnissen
-BGH 5 StR 328/09-
Urteil vom 10.02.2009 (LG Berlin)



Stichworte:
StGB 181 a [Zuhälterei]; Zuhälterei (Bestimmen; Straßenprostitution; faktischer Arbeitszwang); BGHR; Beihilfe.


Leitsätze:
  1. Zum Bestimmen im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB bei freiwilliger Ausübung der Straßenprostitution. (BGHR - Bundes Gerichts Hof Rechtsprechung)
  2. Regelungen der Prostitutionsausübung,
    die auch hinsichtlich der Erbringung anderer Dienstleistungen wirksam zu vereinbaren gewesen wären,
    sind zu einer strafrechtlich relevanten Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts ungeeignet.
    Daher scheidet die Festlegung von Zeit, Ort und Mindestentgelten als "Bestimmen" grundsätzlich aus.
    Für die Festsetzung von Mieten und sonstigen Zahlungspflichten gilt gleiches,
    sofern deren Erfüllung in einem angemessenen Zusammenhang mit Leistungen der Organisatoren der Prostitution stehen.

Mit anderen Worten:
ein Betreiber/Chef/Vermittler/Vermieter/Partner/KollegIn darf Zeit, Ort, Mindestentgeld, angemessene Miete und sonstige Zahlungsverpflichtungen vorgeben/regeln/absprechen, ohne damit automatisch nach dem Strafgesetzbuch als Zuhälter kriminalisiert und verurteilt zu werden.


Entscheidungstenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Januar 2009 im Strafausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.


Urteilsbegründung:

...



http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/09/5 ... referer=db
oder
http://www.strafrecht-soforthilfe.de/sa ... -lg-berlin





Das Urteil zeigt wie es 2006 auf dem Berliner Straßenstrich "Eilat" zuging.

Der Angeklagte Zuhälter C. wurde wg. Beihilfe zur Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.



1 Der im offenen Strafvollzug befindliche C. beherrschte 2006 über einen "Stellvertreter" und mehrere "Wirtschafter" einen lukrativen Teil der Berliner Straßenprostitution (Bereich "Eilat").

Dabei war eine Pension Anlaufstelle und im Wesentlichen Leistungsort von bis zu 16 Prostituierten, deren Dienstleistungen hinsichtlich Standplatz, Arbeitszeit, Art der Sexualpraktiken und den zu erzielenden Mindestvergütungen im Einzelnen festgelegt waren:
- Die Arbeitszeit betrug sechs Tage pro Woche,
- Pausen waren hinsichtlich Zeit und Pausenpartner festgelegt, ebenso die freien Tage.
- Es durften nur gewöhnliche Sexualpraktiken wie Vaginal- und Oralverkehr unter Verwendung von Kondomen angeboten werden, und es waren
- Kontaktverbote zu Mitgliedern der Gruppierung und anderen Personen einzuhalten.

- Die Prostituierten waren verpflichtet, durchgehend - auch für freie Tage - ein "Standgeld" von 30 € pro Tag an die Pension zu zahlen, ohne dass eine ausdrückliche Zuordnung dieses Betrages zu den dort vorgehaltenen Dienstleistungen erfolgte. Konnte das "Standgeld" nicht bezahlt werden, wurde der offen stehende Betrag als "Blockschuld" notiert. Für jeden folgenden Tag, an dem eine Prostituierte ihre "Blockschuld" nicht vollständig abgetragen hatte, erhöhte sich das "Standgeld" auf 35 € [Das entspricht einem Wucher-Zinssatz in Höhe von über 6.000 % pro Jahr]. Es kam vor, dass Frauen nur noch für Blockschulden arbeiteten.

- Ferner waren Zimmermieten (20 € pro halbe Stunde) und
- Strafgelder bei Verfehlungen (20 € für Verspätungen oder vorzeitigem Gehen bei Unwohlsein) zu entrichten.

- Sofern den Prostituierten die Nutzung anderer Unterkünfte oder Hausbesuche überhaupt gestattet worden war, musste eine Art Mietausfallentschädigung für die Pension von 15 € pro halber Stunde bezahlt werden.


4 In der Pension war während der Arbeitszeiten durchgehend mindestens ein "Wirtschafter" bzw. der "Stellvertreter" anwesend.
Er kontrollierte mit Strichlisten den Zeitpunkt des Arbeitsbeginns und des Arbeitsendes, die Pausenzeiten und die einzelnen Zimmerbesuche. Weiterhin kassierte er von den Frauen die "Standgelder", die Zimmermiete und gegebenenfalls die "Mietausfallentschädigungen" sowie Strafgelder. Darüber hinaus waren immer einige Mitglieder der Tätergruppe in einer nahe gelegenen Gastwirtschaft präsent [Security-Eingreiftruppe]. Sie unternahmen ferner Kontrollfahrten mit dem Auto, die vom "Stellvertreter" oder den "Wirtschaftern" geplant worden waren. Diese Maßnahmen dienten neben dem Schutz des eigenen Herrschaftsbereichs und dem Schutz der Frauen vor Übergriffen vor allem auch der Kontrolle der Einhaltung der Regeln durch die Frauen.

Auch bei kleineren Regelverstößen der Prostituierten setzten die "Wirtschafter" oder der "Stellvertreter" Strafgelder fest (UA S. 13).


5 Allein aus den von den Prostituierten erhobenen "Standgeldern" und den Zimmermieten wurden ca. 18.000 € im Monat erzielt. Aus diesen Einnahmen wurden die Ausgaben für den Betrieb der Pension und "Zahlungen an höhere Kreise der Berliner Unterwelt bestritten" [Schutzgeld-Zahlungen] (UA. S. 11); im Übrigen verblieben sie bei den "Wirtschaftern", dem "Stellvertreter" und C. selbst.


6 Darüber hinaus wurde die Berufsausübung der Prostituierten von "männlichen Ansprechpartnern" geregelt, die die herkömmlichen Aufgaben eines Zuhälters erfüllten. Jeder Prostituierten musste grundsätzlich ein solcher "Ansprechpartner" zugeordnet sein. Gegenüber den anderen Mitgliedern der Gruppe war dieser die allein maßgebende Person für alle Belange, die "seine" Frau(en) betrafen. So war er dafür verantwortlich, dass jene die Regeln einhielten und musste sie notfalls zwangsweise durchsetzen, wobei sich diese Funktion - anders als die des "Stellvertreters" und der "Wirtschafter" - eher auf die Zeit bezog, in der die Frauen nicht arbeiteten. Je nach Ausgestaltung der Beziehung konnte die Tätigkeit des "Ansprechpartners" unterschiedlich intensiv ausfallen (UA S. 12). Auch Verhandlungen über konkrete Bedingungen der Tätigkeit, z. B. eine Veränderung des Standplatzes, wurden ausschließlich unter den Männern ohne Zuziehung der Frauen geführt (UA S. 8).

...


Auf die Freiwilligkeit der Unterwerfung [der Sexworker] unter die Regeln der Organisatoren der Straßenprostitution könne es nicht ankommen, weil die Einwilligung der Prostituierten rechtlich unwirksam sei.

...

das von C. und seinen Mittätern in dem von ihnen kontrollierten Berliner Straßenteil errichtete "Regime" verwirkliche den Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei zum Nachteil der dort tätigen Prostituierten gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB.

...

[Strafregeln und Strafgelder] Das von den Haupttätern errichtete und den Prostituierten auferlegte "Regelwerk" enthielt demgegenüber jedoch mehrere wesentliche Bestimmungen, die im Rahmen eines "legalen" Arbeitsverhältnisses oder auch bei selbständiger Berufsausübung nicht wirksam zu vereinbaren gewesen wären und denen in ihrer Gesamtheit (vgl. BGHSt 48, 314, 317; BGH NStZ 1986, 358) eine Eignung zur Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Prostituierten ohne Weiteres innewohnte.

...

Die "Standgelder", aus denen sich die männliche Tätergruppe weitgehend finanzierte, begründeten eine finanzielle Abhängigkeit der Prostituierten. [...] faktisch einen Arbeitszwang
...
[Strafgeld gegen] die vorzeitige Beendigung der Dienstleistung wegen Unwohlseins Strafgelder auslöst. Diese ist hier sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) und mithin unwirksam.

...

einige der von der Tätergruppe erlassenen Regelungen auch zum Schutz der Prostituierten auswirkten, namentlich der Kondomzwang, die Vorgabe von Mindestvergütungen und dass die beiden betroffenen Prostituierten über auskömmliche Einkünfte verfügten.

...




Siehe auch
Medienberichte über Zuhälterei auf dem Berliner Straßenstrich:
viewtopic.php?p=79528#79528 04. 2010
viewtopic.php?p=69005#69005 11. 2009
viewtopic.php?p=25964#25964 10. 2007
viewtopic.php?p=28126#28126 12. 2007





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Montgelas
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Beitrag von Montgelas »

Das Thema Prostitution ist nach wie vor ein Tabuthema. Das gilt trotz des Prostitutionsgesetzes, wonach Prostitution nicht mehr sittenwidrig ist.
Rechtlich ist Prostitution somit eine normale Dienstleistung, so wie jede andere.
Um diesen Gedanken im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung zu verankern, sollte der Fokus öffentlicher Betrachtung nicht immer nur einseitig auf Menschenhandel und vermeintlich ausgebeutete Prostituierte gerichtet sein. Es gibt das, unbestreitbar, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Genauso gibt es aber auch die Frauen, die aus eigener freier Entscheidung dieses Business gewählt haben und es als Selbständige ausüben. Solche Unternehmerinnen sind freilich im seltensten Fall in den zweifelhaften Großbordellen oder obstrusen großen Bizarr-Studios vorzufinden, die auf den niveaulosen Massengeschmack ausgerichtet sind. In den hochrangigen Escortagenturen oder den exklusiven privaten Domina-Studios sieht das ganz anders aus. Dort finden sich nämlich auch hochintelligente, intellektuell anspruchsvolle Herrinnen, wie beispielsweise Domina XXXX in XXXXX, die einen First Class Service der besonderen Art bieten. Solche Dienstleisterinnen werden auch kein Problem damit haben, in der Öffentlichkeit zu ihrem Betrieb – nichts anderes ist es – und den erbrachten Leistungen zu stehen.

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Beitrag von Zwerg »

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Montgelas hat geschrieben:Genauso gibt es aber auch die Frauen, die aus eigener freier Entscheidung dieses Business gewählt haben und es als Selbständige ausüben. Solche Unternehmerinnen sind freilich im seltensten Fall in den zweifelhaften Großbordellen oder obstrusen großen Bizarr-Studios vorzufinden, die auf den niveaulosen Massengeschmack ausgerichtet sind.
Dem möchte ich entschieden widersprechen! Der Arbeitsplatz einer SexarbeiterIn lässt keinen Schluss über ihre "bewusste freie Entscheidung" zu! Im Guten, wie im Bösen!

Ich weigere mich Großbordelle oder Ähnliche Etablissements als global "zweifelhaft" hier im Sexworker Forum titulieren zu lassen. Unser Erfahrung hat mehrfach aufgezeigt, dass dem nicht so ist!

Ich habe während meiner nunmehr fast 5-jährigen Tätigkeit äußerst selbstbestimmte Frauen in allen "Sparten" der Sexarbeit kennen gelernt und lehne aus diesem Grund eine Verunglimpfung einzelner Bereiche ab!

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Beitrag von Aoife »

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Montgelas hat geschrieben:Genauso gibt es aber auch die Frauen, die aus eigener freier Entscheidung dieses Business gewählt haben und es als Selbständige ausüben.
Ich meine es ist ein Denkfehler, nur Selbstständigen zuzugestehen, dass sie
ihren Beruf aus eigener freier Entscheidung gewählt haben. In jeder Branche.

Montgelas hat geschrieben:Solche Unternehmerinnen sind freilich im seltensten Fall in den zweifelhaften Großbordellen oder obstrusen großen Bizarr-Studios vorzufinden,
Das ist wohl logisch - oder?
Auch in Autofabriken oder einer sonstigen Großindustrie wird man nur in den seltensten Fällen auf den Unternehmer treffen.
Ein rein statistischer Effekt :017

Montgelas hat geschrieben:In den hochrangigen Escortagenturen oder den exklusiven privaten Domina-Studios ... finden sich nämlich auch hochintelligente, intellektuell anspruchsvolle Herrinnen, ...
Stimmt wohl - aber findest du diese Darstellung nicht etwas einseitig?
Oder willst du mir die Intelligenz absprechen, nur weil ich nicht dominant bin? :018

Liebe Grüße, Aoife
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Politiker wollen Kondomzwangs Prostitution

Beitrag von nina777 »

27.5.2010

BERLIN

Strengere Auflagen für Bordelle

Bundesrat berät besseren Schutz von Prostituierten


Dem ältesten Gewerbe der Welt droht Ungemach: Bordellbetreiber müssen mit deutlich strengeren Auflagen rechnen. Der Bundesrat wird in seiner nächsten Sitzung Anfang Juni Maßnahmen beraten, die Prostituierte besser schützen sollen – vorgesehen ist auch, die Benutzung von Kondomen in Freudenhäusern zur Pflicht zur machen.

Im baden-württembergischen Sozialministerium ist man optimistisch: „Wir haben gute Argumente und hoffen auf breite Unterstützung“, so Ministerin Monika Stolz (CDU). Das Land steckt hinter der Bundesratsinitiative, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, neue, einheitliche Gesetzesregelungen „für den Betrieb von Prostitutionsstätten“ zu schaffen. Laut Stolz reichen die alten Vorgaben nicht mehr aus, Frauen vor menschenunwürdiger Behandlung zu schützen. Die Signale aus den anderen Bundesländern sind durchaus positiv.

Für den Schutz der Damen des horizontalen Gewerbes vor Krankheiten sieht der Antrag eine Kondompflicht vor. Im Bordell sollen Schilder sichtbar darauf hinweisen. Und: Der Betreiber „darf ungeschützten Geschlechtsverkehr nicht zulassen“, heißt es in der Initiative. Wie die Einhaltung der Kondompflicht kontrolliert werden soll, darüber zerbrechen sich die Experten noch den Kopf. Der Antrag wertet den Verkehr ohne Gummi jedenfalls als Ordnungswidrigkeit, die mit einer saftigen Geldbuße geahndet werden soll – für den Betreiber, nicht für den Freier.

Bundesweit 400 000 Prostituierte

Durch die Initiative soll insbesondere die Ausbeutung in sogenannten „Flatrate-Bordellen“ verhindert werden, in denen der Kunde einmal zahlt, aber so viele sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann wie er will. Landauf, landab ist diese Art der Etablissements offenbar auf dem Vormarsch. Außerdem soll derjenige, der künftig ein Bordell eröffnen will, dafür eine behördliche Genehmigung einholen müssen („Erlaubnispflicht“). Und der Betreiber in spe wird sich einer Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen müssen. Das heißt, ist das Betriebskonzept etwa auf „Flatrate“ ausgerichtet, oder ist der Betroffene durch einschlägige Milieudelikte vorbestraft, sollen die Ordnungsbehörden ihr Veto gegen die Bordelleröffnung einlegen.

Nach seriösen Schätzungen gehen in Deutschland etwa 400 000 Menschen der Prostitution nach, vor allem Frauen.

In Bayern wurden schon vor einigen Jahren Prostituierte und deren Kunden nach der bayerischen Hygieneverordnung dazu verpflichtet, beim Geschlechtsverkehr Kondome zu verwenden.

Vor einem Jahr sorgte die Stadt Augsburg genau deshalb für Schlagzeilen. Die Stadt hatte in einem Etablissement ungeschützten Oralverkehr beanstandet. Dem Bordell wurde unter Androhung eines Zwangsgeldes von 10 000 Euro auferlegt, jegliche Ausübung ungeschützten Geschlechtsverkehrs zu unterbinden. Dagegen klagte wiederum die „Puffmutter“ – das Verwaltungsgericht wies die Klage mit dem Verweis auf die Kondompflicht ab.

http://www.mainpost.de/nachrichten/poli ... 98,5593071





Analoger Artikel in der Süddeutschen:
viewtopic.php?p=81424#81424

Razzien und Strafen nur gegen Sexworker in München:
viewtopic.php?p=81269#81269
I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.