22.9.2014
Männer im Escort-Service
Liebhaber auf Stundenbasis
Mitarbeiter von Escort-Agenturen begleiten ihre Kundinnen ins Restaurant, ins Theater und meistens auch ins Schlafzimmer. Vor allem in der Großstadt steigt seit einigen Jahren die Nachfrage.
Thorsten Mendel ahnte nichts Böses, als er in den Feierabend ging. Er hatte gerade mit einer Frau ein paar schöne Stunden im Hotelzimmer verbracht und wollte sich auf den Heimweg machen. Da stellte ihn vor dem Gebäude ein Mann zur Rede, aufgelöst und mit den Nerven am Ende. Es war der Ehemann, der Mendel für den Liebhaber seiner Frau hielt. Der Mann tobte, bis Mendel ihm sagte: "Ihr Privatleben interessiert mich nicht, klären Sie das mit Ihrer Frau."
Mendel arbeitet für eine Begleitagentur. Frauen buchen ihn, damit er mit ihnen essen geht, ins Theater oder zur Betriebsweihnachtsfeier. Meistens, aber nicht immer, endet der Abend in einem Hotelzimmer. Er ist ein großer, sportlicher Mann Anfang 40, der auf sein Äußeres achtet. In den dunklen Haaren trägt er etwas Gel, er hat Parfüm aufgetragen. Zu lässigem Hemd und Jeans trägt er schwarze Lederschuhe.
Begehren glaubhaft zeigen
Er bezeichnet sich selbst nicht als Callboy, weil er findet, dass der Begriff zu negativ und zu verrucht klingt. Auch das Wort "Prostitution" verwendet er nicht, wenn er über seine Arbeit redet. Er spricht lieber vom "ältesten Gewerbe der Welt" und sagt, dass es für die weiblichen Kolleginnen schon schwer genug sei. "Für Frauen ist es natürlich hart, wenn sie es mit einem Ekeltypen machen müssen." Aber letztlich müsse die Frau das nur irgendwie überstehen. Als männlicher Escort reiche das hingegen nicht aus, der ganze Rahmen müsse stimmen. Eine Kundin wolle gemocht, geschätzt, begehrt werden. Er wird dafür bezahlt, dieses Begehren glaubhaft zu vermitteln.
Das erfordert hohe Konzentration. Einmal saß er mit einer Frau in einem Hotelrestaurant beim Essen, als sein Mobiltelefon klingelte. Ein Freund versuchte hartnäckig, ihn zu erreichen. Schließlich entschuldigte sich Mendel und ging ans Telefon. Danach war die Frau beleidigt und die Stimmung ruiniert. Man könne so viele Fehler machen, sagt er. Einen falschen Satz sagen, kurz abgelenkt sein. "Meine Aufgabe ist anspruchsvoll."
Zwei Stunden für 400 Euro
Von seinem Nebenjob als Escort wissen seine Eltern und Kollegen nichts, deshalb will er seinen wahren Namen nicht in der Zeitung lesen. Tagsüber hat er einen „richtigen Job“, wie er sagt, er ist promovierter Molekularbiologe. Auf der Profilseite seiner Agentur beschreibt er sich als gebildet und stilsicher, verspricht niveauvolle Gespräche. Mit seinen Kundinnen habe er sich bisher immer gut unterhalten, sagt er. Er hat eine tiefe Stimme, spricht ruhig und überlegt. Selbst das Treffen, aus dem ihn damals der Freund rausklingelte, hat er noch retten können. "Ich habe der Frau hinterher erklärt, dass der Anruf wichtig war."
Ihre sensible Reaktion kann er nachvollziehen, denn ihn zu buchen ist teuer. Zwei Stunden mit ihm kosten 400 Euro, für ein ganzes Wochenende müssen Frauen 3000 Euro zahlen. Bei weiten Anfahrten kommen Reisekosten hinzu. Dementsprechend sind seine Kundinnen selten jünger als Mitte Dreißig. Sein Einsatzort ist Frankfurt, ein Sammelbecken gutverdienender Karrierefrauen, die seine Dienste gerne in Anspruch nehmen. Er findet es logisch, dass Frauen sich zunehmend das leisten, was früher Männern vorbehalten war.
"Die meisten wollen Sex"
Escort-Agenturen merken, dass die Nachfrage nach männlichen Begleitern seit einigen Jahren steigt. Michael Bachor betreibt seit 2007 die Agentur "Escortservice for Ladies" und vermittelt Begleiter in Frankfurt und anderen Großstädten. Seine Kundinnen würden immer zahlreicher, mehrheitlich seien sie "Damen, die etwas besser verdienen". Die meisten seien zwischen 35 und 50 Jahre alt. Anders als für Männer sei die Erotik für sie zwar nicht das Wichtigste, ausschließlich Begleitung fragten jedoch auch sie selten nach. "Die meisten wollen sexuelle Dienstleistungen", sagt er.
Die Motivation, einen Mann zu bestellen, ist nach Mendels Erfahrung oft ganz ähnlich. Nur wenige seiner Kundinnen seien alleinstehend, viele verheiratet. Oft sei die Beziehung längst eingeschlafen, sagt er. "Diese Frauen wollen aus dem Alltag ausbrechen. Manche möchten aber auch einfach nur mal wieder in den Arm genommen werden."
Für Frauen ist es offenbar noch nicht selbstverständlich, einen Begleiter zu buchen. Mendel hat ein relativ hohes Schamgefühl bei seinen Kundinnen festgestellt, eine ungepflegte oder sehr alte Frau habe ihn zumindest noch nicht gebucht. Viele machten sich Gedanken darüber, was sie einem Escort zumuten könnten. So wie die Frau, die eines Tages seine Agentur anrief und sich selbst als korpulent beschrieb. Ob das für den Begleiter okay sei, wollte sie wissen. Mendel antwortete: "Klar, warum nicht?" Gebucht hat die Frau trotzdem nie, er vermutet, dass sie sich einfach nicht getraut hat.
Frauen oft einem Escort treu
Mit dieser Zurückhaltung könnte es bald vorbei sein. Frauen würden selbstbewusster, sagt Simone Lemke, Inhaberin der Agentur "Softdeal Escort Service". Früher seien Frauen nicht bereit gewesen, für sexuelle Dienstleistungen zu zahlen. Mittlerweile jedoch beobachtet auch sie eine steigende Nachfrage der weiblichen Kunden. "Die Emanzipation hält auch im Escort-Service Einzug. Frauen wissen heute genau, was sie wollen." Ihre Kundinnen kämen zunehmend aus der Mittelschicht, seien beruflich stark eingebunden und suchten "Auszeiten und besondere Kicks". Viele wollten nicht stundenlang im Internet einen Partner suchen, ihm Rechenschaft ablegen und hinterher Telefonate führen müssen.
Auch Mendel möchte Verbindlichkeiten nach dem Treffen verhindern, deshalb bewegt er sich auf einem schmalen Grat zwischen zu viel und zu wenig Nähe. Meistens isst er zunächst mit seinen Kundinnen, sie lernen einander kennen. Oft erzählen die Frauen viel über sich, obwohl Mendel sie kaum durch Nachfragen dazu ermuntert. "Sonst denken die Mädels vielleicht, dass ich ernsthaft an ihnen interessiert bin." Ihm sei wichtig, dass klarwerde, dass er die Frau schätze und respektiere. "Aber privat würde ich mich mit keiner Kundin treffen, das wäre unprofessionell."
Dass die Treffen bisher immer gut verlaufen sind, liegt seiner Meinung nach daran, dass Frauen sehr viel Zeit auf die Auswahl eines passenden Escorts verwendeten. Auch Lemke sagt, dass sich weibliche Kunden darin von männlichen unterschieden. "Bevor eine Frau einen Mann bucht, muss sie sich fast in die Bilder verlieben", sagt sie. Während Männer bei späteren Buchungen gern andere Damen ausprobierten, blieben Frauen in der Regel dem Begleiter treu, für den sie sich einmal entschieden hätten.
Weder Geld noch Sex reizen ihn
Bachor hat nach eigenen Worten keine Schwierigkeiten, neue Mitarbeiter zu finden, um die steigende Nachfrage zu befriedigen. Bis zu 5000 Bewerbungen erhalte er im Jahr. 15 bis 25 Männer stelle er als neue "Gentlemen" ein, wie sie in seiner Agentur heißen. Bewerbungen von Männern, die sich aus finanzieller Not an ihn wenden, sortiere er sofort aus. Voraussetzung sei, dass der Mann eloquent, charmant und sexuell offen sein, denn nur etwa 40 Prozent der Anfragen stellten Frauen allein. "60 Prozent kommen von Paaren, die einen netten Abend haben wollen und dafür einen Dreier buchen."
Das ist Mendel in den drei Jahren, die er als Escort arbeitet, noch nicht passiert. Mal hat er zwei Aufträge in der Woche, mal zwei im Monat, mal auch einen Monat lang gar keinen. Geht er mit einer Frau aufs Zimmer, fällt er nicht mit der Tür ins Haus. Er nähert sich langsam an, etwa, indem er der Frau über die Wange streichele. Einen Ablaufplan habe er nicht, sagt er. "Ich glaube, ich kann gut erkennen, was die Frau will." Wie lange der Sex dauere, hänge von den Wünschen der Frau ab. Eines aber sei immer gleich: "Wenn ich erst mal nackt bin, bleibe ich nackt."
Mendel sagt dass ihn weder die Aussicht auf Geld noch auf Sex an seinem Job gereizt habe. Als Wissenschaftler verdiene er genug, und wenn er Lust auf Sex habe, könne er einfach abends ausgehen. "Mich reizt das Kribbeln, die Herausforderung." Schließlich wisse er vorher nie, was passiere, und lerne Frauen kennen, denen er sonst wohl nie begegnet wäre.
Küssen gehört dazu
Vor dem Treffen erfährt er wenig über die Kundin, der Agenturchef will so "Rosinenpickerei" der Escorts verhindern. Schließlich komme es regelmäßig vor, dass ihn eine Frau buche, die er sich sonst nicht ausgesucht hätte, sagt er. Die Kundinnen seien selten Traumfrauen. Abgebrochen hat er ein Treffen aber noch nie. Er findet an jeder Frau etwas, das ihm gefällt, und konzentriert sich darauf. Seine erste Kundin habe beim Treffen vor Aufregung den Kaffee umgeworfen. "Das fand ich klasse", sagt er und lacht. "Die war total fahrig, einfach goldig."
Sich auf das zu konzentrieren, was ihm gefällt, ist vor allem dann wichtig, wenn er mit den Frauen aufs Zimmer geht. Viele Kundinnen sagen zu ihm: "Ich will, dass es dir auch gefällt und du es nicht nur fürs Geld machst." Anders als für viele Kolleginnen gehört für ihn Küssen zur Dienstleistung. Die meisten Frauen wollten das, wenn sie einen Mann sympathisch fänden. "Und einen, den sie nicht sympathisch finden, nehmen sie gar nicht erst mit aufs Zimmer."
Obwohl er seinen Nebenjob spannend findet, will er ihn nicht für immer machen. Die Arbeit lässt sich kaum mit einer Beziehung vereinbaren, zurzeit ist er Single. Anfangs hat er einer Frau immer von seiner Arbeit als Escort erzählt, wenn es ernst wurde. Irgendwann aber hat er es mit der Wahrheit nicht mehr so genau genommen. Der Job habe keinen großen Anklang gefunden, sagt er. "Ich habe jedenfalls noch keine getroffen, die gesagt hat: Thorsten, cool, dass du das machst."
http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/m ... 61551.html
I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.