Lokalnachrichten: AMSTERDAM (Niederlande)
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Lagebericht
Frankfurter Rundschau: Das Rotlicht erlischt
Amsterdam will die Schaufenster-Prostitution im touristischen Zentrum beenden. Der Kiez wehrt sich.
VON TOBIAS MÜLLER
Verführerisch legt die Frau im schwarzen Minirock ihre Hand auf den Schenkel und schiebt Schultern und Dekolleté ins Blickfeld des Autoinsassen. Hinter dem Lenkrad allerdings sitzt kein gewöhnlicher Kunde. Wer der Frau da auf dem Plakat etwas unbeholfen in den Ausschnitt grinst, ist der Amsterdamer Stadtrat Lodewijk Asscher. Die Zukunft heißt Straßenstrich, soll das Plakat ausdrücken, das in vielen Schaufenstern auf den Wallen hängt, Amsterdams weltberühmtem Rotlichtviertel, und wer den Straßenstrich zu verantworten hat, steht unter der Fotomontage: "Vielen Dank, Asscher. Ist es das, was du willst?"
Nun hat der junge Politiker im Winter natürlich nicht allein beschlossen, dass die Stadt in den nächsten Jahren einen Großteil der Fensterbordelle und zahlreiche Coffeeshops auf dem Kiez dichtmachen und durch Boutiquen, Galerien und gute Restaurants ersetzen will. Sein Satz aber, dass die Zeit vorbei sei, "in der wir den schönsten Teil der alten Innenstadt von Gesindel übernehmen ließen", hat Asscher zum Ziel des Protestprojekts gemacht.
Seine Kollegin Els Iping formuliert zurückhaltender. "Wir wollen keine Touristen mit etwas anziehen, auf das wir nicht stolz sind", sagt die sozialdemokratische Vorsitzende des Stadtteils Centrum, zu dem das Rotlichtviertel gehört, einer der größten Besuchermagneten Amsterdams. "Und die Touristen, die von den heutigen Wallen angezogen werden, sind nicht unbedingt die, die wir uns wünschen." Schon vor sechs Jahren begann man, das Quartier zu verändern: Der Verkehr wurde beruhigt, Kameras installiert.
Zu viele Coffeeshops
Zudem soll Schluss sein mit der "Monokultur", die Iping mit "40 Coffeeshops in zwei Straßen" umschreibt. Auf der Grundlage eines mit "Bibob" abgekürzten Gesetzes kann die Stadt eine Lizenz einziehen, wenn eine "ernste Vermutung" besteht, dass jemand Geld mit illegalen Aktivitäten verdient, oder an der Schwelle zur Kriminalität steht. Die Beweislast liegt beim Unternehmer.
Weil das alles sehr vage ist, gilt "Bibob" im Rotlichtviertel als Unwort. Dabei sei das Gesetz bei seiner Einführung 2003 durchaus begrüßt worden, erzählt Wim Boef. Er ist der Sprecher einer Initiative von 80 lokalen Unternehmern, nach der Postleitzahl des Gebiets "Platform 1012" genannt, die das Viertel erhalten will, "mit Prostitution, mit Coffeeshops und einfachen Esslokalen. Luxus-Gastronomie funktioniert hier sowieso nicht." Die Pläne der Gemeinde machen Boef wütend: "Wenn es hier Formen von Kriminalität gibt, dann sollen sie dagegen vorgehen. Dem stimmen wir völlig zu. Stattdessen kriminalisieren sie das ganze Viertel. Dies ist nicht das Sodom und Gomorrha, das der Bürgermeister hier sieht."
Seit die Sanierungspläne bekannt wurden, hätten sich Angst und Unsicherheit bei den Unternehmern breitgemacht, sagt Boef. "Jeder hängt an einem Faden, bis sie sagen, wir schneiden ihn durch, und dann war es das."
Ihre weitere Strategie will die Stadt erst nach dem Sommer verkünden. Kiez-Urgestein Jan Broers hat jedoch schon eine Vermutung, wohin die Reise geht. "In diesem Jahr wollen sie mit der Prostitution fertig sein, danach kommen die Coffeeshops dran." Seit drei Jahrzehnten vermietet Broers auf den Wallen Zimmer an Prostituierte, dazu betreibt er ein Hotel an der überlaufenen Hauptstraße. "In meinem Betrieb wird alles streng kontrolliert, alle Mädchen arbeiten selbstständig. Wenn sie Probleme hier lösen wollen, stimme ich dem zu. Wenn sie renovieren wollen, die Süchtigen und die Dealer rausschmeißen, bitte. Aber wenn das ganze Viertel diesen Stempel bekommt, macht mich das entsetzlich wütend."
Broers ist auch Sekretär des "Kooperationsverbands Fensterprostitution" und betont, bisher sei noch kein Geschäft wegen Geldwäsche, Frauenhandel oder weil dort Minderjährige arbeiten geschlossen worden. "Aber die Damen sind ihnen sowieso egal." Zum Beweis erzählt er die Geschichte von den Immobilien, die die Gemeinde von der Kiezlegende Charles "Dikke Charles" Geerts kaufte. Nachdem Geerts, der rund 35 Prozent aller Fensterbordelle besaß, vor Gericht den drohenden Entzug seiner Lizenzen verhindert hatte, bot ihm ein Projektentwickler 25 Millionen Euro für seine 17 Häuser [1,6 Mio je Haus]; aber der Preis hätte sich nur gerechnet, wenn die Räume zur Prostitution genutzt würden. Eine anderweitige Nutzung bedeutete einen Wertverlust von 15 Millionen [0,6 Mio je Haus], für den kam die Stadt Amsterdam auf. "In den 17 Gebäuden", weiß Broers, "gab es 50 Fenster [3 Fenster je Haus]. Rechnet man Tag- und Nachtschicht mit, betrifft das 100 Damen, die ihren Arbeitsplatz los sind."
Die Folgen, die das ambitionierten Stadtentwicklungsprojekt für die Prostitution hat, lässt die Stadt zurzeit untersuchen. Offenbar spielt aber Prostitution im Sanierungsplan nur eine Nebenrolle. Vor allem müsse die Kriminalität bekämpft werden, sagt Iping, "aber die Medien stürzen sich natürlich auf die Prostitution. Wir haben einen sehr breiten Ansatz, aber alles interessiert sich nur für die Huren."
Legale und illegale Prostitution
Mariska Majoor hat fünf Jahre als Prostituierte auf den Wallen gearbeitet. Sie beschreibt die Auswirkungen der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten: "Die Konkurrenz nimmt bereits zu, weil es weniger Zimmer gibt. Dadurch steigen natürlich die Preise, worüber sich wiederum die Kunden beschweren." Majoor betreibt das "Prostitutions-Informations-Zentrum" direkt bei der Oude Kerk. Das mittelalterliche Gebäude mit seinem gepflasterten Vorplatz ist die längste Zeit von Rotlicht-Vitrinen umgeben gewesen. Bereits in diesem Monat werden 18 von ihnen geschlossen, deren Betreiber einem Verkauf zugestimmt haben. Dass es auf dem Kiez neben selbstständiger Prostitution - sie wurde in den Niederlanden vor acht Jahren legalisiert - auch erzwungene Sexarbeit gibt, bestreitet Majoor nicht. Bordelle zu schließen, löse das Problem aber ebenso wenig wie die Besitzer rauszukaufen. "Für einen Zuhälter bedeuten weniger Fenster nicht, dass er aufhört. Er geht an andere Orte, andere Städte. Mehr und mehr läuft natürlich auch über das Internet."
An diesem Punkt setzt auch Metje Blaak von der Prostituierten-Vertretung De Rode Draad an: "Bürgermeister Cohen sagt schon seit Jahren, dass gegen Zuhälter vorgegangen werden muss. Da hat er völlig recht. Aber jetzt nehmen sie sich die Bordellbetreiber vor und kippen das Kind mit dem Bad aus. Die Mädchen werden untertauchen, die Prostitution geht im Untergrund weiter." Aus Gesprächen mit rund 100 Frauen weiß sie, dass trotz der unsicheren Zukunft keine von ihnen ans Aufhören denke, "weder die Selbstständigen noch die Gezwungenen, denn sie haben große Angst, dass sie irgendwo landen, wo sie völlig außer Sicht sind".
Hinter den rot beleuchteten Fenstern der Wallen dagegen seien die Prostituierten sicher, sagt Blaak. "In jedem Raum gibt es einen Alarmknopf, und wenn sie den drücken, stehen innerhalb von zwei Minuten alle Bordellbetreiber mitsamt der Polizei vor der Tür, denn im ganzen Viertel geht der Alarm an."
fr-online.de/in_und_ausland/politik/reportage/ ?sid=88c15b1dad067ef2232330dd7ceb7ed3&em_cnt=1315319
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Amsterdam will die Schaufenster-Prostitution im touristischen Zentrum beenden. Der Kiez wehrt sich.
VON TOBIAS MÜLLER
Verführerisch legt die Frau im schwarzen Minirock ihre Hand auf den Schenkel und schiebt Schultern und Dekolleté ins Blickfeld des Autoinsassen. Hinter dem Lenkrad allerdings sitzt kein gewöhnlicher Kunde. Wer der Frau da auf dem Plakat etwas unbeholfen in den Ausschnitt grinst, ist der Amsterdamer Stadtrat Lodewijk Asscher. Die Zukunft heißt Straßenstrich, soll das Plakat ausdrücken, das in vielen Schaufenstern auf den Wallen hängt, Amsterdams weltberühmtem Rotlichtviertel, und wer den Straßenstrich zu verantworten hat, steht unter der Fotomontage: "Vielen Dank, Asscher. Ist es das, was du willst?"
Nun hat der junge Politiker im Winter natürlich nicht allein beschlossen, dass die Stadt in den nächsten Jahren einen Großteil der Fensterbordelle und zahlreiche Coffeeshops auf dem Kiez dichtmachen und durch Boutiquen, Galerien und gute Restaurants ersetzen will. Sein Satz aber, dass die Zeit vorbei sei, "in der wir den schönsten Teil der alten Innenstadt von Gesindel übernehmen ließen", hat Asscher zum Ziel des Protestprojekts gemacht.
Seine Kollegin Els Iping formuliert zurückhaltender. "Wir wollen keine Touristen mit etwas anziehen, auf das wir nicht stolz sind", sagt die sozialdemokratische Vorsitzende des Stadtteils Centrum, zu dem das Rotlichtviertel gehört, einer der größten Besuchermagneten Amsterdams. "Und die Touristen, die von den heutigen Wallen angezogen werden, sind nicht unbedingt die, die wir uns wünschen." Schon vor sechs Jahren begann man, das Quartier zu verändern: Der Verkehr wurde beruhigt, Kameras installiert.
Zu viele Coffeeshops
Zudem soll Schluss sein mit der "Monokultur", die Iping mit "40 Coffeeshops in zwei Straßen" umschreibt. Auf der Grundlage eines mit "Bibob" abgekürzten Gesetzes kann die Stadt eine Lizenz einziehen, wenn eine "ernste Vermutung" besteht, dass jemand Geld mit illegalen Aktivitäten verdient, oder an der Schwelle zur Kriminalität steht. Die Beweislast liegt beim Unternehmer.
Weil das alles sehr vage ist, gilt "Bibob" im Rotlichtviertel als Unwort. Dabei sei das Gesetz bei seiner Einführung 2003 durchaus begrüßt worden, erzählt Wim Boef. Er ist der Sprecher einer Initiative von 80 lokalen Unternehmern, nach der Postleitzahl des Gebiets "Platform 1012" genannt, die das Viertel erhalten will, "mit Prostitution, mit Coffeeshops und einfachen Esslokalen. Luxus-Gastronomie funktioniert hier sowieso nicht." Die Pläne der Gemeinde machen Boef wütend: "Wenn es hier Formen von Kriminalität gibt, dann sollen sie dagegen vorgehen. Dem stimmen wir völlig zu. Stattdessen kriminalisieren sie das ganze Viertel. Dies ist nicht das Sodom und Gomorrha, das der Bürgermeister hier sieht."
Seit die Sanierungspläne bekannt wurden, hätten sich Angst und Unsicherheit bei den Unternehmern breitgemacht, sagt Boef. "Jeder hängt an einem Faden, bis sie sagen, wir schneiden ihn durch, und dann war es das."
Ihre weitere Strategie will die Stadt erst nach dem Sommer verkünden. Kiez-Urgestein Jan Broers hat jedoch schon eine Vermutung, wohin die Reise geht. "In diesem Jahr wollen sie mit der Prostitution fertig sein, danach kommen die Coffeeshops dran." Seit drei Jahrzehnten vermietet Broers auf den Wallen Zimmer an Prostituierte, dazu betreibt er ein Hotel an der überlaufenen Hauptstraße. "In meinem Betrieb wird alles streng kontrolliert, alle Mädchen arbeiten selbstständig. Wenn sie Probleme hier lösen wollen, stimme ich dem zu. Wenn sie renovieren wollen, die Süchtigen und die Dealer rausschmeißen, bitte. Aber wenn das ganze Viertel diesen Stempel bekommt, macht mich das entsetzlich wütend."
Broers ist auch Sekretär des "Kooperationsverbands Fensterprostitution" und betont, bisher sei noch kein Geschäft wegen Geldwäsche, Frauenhandel oder weil dort Minderjährige arbeiten geschlossen worden. "Aber die Damen sind ihnen sowieso egal." Zum Beweis erzählt er die Geschichte von den Immobilien, die die Gemeinde von der Kiezlegende Charles "Dikke Charles" Geerts kaufte. Nachdem Geerts, der rund 35 Prozent aller Fensterbordelle besaß, vor Gericht den drohenden Entzug seiner Lizenzen verhindert hatte, bot ihm ein Projektentwickler 25 Millionen Euro für seine 17 Häuser [1,6 Mio je Haus]; aber der Preis hätte sich nur gerechnet, wenn die Räume zur Prostitution genutzt würden. Eine anderweitige Nutzung bedeutete einen Wertverlust von 15 Millionen [0,6 Mio je Haus], für den kam die Stadt Amsterdam auf. "In den 17 Gebäuden", weiß Broers, "gab es 50 Fenster [3 Fenster je Haus]. Rechnet man Tag- und Nachtschicht mit, betrifft das 100 Damen, die ihren Arbeitsplatz los sind."
Die Folgen, die das ambitionierten Stadtentwicklungsprojekt für die Prostitution hat, lässt die Stadt zurzeit untersuchen. Offenbar spielt aber Prostitution im Sanierungsplan nur eine Nebenrolle. Vor allem müsse die Kriminalität bekämpft werden, sagt Iping, "aber die Medien stürzen sich natürlich auf die Prostitution. Wir haben einen sehr breiten Ansatz, aber alles interessiert sich nur für die Huren."
Legale und illegale Prostitution
Mariska Majoor hat fünf Jahre als Prostituierte auf den Wallen gearbeitet. Sie beschreibt die Auswirkungen der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten: "Die Konkurrenz nimmt bereits zu, weil es weniger Zimmer gibt. Dadurch steigen natürlich die Preise, worüber sich wiederum die Kunden beschweren." Majoor betreibt das "Prostitutions-Informations-Zentrum" direkt bei der Oude Kerk. Das mittelalterliche Gebäude mit seinem gepflasterten Vorplatz ist die längste Zeit von Rotlicht-Vitrinen umgeben gewesen. Bereits in diesem Monat werden 18 von ihnen geschlossen, deren Betreiber einem Verkauf zugestimmt haben. Dass es auf dem Kiez neben selbstständiger Prostitution - sie wurde in den Niederlanden vor acht Jahren legalisiert - auch erzwungene Sexarbeit gibt, bestreitet Majoor nicht. Bordelle zu schließen, löse das Problem aber ebenso wenig wie die Besitzer rauszukaufen. "Für einen Zuhälter bedeuten weniger Fenster nicht, dass er aufhört. Er geht an andere Orte, andere Städte. Mehr und mehr läuft natürlich auch über das Internet."
An diesem Punkt setzt auch Metje Blaak von der Prostituierten-Vertretung De Rode Draad an: "Bürgermeister Cohen sagt schon seit Jahren, dass gegen Zuhälter vorgegangen werden muss. Da hat er völlig recht. Aber jetzt nehmen sie sich die Bordellbetreiber vor und kippen das Kind mit dem Bad aus. Die Mädchen werden untertauchen, die Prostitution geht im Untergrund weiter." Aus Gesprächen mit rund 100 Frauen weiß sie, dass trotz der unsicheren Zukunft keine von ihnen ans Aufhören denke, "weder die Selbstständigen noch die Gezwungenen, denn sie haben große Angst, dass sie irgendwo landen, wo sie völlig außer Sicht sind".
Hinter den rot beleuchteten Fenstern der Wallen dagegen seien die Prostituierten sicher, sagt Blaak. "In jedem Raum gibt es einen Alarmknopf, und wenn sie den drücken, stehen innerhalb von zwei Minuten alle Bordellbetreiber mitsamt der Polizei vor der Tür, denn im ganzen Viertel geht der Alarm an."
fr-online.de/in_und_ausland/politik/reportage/ ?sid=88c15b1dad067ef2232330dd7ceb7ed3&em_cnt=1315319
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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 09.05.2008, 01:06, insgesamt 1-mal geändert.
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Selbe Info etwas anders geschrieben:
Schicke Täschchen aus Sodom und Gomorrha
Von Tobias Müller
Mit Immobilienkäufen und einem umstrittenen Gesetz will die Stadt Amsterdam ihr legendäres Rotlichtviertel sanieren. Aus Fensterbordellen werden Designboutiquen.
Wenn die Dämmerung über die schiefen Häuser fällt und sich die roten Leuchtreklamen in der Gracht spiegeln, dann wirkt alles wie immer. Finster guckende Türsteher im Anzug bewachen die Eingänge zu den Peepshows, der Lockruf «Coke? Ecstasy?» der fliegenden Händler wechselt sich mit dem Klingeln der Fahrrad-Polizeistreifen ab. Hinter den Scheiben räkeln sich die Frauen, rauchen, telefonieren und klopfen mit dem Nagel ans Glas.
Eine Nacht wie so viele auf den Wallen, dem Rotlichtviertel Amsterdams. Nur die leeren Fenster ab und an, in denen ein «Zu vermieten»-Zettel klebt, machen stutzig. Und manch einE BesucherIn mag sich irritiert fragen, wo denn die Prostituierten geblieben sind, die dort waren, wo jetzt Taschen und Designerkleidung die hell erleuchteten Vitrinen schmücken.
Ein Sturm zieht auf über den Wallen: Ende letzten Jahres kündigte die Gemeinde an, ihr weltberühmtes Schmuddelkind zu waschen, zu kämmen und zur Maniküre zu schicken. Um das «Gleichgewicht im Viertel wiederherzustellen», will man die Zahl der Fensterbordelle und Coffeeshops drastisch reduzieren. Erzwungene Prostitution, Frauenhandel und Geldwäsche seien im Quartier nach wie vor die Regel.
Der Charakter des ehemaligen Hafenviertels soll völlig verändert werden: mehr Galerien und Boutiquen, weniger Läden mit Sexspielzeug und Headshops mit Kifferbedarf. Hochwertige Gastronomie statt schmutziger Imbissstuben, die ihr Angebot am Fresskick der DrogentouristInnen ausrichten. «Die Zeit, in der wir den schönsten Teil der alten Innenstadt von Gesindel übernehmen liessen, ist vorbei», liess sich Lodewijk Asscher, der Stadtrat für Finanzen, vernehmen. Das Coalitieprojekt 1012, benannt nach der Postleitzahl, soll das Viertel in die Visitenkarte der Stadt verwandeln. Die im dreistelligen Millionenbereich veranschlagten Kosten will die Stadt gemeinsam mit einem anliegenden Luxushotel, Kaufhäusern und Banken schultern.
Pauschalverdacht «kriminogen»
Nur ein paar Blocks entfernt sitzt Els Iping, Vorsitzende des Stadtteils Centrum, in ihrem Büro. Schon seit sechs Jahren sei die Gemeinde mit der «physischen Infrastruktur» des Rotlichtviertels beschäftigt, erzählt die Sozialdemokratin. Man habe den Verkehr beruhigt, die Mauern der Grachten ausgebessert und Überwachungskameras aufgehängt. Jetzt will man an die Substanz, denn «die Branche an sich ist anfällig für Kriminalität, und die hohe Konzentration verstärkt diesen Effekt». Der Kreis der Unternehmer auf den Wallen sei geschlossen, da die Häuser «untereinander» verkauft würden. «Also musste im Bereich der Immobilien etwas passieren», sagt Iping.
Der Hebel, den die Stadt ansetzt, ist das Gesetz zur Beförderung von Integritätsbeurteilungen durch die öffentliche Verwaltung, kurz Bibob. Vor fünf Jahren eingeführt, soll es den städtischen Behörden mehr Einfluss auf die Genehmigungen für Gastronomie- und der Sexbetriebe geben. Besteht die «ernste Vermutung», dass jemand sein Geld mit illegalen Aktivitäten verdient oder daran in Zukunft Gefallen finden könnte, kann die Genehmigung eingezogen oder verweigert werden. «Kriminogen» lautet das Schlagwort für diese Verbrecher im Stand-by-Modus.
[Präventivstrafrecht ?]
In den letzten Jahren wurde das Bibob-Gesetz verstärkt auf Sexunternehmer und HausbesitzerInnen angewandt, die Zimmer an Prostituierte vermieten. Beispielhaft steht der Fall der Kiezlegende Charles Geerts, besser bekannt als Dikke Charles, dem ein Drittel der Räume im Rotlichtviertel gehörte. Vor zwei Jahren strich die Gemeinde seine Genehmigung. Geerts setzte zunächst per einstweilige Verfügung durch, sein Geschäft weiterbetreiben zu können.
Kurz darauf wandte sich jedoch eine Projektentwicklungsfirma an Geerts, die in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Restaurationen im historischen Zentrum durchführt. Man bot ihm 25 Millionen Euro, wenn er seine siebzehn Gebäude abtrete. Ein Preis, der sich eigentlich nur rechnet, wenn die Häuser weiterhin zur Prostitution genutzt werden. Geerts liess sich auf den Deal ein. Für den entstandenen Wertverlust entschädigte die Gemeinde die Projektentwicklungsfirma mit 15 Millionen Euro. Seitdem haben weitere Wohnungsbaugesellschaften mit BesitzerInnen von Prostitutionsimmobilien Verhandlungen aufgenommen. Parallel dazu droht die Stadt mehreren Geschäftsleuten, ihre Genehmigungen nicht zu verlängern.
«Kafka an der Amstel»
Frühlingsgefühle kommen daher auf den Wallen derzeit nicht auf. «Alle Unternehmer haben Angst», erzählt Wim Boef, Sprecher der Platform 1012. Um das Quartier zu erhalten, wie es ist, haben sich achtzig Geschäftsleute zusammengefunden. Die Unsicherheit geht einher mit Wut über das Aufkaufen der Häuser [Feindliche Übernahme]. Darüber, dass Unternehmer wie Geerts zwar nie verurteilt, aber dennoch öffentlich als Verbrecher vorgeführt würden. Und vor allem über das Bild, das die Stadt vom Rotlichtviertel entwirft: «Der Bürgermeister stellt dies hier als ein grosses Sodom und Gomorrha dar. Wenn es Kriminalität gibt, sagen wir: 'Dann packt sie an.' Aber sie stigmatisieren ein ganzes Viertel!» Das Bibob-Gesetz, das die lokale Geschäftswelt eigentlich begrüsst hätte, habe sich zum Instrument einer pauschalen Verdächtigung entwickelt. «Jeder hängt an einem Draht, den die Gemeinde nur zu kappen braucht. Sie müssen nicht einmal begründen, auf welcher Grundlage jemand als kriminell bezeichnet wird. Das ist Kafka an der Amstel.»
Entmutigungspolitik
Mit seiner Genehmigung hat Kiez-Jan Broers keine Probleme. «Alles ist kontrolliert in meinem Betrieb. Die Mädchen, die in meinen Räumen arbeiten, sind alle selbstständig», erklärt er. Seit dreissig Jahren vermietet Broers Räume an Prostituierte. Dazu betreibt er ein Hotel mitten auf der Hauptstrasse. «Mit Herz und Seele» hänge er an seinem Viertel, «und darum ärgert es mich fürchterlich, dass sie der ganzen Gegend dieses 'Kriminell'-Schild umhängen. Gegen eine Sanierung habe ich nichts. Wenn sie die Süchtigen und die Dealer rausschmeissen wollen, bitte schön. Auch das Bibob-Gesetz ist kein Problem, wenn sie es richtig einsetzen. Immerhin wurde noch kein einziger Laden wegen Frauenhandels geschlossen oder weil Minderjährige beschäftigt werden. Was die Stadt macht, ist Entmutigungspolitik. Dieses Jahr wollen sie mit der Prostitution fertig sein, danach nehmen sie sich die Coffeeshops vor. Dabei kommen die Leute doch genau darum nach Amsterdam. Die schicken Einkaufsstrassen sind doch nach sechs Uhr abends tot.»
Dass es der Gemeinde um den Schutz der Prostituierten geht, nimmt Jan Broers ihr nicht ab: «Die siebzehn Gebäude, die sie schon aufgekauft haben, haben rund fünfzig Fenster. Mit Tag- und Nachtschicht sind das hundert Prostituierte, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Aber das kümmert sie nicht.» Broers zeigt auf ein Poster: Eine Frau im Minirock beugt sich auf dem Strassenstrich ins Auto eines Freiers. «Vielen Dank, Asscher», heisst es darunter an die Adresse des Finanzvorstehers, «ist es das, was du willst?»
Auch Mariska Majoor macht sich keine Illusionen: «Natürlich gibt es hier illegale, erzwungene Prostitution. Durch die Pläne der Gemeinde wird das Problem aber nicht gelöst. Denn für einen Zuhälter bedeuten weniger Fenster nicht, dass er aufhört. Für die Prostituierten dagegen nimmt der Druck bereits jetzt zu. Wenn es weniger Fensterbordelle gibt, erhöhen sich die Preise. In dieser Branche lässt sich das aber nicht so einfach auf den Kunden abwälzen. Doch Prostituierte beschweren sich nicht, weil sie sich immer danach richten, was die Nachbarin verdient.»
[Preiserhöhungen werden auf die schwächsten Marktteilnehmer, meist die SW abgewältzt]
Majoor weiss, wovon sie spricht, immerhin hat sie fünf Jahre lang selbst auf den Wallen gearbeitet, ehe sie 1994 das Prostitutions-Informationszentrum PIC öffnete. «Als ich selbst im Fach war, vermisste ich einen Ort, an dem Menschen, die ein- oder aussteigen wollen, sich informieren können, der aber auch Studenten, Besuchern und Kunden als Anlaufstelle dient.»
Sexarbeit ist in den Niederlanden seit acht Jahren legal. Majoor findet dennoch, dass Prostitution noch immer als ein gesellschaftliches Problem gelte. «Die Stadt geht davon aus, dass sie Seelchen rettet, wenn sie die Fenster schliesst.» Auch in ihrer Nachbarschaft wird sie bald verwaiste Vitrinen sehen können, denn der Platz um die mittelalterliche Oude Kerk spielt in den Plänen der Stadt eine zentrale Rolle. Einer der beiden grossen Vermieter hat seine Häuser bereits verkauft, und im April sollen die ersten achtzehn Vitrinen geschlossen werden. Was danach passiert, liegt im Dunkeln. Mariska hat allerdings eine Befürchtung: «Werden sie da auch diese komischen Modebetriebe reinsetzen?»
Red Light Fashion
Ihre widersprüchliche Position ist Mariette Hoitink durchaus bewusst. Einerseits zieht ihr Projekt «Red Light Fashion», das Ausstellen von Designermode in ehemaligen Prostitutionsfenstern, weltweites Medieninteresse auf sich. Andererseits ist Red Light Fashion als sichtbarer Vorbote der Veränderung im Quartier nicht allzu beliebt. «Ich verstehe die Angst der Leute hier. Mich würde es auch verrückt machen, wenn ich nicht wüsste, ob ich mein Geschäft nächstes Jahr noch hätte.» Die Initiative für Red Light Fashion entstand, als ihr im letzten Frühjahr zwei Vertreter der Stadt vom Plan erzählten, auf dem Kiez Immobilien zu erwerben. «Da es in Amsterdam einen grossen Bedarf an bezahlbaren Ausstellungsräumen gibt, schlug ich ihnen vor, etwas mit Modedesign zu machen. Ein halbes Jahr später kamen sie zurück. Sie erzählten, sie hätten die Häuser von Charles Geerts gekauft. Ob ich fünfzehn Designer wüsste, die darin arbeiten und leben wollten.»
Kurz nach dem Jahreswechsel begann das Projekt. Alle zwei Wochen müssen die ausgewählten KünstlerInnen nun ihre Auslagen ändern. Dafür stellt ihnen die Stadt ein Jahr lang die ehemaligen Bordelle als Wohnateliers zur Verfügung - zum Nebenkostenpreis. Mariette Hoitink ist begeistert vom Ambiente. «Zum ersten Mal werden niederländische Designer einem grossen Publikum sichtbar gemacht - und das auf eine typisch Amsterdamer Art, nämlich sehr kontrovers.»
Designermode neben Prostituierten, diese Kombination ist zweifellos der Blickfang des Wandels auf den Wallen. Im Gesamtkonzept des Coalitieprojekts 1012 spielt beides jedoch nur eine Nebenrolle. «Wir haben einen breiten Ansatz, doch alles interessiert sich nur für die Huren», sagt Els Iping in ihrem Büro über der Amstel. Dass der Kampf gegen illegale Prostitution ein Nebenschauplatz ist, gibt die Stadtteilvorsitzende freimütig zu. «Uns geht es um Entwicklung, die nur möglich ist, wenn die Kriminalität zurückgedrängt wird.» Das Bibob-Gesetz stellt das nötige Amalgam in dieser Gleichung dar. Es dient dem stadtplanerischen Anspruch, mit der Funktion auch das Publikum des Viertels neu zu erfinden: «Wir wollen nicht Touristen mit etwas anziehen, auf das wir nicht stolz sind.» Umgekehrt sei die heutige Wallen-Klientel auch nicht die anvisierte Zielgruppe.
Wen die Stadt dagegen sehr wohl durch ihr künftiges Vorzeigequartier flanieren sehen will, weiss Els Iping auch: «Touristen, die eine bildhübsche Stadt mit einer toleranten Atmosphäre und sehr viel Kultur wollen.»
WOZ vom 10.04.2008
woz.ch/artikel/inhalt/2008/nr15/Leben/16184.html
Von Tobias Müller
Mit Immobilienkäufen und einem umstrittenen Gesetz will die Stadt Amsterdam ihr legendäres Rotlichtviertel sanieren. Aus Fensterbordellen werden Designboutiquen.
Wenn die Dämmerung über die schiefen Häuser fällt und sich die roten Leuchtreklamen in der Gracht spiegeln, dann wirkt alles wie immer. Finster guckende Türsteher im Anzug bewachen die Eingänge zu den Peepshows, der Lockruf «Coke? Ecstasy?» der fliegenden Händler wechselt sich mit dem Klingeln der Fahrrad-Polizeistreifen ab. Hinter den Scheiben räkeln sich die Frauen, rauchen, telefonieren und klopfen mit dem Nagel ans Glas.
Eine Nacht wie so viele auf den Wallen, dem Rotlichtviertel Amsterdams. Nur die leeren Fenster ab und an, in denen ein «Zu vermieten»-Zettel klebt, machen stutzig. Und manch einE BesucherIn mag sich irritiert fragen, wo denn die Prostituierten geblieben sind, die dort waren, wo jetzt Taschen und Designerkleidung die hell erleuchteten Vitrinen schmücken.
Ein Sturm zieht auf über den Wallen: Ende letzten Jahres kündigte die Gemeinde an, ihr weltberühmtes Schmuddelkind zu waschen, zu kämmen und zur Maniküre zu schicken. Um das «Gleichgewicht im Viertel wiederherzustellen», will man die Zahl der Fensterbordelle und Coffeeshops drastisch reduzieren. Erzwungene Prostitution, Frauenhandel und Geldwäsche seien im Quartier nach wie vor die Regel.
Der Charakter des ehemaligen Hafenviertels soll völlig verändert werden: mehr Galerien und Boutiquen, weniger Läden mit Sexspielzeug und Headshops mit Kifferbedarf. Hochwertige Gastronomie statt schmutziger Imbissstuben, die ihr Angebot am Fresskick der DrogentouristInnen ausrichten. «Die Zeit, in der wir den schönsten Teil der alten Innenstadt von Gesindel übernehmen liessen, ist vorbei», liess sich Lodewijk Asscher, der Stadtrat für Finanzen, vernehmen. Das Coalitieprojekt 1012, benannt nach der Postleitzahl, soll das Viertel in die Visitenkarte der Stadt verwandeln. Die im dreistelligen Millionenbereich veranschlagten Kosten will die Stadt gemeinsam mit einem anliegenden Luxushotel, Kaufhäusern und Banken schultern.
Pauschalverdacht «kriminogen»
Nur ein paar Blocks entfernt sitzt Els Iping, Vorsitzende des Stadtteils Centrum, in ihrem Büro. Schon seit sechs Jahren sei die Gemeinde mit der «physischen Infrastruktur» des Rotlichtviertels beschäftigt, erzählt die Sozialdemokratin. Man habe den Verkehr beruhigt, die Mauern der Grachten ausgebessert und Überwachungskameras aufgehängt. Jetzt will man an die Substanz, denn «die Branche an sich ist anfällig für Kriminalität, und die hohe Konzentration verstärkt diesen Effekt». Der Kreis der Unternehmer auf den Wallen sei geschlossen, da die Häuser «untereinander» verkauft würden. «Also musste im Bereich der Immobilien etwas passieren», sagt Iping.
Der Hebel, den die Stadt ansetzt, ist das Gesetz zur Beförderung von Integritätsbeurteilungen durch die öffentliche Verwaltung, kurz Bibob. Vor fünf Jahren eingeführt, soll es den städtischen Behörden mehr Einfluss auf die Genehmigungen für Gastronomie- und der Sexbetriebe geben. Besteht die «ernste Vermutung», dass jemand sein Geld mit illegalen Aktivitäten verdient oder daran in Zukunft Gefallen finden könnte, kann die Genehmigung eingezogen oder verweigert werden. «Kriminogen» lautet das Schlagwort für diese Verbrecher im Stand-by-Modus.
[Präventivstrafrecht ?]
In den letzten Jahren wurde das Bibob-Gesetz verstärkt auf Sexunternehmer und HausbesitzerInnen angewandt, die Zimmer an Prostituierte vermieten. Beispielhaft steht der Fall der Kiezlegende Charles Geerts, besser bekannt als Dikke Charles, dem ein Drittel der Räume im Rotlichtviertel gehörte. Vor zwei Jahren strich die Gemeinde seine Genehmigung. Geerts setzte zunächst per einstweilige Verfügung durch, sein Geschäft weiterbetreiben zu können.
Kurz darauf wandte sich jedoch eine Projektentwicklungsfirma an Geerts, die in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Restaurationen im historischen Zentrum durchführt. Man bot ihm 25 Millionen Euro, wenn er seine siebzehn Gebäude abtrete. Ein Preis, der sich eigentlich nur rechnet, wenn die Häuser weiterhin zur Prostitution genutzt werden. Geerts liess sich auf den Deal ein. Für den entstandenen Wertverlust entschädigte die Gemeinde die Projektentwicklungsfirma mit 15 Millionen Euro. Seitdem haben weitere Wohnungsbaugesellschaften mit BesitzerInnen von Prostitutionsimmobilien Verhandlungen aufgenommen. Parallel dazu droht die Stadt mehreren Geschäftsleuten, ihre Genehmigungen nicht zu verlängern.
«Kafka an der Amstel»
Frühlingsgefühle kommen daher auf den Wallen derzeit nicht auf. «Alle Unternehmer haben Angst», erzählt Wim Boef, Sprecher der Platform 1012. Um das Quartier zu erhalten, wie es ist, haben sich achtzig Geschäftsleute zusammengefunden. Die Unsicherheit geht einher mit Wut über das Aufkaufen der Häuser [Feindliche Übernahme]. Darüber, dass Unternehmer wie Geerts zwar nie verurteilt, aber dennoch öffentlich als Verbrecher vorgeführt würden. Und vor allem über das Bild, das die Stadt vom Rotlichtviertel entwirft: «Der Bürgermeister stellt dies hier als ein grosses Sodom und Gomorrha dar. Wenn es Kriminalität gibt, sagen wir: 'Dann packt sie an.' Aber sie stigmatisieren ein ganzes Viertel!» Das Bibob-Gesetz, das die lokale Geschäftswelt eigentlich begrüsst hätte, habe sich zum Instrument einer pauschalen Verdächtigung entwickelt. «Jeder hängt an einem Draht, den die Gemeinde nur zu kappen braucht. Sie müssen nicht einmal begründen, auf welcher Grundlage jemand als kriminell bezeichnet wird. Das ist Kafka an der Amstel.»
Entmutigungspolitik
Mit seiner Genehmigung hat Kiez-Jan Broers keine Probleme. «Alles ist kontrolliert in meinem Betrieb. Die Mädchen, die in meinen Räumen arbeiten, sind alle selbstständig», erklärt er. Seit dreissig Jahren vermietet Broers Räume an Prostituierte. Dazu betreibt er ein Hotel mitten auf der Hauptstrasse. «Mit Herz und Seele» hänge er an seinem Viertel, «und darum ärgert es mich fürchterlich, dass sie der ganzen Gegend dieses 'Kriminell'-Schild umhängen. Gegen eine Sanierung habe ich nichts. Wenn sie die Süchtigen und die Dealer rausschmeissen wollen, bitte schön. Auch das Bibob-Gesetz ist kein Problem, wenn sie es richtig einsetzen. Immerhin wurde noch kein einziger Laden wegen Frauenhandels geschlossen oder weil Minderjährige beschäftigt werden. Was die Stadt macht, ist Entmutigungspolitik. Dieses Jahr wollen sie mit der Prostitution fertig sein, danach nehmen sie sich die Coffeeshops vor. Dabei kommen die Leute doch genau darum nach Amsterdam. Die schicken Einkaufsstrassen sind doch nach sechs Uhr abends tot.»
Dass es der Gemeinde um den Schutz der Prostituierten geht, nimmt Jan Broers ihr nicht ab: «Die siebzehn Gebäude, die sie schon aufgekauft haben, haben rund fünfzig Fenster. Mit Tag- und Nachtschicht sind das hundert Prostituierte, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Aber das kümmert sie nicht.» Broers zeigt auf ein Poster: Eine Frau im Minirock beugt sich auf dem Strassenstrich ins Auto eines Freiers. «Vielen Dank, Asscher», heisst es darunter an die Adresse des Finanzvorstehers, «ist es das, was du willst?»
Auch Mariska Majoor macht sich keine Illusionen: «Natürlich gibt es hier illegale, erzwungene Prostitution. Durch die Pläne der Gemeinde wird das Problem aber nicht gelöst. Denn für einen Zuhälter bedeuten weniger Fenster nicht, dass er aufhört. Für die Prostituierten dagegen nimmt der Druck bereits jetzt zu. Wenn es weniger Fensterbordelle gibt, erhöhen sich die Preise. In dieser Branche lässt sich das aber nicht so einfach auf den Kunden abwälzen. Doch Prostituierte beschweren sich nicht, weil sie sich immer danach richten, was die Nachbarin verdient.»
[Preiserhöhungen werden auf die schwächsten Marktteilnehmer, meist die SW abgewältzt]
Majoor weiss, wovon sie spricht, immerhin hat sie fünf Jahre lang selbst auf den Wallen gearbeitet, ehe sie 1994 das Prostitutions-Informationszentrum PIC öffnete. «Als ich selbst im Fach war, vermisste ich einen Ort, an dem Menschen, die ein- oder aussteigen wollen, sich informieren können, der aber auch Studenten, Besuchern und Kunden als Anlaufstelle dient.»
Sexarbeit ist in den Niederlanden seit acht Jahren legal. Majoor findet dennoch, dass Prostitution noch immer als ein gesellschaftliches Problem gelte. «Die Stadt geht davon aus, dass sie Seelchen rettet, wenn sie die Fenster schliesst.» Auch in ihrer Nachbarschaft wird sie bald verwaiste Vitrinen sehen können, denn der Platz um die mittelalterliche Oude Kerk spielt in den Plänen der Stadt eine zentrale Rolle. Einer der beiden grossen Vermieter hat seine Häuser bereits verkauft, und im April sollen die ersten achtzehn Vitrinen geschlossen werden. Was danach passiert, liegt im Dunkeln. Mariska hat allerdings eine Befürchtung: «Werden sie da auch diese komischen Modebetriebe reinsetzen?»
Red Light Fashion
Ihre widersprüchliche Position ist Mariette Hoitink durchaus bewusst. Einerseits zieht ihr Projekt «Red Light Fashion», das Ausstellen von Designermode in ehemaligen Prostitutionsfenstern, weltweites Medieninteresse auf sich. Andererseits ist Red Light Fashion als sichtbarer Vorbote der Veränderung im Quartier nicht allzu beliebt. «Ich verstehe die Angst der Leute hier. Mich würde es auch verrückt machen, wenn ich nicht wüsste, ob ich mein Geschäft nächstes Jahr noch hätte.» Die Initiative für Red Light Fashion entstand, als ihr im letzten Frühjahr zwei Vertreter der Stadt vom Plan erzählten, auf dem Kiez Immobilien zu erwerben. «Da es in Amsterdam einen grossen Bedarf an bezahlbaren Ausstellungsräumen gibt, schlug ich ihnen vor, etwas mit Modedesign zu machen. Ein halbes Jahr später kamen sie zurück. Sie erzählten, sie hätten die Häuser von Charles Geerts gekauft. Ob ich fünfzehn Designer wüsste, die darin arbeiten und leben wollten.»
Kurz nach dem Jahreswechsel begann das Projekt. Alle zwei Wochen müssen die ausgewählten KünstlerInnen nun ihre Auslagen ändern. Dafür stellt ihnen die Stadt ein Jahr lang die ehemaligen Bordelle als Wohnateliers zur Verfügung - zum Nebenkostenpreis. Mariette Hoitink ist begeistert vom Ambiente. «Zum ersten Mal werden niederländische Designer einem grossen Publikum sichtbar gemacht - und das auf eine typisch Amsterdamer Art, nämlich sehr kontrovers.»
Designermode neben Prostituierten, diese Kombination ist zweifellos der Blickfang des Wandels auf den Wallen. Im Gesamtkonzept des Coalitieprojekts 1012 spielt beides jedoch nur eine Nebenrolle. «Wir haben einen breiten Ansatz, doch alles interessiert sich nur für die Huren», sagt Els Iping in ihrem Büro über der Amstel. Dass der Kampf gegen illegale Prostitution ein Nebenschauplatz ist, gibt die Stadtteilvorsitzende freimütig zu. «Uns geht es um Entwicklung, die nur möglich ist, wenn die Kriminalität zurückgedrängt wird.» Das Bibob-Gesetz stellt das nötige Amalgam in dieser Gleichung dar. Es dient dem stadtplanerischen Anspruch, mit der Funktion auch das Publikum des Viertels neu zu erfinden: «Wir wollen nicht Touristen mit etwas anziehen, auf das wir nicht stolz sind.» Umgekehrt sei die heutige Wallen-Klientel auch nicht die anvisierte Zielgruppe.
Wen die Stadt dagegen sehr wohl durch ihr künftiges Vorzeigequartier flanieren sehen will, weiss Els Iping auch: «Touristen, die eine bildhübsche Stadt mit einer toleranten Atmosphäre und sehr viel Kultur wollen.»
WOZ vom 10.04.2008
woz.ch/artikel/inhalt/2008/nr15/Leben/16184.html
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SW-Interessen sollen Berücksichtigung finden
Holländische Nichtregierungsorganisationen sind gegen die kommunalen Pläne das Rotlichtviertel zu verdrängen
Dutch NGOs oppose city plans
La Strada Netherlands (CoMensHa www.mensenhandel.nl ), BLinN (Bonded Labour in the Netherlands) and LSI are critical about the Amsterdam mayor's plans to restrict prostitution with the argument to counter trafficking. Rather, existing anti-trafficking measures should be implemented and the rights situation of sex workers improved.
The Amsterdam prostitution and human trafficking debate
A comment by CoMensHa, BLinN and La Strada International
At the end of 2007, the mayor of Amsterdam proposed urban renewal plans for the red light district with the aim to reduce window prostitution and restrict the remaining windows to one zone in the district. Additional laws are proposed to fight pimping practices. The plans, it is argued, are intended to restore the ‘monumental' character of the historical city centre, tackle crime and in particular fight human trafficking into the sex industry.
La Strada International, CoMensHa (La Strada Netherlands) and Bonded Labour in the Netherlands (BlinN), organisations who work on the issue of human trafficking and provide direct support to trafficked persons, believe that the city's plans are misguided and will not tackle the problem of human trafficking, nor will they address exploitation or improve the rights position of sex workers.
As long as there is a demand for paid sex, prostitution will continue to exist, so that any attempt to restrict it will result in pushing sex workers into unregulated city districts and work settings. This in turn will increase the risk of exploitation and rights violations, and therefore in fact increase the risk of trafficking.
We believe that there is sufficient legislation in place today to tackle labour and human rights violations in the sex industry in the Netherlands. Brothel owners are obliged to follow guidelines and apply for permits which can be monitored by the city and the police.
However, there is currently a lack of monitoring and implementation. Rather than devising new laws, the city should therefore implement existing monitoring mechanisms.
Trafficking is punishable under Dutch law without the victim having to lodge legal proceedings against their exploiters. Pimping is also illegal and there are enough legal mechanisms to prosecute this form of labour exploitation. Prosecution, however, requires sufficient manpower as well as political will in the police force and the public prosecutor's office, to collect comprehensive information and evidence to support prosecution.
However, police controls are infrequent or do not take place at all, so that the rights situation in brothels is not sufficiently known to law enforcement. Furthermore, no initiatives are taken to actually improve the social position or labour rights situation of sex workers.
We regret this situation, as we believe that a combination of good regulation and strengthening the position of sex workers is the only way to tackle and prevent rights violations in the sector.
We believe the city of Amsterdam would be well-advised to implement existing regulations on human trafficking and prostitution, rather that yet again concentrate on devising new instruments.
lastradainternational.org/?main=lastradaoffices§ion=nationalnewsarchive&news_id=248
www.lastradainternational.org
www.blinn.nl
www.mensenhandel.nl
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Dutch NGOs oppose city plans
La Strada Netherlands (CoMensHa www.mensenhandel.nl ), BLinN (Bonded Labour in the Netherlands) and LSI are critical about the Amsterdam mayor's plans to restrict prostitution with the argument to counter trafficking. Rather, existing anti-trafficking measures should be implemented and the rights situation of sex workers improved.
The Amsterdam prostitution and human trafficking debate
A comment by CoMensHa, BLinN and La Strada International
At the end of 2007, the mayor of Amsterdam proposed urban renewal plans for the red light district with the aim to reduce window prostitution and restrict the remaining windows to one zone in the district. Additional laws are proposed to fight pimping practices. The plans, it is argued, are intended to restore the ‘monumental' character of the historical city centre, tackle crime and in particular fight human trafficking into the sex industry.
La Strada International, CoMensHa (La Strada Netherlands) and Bonded Labour in the Netherlands (BlinN), organisations who work on the issue of human trafficking and provide direct support to trafficked persons, believe that the city's plans are misguided and will not tackle the problem of human trafficking, nor will they address exploitation or improve the rights position of sex workers.
As long as there is a demand for paid sex, prostitution will continue to exist, so that any attempt to restrict it will result in pushing sex workers into unregulated city districts and work settings. This in turn will increase the risk of exploitation and rights violations, and therefore in fact increase the risk of trafficking.
We believe that there is sufficient legislation in place today to tackle labour and human rights violations in the sex industry in the Netherlands. Brothel owners are obliged to follow guidelines and apply for permits which can be monitored by the city and the police.
However, there is currently a lack of monitoring and implementation. Rather than devising new laws, the city should therefore implement existing monitoring mechanisms.
Trafficking is punishable under Dutch law without the victim having to lodge legal proceedings against their exploiters. Pimping is also illegal and there are enough legal mechanisms to prosecute this form of labour exploitation. Prosecution, however, requires sufficient manpower as well as political will in the police force and the public prosecutor's office, to collect comprehensive information and evidence to support prosecution.
However, police controls are infrequent or do not take place at all, so that the rights situation in brothels is not sufficiently known to law enforcement. Furthermore, no initiatives are taken to actually improve the social position or labour rights situation of sex workers.
We regret this situation, as we believe that a combination of good regulation and strengthening the position of sex workers is the only way to tackle and prevent rights violations in the sector.
We believe the city of Amsterdam would be well-advised to implement existing regulations on human trafficking and prostitution, rather that yet again concentrate on devising new instruments.
lastradainternational.org/?main=lastradaoffices§ion=nationalnewsarchive&news_id=248
www.lastradainternational.org
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Radikalkur für Millieu?
TAZ: Aufräumen in Amsterdams Rotlichtbezirk
[subventionierte] Designläden statt Prostitution
Fensterprostitution gibt es seit Jahrhunderten in Amsterdam. Nun wird neben Sex auch Designermode verkauft. Die Huren sind alles andere als amüsiert. VON GUNDA SCHWANTJE
Prostitution ist in den Niederlanden seit acht Jahren eine legale Beschäftigung. Foto: dpa
Samstagabend in Amsterdam: Die Sexarbeiterinnen ziehen die burgunderroten Vorhänge beiseite, jetzt sind ihre Dienstleistungsunternehmen geöffnet. Die Schaufenster am Oudezijds Achterburgwal sind in Rotlicht getaucht, vorbei an den Fensterbordellen der Walletjes, dem weltberühmten Rotlichtviertel, strömen tausende Schaulustige und Kunden.
Die schöne Frau in raffinierten blütenweißen Dessous tanzt, die Brünette im schwarzen Korsett wiegt verführerisch die Hüften, die Dritte sitzt lässig auf ihrem Hocker. Sie raucht und schaut hinaus auf das Treiben der Massen vor ihrem Fenster. Gerade kommt eine Horde alkoholisierter britischer Jungmänner heran, geile Sprüche sind zu hören, einer fragt sie, was es kostet. Unverrichteter Dinge zieht die Truppe weiter, um wenige Meter weiter an den Türsteher des "Moulin Rouge" zu geraten. Er schafft es, den Vergnügungsreisenden Live-Sex-Acts zu verkaufen. Lärmend verschwinden die Wochenendtouristen im Porno-Theater.
Mode im Rotlicht
Prostitution ist in den Niederlanden seit acht Jahren eine legale Beschäftigung. Wer mindestens 18 Jahre alt ist, kann das Gewerbe anmelden, zahlt Steuern, hat eine Krankenversicherung, Rechte. Die Stadt Amsterdam hat drei Gebiete mit Fensterprostitution ausgewiesen, die Walletjes, gelegen im historischen Zentrum, sind eins davon. Hier am Zeedijk und um die Oude Kerk gibt es 380 Fensterbordelle, laut Schätzungen bieten tausend Frauen in den Fenstern, Clubs und über Eskorteagenturen Sex gegen Geld an. Aber das ändert sich gerade. Die Stadtverwaltung will Touristen und Einheimischen mehr als nackte Tatsachen bieten. Ihr umstrittenes Konzept heißt "Red Light Fashion" - Mode, Kunst und gutes Essen.
"Schon seit dem Mittelalter arbeiten ,Freudenmädchen' rund um die Oude Kerk, Sexarbeit wurde hier immer geduldet", erzählt Berna vom Prostitution Information Center PIC. Sie zeigt einen der Arbeitsräume. Hocker, Spiegel, Alarmknöpfe, Waschbecken und der Arbeitsplatz: das Bett. "70 bis 150 Euro kostet ein Fenster für eine Schicht, abhängig von der Lage und Größe des Zimmers", erklärt Berna. "Für 15 Minuten Sex, die Basisversorgung, bezahlt der Freier 35 bis 50 Euro. Eine Sexarbeiterin kommt auf drei bis dreißig Kunden pro Schicht." Gearbeitet wird in den Walletjes rund um die Uhr, die roten Lampen an den Fensterrahmen gehen nie aus.
Draußen laufen zwei Polizisten vorbei, die Ordnungshüter zeigen Präsenz. Es werden illegale Drogen gedealt in diesem Stadtteil, es gibt Schlägereien. Die Frauen seien aber gut geschützt, sagt Berna, sie könnten einander hören durch die dünnen Wände und jederzeit die Polizei rufen, wenn ein Kunde Ärger mache.
Dennoch, der Rotlichtbezirk ist ein Problem, findet der Stadtrat. In den Restaurants, Sexshops, Coffeeshops und Bordellen werde Geld gewaschen. Außerdem sitze ein Teil der Frauen nicht freiwillig hinter den Fenstern. "Wir werden aufräumen", hat Bürgermeister Job Cohen im letzten Jahr angekündigt, Fensterbordelle zu schließen gehöre zum Kampf gegen Menschenhandel und Schattenwirtschaft. Cohens Stellvertreter Lodewijk Asscher legte nach: "Wir müssen die Gegend den Amsterdamern zurückgeben."
Ihren Worten folgten Taten. Seit Februar gibt es neben leicht bekleideten Sexarbeiterinnen in den Vitrinen auch Schaufenster, in denen exklusive Designermode angeboten wird. "Red Light Fashion" heißt das Konzept, Mode und Sex, ohnehin im Wechselspiel, werden nun Schaufenster an Schaufenster verkauft. Die Stadtverwaltung hat frühere Hurenräume an 14 aufstrebende Designer vermietet. Quasi als erste Sanierungsmaßnahme.
Die Modeschöpferin Merel Wicker, 30, zeigt ihre Geschäftsräume. Vorbei an einer üppigen Wandmalerei, die eine Frau in Reizwäsche darstellt, geht es hinauf ins Atelier, wo sie die Kleidung ihres Labels LEW näht. An den Wänden hängen Schnittmuster, Nähmaschinen und Laptops stehen bereit, am riesigen Schneidertisch sitzt Kim Leemans, 31, Wickers Geschäftspartnerin. In den Fenstern vis-à-vis sind Prostituierte bei der Akquise. Leemans und Wicker fühlen sich wohl im Rotlichtmilieu. "Die reguläre Miete könnten wir uns gar nicht leisten", sagt Merel Wicker. Die Räume ein Jahr mietfrei und nur gegen die Zahlung von Gas, Wasser und Strom zu nutzen, empfinden sie als echte Starthilfe. Immobilien sind hier viel Geld wert, Wohn- und Arbeitsräume rar und teuer.
Das Ende der Bananenbar
Die Fensterbordelle, in denen heute die "Red Light Fashion" produziert und verkauft wird, haben bis vor kurzem Charles Geerts gehört, dem "Pornokönig der Walletjes". Im September 2007 hat die Stadt - beziehungsweise die Wohnungskooperative "Het Oosten" - dem Sexunternehmer alle seine Immobilien abgekauft: 18 Gebäude mit 51 Fenstern, zum Preis von 25 Millionen Euro. Der Edelclub "Yab Yum", laut Eigenwerbung "Der exklusivste Männerclub der Welt", wurde kurz darauf im Januar geschlossen. Es hieß, das Etablissement sei in den Händen der mafiösen Hells Angels.
Auch der "Bananenbar" und dem "Casa Rosso", Institutionen in den Walletjes, soll demnächst die Lizenz entzogen werden. Das Konzept ist klar: edle Restaurants und feine Boutiquen für zahlungskräftige Gäste - aber auch Prostitution, denn das Sexgewerbe soll nicht völlig verschwinden. Immerhin hofft man, so die Zahl der Trinkgelage ganzer Billigfliegerbesatzungen zu reduzieren.
Den Türsteher des Porno-Live-Theaters, der seinen Namen nicht in einer Zeitung sehen will, wundern solche Pläne. "Das Rotlichtviertel ist doch eine der Haupttouristenattraktionen mit Besuchern aus aller Welt, etwas ganz Besonderes", sagt er selbstbewusst. Viele Touristen würden staunen über die unverkrampfte Atmosphäre, die hier herrscht.
Es wird viel Geld verdient, 100 Millionen Euro setzt die Sexindustrie in Amsterdam pro Jahr um. Wohl auch deshalb kleben an vielen Fenstern neuerdings Plakate, Slogan "Hände weg von den Wallen". Im Viertel regt sich Protest bei den Mietern, den Betreibern der Imbissbuden, Sexshops, Souvenirläden und Coffeeshops, Restaurants und bei den Prostituierten. Sie alle fürchten um ihre Existenz, die Bewohner ums Flair, ums Originale. Eine Initiative organisiert mittlerweile den Widerstand.
Bürgermeister Job Cohen bleibt bei seinem Plan. Das Gesetz sei für freiwillige Prostitution erlassen worden, aber heute höre man nur noch von Menschenhandel und Ausbeutung.
Das sehen die Frauen vom PIC anders. "Neunzig Prozent der Frauen arbeiten hier freiwillig", schätzt Berna, exakte Zahlen gäbe es nicht, die ausgebeuteten Frauen würden ja nicht mit einem Schild um den Hals herumlaufen. Die Stadt habe einfach die Fensterbordelle geschlossen, statt mit den Betroffenen gemeinsam eine Lösung zu suchen. So würden Zwangsprostituierte sicher nicht befreit.
In der Gasse Männerstau
Auch Ciska Altink von der Prostituiertengewerkschaft "De roode Draad" sagt, sie habe keine belegbaren Zahlen über Zwangsprostitution und Menschenhandel. Wer dagegen vorgehen wolle, müsse die Täter finden und nicht die Fenster schließen. Das sei, wie nach einem Raubüberfall die Bank zu schließen und den Dieb laufen zu lassen.
In der engen Gasse Trompetterssteeg kann man einander kaum begegnen, so schmal ist sie. Weil zu später Stunde immer noch Hochbetrieb herrscht, stauen sich die Männer. Dicht an dicht, beiderseits der Gasse, stehen junge Frauen in ihren winzigen Zimmern. Viele Vorhänge sind zugezogen. Dahinter wird Umsatz gemacht. So wie es seit Jahrhunderten üblich ist in den Walletjes.
http://www.taz.de/1/politik/europa/arti ... 0eb9b264e9
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[subventionierte] Designläden statt Prostitution
Fensterprostitution gibt es seit Jahrhunderten in Amsterdam. Nun wird neben Sex auch Designermode verkauft. Die Huren sind alles andere als amüsiert. VON GUNDA SCHWANTJE
Prostitution ist in den Niederlanden seit acht Jahren eine legale Beschäftigung. Foto: dpa
Samstagabend in Amsterdam: Die Sexarbeiterinnen ziehen die burgunderroten Vorhänge beiseite, jetzt sind ihre Dienstleistungsunternehmen geöffnet. Die Schaufenster am Oudezijds Achterburgwal sind in Rotlicht getaucht, vorbei an den Fensterbordellen der Walletjes, dem weltberühmten Rotlichtviertel, strömen tausende Schaulustige und Kunden.
Die schöne Frau in raffinierten blütenweißen Dessous tanzt, die Brünette im schwarzen Korsett wiegt verführerisch die Hüften, die Dritte sitzt lässig auf ihrem Hocker. Sie raucht und schaut hinaus auf das Treiben der Massen vor ihrem Fenster. Gerade kommt eine Horde alkoholisierter britischer Jungmänner heran, geile Sprüche sind zu hören, einer fragt sie, was es kostet. Unverrichteter Dinge zieht die Truppe weiter, um wenige Meter weiter an den Türsteher des "Moulin Rouge" zu geraten. Er schafft es, den Vergnügungsreisenden Live-Sex-Acts zu verkaufen. Lärmend verschwinden die Wochenendtouristen im Porno-Theater.
Mode im Rotlicht
Prostitution ist in den Niederlanden seit acht Jahren eine legale Beschäftigung. Wer mindestens 18 Jahre alt ist, kann das Gewerbe anmelden, zahlt Steuern, hat eine Krankenversicherung, Rechte. Die Stadt Amsterdam hat drei Gebiete mit Fensterprostitution ausgewiesen, die Walletjes, gelegen im historischen Zentrum, sind eins davon. Hier am Zeedijk und um die Oude Kerk gibt es 380 Fensterbordelle, laut Schätzungen bieten tausend Frauen in den Fenstern, Clubs und über Eskorteagenturen Sex gegen Geld an. Aber das ändert sich gerade. Die Stadtverwaltung will Touristen und Einheimischen mehr als nackte Tatsachen bieten. Ihr umstrittenes Konzept heißt "Red Light Fashion" - Mode, Kunst und gutes Essen.
"Schon seit dem Mittelalter arbeiten ,Freudenmädchen' rund um die Oude Kerk, Sexarbeit wurde hier immer geduldet", erzählt Berna vom Prostitution Information Center PIC. Sie zeigt einen der Arbeitsräume. Hocker, Spiegel, Alarmknöpfe, Waschbecken und der Arbeitsplatz: das Bett. "70 bis 150 Euro kostet ein Fenster für eine Schicht, abhängig von der Lage und Größe des Zimmers", erklärt Berna. "Für 15 Minuten Sex, die Basisversorgung, bezahlt der Freier 35 bis 50 Euro. Eine Sexarbeiterin kommt auf drei bis dreißig Kunden pro Schicht." Gearbeitet wird in den Walletjes rund um die Uhr, die roten Lampen an den Fensterrahmen gehen nie aus.
Draußen laufen zwei Polizisten vorbei, die Ordnungshüter zeigen Präsenz. Es werden illegale Drogen gedealt in diesem Stadtteil, es gibt Schlägereien. Die Frauen seien aber gut geschützt, sagt Berna, sie könnten einander hören durch die dünnen Wände und jederzeit die Polizei rufen, wenn ein Kunde Ärger mache.
Dennoch, der Rotlichtbezirk ist ein Problem, findet der Stadtrat. In den Restaurants, Sexshops, Coffeeshops und Bordellen werde Geld gewaschen. Außerdem sitze ein Teil der Frauen nicht freiwillig hinter den Fenstern. "Wir werden aufräumen", hat Bürgermeister Job Cohen im letzten Jahr angekündigt, Fensterbordelle zu schließen gehöre zum Kampf gegen Menschenhandel und Schattenwirtschaft. Cohens Stellvertreter Lodewijk Asscher legte nach: "Wir müssen die Gegend den Amsterdamern zurückgeben."
Ihren Worten folgten Taten. Seit Februar gibt es neben leicht bekleideten Sexarbeiterinnen in den Vitrinen auch Schaufenster, in denen exklusive Designermode angeboten wird. "Red Light Fashion" heißt das Konzept, Mode und Sex, ohnehin im Wechselspiel, werden nun Schaufenster an Schaufenster verkauft. Die Stadtverwaltung hat frühere Hurenräume an 14 aufstrebende Designer vermietet. Quasi als erste Sanierungsmaßnahme.
Die Modeschöpferin Merel Wicker, 30, zeigt ihre Geschäftsräume. Vorbei an einer üppigen Wandmalerei, die eine Frau in Reizwäsche darstellt, geht es hinauf ins Atelier, wo sie die Kleidung ihres Labels LEW näht. An den Wänden hängen Schnittmuster, Nähmaschinen und Laptops stehen bereit, am riesigen Schneidertisch sitzt Kim Leemans, 31, Wickers Geschäftspartnerin. In den Fenstern vis-à-vis sind Prostituierte bei der Akquise. Leemans und Wicker fühlen sich wohl im Rotlichtmilieu. "Die reguläre Miete könnten wir uns gar nicht leisten", sagt Merel Wicker. Die Räume ein Jahr mietfrei und nur gegen die Zahlung von Gas, Wasser und Strom zu nutzen, empfinden sie als echte Starthilfe. Immobilien sind hier viel Geld wert, Wohn- und Arbeitsräume rar und teuer.
Das Ende der Bananenbar
Die Fensterbordelle, in denen heute die "Red Light Fashion" produziert und verkauft wird, haben bis vor kurzem Charles Geerts gehört, dem "Pornokönig der Walletjes". Im September 2007 hat die Stadt - beziehungsweise die Wohnungskooperative "Het Oosten" - dem Sexunternehmer alle seine Immobilien abgekauft: 18 Gebäude mit 51 Fenstern, zum Preis von 25 Millionen Euro. Der Edelclub "Yab Yum", laut Eigenwerbung "Der exklusivste Männerclub der Welt", wurde kurz darauf im Januar geschlossen. Es hieß, das Etablissement sei in den Händen der mafiösen Hells Angels.
Auch der "Bananenbar" und dem "Casa Rosso", Institutionen in den Walletjes, soll demnächst die Lizenz entzogen werden. Das Konzept ist klar: edle Restaurants und feine Boutiquen für zahlungskräftige Gäste - aber auch Prostitution, denn das Sexgewerbe soll nicht völlig verschwinden. Immerhin hofft man, so die Zahl der Trinkgelage ganzer Billigfliegerbesatzungen zu reduzieren.
Den Türsteher des Porno-Live-Theaters, der seinen Namen nicht in einer Zeitung sehen will, wundern solche Pläne. "Das Rotlichtviertel ist doch eine der Haupttouristenattraktionen mit Besuchern aus aller Welt, etwas ganz Besonderes", sagt er selbstbewusst. Viele Touristen würden staunen über die unverkrampfte Atmosphäre, die hier herrscht.
Es wird viel Geld verdient, 100 Millionen Euro setzt die Sexindustrie in Amsterdam pro Jahr um. Wohl auch deshalb kleben an vielen Fenstern neuerdings Plakate, Slogan "Hände weg von den Wallen". Im Viertel regt sich Protest bei den Mietern, den Betreibern der Imbissbuden, Sexshops, Souvenirläden und Coffeeshops, Restaurants und bei den Prostituierten. Sie alle fürchten um ihre Existenz, die Bewohner ums Flair, ums Originale. Eine Initiative organisiert mittlerweile den Widerstand.
Bürgermeister Job Cohen bleibt bei seinem Plan. Das Gesetz sei für freiwillige Prostitution erlassen worden, aber heute höre man nur noch von Menschenhandel und Ausbeutung.
Das sehen die Frauen vom PIC anders. "Neunzig Prozent der Frauen arbeiten hier freiwillig", schätzt Berna, exakte Zahlen gäbe es nicht, die ausgebeuteten Frauen würden ja nicht mit einem Schild um den Hals herumlaufen. Die Stadt habe einfach die Fensterbordelle geschlossen, statt mit den Betroffenen gemeinsam eine Lösung zu suchen. So würden Zwangsprostituierte sicher nicht befreit.
In der Gasse Männerstau
Auch Ciska Altink von der Prostituiertengewerkschaft "De roode Draad" sagt, sie habe keine belegbaren Zahlen über Zwangsprostitution und Menschenhandel. Wer dagegen vorgehen wolle, müsse die Täter finden und nicht die Fenster schließen. Das sei, wie nach einem Raubüberfall die Bank zu schließen und den Dieb laufen zu lassen.
In der engen Gasse Trompetterssteeg kann man einander kaum begegnen, so schmal ist sie. Weil zu später Stunde immer noch Hochbetrieb herrscht, stauen sich die Männer. Dicht an dicht, beiderseits der Gasse, stehen junge Frauen in ihren winzigen Zimmern. Viele Vorhänge sind zugezogen. Dahinter wird Umsatz gemacht. So wie es seit Jahrhunderten üblich ist in den Walletjes.
http://www.taz.de/1/politik/europa/arti ... 0eb9b264e9
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Holländisches Modell wird scheibchenweise demontiert
In Holland wird scheibchenweise eine repressive Prostitutionspolitik eingeführt:
Amsterdam wants no business deals with prostitutes
By Maria Punch
17-07-2008
Amsterdam City Council has decided not to rent out former brothels in the red light district to prostitutes operating independently.
NV Stadsgoed, a real estate developer, researched the possibility but decided to withdraw from the project, saying there was no way to ensure that women were not exploited in some way.
[Dann müsste man alle Arbeitsverhältnisse abschaffen, oder?
Das ist eine Ausrede bzw. ein klägliches Versagen der Gesellschaft und Institutionen zu einer Kultivierung der ältesten Aspekte unerer Kultur beizutragen. Anm.]
[Foto] Red light district, Amsterdam
The red light district is one of the main tourist attractions in Amsterdam.
Photo: Jean-Pierre Jeannin
The city council had joined forces with Stadsgoed in an attempt to clean up the red light district and prevent exploitation and human trafficking, and in 2006 a number of brothel operators were refused permits. Charles Geerts, one of the important players in the sex business, was forced to close down several of his businesses.
The council then bought up some of his buildings and rented them out as shops and galleries. It was also the intention to rent some of the space to independent prostitutes. The council thought it would be a unique opportunity for them to improve their situation and be recognised as self-employed businesswomen.
[Möglicherweise nur ein sog. Lippenbekenntnis, um den Protest der organisiserten freiwilligen und selbstbestimmten SexarbeiterInnen zu verhindern?]
Now that plan has been scrapped, it is unclear what the council intends to do with the property. However, Amsterdam Mayor Job Cohen had earlier indicated that he wants to reduce the concentration of prostitution in the area, and create more opportunities for bona fide businesses.
[Ein Begriff diskriminierend angewendet gegen das Sexbiz. Als wenn nicht gerade in einer mehr kriminalisierten als arbeitsrechtlich geregelten Branche ein "Handeln auf Treue und Glauben" von besonderer Wichtigkeit wäre. Wörtl.: Guter Glaube Geschäfte meint Schwarzmarkt- und insbesondere Schwarzgeldbekämpfung.
Hier wurde eine Branche über nur wenige Jahre zögerlich und nur unvollständig-teilweise legalisiert und jetzt nutzt man Fälle von illegalem Verhalten, um die ganze Branche erneut zu strangulieren. Den Frauen können dann keine sichern Arbeitsplätze außerhalb einer Untergrundökonomie angeboten werden. Was das bedeutet kann sich jeder selbst ausdenken.]
Prostitution Information Centre
Mariska Majoor of the Prostitution Information Centre is extremely disappointed by the council's decision.
"Amsterdam could have taken an important step towards improving working conditions for all prostitutes. These are perfectly safe and clean rooms," says Ms Majoor, once a prostitute herself.
Recently, six members of a gang led by two Turkish-German brothers were convicted for people trafficking. They were active in the red light district in Amsterdam as well as in Germany and Belgium. Women were beaten, raped and forced into prostitution. Most of the victims were too scared to make a formal complaint against the gang.
The court in Almelo, a town in the eastern Netherlands, commented that the men had no respect for women whatsoever. Called the Sneep case, after the Dutch crime squad charged with investigating international people trafficking, it was the largest people trafficking case the Netherlands has ever seen.
Original:
http://www.radionetherlands.nl/currenta ... ostitution
Die Menschenhandelbekämpfung wird als Argument zur Prostitutionseindämmung mißbraucht. Wenn man so bei Wirtschaftskriminalität argumentieren würde, dürfte es nur noch einen Agrarstaat geben. Dieser politische Gebrauch des Strafrechts nennt sich Feindstrafrecht:
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=35622#35622
Es werden Selbstkontrollen nötig, so wie sie die Inder praktizieren:
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=38203#38203
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=21805#21805
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Amsterdam wants no business deals with prostitutes
By Maria Punch
17-07-2008
Amsterdam City Council has decided not to rent out former brothels in the red light district to prostitutes operating independently.
NV Stadsgoed, a real estate developer, researched the possibility but decided to withdraw from the project, saying there was no way to ensure that women were not exploited in some way.
[Dann müsste man alle Arbeitsverhältnisse abschaffen, oder?
Das ist eine Ausrede bzw. ein klägliches Versagen der Gesellschaft und Institutionen zu einer Kultivierung der ältesten Aspekte unerer Kultur beizutragen. Anm.]
[Foto] Red light district, Amsterdam
The red light district is one of the main tourist attractions in Amsterdam.
Photo: Jean-Pierre Jeannin
The city council had joined forces with Stadsgoed in an attempt to clean up the red light district and prevent exploitation and human trafficking, and in 2006 a number of brothel operators were refused permits. Charles Geerts, one of the important players in the sex business, was forced to close down several of his businesses.
The council then bought up some of his buildings and rented them out as shops and galleries. It was also the intention to rent some of the space to independent prostitutes. The council thought it would be a unique opportunity for them to improve their situation and be recognised as self-employed businesswomen.
[Möglicherweise nur ein sog. Lippenbekenntnis, um den Protest der organisiserten freiwilligen und selbstbestimmten SexarbeiterInnen zu verhindern?]
Now that plan has been scrapped, it is unclear what the council intends to do with the property. However, Amsterdam Mayor Job Cohen had earlier indicated that he wants to reduce the concentration of prostitution in the area, and create more opportunities for bona fide businesses.
[Ein Begriff diskriminierend angewendet gegen das Sexbiz. Als wenn nicht gerade in einer mehr kriminalisierten als arbeitsrechtlich geregelten Branche ein "Handeln auf Treue und Glauben" von besonderer Wichtigkeit wäre. Wörtl.: Guter Glaube Geschäfte meint Schwarzmarkt- und insbesondere Schwarzgeldbekämpfung.
Hier wurde eine Branche über nur wenige Jahre zögerlich und nur unvollständig-teilweise legalisiert und jetzt nutzt man Fälle von illegalem Verhalten, um die ganze Branche erneut zu strangulieren. Den Frauen können dann keine sichern Arbeitsplätze außerhalb einer Untergrundökonomie angeboten werden. Was das bedeutet kann sich jeder selbst ausdenken.]
Prostitution Information Centre
Mariska Majoor of the Prostitution Information Centre is extremely disappointed by the council's decision.
"Amsterdam could have taken an important step towards improving working conditions for all prostitutes. These are perfectly safe and clean rooms," says Ms Majoor, once a prostitute herself.
Recently, six members of a gang led by two Turkish-German brothers were convicted for people trafficking. They were active in the red light district in Amsterdam as well as in Germany and Belgium. Women were beaten, raped and forced into prostitution. Most of the victims were too scared to make a formal complaint against the gang.
The court in Almelo, a town in the eastern Netherlands, commented that the men had no respect for women whatsoever. Called the Sneep case, after the Dutch crime squad charged with investigating international people trafficking, it was the largest people trafficking case the Netherlands has ever seen.
Original:
http://www.radionetherlands.nl/currenta ... ostitution
Die Menschenhandelbekämpfung wird als Argument zur Prostitutionseindämmung mißbraucht. Wenn man so bei Wirtschaftskriminalität argumentieren würde, dürfte es nur noch einen Agrarstaat geben. Dieser politische Gebrauch des Strafrechts nennt sich Feindstrafrecht:
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=35622#35622
Es werden Selbstkontrollen nötig, so wie sie die Inder praktizieren:
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=38203#38203
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=21805#21805
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50 % Sexarbeitsplätze vernichten:
Amsterdam will Kriminalität eindämmen
Erstellt 06.12.08, 13:49h
Amsterdam will sein berühmtes Rotlichtviertel sanieren und die Zahl der Prostituierten-Schaufenster und Coffeeshops halbieren. Es werde weiterhin Raum für das Sex-Geschäft und die Coffee-Shops geben, allerdings an kontrollierbaren Orten, teilte die Stadt weiter mit.
Das Amsterdamer Rotlichtviertel bei Nacht: Hier soll sich einiges verändern.
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AMSTERDAM -Das historische Stadtzentrum solle sicherer, schöner und lebenswerter werden, erklärte die Stadtverwaltung am Samstag bei der Vorstellung ihres Plans für den Rotlichtbezirk und die angrenzenden Stadtviertel. Binnen zehn Jahren solle die Zahl der Schaufenster, in denen Prostituierte ihre Dienste anbieten, von 482 auf 240 halbiert werden. Auch von den 76 in der Innenstadt gelegenen Coffee-Shops, in denen Cannabis verkauft werden darf, soll die Hälfte geschlossen werden.
Es werde weiterhin Raum für das Sex-Geschäft und die Coffee-Shops geben, allerdings an kontrollierbaren Orten, teilte die Stadt weiter mit. Prostitution und Coffee-Shops sollten das Gebiet nicht mehr dominieren, sie seien "zu massiv" geworden, sagte der stellvertretende Bürgermeister Lodewijk Asscher der Nachrichtenagentur AFP. "Dies ist eine notwendige Korrektur."
Bordelle, Sex-Shops, Coffee-Shops und weitere Geschäfte, in denen weiche Drogen verkauft werden, seien ein Nährboden für Kriminalität, hieß es in dem Plan der Stadt weiter. Einige Einrichtungen dienten der Geldwäsche. Auch Frauenhandel und Drogenkriminalität seien ein Grund für die neue Strategie.
Für bis zu 50 Millionen Euro sollen aus ehemaligen Bordellen Büros, Wohnungen, Cafés und Gallerien gemacht werden. Insgesamt wird das neue Konzept für den Rotlichtbezirk mehrere hundert Millionen Euro kosten. Die Stadt hofft dabei auf private Investoren.
Die Pläne für Amsterdams Rotlichtbezirk sind das jüngste Beispiel für eine Verschärfung des traditionell liberalen Umgangs in den Niederlanden mit Themen wie Prostitution und weichen Drogen. Anfang Dezember wurden Anbau und Verkauf halluzinogener Pilze, der sogenannten Magic Mushrooms, für illegal erklärt.
(AFP)
http://www.ksta.de/html/artikel/1228515324098.shtml
Niederländisches Urteil: "Peepshows gelten als Theater":
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=46700#46700
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Erstellt 06.12.08, 13:49h
Amsterdam will sein berühmtes Rotlichtviertel sanieren und die Zahl der Prostituierten-Schaufenster und Coffeeshops halbieren. Es werde weiterhin Raum für das Sex-Geschäft und die Coffee-Shops geben, allerdings an kontrollierbaren Orten, teilte die Stadt weiter mit.
Das Amsterdamer Rotlichtviertel bei Nacht: Hier soll sich einiges verändern.
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AMSTERDAM -Das historische Stadtzentrum solle sicherer, schöner und lebenswerter werden, erklärte die Stadtverwaltung am Samstag bei der Vorstellung ihres Plans für den Rotlichtbezirk und die angrenzenden Stadtviertel. Binnen zehn Jahren solle die Zahl der Schaufenster, in denen Prostituierte ihre Dienste anbieten, von 482 auf 240 halbiert werden. Auch von den 76 in der Innenstadt gelegenen Coffee-Shops, in denen Cannabis verkauft werden darf, soll die Hälfte geschlossen werden.
Es werde weiterhin Raum für das Sex-Geschäft und die Coffee-Shops geben, allerdings an kontrollierbaren Orten, teilte die Stadt weiter mit. Prostitution und Coffee-Shops sollten das Gebiet nicht mehr dominieren, sie seien "zu massiv" geworden, sagte der stellvertretende Bürgermeister Lodewijk Asscher der Nachrichtenagentur AFP. "Dies ist eine notwendige Korrektur."
Bordelle, Sex-Shops, Coffee-Shops und weitere Geschäfte, in denen weiche Drogen verkauft werden, seien ein Nährboden für Kriminalität, hieß es in dem Plan der Stadt weiter. Einige Einrichtungen dienten der Geldwäsche. Auch Frauenhandel und Drogenkriminalität seien ein Grund für die neue Strategie.
Für bis zu 50 Millionen Euro sollen aus ehemaligen Bordellen Büros, Wohnungen, Cafés und Gallerien gemacht werden. Insgesamt wird das neue Konzept für den Rotlichtbezirk mehrere hundert Millionen Euro kosten. Die Stadt hofft dabei auf private Investoren.
Die Pläne für Amsterdams Rotlichtbezirk sind das jüngste Beispiel für eine Verschärfung des traditionell liberalen Umgangs in den Niederlanden mit Themen wie Prostitution und weichen Drogen. Anfang Dezember wurden Anbau und Verkauf halluzinogener Pilze, der sogenannten Magic Mushrooms, für illegal erklärt.
(AFP)
http://www.ksta.de/html/artikel/1228515324098.shtml
Niederländisches Urteil: "Peepshows gelten als Theater":
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Rotlichtviertel
Geliftet oder ruiniert - Amsterdam streitet
Jedes zweite Bordellfenster in Amsterdam soll geschlossen werden.
Amsterdam - Amsterdams Rotlichtviertel ist weltbekannt. Ob es berühmt oder berüchtigt ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Bürgermeister will in dem Viertel aufräumen. Huren, Künstler und ganz "normale" Bewohner des Stadtteils sind vehement gegen solche Pläne.
Von Helmut Hetzel
Mariska Majoor ist auf die "Moralapostel" im Amsterdamer Stadtrat nicht gut zu sprechen. Insbesondere Bürgermeister Job Cohen und Stadtrat Lodewijk Asscher rangieren auf der Sympathieskala der einstigen Prostituierten ganz unten. Mariska Majoor ist zwar längst ausgestiegen aus dem Job, aber sie verdient ihr Geld noch immer im Milieu. Nur bietet sie heute keinen Sex mehr an, sondern die 39-Jährige betreibt im Amsterdamer Rotlichtbezirk das Prostitutie Informatie Centrum (Informationszentrum zur Prostitution).
Mariska Majoor ist empört, weil die beiden genannten Amsterdamer Politiker die neben dem Rijks-Museum und dem van Gogh-Museum wohl berühmteste Touristenattraktion Amsterdams zerstören wollen. Denn Cohen und Asscher wollen den im Volksmund "Wallen" genannten Amsterdamer Rotlicht- und Vergnügungsbezirk zwischen Hauptbahnhof und dem Zeedijk im Norden, dem Dam-Platz im Süden und dem Oudezijds Voorburgwal sowie China-Town im Osten völlig neu gestalten. Sie wollen das mit harter Hand tun, rigoros. Sanierung nennen die Politiker ihre Vorhaben.
Genuss für alle Sinne
Ein Kahlschlag sei es, sagen die Kritiker dieser Pläne. Ein Kahlschlag, der ein nach ihrem Urteil intaktes Stadtviertel, wo neben dem Metzger- oder Tante-Emma-Laden die Huren hinter rotbeleuchteten Schaufenstern stehen, grundlegend verändern könnte. "Genuss in jeder Form ist angesagt", meinen die Freunde des Milieus und verweisen darauf, dass direkt neben den Bordellen in Amsterdams China-Town köstliche Dim-Sum-Spezialitäten und knusprige Peking-Enten serviert werden. "Dass pralle Leben eben", sagt Mariska Majoor. Und schließlich gebe es hier auch Stätten der Kontemplation, der Ruhe, der Besinnung. Ein buddhistischer Tempel und die ältesten christlichen Kirchen der niederländischen Hauptstadt befinden sich "op de wallen". Und auch diese Stätten mitten im Rotlichtbezirk werden rege besucht.
"Op de wallen" ist die Wiege Amsterdams, hier ist die Stadt entstanden. Und seit mehr als 400 Jahren gibt es an den Wallen die käufliche Liebe. Denn hier lag einst der Hafen der Stadt. Ein Hafen, von dem aus die riesigen Schiffe der Vereinigten Ostindischen Companie im 17. Jahrhundert, dem Goldenen Zeitalter Amsterdams, in alle Welt aufbrachen und Ziele in Indonesien, China, Korea, Japan oder in Südafrika und später auch auf dem amerikanischen Kontinent ansteuerten.
Auch die Hurengewerkschaft protestiert
Nicht nur Mariska Majoor, viele Amsterdamer und viele Niederländer fragen sich: Was soll die angestrebte Sanierung des Rotlichtbezirks? Wird sie wirklich ein Facelifting für das Viertel oder wird daraus eine Zerstörung. Wird dieser aufregendste Stadtteil Amsterdams zu Tode saniert? "Amsterdam, das Herz Amsterdams droht zu sterben, wenn diese Pläne realisiert werden", warnt die in Holland populärste Internet-Website "Geen Stijl". Die Hurengewerkschaft De Rode Draad befürchtet, dass sich die Prostitution über die ganze Stadt ausbreiten wird, wenn die Pläne von Bürgermeister Cohen Realität werden.
Dem Bürgermeister und dem für das Stadtviertel zuständigen Stadtrat Asscher ist der Rotlichtbezirk mit der Postleitzahl 1012 ein Dorn im Auge. Ihr Sanierungskonzept haben sie unter dem Namen "Strategieplan 1012" vorgestellt. Damit haben Cohen und Asscher den Zuhältern, den Huren, den Frauenhändlern, den Spielern, den Geldwäschern und Dealern, aber eben auch den ganz normalen Kneipiers und den Menschen, die hier wohnen, den Kampf angesagt.
Sie wollen den "kriminellen Sumpf endlich austrocknen", versprechen die beiden Politiker. Sie behaupten, der Handel mit Frauen und Rauschgift sowie die Geldwäsche in der gesamten Drogenszene habe überhand genommen. Es bestehe deshalb dringender Handlungsbedarf. In Zahlen ausgedrückt bedeutet die Operation 1012: Die Hälfte der 482 rot leuchtenden Bordellfenster mit den Damen hinter den Scheiben soll verschwinden. Bordelle, Sex-Shops, Coffee-Shops, Spielhallen und Kneipen sollen geschlossen werden - zum Beispiel auch das in aller Welt bekannte Erotiktheater Casa Rosso.
Ein großes Kaffeehaus?
Auch die Straßen rund um den Oudekerksplein, wo sich das Informationszentrum von Mariska Majoor befindet, sollen nach den Plänen der beiden Lokalpolitiker gesäubert werden. "Wenn ich künftig vom Hauptbahnhof zum Oudekerksplein laufe, dann will ich dort einen guten Espresso trinken können", sagt Stadtrat Lodewijk Asscher und formuliert damit, wie er sich den Stadtteil künftig vorstellt - als ein großes Kaffeehaus.
Ob jedoch für einen Espresso am Oudekerksplein die Touristen aus Tokio, New York, London, Wien, Stuttgart, Köln oder Mailand noch nach Amsterdam reisen werden, das ist die große Frage. Viele Amsterdamer fürchten das Aus für ihren prominenten Bezirk. "Es ist ein hinterhältiges politisches Spielchen, das hier gespielt wird. Die Politiker missbrauchen unser Stadtviertel für ihre eigene Marketingstrategie, um sich öffentlich profilieren zu können. Dass das auch noch Politiker meiner Partei sind, der ich 30 Jahre angehöre, das tut mir besonders weh", sagt Rob van Hulst verärgert. Er ist nicht nur seit 30 Jahren Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PvdA, der auch Bürgermeister Cohen und Stadtrat Asscher angehören, Rob van Hulst ist auch einer der besten Kenner des Rotlichtbezirks.
Prostituierte fühlen sich hier sicher
Zahlreiche Bücher hat er darüber geschrieben. Unzählige Touristen aus aller Welt hat er als Fremdenführer durch die sündige Meile und über die schmalen Erotikstege des Stadtteils gelotst. Er ist hier zu Hause. "Die Pläne der Stadt sind kontraproduktiv. Zum einen werden Hunderte von Prostituierten einfach verjagt. Sie werden dann anderswo in der Stadt arbeiten. Aber hier an den Wallen haben sie einwandfreie hygienische Arbeitsbedingungen. Hier sind sie sicher. Überall hängen Überwachungskameras. Ständig patrouilliert die Polizei. Sie kann jederzeit überprüfen, ob die Frauen hinter den Fenstern volljährig sind oder nicht. Sind sie aber erst einmal weg, dann geht das nicht mehr", gibt van Hulst zu bedenken.
"Amsterdam huilt", Amsterdam weint, unter diesem Motto demonstrierten Tausende gegen die Sanierung. Unter den Demonstranten waren Huren, Künstler, Taxifahrer, Unternehmer, Kellner, alle eben, die in diesem so kuriosen wie aufregenden Viertel wohnen und ihr Geld verdienen. "Sie schneiden den Diamanten aus dem Herzen unserer Stadt", meint Wim Boef. Er betreibt "einige Fenster" wie er sagt, die er an Frauen aus dem Gewerbe vermietet. Boef erzählt, dass die Stadt den Paten des Rotlichtbezirks, Charles Geerts, ausgekauft habe, nachdem sie ihm gedroht habe, ihm die Mietlizenz für seine Bordellfenster und Bars zu entziehen. Charles Geerts, "Dikke Charly" wie er im Milieu genannt wurde, verkaufte daraufhin sein Sex-Imperium für 25 Millionen Euro an die Stadt. Ein Viertel der so erworbenen Rotlichtfenster ist inzwischen geschlossen. Hundert weitere sollen mit der Operation 1012 folgen. "Es ist genug", sagt van Hulst. "Was ist Amsterdam ohne seine Wallen? Es ist dann aus und vorbei, der Vorhang ist gefallen."
11.12.2008 - aktualisiert: 11.12.2008 14:06 Uhr
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/p ... hp/1897691
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Geliftet oder ruiniert - Amsterdam streitet
Jedes zweite Bordellfenster in Amsterdam soll geschlossen werden.
Amsterdam - Amsterdams Rotlichtviertel ist weltbekannt. Ob es berühmt oder berüchtigt ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Bürgermeister will in dem Viertel aufräumen. Huren, Künstler und ganz "normale" Bewohner des Stadtteils sind vehement gegen solche Pläne.
Von Helmut Hetzel
Mariska Majoor ist auf die "Moralapostel" im Amsterdamer Stadtrat nicht gut zu sprechen. Insbesondere Bürgermeister Job Cohen und Stadtrat Lodewijk Asscher rangieren auf der Sympathieskala der einstigen Prostituierten ganz unten. Mariska Majoor ist zwar längst ausgestiegen aus dem Job, aber sie verdient ihr Geld noch immer im Milieu. Nur bietet sie heute keinen Sex mehr an, sondern die 39-Jährige betreibt im Amsterdamer Rotlichtbezirk das Prostitutie Informatie Centrum (Informationszentrum zur Prostitution).
Mariska Majoor ist empört, weil die beiden genannten Amsterdamer Politiker die neben dem Rijks-Museum und dem van Gogh-Museum wohl berühmteste Touristenattraktion Amsterdams zerstören wollen. Denn Cohen und Asscher wollen den im Volksmund "Wallen" genannten Amsterdamer Rotlicht- und Vergnügungsbezirk zwischen Hauptbahnhof und dem Zeedijk im Norden, dem Dam-Platz im Süden und dem Oudezijds Voorburgwal sowie China-Town im Osten völlig neu gestalten. Sie wollen das mit harter Hand tun, rigoros. Sanierung nennen die Politiker ihre Vorhaben.
Genuss für alle Sinne
Ein Kahlschlag sei es, sagen die Kritiker dieser Pläne. Ein Kahlschlag, der ein nach ihrem Urteil intaktes Stadtviertel, wo neben dem Metzger- oder Tante-Emma-Laden die Huren hinter rotbeleuchteten Schaufenstern stehen, grundlegend verändern könnte. "Genuss in jeder Form ist angesagt", meinen die Freunde des Milieus und verweisen darauf, dass direkt neben den Bordellen in Amsterdams China-Town köstliche Dim-Sum-Spezialitäten und knusprige Peking-Enten serviert werden. "Dass pralle Leben eben", sagt Mariska Majoor. Und schließlich gebe es hier auch Stätten der Kontemplation, der Ruhe, der Besinnung. Ein buddhistischer Tempel und die ältesten christlichen Kirchen der niederländischen Hauptstadt befinden sich "op de wallen". Und auch diese Stätten mitten im Rotlichtbezirk werden rege besucht.
"Op de wallen" ist die Wiege Amsterdams, hier ist die Stadt entstanden. Und seit mehr als 400 Jahren gibt es an den Wallen die käufliche Liebe. Denn hier lag einst der Hafen der Stadt. Ein Hafen, von dem aus die riesigen Schiffe der Vereinigten Ostindischen Companie im 17. Jahrhundert, dem Goldenen Zeitalter Amsterdams, in alle Welt aufbrachen und Ziele in Indonesien, China, Korea, Japan oder in Südafrika und später auch auf dem amerikanischen Kontinent ansteuerten.
Auch die Hurengewerkschaft protestiert
Nicht nur Mariska Majoor, viele Amsterdamer und viele Niederländer fragen sich: Was soll die angestrebte Sanierung des Rotlichtbezirks? Wird sie wirklich ein Facelifting für das Viertel oder wird daraus eine Zerstörung. Wird dieser aufregendste Stadtteil Amsterdams zu Tode saniert? "Amsterdam, das Herz Amsterdams droht zu sterben, wenn diese Pläne realisiert werden", warnt die in Holland populärste Internet-Website "Geen Stijl". Die Hurengewerkschaft De Rode Draad befürchtet, dass sich die Prostitution über die ganze Stadt ausbreiten wird, wenn die Pläne von Bürgermeister Cohen Realität werden.
Dem Bürgermeister und dem für das Stadtviertel zuständigen Stadtrat Asscher ist der Rotlichtbezirk mit der Postleitzahl 1012 ein Dorn im Auge. Ihr Sanierungskonzept haben sie unter dem Namen "Strategieplan 1012" vorgestellt. Damit haben Cohen und Asscher den Zuhältern, den Huren, den Frauenhändlern, den Spielern, den Geldwäschern und Dealern, aber eben auch den ganz normalen Kneipiers und den Menschen, die hier wohnen, den Kampf angesagt.
Sie wollen den "kriminellen Sumpf endlich austrocknen", versprechen die beiden Politiker. Sie behaupten, der Handel mit Frauen und Rauschgift sowie die Geldwäsche in der gesamten Drogenszene habe überhand genommen. Es bestehe deshalb dringender Handlungsbedarf. In Zahlen ausgedrückt bedeutet die Operation 1012: Die Hälfte der 482 rot leuchtenden Bordellfenster mit den Damen hinter den Scheiben soll verschwinden. Bordelle, Sex-Shops, Coffee-Shops, Spielhallen und Kneipen sollen geschlossen werden - zum Beispiel auch das in aller Welt bekannte Erotiktheater Casa Rosso.
Ein großes Kaffeehaus?
Auch die Straßen rund um den Oudekerksplein, wo sich das Informationszentrum von Mariska Majoor befindet, sollen nach den Plänen der beiden Lokalpolitiker gesäubert werden. "Wenn ich künftig vom Hauptbahnhof zum Oudekerksplein laufe, dann will ich dort einen guten Espresso trinken können", sagt Stadtrat Lodewijk Asscher und formuliert damit, wie er sich den Stadtteil künftig vorstellt - als ein großes Kaffeehaus.
Ob jedoch für einen Espresso am Oudekerksplein die Touristen aus Tokio, New York, London, Wien, Stuttgart, Köln oder Mailand noch nach Amsterdam reisen werden, das ist die große Frage. Viele Amsterdamer fürchten das Aus für ihren prominenten Bezirk. "Es ist ein hinterhältiges politisches Spielchen, das hier gespielt wird. Die Politiker missbrauchen unser Stadtviertel für ihre eigene Marketingstrategie, um sich öffentlich profilieren zu können. Dass das auch noch Politiker meiner Partei sind, der ich 30 Jahre angehöre, das tut mir besonders weh", sagt Rob van Hulst verärgert. Er ist nicht nur seit 30 Jahren Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PvdA, der auch Bürgermeister Cohen und Stadtrat Asscher angehören, Rob van Hulst ist auch einer der besten Kenner des Rotlichtbezirks.
Prostituierte fühlen sich hier sicher
Zahlreiche Bücher hat er darüber geschrieben. Unzählige Touristen aus aller Welt hat er als Fremdenführer durch die sündige Meile und über die schmalen Erotikstege des Stadtteils gelotst. Er ist hier zu Hause. "Die Pläne der Stadt sind kontraproduktiv. Zum einen werden Hunderte von Prostituierten einfach verjagt. Sie werden dann anderswo in der Stadt arbeiten. Aber hier an den Wallen haben sie einwandfreie hygienische Arbeitsbedingungen. Hier sind sie sicher. Überall hängen Überwachungskameras. Ständig patrouilliert die Polizei. Sie kann jederzeit überprüfen, ob die Frauen hinter den Fenstern volljährig sind oder nicht. Sind sie aber erst einmal weg, dann geht das nicht mehr", gibt van Hulst zu bedenken.
"Amsterdam huilt", Amsterdam weint, unter diesem Motto demonstrierten Tausende gegen die Sanierung. Unter den Demonstranten waren Huren, Künstler, Taxifahrer, Unternehmer, Kellner, alle eben, die in diesem so kuriosen wie aufregenden Viertel wohnen und ihr Geld verdienen. "Sie schneiden den Diamanten aus dem Herzen unserer Stadt", meint Wim Boef. Er betreibt "einige Fenster" wie er sagt, die er an Frauen aus dem Gewerbe vermietet. Boef erzählt, dass die Stadt den Paten des Rotlichtbezirks, Charles Geerts, ausgekauft habe, nachdem sie ihm gedroht habe, ihm die Mietlizenz für seine Bordellfenster und Bars zu entziehen. Charles Geerts, "Dikke Charly" wie er im Milieu genannt wurde, verkaufte daraufhin sein Sex-Imperium für 25 Millionen Euro an die Stadt. Ein Viertel der so erworbenen Rotlichtfenster ist inzwischen geschlossen. Hundert weitere sollen mit der Operation 1012 folgen. "Es ist genug", sagt van Hulst. "Was ist Amsterdam ohne seine Wallen? Es ist dann aus und vorbei, der Vorhang ist gefallen."
11.12.2008 - aktualisiert: 11.12.2008 14:06 Uhr
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geplante Gesetzesverschärfung
Lagebericht von Jan Visser:
Prostitution policy under construction – December 2008
Jan Visser
1. the Red Light District in Amsterdam
2. a new law to regulate prostitution
www.toejager.nl
Prostitution policy under construction – December 2008
Jan Visser
1. the Red Light District in Amsterdam
2. a new law to regulate prostitution
www.toejager.nl
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- Amsterdam prostitution policy under construction.pdf
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Etwas ältere Studie:
Prostitution in the Netherlands
since the lifting of the brothel ban
Daalder, A.L.
WODC
2007
Homepage des Berichts:
http://english.wodc.nl/onderzoeksdataba ... erbod.aspx
Bericht:
http://english.wodc.nl/images/ob249a_fu ... -83466.pdf
(104 pages)
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since the lifting of the brothel ban
Daalder, A.L.
WODC
2007
Homepage des Berichts:
http://english.wodc.nl/onderzoeksdataba ... erbod.aspx
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Staatliche Rotlichtbank?
19.02.2009
Das älteste Gewerbe der Welt in Geldnot
In Amsterdam hat die Finanzkrise die Sex-Industrie eingeholt. Politiker überlegen nun die Schaffung einer Spezialbank für Sex-Betriebe.
Viele wird es freuen, andere bekümmern: Die Finanzkrise rückt jetzt auch der Amsterdamer Sex-Industrie, eine bisher durchaus lukrative "Touristenattraktion", an den Kragen. Die Gründe sind in einer Kombination aus Folgen der Finanzkrise und wachsenden moralischen Bedenken holländischer Banker zu finden. Bordellbesitzer sowie Vermieter der berühmt-berüchtigten "Hurenfenster" im Rotlicht-Viertel der Grachtenmetropole bekommen von Banken so gut wie keine Kredite mehr, zumindest laut niederländischen Medienberichten.
Die "Vereinigung der Betreiber von Entspannungsbetrieben"(ERB) - eine Interessenvertretung von Rot-Licht-Unternehmern - klagte, dass Banken mittlerweile nicht einmal mehr bereit seien, Geschäftskonten für Sex-Firmen zu eröffnen. Es seien sogar einige bestehende Konten gekündigt worden. Noch ein Wehrmutstropfen: Solche Folgen der Finanzkrise machen auch Betreibern von Coffeeshops zu schaffen, wo Kunden Haschisch und Marihuana kaufen und konsumieren dürfen.
Spezialbank für solide Sex-Betriebe
Nach Angaben der ERB sind Sex-Unternehmer inzwischen immer häufiger auf Kredithaie und andere unseriöse Geldverleiher angewiesen, wenn sie Mittel für die Modernisierung oder Erweiterung ihrer Geschäfte brauchen. Das bringt holländische Politiker auf originelle Ideen. Obwohl dem Amsterdamer Finanzstadtrat Lodewijk Asscher das Rotlichtviertel wegen dessen bevorzugter Lage im Herzen der attraktiven Altstadt ein Dorn im Auge ist, regte er jetzt die Schaffung einer Spezialbank an, die solchen Sex-Betrieben Kredite gewähren soll, die als finanziell solide eingeschätzt werden.
http://www.kurier.at/geldundwirtschaft/296203.php
Das älteste Gewerbe der Welt in Geldnot
In Amsterdam hat die Finanzkrise die Sex-Industrie eingeholt. Politiker überlegen nun die Schaffung einer Spezialbank für Sex-Betriebe.
Viele wird es freuen, andere bekümmern: Die Finanzkrise rückt jetzt auch der Amsterdamer Sex-Industrie, eine bisher durchaus lukrative "Touristenattraktion", an den Kragen. Die Gründe sind in einer Kombination aus Folgen der Finanzkrise und wachsenden moralischen Bedenken holländischer Banker zu finden. Bordellbesitzer sowie Vermieter der berühmt-berüchtigten "Hurenfenster" im Rotlicht-Viertel der Grachtenmetropole bekommen von Banken so gut wie keine Kredite mehr, zumindest laut niederländischen Medienberichten.
Die "Vereinigung der Betreiber von Entspannungsbetrieben"(ERB) - eine Interessenvertretung von Rot-Licht-Unternehmern - klagte, dass Banken mittlerweile nicht einmal mehr bereit seien, Geschäftskonten für Sex-Firmen zu eröffnen. Es seien sogar einige bestehende Konten gekündigt worden. Noch ein Wehrmutstropfen: Solche Folgen der Finanzkrise machen auch Betreibern von Coffeeshops zu schaffen, wo Kunden Haschisch und Marihuana kaufen und konsumieren dürfen.
Spezialbank für solide Sex-Betriebe
Nach Angaben der ERB sind Sex-Unternehmer inzwischen immer häufiger auf Kredithaie und andere unseriöse Geldverleiher angewiesen, wenn sie Mittel für die Modernisierung oder Erweiterung ihrer Geschäfte brauchen. Das bringt holländische Politiker auf originelle Ideen. Obwohl dem Amsterdamer Finanzstadtrat Lodewijk Asscher das Rotlichtviertel wegen dessen bevorzugter Lage im Herzen der attraktiven Altstadt ein Dorn im Auge ist, regte er jetzt die Schaffung einer Spezialbank an, die solchen Sex-Betrieben Kredite gewähren soll, die als finanziell solide eingeschätzt werden.
http://www.kurier.at/geldundwirtschaft/296203.php
I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.
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Gentrifizierung
Amsterdam
Ein Rot verblasst
Amsterdams Vergnügungsviertel soll schicker werden, jedes zweite Hurenfenster schließen. Die Parole lautet: Entreißt das Quartier dem Gesindel! – seitdem herrscht Zwietracht im Zwielicht.
Der Blues geht um. Eine Prostituierte am Hurenfenster. Hat auch sie schon Angst vor Arbeitslosigkeit? - Foto: dpa
Von Tobias Müller, Amsterdam
23.2.2009 0:00 Uhr
Es stehen sich auf den Wallen, „op de wallen“, der Wiege Amsterdams, jetzt zwei Typen von Frauen gegenüber. Die einen leben, die anderen nicht. Aber verführen wollen sie beide.
„Die Zeit, in der wir den schönsten Teil der alten Innenstadt von Gesindel übernehmen ließen, ist vorbei“, intonierte vor einiger Zeit und nicht besonders fein Lodewijk Asscher, geboren 1974, ein junger Sozialdemokrat, Finanzstadtrat in Amsterdam, der bieder-streberhaft daherkommt. Die Zeiten, in denen eine fast unerklärliche Toleranz der Niederlande berühmtestes Kennzeichen war, sind ohnehin vorbei, Ausländern und Arbeitslosen geht es längst an den Kragen. Und dazu kam nun – regional begrenzt – noch die „Operation 1012“.
Sie soll das Amsterdamer Rotlichtviertel, leichte Damen an Fenstern, Fingerklopfen an Scheiben, käufliche Sünde im süßlichen Haschischnebel, Motiv ungezählter Urlaubsfotos, schicklicher und schick machen.
Doch weil auch im Rotlichtviertel Rot nie eindeutig ist und viel sein kann – Weinrot, Blutrot, Scharlachrot, Zinnoberrot, Feuerrot, Orangerot, Hochrot –, hat Stadtrat Asscher zur Zukunft des Sündenquartiers auch mehrere Meinungen. Zwar arbeitet er daran, dass die meisten der roten Lampen bald ausgehen, andererseits will er die dort Gewerbetreibenden nicht allesamt ruiniert sehen.
Von den Touristen nämlich, die zwischen den Grachten auf dem Oudezijds Voorburgwal zwischen Hauptbahnhof und Damstraat herumspazieren, sagen zwei Drittel, dass sie auch wegen der Damen an den Fenstern hier seien, zum Gucken, nicht als Kunden, aber trotzdem. Ein Finanzstadtrat wird sich diese Zahl gemerkt haben.
Als also jüngst Bordellbesitzer und Vermieter der sogenannten „Hurenfenster“ klagten, sie bekämen – Finanzkrise! – keine Kredite mehr von Banken und müssten sich so an unseriöse Geldverleiher wenden, schlug Asscher vor, über eine neu zu gründende Spezialbank finanziell soliden Sexbetrieben zu helfen.
Aber wer ist noch solide finanziert im unsoliden Gewerbe, in dieser Zeit, da Asschers „Operation 1012“ seit einem Jahr läuft, mittels derer die Zahl der Hurenfenster von 482 auf 241 und die der Haschisch verkaufenden Coffeeshops von 76 auf 38 halbiert werden soll?
Wenn die Dämmerung über die windschiefen alten Häuser fällt, die Leuchtreklamen sich in der Gracht spiegeln und das allgegenwärtige rote Licht dem Winter einen warmen Anstrich verpasst, wirkt zwar alles noch wie immer, und finster guckende Türsteher im Anzug bauen sich an den Eingängen der Sextheater auf, johlende Touristengruppen stolpern über das Pflaster, und hinter den Scheiben räkeln sich Frauen, rauchen, telefonieren und klopfen mit dem Nagel ans Glas, aber tagsüber sieht man, was Asschers Plan bedeutet. Da sind die Lücken nicht zu übersehen. Immer mehr Fenster sind ohne Vorhänge. 150 Prostituierte sollen bereits ihren Arbeitsplatz, der legal war und steuerpflichtig, verloren haben. Wo vor kurzem noch Nähe und Wärme verkauft wurden, treffen die neugierigen Blicke der Vorbeiziehenden auf Leere. Oder auf Anziehpuppen.
„Operation 1012“, gestartet 2008, benannt nach der Postleitzahl, soll Boutiquen, junge Mode, Design, Taschen, Schals, Schmuck ins Viertel locken. Und so findet man hinter mancher Fensterscheibe nun wiederum eine spärlich bekleidete Frauenfigur, doch ist sie diesmal aus Plastik oder mit Samt bespannt, und was sie anbietet, ist nicht des Leibes Lust, sondern dessen Dekoration. Auch Galerien sollen sich ansiedeln und – statt schäbiger Imbissbuden – hochwertige Restaurants. Die Kosten wurden im dreistelligen Millionenbereich veranschlagt, die Stadt will sie teilen mit einem nahen Luxushotel, mit Kaufhäusern und Banken.
Es geht bei dem konservativ erscheinenden Vorstoß nicht um die Kriminalisierung der Prostitution, die seit 2000 legal ist in den Niederlanden. Man habe vielmehr, so stellt es Amsterdams Bürgerrmeister Job Cohen dar, Asschers Dienstherr, Betriebe im Blick, die Kriminalität anzögen: „Bordelle und Minimärkte und Spielhallen, Souvenirlädchen und Geldwechsler, dazu gewisse Hotels und Gastronomie.“ Orte, in denen es vor allem um Geldwäsche gehe. Auch der Prostitution im Viertel nimmt Cohen jeden romantischen Anstrich. Frauenhandel, sagt er und malt schwarz:. „Es gibt eine kriminelle Infrastruktur, in der Unterweltfiguren das Sagen haben.“ Das Gebiet sei für Polizei und Justiz unbeherrschbar geworden. Vergangenen Freitag erst rotierte blaues Licht auf dem Wagen der Ermittler, wurde ein Tatort abgesperrt mit Flatterband, eine Prostituierte war niedergestochen worden.
Um handlungsfähig zu sein, beruft sich die Stadt auf ein Gesetz, das recht niedlich unter dem Kürzel „Bibop“ steht, aber Beinhartes bedeutet. Die Stadt kann damit Gewerbetreibenden, bei denen nur der Verdacht auf Geldwäsche besteht, die Lizenz entziehen.
„Es ist ein Tsunami, der durch das Viertel weht“, ereifert sich Wim Boef. Der eloquente Restaurantinhaber ist der Vorsitzende einer im Sommer gegründeten Vereinigung von über 60 Geschäftsleuten, die sich wehren gegen die Pläne der Stadt. Boef sagt, er lege für seine Mitstreiter die Hand ins Feuer: „Wenn es hier Formen von Kriminalität gibt, dann sollen sie dagegen vorgehen. Stattdessen stellen sie den ganzen Kiez unter Generalverdacht.“ An sich ist der schwergewichtige Boef ein gutmütiger Zeitgenosse. Doch wenn er von der Unruhe erzählt, die auf den Wallen Einzug gehalten hat, und dem allgegenwärtigen Bangen um die Lizenz, packt ihn die Wut: „Jeder hängt an nur einem Faden, und auch nur, bis sie sagen, wir schneiden ihn durch.“
Was Boef am meisten stört, ist der vage Charakter der Sanierungspläne: „Niemand kennt die Kriterien. Die Behörden wollen hochwertige Gastronomie. Nur, wie bestimmen sie, was hochwertig ist? Wer darf bleiben, wer muss gehen?“
Neulich, erzählt Boef, habe ihn ein Vertreter der Gemeinde nach dem Grund für sein Engagement gefragt. „Ich mache das, weil ich dieses Viertel liebe“, schnaubt er. „Doch ich befürchte, dass es in ein paar Jahren nicht mehr besteht.“
Die größte lebende Kiezlegende, Charles Geerks, genannt „Dikke Charles“, jedenfalls wurde bereits in Rente geschickt. Einstmals gehörte ihm ein Drittel aller Fenster. Unterstützt von einem Projektentwickler kaufte die Stadt im vergangenen Jahr 17 seiner Häuser für 25 Millionen Euro auf. Ein Preis, der sich eigentlich nur rechnet, wenn die Häuser weiterhin zur Prostitution genutzt werden. Für den entstandenen Wertverlust entschädigte die Gemeinde – es zahlte also der Steuerzahler – die Projektentwicklungsfirma mit 15 Millionen Euro. Seitdem haben weitere Wohnungsbaugesellschaften mit Besitzern von Prostitutionsimmobilien Verhandlungen aufgenommen. Parallel dazu droht die Stadt mehreren Geschäftsleuten, ihre Genehmigungen nicht zu verlängern, was die durchaus als Erpressung auffassen.
In die leeren Hurenfenster zieht derweil die Zukunft ein: Nachwuchsdesigner, die in den subventionierten Gebäuden Schmuck, Kleidung und Taschen entwerfen. „Red Light Fashion“ ist der Name eines Projekts, das im vergangenen Jahr zum Aushängeschild der gelifteten Wallen geworden ist.
Das sei ganz unerwartet gekommen, sagt Mariette Hoitink, deren Designagentur seit langem im Viertel ansässig ist. Sie habe vor knapp zwei Jahren zufällig eine Ortsbegehung im Rotlichtviertel gesehen, auf dem pflastersteingedeckten Platz rund um die mittelalterliche „Oude Kerk“, die „Alte Kirche“, und da sei sie direkt drauf zugegangen und habe nachgefragt. Zwei städtische Beamte hätten gesagt, sie wollten hier Häuser aufkaufen. „Ich fragte sie, ob sie nicht jungen talentierten Designern Raum zur Verfügung stellen wollten“, erinnert sich die Geschäftsfrau. Sie wollten – und im vergangenen Dezember präsentierte sie „Red Light Fashion“ auf einer Fachmesse in Hongkong. „Wir sind das innovativste Projekt hier“, sagt Mariette Hoitink, und die Stadt habe schon signalisiert, dass sie daran festhalten wolle. Den Blick auf ihre Umgebung hat ihr die Euphorie nicht verstellt. Sie verstehe die Angst der Leute hier, der Prostituierten. Für Hoitink ist „Red Light Fashion“ zwar ein soziales Projekt, aber andererseits sei es eben auch: „Gentrifizierung pur“.
Angst macht den Prostituierten vor allem die Frage, was danach kommen soll, was aus ihnen wird. Sie wollen sich nicht an die Straßen stellen, der Strich ist gefährlich, und im Viertel waren sie sicher. Viele der jungen Frauen, die noch am Alten Kirchplatz ihre Fenster haben, kommen aus der Dominikanischen Republik. Wie Vicki, die etwa Mitte 30 ist. Vicki sagt, die Pläne für ein vornehmes Rotlichtviertel seien ein schlimmer Schock für sie alle gewesen. „Das Haus neben uns ist schon dicht“, sagt sie. Viele der Mädchen hätten keine Arbeit mehr.
In Vickis Arbeitszimmer sind die Wände nackt, das Bett ist eher eine Pritsche, und es hängt süßlicher Parfümgeruch im Raum. Hier ist also kein bisschen von dem Glanz, der das alte Viertel demnächst erstrahlen lassen soll. Was sich hinter dem komplizierten Begriff „Gentrifizierung“ verbirgt, merkt Vicki trotzdem. „Weniger Zimmer, das heißt für uns höhere Mieten. Früher bezahlten wir am Tag 50 Euro, jetzt sind es 70. Und nachts kostet es 120 statt 85. Du zahlst und zahlst nur noch und behältst am Ende kaum etwas übrig.“ Und wenn sie die gestiegenen Ausgaben auf die Freier umlegen? Nein, das trauen sie sich nicht.
Und die sind ja auch weniger geworden. Seit es stiller ist am „Alten Kirchplatz“, kämen weniger Touristen, sagt Mariska Majoor, die das kleine „Prostitutionsinformationszentrum“ betreibt. Früher hat sie selbst auf den Wallen als Prostituierte gearbeitet. „Wir sind auch gegen Frauenhandel und Geldwäsche“, sagt sie, natürlich! „Aber das, was die Stadt hier machen will, ist kalt und unmenschlich.“ Eine ganze Berufsgruppe und deren legitime Interessen würden übergangen. Es gebe viele Frauen im Rotlichtviertel, die selbstständig arbeiten, nicht von einem Zuhälter ausgebeutet würden oder Opfer von Frauenhändlern seien, sagt sie. Und sie ist auch selbst Leidtragende der neuen Regelungen. Weil es immer weniger Prostituierte und Kunden mit Beratungsbedarf gibt, wird auch ihr kleines Informationszentrum im Laufe des Jahres schließen.
Nur ein paar Blocks entfernt sitzt Els Iping, Vorsitzende des „Stadtteils Centrum“, in ihrem Büro. Schon seit sechs Jahren sei die Gemeinde mit der „physischen Infrastruktur“ des Rotlichtviertels beschäftigt, sagt sie. Man habe den Verkehr beruhigt, die Mauern der Grachten ausgebessert und Überwachungskameras aufgehängt. Jetzt sei die Psyche dran. Sie hätten für die Veränderungen im Viertel „einen breiten Ansatz“, sagt sie. Aber der käme irgendwie nicht an. Alle interessierten sich nur für Mode und die Huren.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 23.02.2009)
http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die- ... 05,2736632
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Ein Rot verblasst
Amsterdams Vergnügungsviertel soll schicker werden, jedes zweite Hurenfenster schließen. Die Parole lautet: Entreißt das Quartier dem Gesindel! – seitdem herrscht Zwietracht im Zwielicht.
Der Blues geht um. Eine Prostituierte am Hurenfenster. Hat auch sie schon Angst vor Arbeitslosigkeit? - Foto: dpa
Von Tobias Müller, Amsterdam
23.2.2009 0:00 Uhr
Es stehen sich auf den Wallen, „op de wallen“, der Wiege Amsterdams, jetzt zwei Typen von Frauen gegenüber. Die einen leben, die anderen nicht. Aber verführen wollen sie beide.
„Die Zeit, in der wir den schönsten Teil der alten Innenstadt von Gesindel übernehmen ließen, ist vorbei“, intonierte vor einiger Zeit und nicht besonders fein Lodewijk Asscher, geboren 1974, ein junger Sozialdemokrat, Finanzstadtrat in Amsterdam, der bieder-streberhaft daherkommt. Die Zeiten, in denen eine fast unerklärliche Toleranz der Niederlande berühmtestes Kennzeichen war, sind ohnehin vorbei, Ausländern und Arbeitslosen geht es längst an den Kragen. Und dazu kam nun – regional begrenzt – noch die „Operation 1012“.
Sie soll das Amsterdamer Rotlichtviertel, leichte Damen an Fenstern, Fingerklopfen an Scheiben, käufliche Sünde im süßlichen Haschischnebel, Motiv ungezählter Urlaubsfotos, schicklicher und schick machen.
Doch weil auch im Rotlichtviertel Rot nie eindeutig ist und viel sein kann – Weinrot, Blutrot, Scharlachrot, Zinnoberrot, Feuerrot, Orangerot, Hochrot –, hat Stadtrat Asscher zur Zukunft des Sündenquartiers auch mehrere Meinungen. Zwar arbeitet er daran, dass die meisten der roten Lampen bald ausgehen, andererseits will er die dort Gewerbetreibenden nicht allesamt ruiniert sehen.
Von den Touristen nämlich, die zwischen den Grachten auf dem Oudezijds Voorburgwal zwischen Hauptbahnhof und Damstraat herumspazieren, sagen zwei Drittel, dass sie auch wegen der Damen an den Fenstern hier seien, zum Gucken, nicht als Kunden, aber trotzdem. Ein Finanzstadtrat wird sich diese Zahl gemerkt haben.
Als also jüngst Bordellbesitzer und Vermieter der sogenannten „Hurenfenster“ klagten, sie bekämen – Finanzkrise! – keine Kredite mehr von Banken und müssten sich so an unseriöse Geldverleiher wenden, schlug Asscher vor, über eine neu zu gründende Spezialbank finanziell soliden Sexbetrieben zu helfen.
Aber wer ist noch solide finanziert im unsoliden Gewerbe, in dieser Zeit, da Asschers „Operation 1012“ seit einem Jahr läuft, mittels derer die Zahl der Hurenfenster von 482 auf 241 und die der Haschisch verkaufenden Coffeeshops von 76 auf 38 halbiert werden soll?
Wenn die Dämmerung über die windschiefen alten Häuser fällt, die Leuchtreklamen sich in der Gracht spiegeln und das allgegenwärtige rote Licht dem Winter einen warmen Anstrich verpasst, wirkt zwar alles noch wie immer, und finster guckende Türsteher im Anzug bauen sich an den Eingängen der Sextheater auf, johlende Touristengruppen stolpern über das Pflaster, und hinter den Scheiben räkeln sich Frauen, rauchen, telefonieren und klopfen mit dem Nagel ans Glas, aber tagsüber sieht man, was Asschers Plan bedeutet. Da sind die Lücken nicht zu übersehen. Immer mehr Fenster sind ohne Vorhänge. 150 Prostituierte sollen bereits ihren Arbeitsplatz, der legal war und steuerpflichtig, verloren haben. Wo vor kurzem noch Nähe und Wärme verkauft wurden, treffen die neugierigen Blicke der Vorbeiziehenden auf Leere. Oder auf Anziehpuppen.
„Operation 1012“, gestartet 2008, benannt nach der Postleitzahl, soll Boutiquen, junge Mode, Design, Taschen, Schals, Schmuck ins Viertel locken. Und so findet man hinter mancher Fensterscheibe nun wiederum eine spärlich bekleidete Frauenfigur, doch ist sie diesmal aus Plastik oder mit Samt bespannt, und was sie anbietet, ist nicht des Leibes Lust, sondern dessen Dekoration. Auch Galerien sollen sich ansiedeln und – statt schäbiger Imbissbuden – hochwertige Restaurants. Die Kosten wurden im dreistelligen Millionenbereich veranschlagt, die Stadt will sie teilen mit einem nahen Luxushotel, mit Kaufhäusern und Banken.
Es geht bei dem konservativ erscheinenden Vorstoß nicht um die Kriminalisierung der Prostitution, die seit 2000 legal ist in den Niederlanden. Man habe vielmehr, so stellt es Amsterdams Bürgerrmeister Job Cohen dar, Asschers Dienstherr, Betriebe im Blick, die Kriminalität anzögen: „Bordelle und Minimärkte und Spielhallen, Souvenirlädchen und Geldwechsler, dazu gewisse Hotels und Gastronomie.“ Orte, in denen es vor allem um Geldwäsche gehe. Auch der Prostitution im Viertel nimmt Cohen jeden romantischen Anstrich. Frauenhandel, sagt er und malt schwarz:. „Es gibt eine kriminelle Infrastruktur, in der Unterweltfiguren das Sagen haben.“ Das Gebiet sei für Polizei und Justiz unbeherrschbar geworden. Vergangenen Freitag erst rotierte blaues Licht auf dem Wagen der Ermittler, wurde ein Tatort abgesperrt mit Flatterband, eine Prostituierte war niedergestochen worden.
Um handlungsfähig zu sein, beruft sich die Stadt auf ein Gesetz, das recht niedlich unter dem Kürzel „Bibop“ steht, aber Beinhartes bedeutet. Die Stadt kann damit Gewerbetreibenden, bei denen nur der Verdacht auf Geldwäsche besteht, die Lizenz entziehen.
„Es ist ein Tsunami, der durch das Viertel weht“, ereifert sich Wim Boef. Der eloquente Restaurantinhaber ist der Vorsitzende einer im Sommer gegründeten Vereinigung von über 60 Geschäftsleuten, die sich wehren gegen die Pläne der Stadt. Boef sagt, er lege für seine Mitstreiter die Hand ins Feuer: „Wenn es hier Formen von Kriminalität gibt, dann sollen sie dagegen vorgehen. Stattdessen stellen sie den ganzen Kiez unter Generalverdacht.“ An sich ist der schwergewichtige Boef ein gutmütiger Zeitgenosse. Doch wenn er von der Unruhe erzählt, die auf den Wallen Einzug gehalten hat, und dem allgegenwärtigen Bangen um die Lizenz, packt ihn die Wut: „Jeder hängt an nur einem Faden, und auch nur, bis sie sagen, wir schneiden ihn durch.“
Was Boef am meisten stört, ist der vage Charakter der Sanierungspläne: „Niemand kennt die Kriterien. Die Behörden wollen hochwertige Gastronomie. Nur, wie bestimmen sie, was hochwertig ist? Wer darf bleiben, wer muss gehen?“
Neulich, erzählt Boef, habe ihn ein Vertreter der Gemeinde nach dem Grund für sein Engagement gefragt. „Ich mache das, weil ich dieses Viertel liebe“, schnaubt er. „Doch ich befürchte, dass es in ein paar Jahren nicht mehr besteht.“
Die größte lebende Kiezlegende, Charles Geerks, genannt „Dikke Charles“, jedenfalls wurde bereits in Rente geschickt. Einstmals gehörte ihm ein Drittel aller Fenster. Unterstützt von einem Projektentwickler kaufte die Stadt im vergangenen Jahr 17 seiner Häuser für 25 Millionen Euro auf. Ein Preis, der sich eigentlich nur rechnet, wenn die Häuser weiterhin zur Prostitution genutzt werden. Für den entstandenen Wertverlust entschädigte die Gemeinde – es zahlte also der Steuerzahler – die Projektentwicklungsfirma mit 15 Millionen Euro. Seitdem haben weitere Wohnungsbaugesellschaften mit Besitzern von Prostitutionsimmobilien Verhandlungen aufgenommen. Parallel dazu droht die Stadt mehreren Geschäftsleuten, ihre Genehmigungen nicht zu verlängern, was die durchaus als Erpressung auffassen.
In die leeren Hurenfenster zieht derweil die Zukunft ein: Nachwuchsdesigner, die in den subventionierten Gebäuden Schmuck, Kleidung und Taschen entwerfen. „Red Light Fashion“ ist der Name eines Projekts, das im vergangenen Jahr zum Aushängeschild der gelifteten Wallen geworden ist.
Das sei ganz unerwartet gekommen, sagt Mariette Hoitink, deren Designagentur seit langem im Viertel ansässig ist. Sie habe vor knapp zwei Jahren zufällig eine Ortsbegehung im Rotlichtviertel gesehen, auf dem pflastersteingedeckten Platz rund um die mittelalterliche „Oude Kerk“, die „Alte Kirche“, und da sei sie direkt drauf zugegangen und habe nachgefragt. Zwei städtische Beamte hätten gesagt, sie wollten hier Häuser aufkaufen. „Ich fragte sie, ob sie nicht jungen talentierten Designern Raum zur Verfügung stellen wollten“, erinnert sich die Geschäftsfrau. Sie wollten – und im vergangenen Dezember präsentierte sie „Red Light Fashion“ auf einer Fachmesse in Hongkong. „Wir sind das innovativste Projekt hier“, sagt Mariette Hoitink, und die Stadt habe schon signalisiert, dass sie daran festhalten wolle. Den Blick auf ihre Umgebung hat ihr die Euphorie nicht verstellt. Sie verstehe die Angst der Leute hier, der Prostituierten. Für Hoitink ist „Red Light Fashion“ zwar ein soziales Projekt, aber andererseits sei es eben auch: „Gentrifizierung pur“.
Angst macht den Prostituierten vor allem die Frage, was danach kommen soll, was aus ihnen wird. Sie wollen sich nicht an die Straßen stellen, der Strich ist gefährlich, und im Viertel waren sie sicher. Viele der jungen Frauen, die noch am Alten Kirchplatz ihre Fenster haben, kommen aus der Dominikanischen Republik. Wie Vicki, die etwa Mitte 30 ist. Vicki sagt, die Pläne für ein vornehmes Rotlichtviertel seien ein schlimmer Schock für sie alle gewesen. „Das Haus neben uns ist schon dicht“, sagt sie. Viele der Mädchen hätten keine Arbeit mehr.
In Vickis Arbeitszimmer sind die Wände nackt, das Bett ist eher eine Pritsche, und es hängt süßlicher Parfümgeruch im Raum. Hier ist also kein bisschen von dem Glanz, der das alte Viertel demnächst erstrahlen lassen soll. Was sich hinter dem komplizierten Begriff „Gentrifizierung“ verbirgt, merkt Vicki trotzdem. „Weniger Zimmer, das heißt für uns höhere Mieten. Früher bezahlten wir am Tag 50 Euro, jetzt sind es 70. Und nachts kostet es 120 statt 85. Du zahlst und zahlst nur noch und behältst am Ende kaum etwas übrig.“ Und wenn sie die gestiegenen Ausgaben auf die Freier umlegen? Nein, das trauen sie sich nicht.
Und die sind ja auch weniger geworden. Seit es stiller ist am „Alten Kirchplatz“, kämen weniger Touristen, sagt Mariska Majoor, die das kleine „Prostitutionsinformationszentrum“ betreibt. Früher hat sie selbst auf den Wallen als Prostituierte gearbeitet. „Wir sind auch gegen Frauenhandel und Geldwäsche“, sagt sie, natürlich! „Aber das, was die Stadt hier machen will, ist kalt und unmenschlich.“ Eine ganze Berufsgruppe und deren legitime Interessen würden übergangen. Es gebe viele Frauen im Rotlichtviertel, die selbstständig arbeiten, nicht von einem Zuhälter ausgebeutet würden oder Opfer von Frauenhändlern seien, sagt sie. Und sie ist auch selbst Leidtragende der neuen Regelungen. Weil es immer weniger Prostituierte und Kunden mit Beratungsbedarf gibt, wird auch ihr kleines Informationszentrum im Laufe des Jahres schließen.
Nur ein paar Blocks entfernt sitzt Els Iping, Vorsitzende des „Stadtteils Centrum“, in ihrem Büro. Schon seit sechs Jahren sei die Gemeinde mit der „physischen Infrastruktur“ des Rotlichtviertels beschäftigt, sagt sie. Man habe den Verkehr beruhigt, die Mauern der Grachten ausgebessert und Überwachungskameras aufgehängt. Jetzt sei die Psyche dran. Sie hätten für die Veränderungen im Viertel „einen breiten Ansatz“, sagt sie. Aber der käme irgendwie nicht an. Alle interessierten sich nur für Mode und die Huren.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 23.02.2009)
http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die- ... 05,2736632
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07.04.2009
Krise setzt Amsterdams Rotlicht-Viertel zu
Die Finanzkrise hat in den Niederlanden auch das „älteste Gewerbe der Welt“ erfasst. Die Rezession werde wohl einigen Bordellen „den Todesstoß verpassen“, sagte ein Experte.
HB AMSTERDAM. Freier in Amsterdams weltberühmtem Rotlicht-Viertel seien „inzwischen furchtbar knauserig geworden“, sagte eine Sprecherin der Prostituiertenorganisation „Rode Draad“ am Dienstag. Viele Sexarbeiterinnen in den rot beleuchteten Rahmen auf den Wallen hätten deshalb „große Schwierigkeiten, die Miete für ihre Kammern aufzubringen“.
Die Zahl der normalerweise aus aller Welt in das Hurenviertel mitten in der Amsterdamer Altstadt strömenden Männer habe deutlich abgenommen. „Und viele der Kunden, die noch kommen, feilschen ganz schrecklich“, sagte „Roode Draad“-Sprecherin Metje Blaak. So manche der Prostituierten, die aus verschiedensten Ländern stammen, sähen sich gezwungen, Freier „deutlich unter dem Normalpreis“ zu akzeptieren, um zu überleben.
Auch die Vereinigung der Entspannungsbetriebe (VER), in der 250 der rund 400 Sexunternehmen der Niederlande zusammengeschlossen sind, beklagt einen „drastischen Rückgang“. Die Rezession werde wohl einigen Bordellen „den Todesstoß verpassen“, sagte VER-Sprecher André van Dorst. Eine Ausnahme seien allerdings teure Luxus-Freudenhäuser. In diesem Bereich gebe es noch keine Klagen über Umsatzeinbußen.
http://www.handelsblatt.com/journal/nac ... zu;2230069
Krise setzt Amsterdams Rotlicht-Viertel zu
Die Finanzkrise hat in den Niederlanden auch das „älteste Gewerbe der Welt“ erfasst. Die Rezession werde wohl einigen Bordellen „den Todesstoß verpassen“, sagte ein Experte.
HB AMSTERDAM. Freier in Amsterdams weltberühmtem Rotlicht-Viertel seien „inzwischen furchtbar knauserig geworden“, sagte eine Sprecherin der Prostituiertenorganisation „Rode Draad“ am Dienstag. Viele Sexarbeiterinnen in den rot beleuchteten Rahmen auf den Wallen hätten deshalb „große Schwierigkeiten, die Miete für ihre Kammern aufzubringen“.
Die Zahl der normalerweise aus aller Welt in das Hurenviertel mitten in der Amsterdamer Altstadt strömenden Männer habe deutlich abgenommen. „Und viele der Kunden, die noch kommen, feilschen ganz schrecklich“, sagte „Roode Draad“-Sprecherin Metje Blaak. So manche der Prostituierten, die aus verschiedensten Ländern stammen, sähen sich gezwungen, Freier „deutlich unter dem Normalpreis“ zu akzeptieren, um zu überleben.
Auch die Vereinigung der Entspannungsbetriebe (VER), in der 250 der rund 400 Sexunternehmen der Niederlande zusammengeschlossen sind, beklagt einen „drastischen Rückgang“. Die Rezession werde wohl einigen Bordellen „den Todesstoß verpassen“, sagte VER-Sprecher André van Dorst. Eine Ausnahme seien allerdings teure Luxus-Freudenhäuser. In diesem Bereich gebe es noch keine Klagen über Umsatzeinbußen.
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I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.
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Sexwork durch Politik und Krise doppelt bedroht
Auch das weltberühmte PIC scheint ökonomisch bedroht, so daß die Inhaberin und Ex-Sexarbeiterin sich jetzt mit einer "normalen" Andenken-Boutique versucht.
Sex sells scheint nicht mehr zu gelten. Was für Zeiten.
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Update
Amsterdam
Mode versus Sex
Von Andreas Ross, Amsterdam
Amsterdam will sein weltberühmtes Rotlichtviertel unter den Scheffel stellen.
20. April 2009 Herbert van Hasselt hat die staubigen Stiegen erklommen, ohne seinen Anzug zu beschmutzen. In makelloser Montur steht der Direktor auf dem Turm der Oude Kerk, die seine Stiftung bewahren soll. Er blickt auf Grachten, Gassen und Gruppen asiatischer Touristen, die sich schon am Mittag durch das Rotlichtviertel führen lassen. Hier und da leuchtet rot eine Reklame. Van Hasselt lächelt versonnen. „Hier unten gibt es 8.000 Huren. Man hört nichts. Amsterdam.“ Doch 50 Meter tiefer, im gotischen Kirchenraum, bedrückt die Stille van Hasselt eher. Eine einzige Touristin schlendert im ältesten Baudenkmal der Stadt über die 2500 steinernen Grabplatten, unter denen 10 000 Amsterdamer aus 35 Generationen ruhen.
Aber van Hasselt hofft. Bald schon könnten mehr Kulturbeflissene kommen. Denn die Stadt will ihr weltberühmtes Rotlichtviertel unter den Scheffel stellen: Fensterprostitution und Marihuanaverkauf sollen ausgedünnt, gute Gastronomen angelockt werden. Die Hemmschwelle soll sinken für Besucher, die sich nicht für leichte Mädchen, billige Imbisse, schamlose Sexkinos und wabernde Haschischschwaden begeistern können, aber gern einmal die letzte Ruhestätte von Rembrandts Frau sähen. Saskia van Uijlenburghs Grabplatte hat die Nummer 29, und wenn es nicht regnet, fällt jedes Jahr am 9. März ein Sonnenstrahl darauf.
„Die Touristen kommen zu neunzig Prozent wegen der Mädchen“
Slim Gharbi hat für solche Attraktionen keinen Sinn. Der Bordellbetreiber hastet über den Kirchplatz. „Die Touristen kommen zu neunzig Prozent wegen der Mädchen in unsere Stadt“, behauptet er, „nicht wegen Van Gogh und diesen Dingen.“ Die Turmglocke hat gerade zwölf Uhr geschlagen, rund um das Gotteshaus werden die Vorhänge von den Glastüren der flämischen Häuschen zurückgestreift. Überwiegend ältere Frauen aus der Karibik sind es, die jetzt wieder in ihren Schaufenstern die Alte Kirche umzingeln. Acht Stunden lang werden sie heute um Gunst und Geld der Freier buhlen.
Slim Gharbi vermietet lieber an jüngere Frauen. Seine „Hurenfenster“ liegen um die Ecke im Wijde Kerksteeg. Er durchschreitet die düstere Gasse und betritt das Erdgeschoss eines Backsteinhauses, wo sich entlang eines schmalen Korridors neun Frauen in neun Schaufenstern im Bikini präsentieren. Eine seiner Mieterinnen hat ihn angerufen. Jugendliche lungerten vor ihrem Fenster herum, minderjährige Marokkaner, ob er sie nicht vertreiben könne. Aber die Jungs sind schon weg, als Gharbi kommt. Die Thailänderin, deren eigenes Volljährigkeitsfest auch noch nicht sehr lange her sein kann, spricht Deutsch mit ihrem Vermieter.
„Das sind meine Fünf-Sterne-Zimmer“, prahlt der Bordellbetreiber
Am Vormittag hatte sie Gharbi in seinem Büro 110 Euro [Zimmerpreis] gezahlt und ihren Pass sowie ihre Aufenthaltsgenehmigung gezeigt. Dafür darf sie heute zwischen 12 und 20 Uhr in dem Acht-Quadratmeter-Raum arbeiten. „Das sind meine Fünf-Sterne-Zimmer“, prahlt der Bordellbetreiber. An der Pritsche kann es nicht liegen, auch die Lampe leuchtet lieblos auf den Kachelboden. Die drei Alarmkordeln wiederum sind Standard im Rotlichtviertel „De Wallen“, genauso wie die Kameras an jeder Straßenecke. Und die restlichen Utensilien, das Laken, die Kondome, die Flasche Cola und die Küchenrollen, hat die freiberufliche Sexarbeiterin selbst mitgebracht.
„Die Lage macht's“, erklärt Gharbi. Drüben, am Oudezijds Achterburgwal, wo er einige „Vier-Sterne-Fenster“ für 15 Euro weniger vermiete, strömten zwar jeden Tag Hunderttausende vorbei. Aber da sei nur einer von hundert ein potentieller Kunde. „Die anderen gaffen nur“ - oder sie sind auf dem Weg zur Uni, die ebenfalls an der malerischen Straße liegt. Hier jedoch, im Gässchen hinter der Kirche, sei jeder zweite Passant auf der Suche nach Sex.
Die Designer zahlen keine Miete und können jederzeit hinausgeworfen werden
Aber wie lange noch? Der Stadtrat hat zwar noch gar nichts beschlossen. Doch Bürgermeister Job Cohen und seine Verwaltung haben mit dem großen Aufräumen längst begonnen. Ihren bisher größten Coup landeten sie vor anderthalb Jahren, als eine halbstädtische Wohnungsbaugenossenschaft dem „dicken Charles“ Geerts mehr als 50 Bordellfenster abkaufte. 25 Millionen Euro bekam er dafür - die Steuerzahler ersetzten dem Rotlicht-Mogul seinen Verdienstausfall.
Umbauen lassen konnte die Stadt die Häuser ohne einen Beschluss des zögerlichen Stadtrats allerdings nicht. Deshalb überließ sie die schmalen Kammern hinter den Glastüren erst einmal jungen Modeschöpfern und Designern. Wo früher halbnackte Frauen von innen an die Scheiben klopften, um männliche Augenpaare auf ihre Reize zu lenken, stehen nun extravagant gewandete Plastikmannequins, baumeln Stöckelschuhe in güldenen Vogelkäfigen oder schmiegen sich Colliers aus Porzellantellerscherben auf Samtkisschen. Jedes fünfte der knapp 500 Bordellfenster wurde bisher auf diese Weise zweckentfremdet. Die Designer zahlen keine Miete - und können jederzeit hinausgeworfen werden, wenn die Stadt weiß, was sie mit den Immobilien anfangen will.
Ein bisschen Moulin-Rouge-Atmosphäre muss auch bleiben
Der Stiftungsdirektor der Oude Kerk hofft, dass bald schicke Cafés auf dem Kirchplatz aufmachen, wo es außer Sex und Designobjekten bisher nur Haschisch und Marihuana im Koffieshop „Old Church“ zu kaufen gibt. „Dies hier war früher die Hafenkirche von Amsterdam“, doziert van Hasselt, „hier gab es immer Prostituierte. Ein bisschen Moulin-Rouge-Atmosphäre muss auch bleiben. Aber es ist gut, dass die Stadt jetzt etwas tut.“ Gerade erst wurden zwei Freiluftpissoirs vor seine Kirche gestellt, um Mauerwerk und Grachtenwasser vor den allabendlichen Junggesellenabschieden und Saufgelagen zu schützen. An jedem der grauen Plastikungetüme, bar jeder Sichtbarriere, können sich vier Männer gleichzeitig erleichtern.
Slim Gharbi mag seine neuen Nachbarn aus Hollands Mode- und Designhochschulen nicht willkommen heißen in De Wallen. „Diese Designer sind doch ganz gewöhnliche ,Anti-Kraker'.“ Das ist ein übles Schimpfwort in Amsterdam, wo sich Immobilienbesitzer gegen Hausbesetzer (“kraker“) zu schützen pflegten, indem sie leerstehende Wohnungen mittellosen Studenten übergangsweise gratis überließen - die von den Linken dafür als reaktionäre Spießer verdammt wurden.
Mode versus Sex
Der Modedesigner Edwin Oudshoorn bestreitet gar nicht, dass er aus Sicht der Gemeinde in etwa diese Rolle spielt, nur nennt er sich lieber „Hausmeister“. Es war gar nicht so einfach, seinen großen Arbeitstisch über das gekachelte „Bett“ zu wuchten, als ihm die Stadt das Atelier vor einem Jahr kurzfristig angeboten hatte. Eigentlich brauchte er mehr Licht und mehr Platz, aber er will sich nicht beklagen. Nur der große Ideologie-Streit „Mode versus Sex“ nervt den Achtundzwanzigjährigen, dem seine schwarzen Lederstiefel über der jägergrünen Cordhose fast bis zu den Knien reichen. „Überall sind Prostituierte, ich bin Schneider. Zwei der ältesten Berufe im ältesten Viertel der Stadt. Wo ist das Problem?“
Die obrigkeitliche Beseitigung manches Konkurrenten bessert Gharbis Bilanz in der Rezession auf. Aber freuen kann er sich nicht darüber, denn auch seine Firma, „La Vie en Rose“, ist von der Schließung bedroht. Seit in Amsterdam die Betreiber von Bordellen, Koffieshops oder Kneipen selbst beweisen müssen, dass die Finanzierung ihrer Etablissements von A bis Z mit rechten Dingen zugegangen ist, muss Gharbi vor Gericht um seine Lizenz kämpfen. „Die können mir den Laden schließen, nur weil sie irgendwelche Gerüchte hören“, ereifert er sich.
„Alles müssen wir auch nicht tolerieren!“
Bürgermeister Cohen bestreitet, dass die Kommune ihre neuen Möglichkeiten zur Geldwäschebekämpfung missbrauche, um damit Stadtplanung zu betreiben. Im Rathaus ist von „Minisupermärkten“ und Souvenirshops die Rede, die im Monat nur zwei Kunden hätten und doch hohe Umsätze auswiesen. Viele Menschen fänden, gibt Cohen zu, das Rotlichtviertel gehöre zur Amsterdamer Folklore. „Da habe ich auch gar nichts dagegen“, fügt er rasch an, „aber man darf nicht die harte Wirklichkeit übersehen, die bisweilen dahintersteckt.“ Erkläre er, was hinter den roten Vorhängen oder an der sprichwörtlichen Hintertür der Koffieshops immer wieder passiere, rede er also über Drogenbanden und Menschenhändler, dann sagten ihm viele Amsterdamer: „Alles müssen wir auch nicht tolerieren!“
Gharbi beteuert, er tue alles für Recht und Ordnung. „Ich bin der verlängerte Arm der Polizei.“ Er freue sich, etwas für die Gesellschaft tun zu können, wenn er jeden Verdacht auf Zuhälterei sofort melde. Natürlich sei es mit dem Geld in seiner Branche nicht ganz einfach, gibt er zu, denn reguläre Bankkredite seien auch nach der Legalisierung der Prostitution vor gut acht Jahren kaum zu bekommen. Aber er habe nichts zu verbergen. Im ältesten Gewerbe der Welt gebe es ohnehin nichts Transparenteres als die holländische Fensterprostitution.
Wer weiß, fügt Gharbi an, ob ohne den Sanierungsplan von Cohen und Co. nicht die Frau noch leben könnte, die kürzlich in einem seiner Zimmer ermordet wurde. „Bis vor kurzem saßen gegenüber ihrem Fenster andere Mädchen. Jetzt stehen da tote Schaufensterpuppen. Die konnten die Polizei natürlich nicht anrufen.“
Text: F.A.S.
Bildmaterial: Daniel Pilar
Original mit Bildstrecke:
http://www.faz.net/s/RubCD175863466D41B ... ntent.html
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Mode versus Sex
Von Andreas Ross, Amsterdam
Amsterdam will sein weltberühmtes Rotlichtviertel unter den Scheffel stellen.
20. April 2009 Herbert van Hasselt hat die staubigen Stiegen erklommen, ohne seinen Anzug zu beschmutzen. In makelloser Montur steht der Direktor auf dem Turm der Oude Kerk, die seine Stiftung bewahren soll. Er blickt auf Grachten, Gassen und Gruppen asiatischer Touristen, die sich schon am Mittag durch das Rotlichtviertel führen lassen. Hier und da leuchtet rot eine Reklame. Van Hasselt lächelt versonnen. „Hier unten gibt es 8.000 Huren. Man hört nichts. Amsterdam.“ Doch 50 Meter tiefer, im gotischen Kirchenraum, bedrückt die Stille van Hasselt eher. Eine einzige Touristin schlendert im ältesten Baudenkmal der Stadt über die 2500 steinernen Grabplatten, unter denen 10 000 Amsterdamer aus 35 Generationen ruhen.
Aber van Hasselt hofft. Bald schon könnten mehr Kulturbeflissene kommen. Denn die Stadt will ihr weltberühmtes Rotlichtviertel unter den Scheffel stellen: Fensterprostitution und Marihuanaverkauf sollen ausgedünnt, gute Gastronomen angelockt werden. Die Hemmschwelle soll sinken für Besucher, die sich nicht für leichte Mädchen, billige Imbisse, schamlose Sexkinos und wabernde Haschischschwaden begeistern können, aber gern einmal die letzte Ruhestätte von Rembrandts Frau sähen. Saskia van Uijlenburghs Grabplatte hat die Nummer 29, und wenn es nicht regnet, fällt jedes Jahr am 9. März ein Sonnenstrahl darauf.
„Die Touristen kommen zu neunzig Prozent wegen der Mädchen“
Slim Gharbi hat für solche Attraktionen keinen Sinn. Der Bordellbetreiber hastet über den Kirchplatz. „Die Touristen kommen zu neunzig Prozent wegen der Mädchen in unsere Stadt“, behauptet er, „nicht wegen Van Gogh und diesen Dingen.“ Die Turmglocke hat gerade zwölf Uhr geschlagen, rund um das Gotteshaus werden die Vorhänge von den Glastüren der flämischen Häuschen zurückgestreift. Überwiegend ältere Frauen aus der Karibik sind es, die jetzt wieder in ihren Schaufenstern die Alte Kirche umzingeln. Acht Stunden lang werden sie heute um Gunst und Geld der Freier buhlen.
Slim Gharbi vermietet lieber an jüngere Frauen. Seine „Hurenfenster“ liegen um die Ecke im Wijde Kerksteeg. Er durchschreitet die düstere Gasse und betritt das Erdgeschoss eines Backsteinhauses, wo sich entlang eines schmalen Korridors neun Frauen in neun Schaufenstern im Bikini präsentieren. Eine seiner Mieterinnen hat ihn angerufen. Jugendliche lungerten vor ihrem Fenster herum, minderjährige Marokkaner, ob er sie nicht vertreiben könne. Aber die Jungs sind schon weg, als Gharbi kommt. Die Thailänderin, deren eigenes Volljährigkeitsfest auch noch nicht sehr lange her sein kann, spricht Deutsch mit ihrem Vermieter.
„Das sind meine Fünf-Sterne-Zimmer“, prahlt der Bordellbetreiber
Am Vormittag hatte sie Gharbi in seinem Büro 110 Euro [Zimmerpreis] gezahlt und ihren Pass sowie ihre Aufenthaltsgenehmigung gezeigt. Dafür darf sie heute zwischen 12 und 20 Uhr in dem Acht-Quadratmeter-Raum arbeiten. „Das sind meine Fünf-Sterne-Zimmer“, prahlt der Bordellbetreiber. An der Pritsche kann es nicht liegen, auch die Lampe leuchtet lieblos auf den Kachelboden. Die drei Alarmkordeln wiederum sind Standard im Rotlichtviertel „De Wallen“, genauso wie die Kameras an jeder Straßenecke. Und die restlichen Utensilien, das Laken, die Kondome, die Flasche Cola und die Küchenrollen, hat die freiberufliche Sexarbeiterin selbst mitgebracht.
„Die Lage macht's“, erklärt Gharbi. Drüben, am Oudezijds Achterburgwal, wo er einige „Vier-Sterne-Fenster“ für 15 Euro weniger vermiete, strömten zwar jeden Tag Hunderttausende vorbei. Aber da sei nur einer von hundert ein potentieller Kunde. „Die anderen gaffen nur“ - oder sie sind auf dem Weg zur Uni, die ebenfalls an der malerischen Straße liegt. Hier jedoch, im Gässchen hinter der Kirche, sei jeder zweite Passant auf der Suche nach Sex.
Die Designer zahlen keine Miete und können jederzeit hinausgeworfen werden
Aber wie lange noch? Der Stadtrat hat zwar noch gar nichts beschlossen. Doch Bürgermeister Job Cohen und seine Verwaltung haben mit dem großen Aufräumen längst begonnen. Ihren bisher größten Coup landeten sie vor anderthalb Jahren, als eine halbstädtische Wohnungsbaugenossenschaft dem „dicken Charles“ Geerts mehr als 50 Bordellfenster abkaufte. 25 Millionen Euro bekam er dafür - die Steuerzahler ersetzten dem Rotlicht-Mogul seinen Verdienstausfall.
Umbauen lassen konnte die Stadt die Häuser ohne einen Beschluss des zögerlichen Stadtrats allerdings nicht. Deshalb überließ sie die schmalen Kammern hinter den Glastüren erst einmal jungen Modeschöpfern und Designern. Wo früher halbnackte Frauen von innen an die Scheiben klopften, um männliche Augenpaare auf ihre Reize zu lenken, stehen nun extravagant gewandete Plastikmannequins, baumeln Stöckelschuhe in güldenen Vogelkäfigen oder schmiegen sich Colliers aus Porzellantellerscherben auf Samtkisschen. Jedes fünfte der knapp 500 Bordellfenster wurde bisher auf diese Weise zweckentfremdet. Die Designer zahlen keine Miete - und können jederzeit hinausgeworfen werden, wenn die Stadt weiß, was sie mit den Immobilien anfangen will.
Ein bisschen Moulin-Rouge-Atmosphäre muss auch bleiben
Der Stiftungsdirektor der Oude Kerk hofft, dass bald schicke Cafés auf dem Kirchplatz aufmachen, wo es außer Sex und Designobjekten bisher nur Haschisch und Marihuana im Koffieshop „Old Church“ zu kaufen gibt. „Dies hier war früher die Hafenkirche von Amsterdam“, doziert van Hasselt, „hier gab es immer Prostituierte. Ein bisschen Moulin-Rouge-Atmosphäre muss auch bleiben. Aber es ist gut, dass die Stadt jetzt etwas tut.“ Gerade erst wurden zwei Freiluftpissoirs vor seine Kirche gestellt, um Mauerwerk und Grachtenwasser vor den allabendlichen Junggesellenabschieden und Saufgelagen zu schützen. An jedem der grauen Plastikungetüme, bar jeder Sichtbarriere, können sich vier Männer gleichzeitig erleichtern.
Slim Gharbi mag seine neuen Nachbarn aus Hollands Mode- und Designhochschulen nicht willkommen heißen in De Wallen. „Diese Designer sind doch ganz gewöhnliche ,Anti-Kraker'.“ Das ist ein übles Schimpfwort in Amsterdam, wo sich Immobilienbesitzer gegen Hausbesetzer (“kraker“) zu schützen pflegten, indem sie leerstehende Wohnungen mittellosen Studenten übergangsweise gratis überließen - die von den Linken dafür als reaktionäre Spießer verdammt wurden.
Mode versus Sex
Der Modedesigner Edwin Oudshoorn bestreitet gar nicht, dass er aus Sicht der Gemeinde in etwa diese Rolle spielt, nur nennt er sich lieber „Hausmeister“. Es war gar nicht so einfach, seinen großen Arbeitstisch über das gekachelte „Bett“ zu wuchten, als ihm die Stadt das Atelier vor einem Jahr kurzfristig angeboten hatte. Eigentlich brauchte er mehr Licht und mehr Platz, aber er will sich nicht beklagen. Nur der große Ideologie-Streit „Mode versus Sex“ nervt den Achtundzwanzigjährigen, dem seine schwarzen Lederstiefel über der jägergrünen Cordhose fast bis zu den Knien reichen. „Überall sind Prostituierte, ich bin Schneider. Zwei der ältesten Berufe im ältesten Viertel der Stadt. Wo ist das Problem?“
Die obrigkeitliche Beseitigung manches Konkurrenten bessert Gharbis Bilanz in der Rezession auf. Aber freuen kann er sich nicht darüber, denn auch seine Firma, „La Vie en Rose“, ist von der Schließung bedroht. Seit in Amsterdam die Betreiber von Bordellen, Koffieshops oder Kneipen selbst beweisen müssen, dass die Finanzierung ihrer Etablissements von A bis Z mit rechten Dingen zugegangen ist, muss Gharbi vor Gericht um seine Lizenz kämpfen. „Die können mir den Laden schließen, nur weil sie irgendwelche Gerüchte hören“, ereifert er sich.
„Alles müssen wir auch nicht tolerieren!“
Bürgermeister Cohen bestreitet, dass die Kommune ihre neuen Möglichkeiten zur Geldwäschebekämpfung missbrauche, um damit Stadtplanung zu betreiben. Im Rathaus ist von „Minisupermärkten“ und Souvenirshops die Rede, die im Monat nur zwei Kunden hätten und doch hohe Umsätze auswiesen. Viele Menschen fänden, gibt Cohen zu, das Rotlichtviertel gehöre zur Amsterdamer Folklore. „Da habe ich auch gar nichts dagegen“, fügt er rasch an, „aber man darf nicht die harte Wirklichkeit übersehen, die bisweilen dahintersteckt.“ Erkläre er, was hinter den roten Vorhängen oder an der sprichwörtlichen Hintertür der Koffieshops immer wieder passiere, rede er also über Drogenbanden und Menschenhändler, dann sagten ihm viele Amsterdamer: „Alles müssen wir auch nicht tolerieren!“
Gharbi beteuert, er tue alles für Recht und Ordnung. „Ich bin der verlängerte Arm der Polizei.“ Er freue sich, etwas für die Gesellschaft tun zu können, wenn er jeden Verdacht auf Zuhälterei sofort melde. Natürlich sei es mit dem Geld in seiner Branche nicht ganz einfach, gibt er zu, denn reguläre Bankkredite seien auch nach der Legalisierung der Prostitution vor gut acht Jahren kaum zu bekommen. Aber er habe nichts zu verbergen. Im ältesten Gewerbe der Welt gebe es ohnehin nichts Transparenteres als die holländische Fensterprostitution.
Wer weiß, fügt Gharbi an, ob ohne den Sanierungsplan von Cohen und Co. nicht die Frau noch leben könnte, die kürzlich in einem seiner Zimmer ermordet wurde. „Bis vor kurzem saßen gegenüber ihrem Fenster andere Mädchen. Jetzt stehen da tote Schaufensterpuppen. Die konnten die Polizei natürlich nicht anrufen.“
Text: F.A.S.
Bildmaterial: Daniel Pilar
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RE: Lokalnachrichten: AMSTERDAM
Amsterdam bietet Schnupperkurse im Bordell an
Mariska Majoor hat früher als "Fensterhure" gearbeitet. Aus dem Job ist sie längst ausgestiegen, doch ihr Geld verdient sie noch immer im Amsterdamer Rotlichtviertel. Inzwischen bietet sie Führungen an, bei denen Touristen Gelegenheit bekommen, die Arbeit als Prostituierte am eigenen Leib zu erfahren.
Berühmt ist Amsterdam besonders für seine kleinen Kanäle, Grachten genannt. Zwischenzeitlich lockte auch der freie Handel mit Marihuana und ähnlichem Kraut zumindest die Jugend Europas in die niederländische Stadt. Und dann sind da im entsprechenden Distrikt auch noch die zahlreichen rot erleuchteten Fensterchen mit den vielen spärlich bekleideten Damen.
Ihretwegen würde vielleicht niemand in die Metropole reisen – aber wer schon immer mal wissen wollte, wie man sich als Hure in einem Amsterdamer „Fensterbordell“ fühlt, kann jetzt versuchen, das nachzuempfinden. Denn das Prostituierten-Informationszentrum (PIC) bietet im Rotlichtviertel Touristen einen entsprechenden „Schnupperkurs“ an. Die Idee stammt von PIC-Sprecherin Mariska Majoor, die selbst früher als „Fensterdirne“ arbeitete. Aus dem Job ist sie längst ausgestiegen, doch ihr Geld verdient sie noch immer im Amsterdamer Roltlichtviertel „Op de wallen“ – inzwischen allerdings mit geführten Touren. Dabei versucht die 39-Jährige den Besuchern zu erklären, was der Job hinter dem Fenster für die Frauen bedeutet. „Aber erst wenn ich sie mitnehme, gehen ihnen die Augen auf“, sagt die Ex-Prostituierte.
Die Tour dauert samt Probesitzen im „Fensterbordell“ eine Stunde und kostet 12,50 Euro. Und wer keinen Drang nach einem „Schnupperkurs“ verspürt, der kann in Amsterdam ja noch immer auf Grachtenfahrt gehen.
Welt online
http://www.welt.de/reise/article3594442 ... ll-an.html

Einfach mal selbst reinsetzen: Amsterdam bietet im Rotlichtdistrikt "Fensterdirnen-Schnupperkurse" an
Prostitution Information Centre
http://www.pic-amsterdam.com/
Mariska Majoor hat früher als "Fensterhure" gearbeitet. Aus dem Job ist sie längst ausgestiegen, doch ihr Geld verdient sie noch immer im Amsterdamer Rotlichtviertel. Inzwischen bietet sie Führungen an, bei denen Touristen Gelegenheit bekommen, die Arbeit als Prostituierte am eigenen Leib zu erfahren.
Berühmt ist Amsterdam besonders für seine kleinen Kanäle, Grachten genannt. Zwischenzeitlich lockte auch der freie Handel mit Marihuana und ähnlichem Kraut zumindest die Jugend Europas in die niederländische Stadt. Und dann sind da im entsprechenden Distrikt auch noch die zahlreichen rot erleuchteten Fensterchen mit den vielen spärlich bekleideten Damen.
Ihretwegen würde vielleicht niemand in die Metropole reisen – aber wer schon immer mal wissen wollte, wie man sich als Hure in einem Amsterdamer „Fensterbordell“ fühlt, kann jetzt versuchen, das nachzuempfinden. Denn das Prostituierten-Informationszentrum (PIC) bietet im Rotlichtviertel Touristen einen entsprechenden „Schnupperkurs“ an. Die Idee stammt von PIC-Sprecherin Mariska Majoor, die selbst früher als „Fensterdirne“ arbeitete. Aus dem Job ist sie längst ausgestiegen, doch ihr Geld verdient sie noch immer im Amsterdamer Roltlichtviertel „Op de wallen“ – inzwischen allerdings mit geführten Touren. Dabei versucht die 39-Jährige den Besuchern zu erklären, was der Job hinter dem Fenster für die Frauen bedeutet. „Aber erst wenn ich sie mitnehme, gehen ihnen die Augen auf“, sagt die Ex-Prostituierte.
Die Tour dauert samt Probesitzen im „Fensterbordell“ eine Stunde und kostet 12,50 Euro. Und wer keinen Drang nach einem „Schnupperkurs“ verspürt, der kann in Amsterdam ja noch immer auf Grachtenfahrt gehen.
Welt online
http://www.welt.de/reise/article3594442 ... ll-an.html

Einfach mal selbst reinsetzen: Amsterdam bietet im Rotlichtdistrikt "Fensterdirnen-Schnupperkurse" an
Prostitution Information Centre
http://www.pic-amsterdam.com/
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Super Beitrag, danke JayR!
Gehört eigentlich direkt zum aktuellen Diskussionsstand das "Steuern und Steuerpolitik"-thread's verlinkt.
Liebe Grüße, Eva
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It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
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Amüsierviertel „De Wallen“
Amsterdam knipst das Rotlicht aus
19. Mai 2009 Hier zögern die Touristen kurz. Immer an dieser Stelle. Steten Schrittes haben sie die Oude Kerk umkreist, den Blick von der Kirche abgewandt. Sie haben, je nach Temperament, verstohlen durch die schmalen Glastüren gelinst oder unverhohlen hineingeglotzt, haben die halbnackten Frauen hinter den Scheiben übermütig verspottet, kopfschüttelnd bemitleidet oder, wer weiß, erregt begutachtet. Hier, rund um Amsterdams ältestes Baudenkmal, ist bezahlter Beischlaf vor allem von Lateinamerikanerinnen zu bekommen, die schon ziemlich lange in der Branche arbeiten. Ihre jungen Konkurrentinnen mit den Idealmaßen und der hellen Haut, all die Bulgarinnen, Ungarinnen, Rumäninnen, stehen um die Ecke, blicken durch ihre Fenstertüren den Booten auf der Gracht nach, pressen mit der Linken das Handy ans Ohr und locken mit dem rechten Mittelfinger die Männer zu sich. Meistens vergeblich. Die wollen nur gucken.
Hunderte Amsterdam-Besucher haben heute vor dem Abendessen Streifzüge durch „De Wallen“ unternommen, wie es ihre Reiseführer zur Pflicht erklären. Sie haben so viel straffe und schlaffe Frauenhaut gesehen, dass es irgendwann öde wurde, haben vielleicht erfahren, dass man in Koffieshops zwar noch Joints kaufen, aber keine Zigarette mehr rauchen darf, haben in ihren Plaudereien das Thema Toleranz in Holland vermutlich längst abgehakt, glauben jedenfalls, sie hätten alles gesehen, und kommen hier doch noch aus dem Tritt: „No Sex“ steht auf dem Schild, unter dem ein Gang in einen winzigen Hinterhof führt. Hineingehen? Weiterlaufen? Was ist das jetzt für ein Trick?
Was haben Sie plötzlich gegen ihren Rotlichtbezirk, Herr Bürgermeister?
Es ist ein Trick der Stadt Amsterdam, auch wenn sie das Schild nicht gemacht hat. Das waren Schmuckdesigner, die ihre kleinen Kunstwerke hinter den schmalen Fenstern kreieren und ausstellen. Sie bieten Colliers aus Keramikscherben an, wo bis vor kurzem nur mit Frauenkörpern gehandelt wurde. Aufstrebende Jungtalente durften sich im Herzen der Altstadt niederlassen und müssen dafür nicht einmal Miete zahlen, nur Wasser und Strom. Denn die Stadtregierung möchte genau das, was auf dem Schild steht: Kein-Sex-Oasen im Rotlichtviertel. Sie hat einem Milieu-Magnaten Millionen für seine Immobilien gezahlt, ersinnt neue Nutzungspläne, treibt Polizei und Steuerfahnder zum Durchgreifen an. Sie verspricht mehr Mode, mehr Muse im Milieu.
Und mehr Moral? Eine Frage für den Bürgermeister. Herr Cohen, hat Amsterdam die Moral wiederentdeckt? Oder was haben Sie plötzlich gegen Ihren Rotlichtbezirk? „Gar nichts!“, antwortet ohne Zögern der Mann, der die Hauptstadt seit acht Jahren regiert. Es ärgert ihn, dass dieser Verdacht überhaupt aufkommt, dass die Betreiber von Bordellen und Billiglokalen in De Wallen die Kunde verbreiten, Job Cohen beteilige sich an einer calvinistischen Konterrevolution, die vom biederen Den Haag ausgehe und vor Amsterdam nicht Halt mache.
Frauenhandel, Zuhälterei und Missbrauch
Nein, Cohen möchte die Uhren nicht zurückdrehen. Einer, der im Holland des Jahres 1966 sein Studium begann und sogleich der Arbeiterpartei beitrat, nimmt auch heute nicht Anstoß daran, dass Prostituierte im Stadtzentrum hinter Schaufensterglas um Kundschaft buhlen, anstatt in die Hotellobbys oder ins Gewerbegebiet verbannt zu werden. „Natürlich bin ich auch für die Moral“, fügt Cohen hinzu. „Aber deshalb bin ich noch lange nicht gegen Prostitution. Wohl aber gegen ihre Auswüchse.“
Und da fällt dem Bürgermeister manches ein. Er spricht von Frauenhandel, Zuhälterei und Missbrauch, von Geldwäsche und Kleinkriminalität. „Wir haben die Lage in De Wallen nicht richtig im Griff. Deshalb müssen wir die heiklen Wirtschaftszweige ausdünnen. Außerdem ist es furchtbar voll in diesem kleinen Gebiet. Wir müssen aufpassen, dass es dort nicht unwohnlich wird.“ Will sagen: Wenn Cohen Bordelle, Sexkinos oder Koffieshops im ältesten Teil der Stadt schließen möchte, dann als Verbrechensbekämpfer und Stadtverschönerer, nicht als Sittenwächter.
„Die Polizei müsste nicht so viele Augen zudrücken“
Aber auch die andere Version der Geschichte hält sich im Stadtgespräch. Das liegt nicht zuletzt an seinem Stellvertreter, dem jungen Sozialdemokraten Lodewijk Asscher. Der soll erst einmal keine Interviews mehr geben, soll nicht wiederholen, dass ihm gleich eine Halbierung der Fensterbordelle auf gut 200 am liebsten wäre. Überhaupt soll er in der Sache nicht mehr so viel Furor an den Tag legen. Denn das gibt nur den Gegnern Auftrieb. Im Gemeinderat ist das Projekt längst nicht durch, und manch stolzer Amsterdamer im Stadtparlament wird alles abwehren, was nach einer Verspießerung der Hauptstadt riecht. Nicht nur Linke, auch die Rechtsliberalen haben schon geschimpft, das große Aufräumen in De Wallen sei überhaupt nicht demokratisch legitimiert.
Der Bürgermeister hat versprechen müssen, die Sache nun gemächlicher anzugehen. In Zeiten der Finanzkrise fehlt es wohl ohnehin an Geld, weitere Bordellbesitzer auszuzahlen. Dass auch für ihn die Liberalität im holländischen Dreieck aus Toleranz, Duldung und Legalisierung nach wie vor zur Staatsräson gehört, belegt Cohen an einem anderen Beispiel. Während in der Haager Regierung die Christlichen Demokraten von Ministerpräsident Jan Peter Balkenende und die kleine bibeltreue Christenunion den Koffieshops den Garaus machen wollen, tritt Cohen für eine vollständige Legalisierung ein. Dann wäre auch der Anbau der Cannabis-Pflanze legal, und die Polizei müsste nicht so viele Augen zudrücken wie jetzt. „Ich würde für den Verkauf weicher Drogen ungefähr die gleichen Regeln anwenden wie für den Alkoholausschank. Leider ist das international im Moment nicht zu verkaufen.“
„Ja, wir moralisieren“
In Wahrheit sitzen die Gegner des Bürgermeisters in dieser Sache nicht nur in Brüssel und Berlin, sondern auch in den eigenen Reihen. Einer ihrer Wortführer heißt Jeroen Dijsselbloem, ist 43 Jahre alt, mindestens so ehrgeizig wie Cohens Stellvertreter Asscher und hat es bisher zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Arbeiterpartei gebracht. „Lodewijk Asscher und ich, wir sind Kinder der achtziger Jahre“, erläutert Dijsselbleom in seinem neuen Büro, das zu den größeren im Haager Abgeordnetenhaus zählt. „Ja, wir moralisieren, wir wagen es, uns ein Urteil über das Benehmen anderer zu bilden.“ In der Drogenpolitik singe er zwar nicht das Lied der Konservativen, man müsse nur alle Koffieshops schließen und alles werde gut. Aber genauso naiv sei es, alles zuzulassen. „Wir können die Gesellschaft nicht nur für kritische, gebildete Bürger gestalten, die in der Lage sind, nach reiflicher Abwägung das Beste für sich selbst zu beschließen.“ Mehr Paternalismus wagen? „Ja. Genau.“
Mit der Prostitution, fährt Dijsselbloem fort, verhalte es sich ähnlich. Sie zu verbieten bringe nicht viel - „auch wenn ich gut ohne auskäme“. Aber zu behaupten, seit der Legalisierung vor neun Jahren gebe es in den Niederlanden nur noch glückliche, freischaffende Sexarbeiterinnen, sei wirklichkeitsfremd. „Hatten diese Frauen wirklich eine freie Wahl? Oder wurden sie doch gezwungen - wenn nicht von einem Zuhälter, dann vielleicht von den Umständen?“
Perspektiven für Frauen, die anschaffen wollen
Mariska Majoor kennt diese Formulierung aus all den Fernsehdiskussionen, die sie bestritten hat. Mitte der Achtziger wurde sie mit 16 Prostituierte, weil sie sich damals schon nach einem einzigen Arbeitstag einen Hund kaufen konnte. Jahrelang verdiente sie so ihr Geld, bevor sie das „Prostitutie Informatie Center“ (PIC) gründete. „Was glauben diese Politiker, wer sie sind, dass sie so auf uns herabsehen dürfen?“ Sie sagt „uns“, obwohl sich ihre Tätigkeit im Rotlichtviertel längst auf den Handel mit rotem Nippes und die Informationsarbeit im PIC am Alten Kirchplatz beschränkt.
Sie sorgt sich um die Frauen, die zur Zeit noch täglich 100 bis 150 Euro Miete zahlen pro Acht-Stunden-Schicht in einem der kühl gekachelten Kämmerlein. Wohin werden sie gehen, wenn es diese Kämmerlein nicht mehr gibt? Was werden sie tun, wenn auch ihre Vermieter aufgeben - sei es, weil die Stadt ihnen ein allzu gutes Angebot macht, sei es, weil sie es nicht schaffen, ihre buchhalterische Unschuld zu beweisen, wie es ihnen ein neues Gesetz seit kurzem abverlangt? Die Stadt hat nun angekündigt, sie wolle Einrichtungen unterstützen, die den Frauen Perspektiven zeigen. Für Mariska Majoor macht das die Sache nur schlimmer: „Die Frauen hier üben den Beruf aus, den sie mögen. Manche verdienen gut. Sie zahlen Steuern. Sie haben viel Selbstachtung. Wie kann man ihnen erst die Arbeitsplätze zerstören und dann die Hilfe irgendwelcher Sozialarbeiter anbieten?“
Mit legaler Prostitution gegen Zuhälterei
Bürgermeister Cohen schüttelt den Vorwurf ab, seine Arbeiterpartei setze sich nicht für die Sexarbeiterinnen ein. Er preist zwar die Legalisierung des Gewerbes. „Aber wenn man sich anschaut, wie viele dieser Frauen hier nur kurze Zeit arbeiten und dann in andere Städte weiterziehen; wenn man sieht, dass sie meist kaum Niederländisch sprechen... Selbst wenn sie alle nötigen Papiere haben, steckt da oft noch anderes dahinter.“
Marie-Louise Janssen arbeitet am Rande des Rotlichtviertels - als Ethnologin in einem der historischen Gebäude der Universiteit van Amsterdam. Sie bestreitet nicht, dass es versteckte Zuhälterei gebe. Doch genau deshalb habe man die Prostitution legalisiert: um die freiwillige von der erzwungenen unterscheiden zu können. „Die Normalisierung der Sexbranche ist eine riesige Aufgabe. Wir sind noch in einer Übergangsphase. Und ausgerechnet da will Amsterdam die Prostitution weniger sichtbar und öffentlich machen.“ Die Forscherin hält das für einen Rückschritt, zumal in ganz Europa die Zeichen auf Repression stünden - außer in Deutschland.
„Diese Schaufensterpuppen blicken auf mich herab“
In einem der Gässchen, die zur Alten Kirche führen, trägt ein Lädchen den putzigen Namen „De kleine Ondernemer“. Welcher Art die Zimmer sind, die der Kleinunternehmer laut Aushang vermietet, ist leicht zu erkennen: Auf neun Schwarzweißmonitoren hinter der Ladentheke werden die Fensterbordelle rund um die Uhr beobachtet. Das ganze Sortiment des Ladens ist auf die Bedürfnisse der Mieterinnen ausgerichtet: Getränke, Snacks, Kondome, Deodorants, Duftsprays und stapelweise Küchenrolle, extra saugstark. Munter scherzend, begleitet ein Mitarbeiter zwei Frauen zu ihren Fenstern; der jüngeren trägt er die Tasche. Beide Prostituierte wirken beschwingt, das Wetter ist gut, es ist Freitag, der Abend könnte sich lohnen. Laut trällern sie spanische Lieder, auch sie kommen aus der Karibik. Aus den Zimmern, in die sie jetzt gehen, kommen zwei ältere Kolleginnen, deren Tagwerk getan ist. Sie tragen Anoraks über den Jeanshosen, ziehen braune Leder-Einkaufstaschen auf Rädern hinter sich her und grüßen hier und da, wo sie eine Bekannte im Fenster stehen sehen. Natürlich stocken sie nicht, als sie die No-Sex-Parole passieren. Sie kennen sie ja.
Mariska Majoor kann sich nicht daran gewöhnen. „Jeden Morgen an diesen verrückten Design- und Modeateliers vorbeigehen zu müssen, das ist für mich ein täglicher Schlag ins Gesicht“, sagt sie. „Diese Schaufensterpuppen blicken auf mich herab. Und immer sehe ich darin die grinsenden Gesichter von Herrn Asscher und Herrn Cohen, die uns das Ganze eingebrockt haben.“
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Amsterdam knipst das Rotlicht aus
19. Mai 2009 Hier zögern die Touristen kurz. Immer an dieser Stelle. Steten Schrittes haben sie die Oude Kerk umkreist, den Blick von der Kirche abgewandt. Sie haben, je nach Temperament, verstohlen durch die schmalen Glastüren gelinst oder unverhohlen hineingeglotzt, haben die halbnackten Frauen hinter den Scheiben übermütig verspottet, kopfschüttelnd bemitleidet oder, wer weiß, erregt begutachtet. Hier, rund um Amsterdams ältestes Baudenkmal, ist bezahlter Beischlaf vor allem von Lateinamerikanerinnen zu bekommen, die schon ziemlich lange in der Branche arbeiten. Ihre jungen Konkurrentinnen mit den Idealmaßen und der hellen Haut, all die Bulgarinnen, Ungarinnen, Rumäninnen, stehen um die Ecke, blicken durch ihre Fenstertüren den Booten auf der Gracht nach, pressen mit der Linken das Handy ans Ohr und locken mit dem rechten Mittelfinger die Männer zu sich. Meistens vergeblich. Die wollen nur gucken.
Hunderte Amsterdam-Besucher haben heute vor dem Abendessen Streifzüge durch „De Wallen“ unternommen, wie es ihre Reiseführer zur Pflicht erklären. Sie haben so viel straffe und schlaffe Frauenhaut gesehen, dass es irgendwann öde wurde, haben vielleicht erfahren, dass man in Koffieshops zwar noch Joints kaufen, aber keine Zigarette mehr rauchen darf, haben in ihren Plaudereien das Thema Toleranz in Holland vermutlich längst abgehakt, glauben jedenfalls, sie hätten alles gesehen, und kommen hier doch noch aus dem Tritt: „No Sex“ steht auf dem Schild, unter dem ein Gang in einen winzigen Hinterhof führt. Hineingehen? Weiterlaufen? Was ist das jetzt für ein Trick?
Was haben Sie plötzlich gegen ihren Rotlichtbezirk, Herr Bürgermeister?
Es ist ein Trick der Stadt Amsterdam, auch wenn sie das Schild nicht gemacht hat. Das waren Schmuckdesigner, die ihre kleinen Kunstwerke hinter den schmalen Fenstern kreieren und ausstellen. Sie bieten Colliers aus Keramikscherben an, wo bis vor kurzem nur mit Frauenkörpern gehandelt wurde. Aufstrebende Jungtalente durften sich im Herzen der Altstadt niederlassen und müssen dafür nicht einmal Miete zahlen, nur Wasser und Strom. Denn die Stadtregierung möchte genau das, was auf dem Schild steht: Kein-Sex-Oasen im Rotlichtviertel. Sie hat einem Milieu-Magnaten Millionen für seine Immobilien gezahlt, ersinnt neue Nutzungspläne, treibt Polizei und Steuerfahnder zum Durchgreifen an. Sie verspricht mehr Mode, mehr Muse im Milieu.
Und mehr Moral? Eine Frage für den Bürgermeister. Herr Cohen, hat Amsterdam die Moral wiederentdeckt? Oder was haben Sie plötzlich gegen Ihren Rotlichtbezirk? „Gar nichts!“, antwortet ohne Zögern der Mann, der die Hauptstadt seit acht Jahren regiert. Es ärgert ihn, dass dieser Verdacht überhaupt aufkommt, dass die Betreiber von Bordellen und Billiglokalen in De Wallen die Kunde verbreiten, Job Cohen beteilige sich an einer calvinistischen Konterrevolution, die vom biederen Den Haag ausgehe und vor Amsterdam nicht Halt mache.
Frauenhandel, Zuhälterei und Missbrauch
Nein, Cohen möchte die Uhren nicht zurückdrehen. Einer, der im Holland des Jahres 1966 sein Studium begann und sogleich der Arbeiterpartei beitrat, nimmt auch heute nicht Anstoß daran, dass Prostituierte im Stadtzentrum hinter Schaufensterglas um Kundschaft buhlen, anstatt in die Hotellobbys oder ins Gewerbegebiet verbannt zu werden. „Natürlich bin ich auch für die Moral“, fügt Cohen hinzu. „Aber deshalb bin ich noch lange nicht gegen Prostitution. Wohl aber gegen ihre Auswüchse.“
Und da fällt dem Bürgermeister manches ein. Er spricht von Frauenhandel, Zuhälterei und Missbrauch, von Geldwäsche und Kleinkriminalität. „Wir haben die Lage in De Wallen nicht richtig im Griff. Deshalb müssen wir die heiklen Wirtschaftszweige ausdünnen. Außerdem ist es furchtbar voll in diesem kleinen Gebiet. Wir müssen aufpassen, dass es dort nicht unwohnlich wird.“ Will sagen: Wenn Cohen Bordelle, Sexkinos oder Koffieshops im ältesten Teil der Stadt schließen möchte, dann als Verbrechensbekämpfer und Stadtverschönerer, nicht als Sittenwächter.
„Die Polizei müsste nicht so viele Augen zudrücken“
Aber auch die andere Version der Geschichte hält sich im Stadtgespräch. Das liegt nicht zuletzt an seinem Stellvertreter, dem jungen Sozialdemokraten Lodewijk Asscher. Der soll erst einmal keine Interviews mehr geben, soll nicht wiederholen, dass ihm gleich eine Halbierung der Fensterbordelle auf gut 200 am liebsten wäre. Überhaupt soll er in der Sache nicht mehr so viel Furor an den Tag legen. Denn das gibt nur den Gegnern Auftrieb. Im Gemeinderat ist das Projekt längst nicht durch, und manch stolzer Amsterdamer im Stadtparlament wird alles abwehren, was nach einer Verspießerung der Hauptstadt riecht. Nicht nur Linke, auch die Rechtsliberalen haben schon geschimpft, das große Aufräumen in De Wallen sei überhaupt nicht demokratisch legitimiert.
Der Bürgermeister hat versprechen müssen, die Sache nun gemächlicher anzugehen. In Zeiten der Finanzkrise fehlt es wohl ohnehin an Geld, weitere Bordellbesitzer auszuzahlen. Dass auch für ihn die Liberalität im holländischen Dreieck aus Toleranz, Duldung und Legalisierung nach wie vor zur Staatsräson gehört, belegt Cohen an einem anderen Beispiel. Während in der Haager Regierung die Christlichen Demokraten von Ministerpräsident Jan Peter Balkenende und die kleine bibeltreue Christenunion den Koffieshops den Garaus machen wollen, tritt Cohen für eine vollständige Legalisierung ein. Dann wäre auch der Anbau der Cannabis-Pflanze legal, und die Polizei müsste nicht so viele Augen zudrücken wie jetzt. „Ich würde für den Verkauf weicher Drogen ungefähr die gleichen Regeln anwenden wie für den Alkoholausschank. Leider ist das international im Moment nicht zu verkaufen.“
„Ja, wir moralisieren“
In Wahrheit sitzen die Gegner des Bürgermeisters in dieser Sache nicht nur in Brüssel und Berlin, sondern auch in den eigenen Reihen. Einer ihrer Wortführer heißt Jeroen Dijsselbloem, ist 43 Jahre alt, mindestens so ehrgeizig wie Cohens Stellvertreter Asscher und hat es bisher zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Arbeiterpartei gebracht. „Lodewijk Asscher und ich, wir sind Kinder der achtziger Jahre“, erläutert Dijsselbleom in seinem neuen Büro, das zu den größeren im Haager Abgeordnetenhaus zählt. „Ja, wir moralisieren, wir wagen es, uns ein Urteil über das Benehmen anderer zu bilden.“ In der Drogenpolitik singe er zwar nicht das Lied der Konservativen, man müsse nur alle Koffieshops schließen und alles werde gut. Aber genauso naiv sei es, alles zuzulassen. „Wir können die Gesellschaft nicht nur für kritische, gebildete Bürger gestalten, die in der Lage sind, nach reiflicher Abwägung das Beste für sich selbst zu beschließen.“ Mehr Paternalismus wagen? „Ja. Genau.“
Mit der Prostitution, fährt Dijsselbloem fort, verhalte es sich ähnlich. Sie zu verbieten bringe nicht viel - „auch wenn ich gut ohne auskäme“. Aber zu behaupten, seit der Legalisierung vor neun Jahren gebe es in den Niederlanden nur noch glückliche, freischaffende Sexarbeiterinnen, sei wirklichkeitsfremd. „Hatten diese Frauen wirklich eine freie Wahl? Oder wurden sie doch gezwungen - wenn nicht von einem Zuhälter, dann vielleicht von den Umständen?“
Perspektiven für Frauen, die anschaffen wollen
Mariska Majoor kennt diese Formulierung aus all den Fernsehdiskussionen, die sie bestritten hat. Mitte der Achtziger wurde sie mit 16 Prostituierte, weil sie sich damals schon nach einem einzigen Arbeitstag einen Hund kaufen konnte. Jahrelang verdiente sie so ihr Geld, bevor sie das „Prostitutie Informatie Center“ (PIC) gründete. „Was glauben diese Politiker, wer sie sind, dass sie so auf uns herabsehen dürfen?“ Sie sagt „uns“, obwohl sich ihre Tätigkeit im Rotlichtviertel längst auf den Handel mit rotem Nippes und die Informationsarbeit im PIC am Alten Kirchplatz beschränkt.
Sie sorgt sich um die Frauen, die zur Zeit noch täglich 100 bis 150 Euro Miete zahlen pro Acht-Stunden-Schicht in einem der kühl gekachelten Kämmerlein. Wohin werden sie gehen, wenn es diese Kämmerlein nicht mehr gibt? Was werden sie tun, wenn auch ihre Vermieter aufgeben - sei es, weil die Stadt ihnen ein allzu gutes Angebot macht, sei es, weil sie es nicht schaffen, ihre buchhalterische Unschuld zu beweisen, wie es ihnen ein neues Gesetz seit kurzem abverlangt? Die Stadt hat nun angekündigt, sie wolle Einrichtungen unterstützen, die den Frauen Perspektiven zeigen. Für Mariska Majoor macht das die Sache nur schlimmer: „Die Frauen hier üben den Beruf aus, den sie mögen. Manche verdienen gut. Sie zahlen Steuern. Sie haben viel Selbstachtung. Wie kann man ihnen erst die Arbeitsplätze zerstören und dann die Hilfe irgendwelcher Sozialarbeiter anbieten?“
Mit legaler Prostitution gegen Zuhälterei
Bürgermeister Cohen schüttelt den Vorwurf ab, seine Arbeiterpartei setze sich nicht für die Sexarbeiterinnen ein. Er preist zwar die Legalisierung des Gewerbes. „Aber wenn man sich anschaut, wie viele dieser Frauen hier nur kurze Zeit arbeiten und dann in andere Städte weiterziehen; wenn man sieht, dass sie meist kaum Niederländisch sprechen... Selbst wenn sie alle nötigen Papiere haben, steckt da oft noch anderes dahinter.“
Marie-Louise Janssen arbeitet am Rande des Rotlichtviertels - als Ethnologin in einem der historischen Gebäude der Universiteit van Amsterdam. Sie bestreitet nicht, dass es versteckte Zuhälterei gebe. Doch genau deshalb habe man die Prostitution legalisiert: um die freiwillige von der erzwungenen unterscheiden zu können. „Die Normalisierung der Sexbranche ist eine riesige Aufgabe. Wir sind noch in einer Übergangsphase. Und ausgerechnet da will Amsterdam die Prostitution weniger sichtbar und öffentlich machen.“ Die Forscherin hält das für einen Rückschritt, zumal in ganz Europa die Zeichen auf Repression stünden - außer in Deutschland.
„Diese Schaufensterpuppen blicken auf mich herab“
In einem der Gässchen, die zur Alten Kirche führen, trägt ein Lädchen den putzigen Namen „De kleine Ondernemer“. Welcher Art die Zimmer sind, die der Kleinunternehmer laut Aushang vermietet, ist leicht zu erkennen: Auf neun Schwarzweißmonitoren hinter der Ladentheke werden die Fensterbordelle rund um die Uhr beobachtet. Das ganze Sortiment des Ladens ist auf die Bedürfnisse der Mieterinnen ausgerichtet: Getränke, Snacks, Kondome, Deodorants, Duftsprays und stapelweise Küchenrolle, extra saugstark. Munter scherzend, begleitet ein Mitarbeiter zwei Frauen zu ihren Fenstern; der jüngeren trägt er die Tasche. Beide Prostituierte wirken beschwingt, das Wetter ist gut, es ist Freitag, der Abend könnte sich lohnen. Laut trällern sie spanische Lieder, auch sie kommen aus der Karibik. Aus den Zimmern, in die sie jetzt gehen, kommen zwei ältere Kolleginnen, deren Tagwerk getan ist. Sie tragen Anoraks über den Jeanshosen, ziehen braune Leder-Einkaufstaschen auf Rädern hinter sich her und grüßen hier und da, wo sie eine Bekannte im Fenster stehen sehen. Natürlich stocken sie nicht, als sie die No-Sex-Parole passieren. Sie kennen sie ja.
Mariska Majoor kann sich nicht daran gewöhnen. „Jeden Morgen an diesen verrückten Design- und Modeateliers vorbeigehen zu müssen, das ist für mich ein täglicher Schlag ins Gesicht“, sagt sie. „Diese Schaufensterpuppen blicken auf mich herab. Und immer sehe ich darin die grinsenden Gesichter von Herrn Asscher und Herrn Cohen, die uns das Ganze eingebrockt haben.“
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I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.
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Das Modegeschäft, welches das Sexgeschäft verdrängen soll:
www.redlightFashionAmsterdam.nl
www.jcreport.com/intelligence/victor-ro ... t-district
[Gefunden von Ariane]
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Rechtsprechung 07 und 09
Amsterdam will spießig werden
Von Rob Savelberg 29. August 2009
...
Neulich hat die Stadt einen Prozess gegen einen Vermieter eines Kober-Fensters verloren.
Man behauptete einfach, der Vermieter sei kriminell.
Die Stadtverwaltung muss ihm nun 50 000 Euro für verlorene Einnahmen erstatten.
Die Gemeinde will Gott spielen", sagt Hendriks.
...
http://www.welt.de/die-welt/politik/art ... erden.html
Von WELT.de/dpa 20. Januar 2007:
Richter bewahrt Amsterdamer „Fensterprostitution“ vor schnellem Ende
Die Stadt wollte die Bordelle dicht machen, ein Richter sah das anders - Den betroffenen 33 Betrieben muss die Möglichkeit zur Klage gegeben werden. Grund: Der Verdacht auf illegale Geschäfte.
Zahlreiche von der Schließung bedrohte Bordelle im Amsterdamer Rotlichtviertel dürfen ihre umstrittenen Dienste vorerst weiter anbieten. Ein Richter setzte eine von der Stadtverwaltung erlassene Schließungsverordnung außer Kraft. Die Stadt müsse zunächst über alle eingelegten Widersprüche gegen die Anordnung entscheiden und den Bordellbesitzern Möglichkeit zur Klage geben.
Betroffen sind 33 Bordelle auf den berühmten „Wallen“ in Amsterdams historischer Innenstadt. Die Prostituierten warten dort traditionell leicht bekleidet in Schaufenstern auf ihre Kunden. Diese Art der Prostitution ist zwar erlaubt. Doch die Verwaltung der niederländischen Hauptstadt verdächtigt mehrere Bordellbesitzer, ihre legalen Geschäfte mit kriminellen Machenschaften zu verbinden. Vor allem von Geldwäsche ist die Rede. Allerdings bestreiten die Beschuldigten diese Vorwürfe. Während die Stadt ein sofortiges Einschreiten für nötig erachtet, sah der Richter keinen Grund zur Eile.
http://www.welt.de/vermischtes/article7 ... _Ende.html
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Von Rob Savelberg 29. August 2009
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Neulich hat die Stadt einen Prozess gegen einen Vermieter eines Kober-Fensters verloren.
Man behauptete einfach, der Vermieter sei kriminell.
Die Stadtverwaltung muss ihm nun 50 000 Euro für verlorene Einnahmen erstatten.
Die Gemeinde will Gott spielen", sagt Hendriks.
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http://www.welt.de/die-welt/politik/art ... erden.html
Von WELT.de/dpa 20. Januar 2007:
Richter bewahrt Amsterdamer „Fensterprostitution“ vor schnellem Ende
Die Stadt wollte die Bordelle dicht machen, ein Richter sah das anders - Den betroffenen 33 Betrieben muss die Möglichkeit zur Klage gegeben werden. Grund: Der Verdacht auf illegale Geschäfte.
Zahlreiche von der Schließung bedrohte Bordelle im Amsterdamer Rotlichtviertel dürfen ihre umstrittenen Dienste vorerst weiter anbieten. Ein Richter setzte eine von der Stadtverwaltung erlassene Schließungsverordnung außer Kraft. Die Stadt müsse zunächst über alle eingelegten Widersprüche gegen die Anordnung entscheiden und den Bordellbesitzern Möglichkeit zur Klage geben.
Betroffen sind 33 Bordelle auf den berühmten „Wallen“ in Amsterdams historischer Innenstadt. Die Prostituierten warten dort traditionell leicht bekleidet in Schaufenstern auf ihre Kunden. Diese Art der Prostitution ist zwar erlaubt. Doch die Verwaltung der niederländischen Hauptstadt verdächtigt mehrere Bordellbesitzer, ihre legalen Geschäfte mit kriminellen Machenschaften zu verbinden. Vor allem von Geldwäsche ist die Rede. Allerdings bestreiten die Beschuldigten diese Vorwürfe. Während die Stadt ein sofortiges Einschreiten für nötig erachtet, sah der Richter keinen Grund zur Eile.
http://www.welt.de/vermischtes/article7 ... _Ende.html
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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 30.08.2009, 22:02, insgesamt 1-mal geändert.