Sag mir, wer die Huren sind
Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Frauen in der Sexindustrie.
Donnerstag 16. September 2004, von huch
Im Original lesen:
http://www.refrat.hu-berlin.de/huch/spip.php?article90
»Prostituierte«, so steht es auf der Bauchbinde zu lesen, die im unteren Bereich des Bildschirms eingefügt ist und den Beruf der zu sehenden Person bezeichnet. Unschwer zu erraten, handelt es sich um eine der zahlreichen Talkshows, zu denen Sexarbeiter/innen [1] gern eingeladen werden. - Und in denen sie zahlreich vertreten sind - es geht schließlich ums Geld...
Von Dr. Laura Méritt, Berlin
www.sexclusivitaeten.de
Denn auch diese Arbeit ist ein Aspekt ihres vielseitigen Tätigkeitsbereiches. Als
Medien- oder Maulhure kann frau heute zunehmend Geld verdienen, profiliert sich als
Very Important Prostitute (VIP) und wird mit Empfehlung weitergereicht. Sie tut dies auf ganz offene, einsehbare und ehrliche Weise. Es ist allen bekannt, dass die Frauen für ihren öffentlichen Auftritt Geld verlangen und erhalten. Auch andere Teilnehmende bzw. ihre Äußerungen sind gekauft, es wird aber »Authentizität« vorgegaukelt. So hur, so pur...
Die Verhältnisse scheinen sich umzukehren oder waren Huren nicht schon immer »die ehrbaren Dirn?«
Eine starke Medienpräsenz ist also seitens der sexuell arbeitenden Frauen zu verzeichnen, die jetzt die Nachfrage der immer schon willigen Medien ausreichend befriedigen können und auch wollen. Schließlich waren die Damen bis auf wenige eloquente Ausnahmen lange nicht bereit,
sich von geifernden Moderatoren auf einem »heißen Stuhl« präsentieren und in unverschämter Weise über ihr Privat- wie Berufsleben auspressen zu lassen.
Das
Medientraining »Prostitution in den neuen Medien« und besonders »Wie prostituiere ich mich erfolgreich im Fernsehen?« wurde mittlerweile von vielen Frauen gleichermaßen als Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme erfolgreich absolviert. Dieses Angebot aus der Sex-Dienstleistungs-Palette ist zum einen auf die große Flexibilität des Gunst-Gewerbes zurückzuführen, das immer neue Märkte erschließt bzw. sich den sich wandelnden horizontalen Bedingungen schnellstens anpasst. So wurden in den letzten Jahren beispielsweise verstärkt die Esoterik aufgenommen und »Tantra-Massagen« oder »ganzheitliche Sinneserlebnisse« angeboten, deren Handhabung in Weiterbildungsseminaren erlernt werden konnte.
Zum anderen ist es aber sicherlich der Hurenbewegung und ihrer Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass sich
Frauen zum »öffentlichen« Arbeiten entscheiden und damit verstärkt sichtbar werden. Im Zuge der Emanzipation trauen sie sich, Gesicht zu zeigen. Und während diese Schleier hierzulande fallen, werden gleichzeitig hier- und andernorts erneut welche eingeführt ...
Öffentliche Dienstleistungen
Zum Bereich der öffentlichen Sex-Arbeit zählen neben genannten Fernseh- und Rundfunk-Engagements diverse kulturelle wie soziale Veranstaltungen und Aktivitäten.
Huren betätigen sich als Schriftstellerinnen und lesen aus ihren Büchern. Sie organisieren
Ausstellungen in Bordellen und zeigen ihre Gemälde, Fotografien und Skulpturen nebst ihrem Arbeitsplatz. Organisiert werden Festivals wie »1001 Nacht« oder die »Kulthur-Tage« in Berlin, auf denen für alle Interessierten Podiums-Diskussionen, Seminare, Film-Reihen, Sex-Workshops und Abendveranstaltungen angeboten werden.
Aus Amerika unterstützten Annie Sprinkle, Nina Hartley, Fanny Fatale und ihre freudenaktivistischen Kolleginnen
das Coming-Out der Hurenbewegung und füllen mit ihren One-Woman-Shows ganze Säle. Die Pro-Sex-Engagierten nutzen ihr praktisches Wissen und die vielfältigen Erfahrungen, die sie während des Berufslebens gemacht haben, kombinieren es mit ihrem theoretischen Hintergrund und geben dies an das begehrende Publikum weiter.
Huren profilieren sich als »Sex-Educators«: Lehrerinnen, die Seminare anbieten und Aufklärungs-Materialien produzieren. Die informativsten Lehrfilme zur Sexualität werden von Fachpersonen, den Huren gemacht und zeichnen sich durch ihre liebe- und lustvolle Demonstrationsweise aus. Ob Atemtechniken, weibliche und männliche Ejakulation, Prostata-Massage oder Labien-Shiatsu, mit diesen Praktiken erhalten viele erstmalig einen Hinweis auf unerahnte Möslichkeiten der Genussfähigkeit. Das weite Feld der Sexualität ist noch weitgehend unerforscht und stellt ein verborgenes Museum dar, so dass es nicht verwundert, dass die Nachfrage nach seriöser Information stetig steigt. Frauen sind hier besonders wissbegierig und nehmen, einmal wachgeküsst, die Kompetenz ihrer professionellen Geschlechtsgenossinnen gerne an. Diese wiederum promovieren zusätzlich als Sexologin und weisen nun auch noch einen offiziellen Titel aus, der ihre gewerblichen Auszeichnungen verdoppelt. Ehre, der Ehre gebührt: Frau Dr. Sex. h.c. lässt grüßen...
Fachdisziplin: Sex
Volle Säle sind auch an den Universitäten zu verzeichnen, die Huren als Dozentinnen engagieren oder ihnen einen Lehr- und Liegestuhl anbieten, wie an der FU und HU Berlin oder auch in Sydney geschehen. Vor allem
angehenden SozialarbeiterInnen und PädagogInnen ist noch viel Grundwissen in Sachen Sexualität beizubringen, bevor sie mit ihrer Mariahilf-Mission auf die Straße gehen und den Frauen Gummis überstülpen ... Auch die »Gender-Studies« und die Kulturwissenschaften zeigen sich offen für das Wissen von Sexpertinnen und beziehen dieses in den gesellschaftlichen (Sexualitäts-)Diskurs mit ein.
An der Stellung der Prostituierten lässt sich schließlich auch die Lage der Frauen ablesen. An Volkshochschulen werden Veranstaltungen von, mit und über Sexarbeiterinnen angeboten. Schulen laden SexpertInnen ein, ihren Aufklärungsunterricht zu gestalten. Schließlich sind noch die »
Hur-Tours« hervorzuheben, eine besondere Form des Marketings, die Information und Aufklärung mit Prostitution verbindet - Sexarbeit eben. Ähnlich andere Stadtführungen bieten die Frauen einen
Strich-Spaziergang an und laufen mit ihrer Gruppe genau eine Arbeitsstunde lang im »Karree«, dem für die Zwecke der Prostitution vorgeschriebenen Bezirk. Dabei erzählen sie Geschichten und Geschichte aus dem Milieu, verweisen auf Gewesenes oder Mögliches, singen, lachen und tanzen. Sie bieten einen Grenzgang zur Illusion, die das Rotlicht schon immer begleitete und regen damit zum Nachdenken an. Mehrfach-Qualifikation durch Sexarbeit
All diese genannten Beispiele sind aus vor Jahren als Wunschdenken Formuliertem entstanden und haben sich im Laufe der Zeit realisiert. Studien zur
Mehrfach-Qualifikation der Huren haben dazu beigetragen, das Selbstbewusstsein über die in der Sexarbeit erworbenen Fähigkeiten zu stärken. Vor allem haben sie die Möglichkeit aufgezeigt, auf diesen Kompetenzen aufzubauen und sie für weitere Berufsfelder positiv zu nutzen. So wird der Bereich der Sex-Aufklärung und -Beratung sicherlich noch weiter ausgebaut werden; gerade im Therapiebereich offenbart sich eine große Nachfrage. Huren könnten hier gezielt die praktische Unterweisung angehen und beispielsweise mit GesprächstherapeutInnen zusammenarbeiten (was stellenweise schon längst praktiziert wird). Neben diesen sozialen und therapeutischen Eigenschaften des Berufes Hure ergeben sich noch weitere: die Schauspielerei, der flotte Rollenwechsel, das kompetente Eingehen auf die KundInnen, das Verhandeln und geschickte Feilbieten zu deren Zufriedenstellung und nach eigenem Können und Wollen. Diese Soft Skills gehören zur Grundausstattung für den erfolgreichen Verkauf jeglicher Produkte und sind damit wertvolles psychologisches Rüstzeug für alle Dienstleistungen. Der Schritt zur Gründung des eigenen Unternehmens ist gar nicht so weit und wir können uns heute schon vorstellen, wie sich »Hur-Tours« als Reiseunternehmen machen. Die Reise ins Glück wird individuell und gruppengerecht durchgeplant und organisiert. Die Gäste werden schon im Flugzeug von charmanten Bord-Schwalben betreut. Diese klären über die Sicherheitsvorkehrungen auf, wie Gummis anzulegen sind und Safe Sex getrieben wird. Kondome und Sextoys sind gleich Duty Free an Bord erhältlich. Auch das höfliche Benehmen gegenüber Frauen sowie die Respektierung anderer Sitten wird einstudiert. Im gewählten Land übernehmen dann die einheimischen Frauen und begleiten und versorgen die KundInnen je nach Wünschen oder Buchungen. »
Lusthansa. Your pleasure is our profession!« Der Werbespruch stammt übrigens aus einer Abschlussarbeit einer Gruppe von Studierenden, die Werbekampagnen für den Beruf Prostitution entwickelte. Und das ist auch das Neue, um das noch einmal zu betonen: die Öffentlichmachung. Denn die genannten Fähigkeiten hatten Frauen ja schon immer, und eine Modeboutique, einen Schönheitssalon oder eine Confiserie fand sich clichémäßig schon immer in kompetent kauffrauischen Hurenhänden. Doch welche hätte sich dazu bekannt?
Die Wertschätzung
Mit der Hervorhebung der beruflichen Qualifikationen und der Zunahme an Informationen über Sex-Arbeit geht auch eine verstärkte Akzeptanz in der Bevölkerung einher. Sexarbeit ist demnach eine neben anderen Lohnarbeiten, durch die Geld rangeschafft wird. Schon Anfang der Neunziger antworteten 90 Prozent der Personen, die im Rahmen eines »Fragen-Striches« in Berlin von »Nutten & Nüttchen« befragt wurden, dass Prostitution Arbeit ist und als Beruf anerkannt werden sollte. Dabei wird meist von der Vollzeithure ausgegangen, die rund um die Uhr ihre Schichten schiebt und »ganz schön schwer ackern muss, um über die Runden zu kommen.« Auch wenn viele glauben, dass viele Huren mehr oder weniger gut verdienen, wird doch angenommen, dass das Geld hart verdient ist. Insofern ist es dann doch nicht ein Job wie jeder andere, sondern einer von der Sorte Arbeit, die viel Einsatz erfordert. Die Mehrheit der Personen wusste auch darüber Bescheid, dass Huren keine Rechte genießen, aber Steuern zahlen müssen und von Versicherungen nicht aufgenommen werden. Ihre Sorge galt daher oft dem Alter und der Absicherung im Krankheits- und Altersfall. Umso mehr traten sie für eine Anerkennung und damit eine Wertschätzung des Berufes ein, der ihnen wie allen anderen StaatsbürgerInnen gleiche Rechte zusichert. Diese positive Einstellung in der Bevölkerung zeigt sich auch nach der Einführung des Gesetzes zur Anerkennung des Berufes Prostitution. Wenn Huren selbst diese Euphorie mangels Auswirkungen in ihrem Arbeitsleben weniger teilen, geht es doch um die allgemeine Anerkennung von Sexarbeit, der die Gesetzgebung nachkam. Was der Volksmund schon lange wusste, jetzt steht es schwarz auf weiß: Sie ist eine »Profi«. Die Anerkennung erfolgte auch in der offiziellen Berichterstattung, die den
»Internationalen Hurentag« am 2. Juni jährlich dokumentiert und auf die Errungenschaften hinweist.
Dieser Feiertag geht auf die Geburtsstunde der Hurenbewegung zurück, in der sich im »Jahr der Frau« 1975 Huren in Frankreich gegen zunehmende Gewalt und Repressionen wehrten und eine Woche streikten, indem sie Kirchen besetzten. Seitdem existiert eine Huren-Bewegung, die auf lokaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene agiert.
P.S.
Gekürzter und von der Autorin freundlich genehmigter Vorabdruck aus: Handbuch der Prostitution, Teil 2, »Frauen«, das im Herbst 2004 erscheinen wird. Weitere Informationen zu Autorin, Kaufladen, freitäglichem Salon und Thema unter
www.sexclusivitäten.de
Notizen
[1] Im Folgenden ist die maskuline Schwundform naturgemäß in der weiblichen Form enthalten. Zudem ist der Beruf der Prostitution generell weiblich besetzt..
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