Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Ein nahezu unerschöpfliches Thema: Psychologische Betrachtungsweise der Sexarbeit
Juliette O
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Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Die Medien lieben mich - so kommt es mir vor, wenn ich manch reißerische Geschichte über angebliche Studentinnen im Bordell lese. Meist sind es Edelhuren, die auf spannende Hotelsafari gehen und sich fürstlich für ihre Zeit entlohnen lassen. In diesen Studentinnen-Sex-Reportagen ist alles edel und hochpreisig. Ist das eigentlich auch meine Welt? Tauge ich tatsächlich zur fleischgewordenen Freierfantasie?
Meine Welt ist spannend, aber oft auch anstrengend.
Meine Welt verwirrt mich manchmal und ich fühle mich von Zeit zu Zeit in alle Winde zerstreut.
Meine Welt ist nicht exklusiv, aber manchmal sehr einsam.
Und über meine Welt würde ich gerne schreiben.
Warum ich dieses Forum "ausgewählt" habe? Weil hier Menschen schreiben, die mich verstehen werden. Die jede einzelne Minute, die ich erlebe, auf ihre Weise nachvollziehen können. Die mich nicht verurteilen oder mich als Fantasie missbrauchen.
Und ich hoffe, auch von euch zu lesen. Kommentiert mich bitte gnadenlos, ich freue mich auf euch.

Zugfahrt.

Lange dauert meine Fahrt nicht. Innerhalb von einer Stunde verlasse ich meine kleine bürgerliche Welt, den Campus, die WG, meine Kommilitonen, die Millionen unbeendeten Hausarbeiten, die Sprechstunden meiner Dozenten und betrete die grenzenlose Welt von Juliette.
Wer ist diese Juliette eigentlich? Sie begleitet mich nun seit fünf Jahren. Auch als ich eine zweijährige Pause machte und "nur" Studentin war, war sie ein Teil von mir. Ich mag sie sehr gerne. Sie ist ein süßes, toughes, intelligentes und warmherziges Mädchen. Manchmal ist sie erst 20 Jahre und etwas naiv. Aber sie hat das Herz auf dem rechten Fleck.
Juliette ist sehr viel hübscher als ich. Sie schminkt sich sorgfältiger (allerdings bleibt sie immer natürlich, grelle Farben stehen ihr nicht) und trägt gerne Dessous oder hübsche Kleidchen. Auf schwindelerregend hohen High Heels bewegt sie sich grazil und schwingt ihre Hüften ganz sanft beim Laufen.

Eine Stunde - dann bin ich Teil einer Welt, die die wenigsten verstehen.
Eigentlich bin ich extrem bieder. Meine Eltern sind stockkonservativ und Akademiker. Ihre Töchter machten natürlich beide Abitur, die eine erfolgreicher, als die andere. Die eine trat in die Fussstapfen des großen Patriarchen und studierte Medizin. Die andere fing mit 18 Jahren erstmal an Männer zu studieren, im Besonderen ihre untere Körperhälfte. Warum? Ich weiß es nicht. An Geldnot habe ich nie gelitten. Auch musste ich keinen Nachwuchs versorgen oder einem Zuhälter einen BMW finanzieren. Aber ich hatte diese eine beste Freundin. Diese eine, die immer schon etwas versauter, als der Rest der Welt war. Die mit 14 Jahren nicht nur wild im Gebüsch fummelte, sondern dort auch ihre Unschuld verlor. Die ich immer heimlich bewunderte, weil sie so mondän, so sexy und so anziehend für alle Menschen in ihrer Umgebung war. Ich vergötterte sie. Als sie mir beichtete, dass sie in einer "Begleitagentur" angefangen hätte, irritierte mich das nichtmal. Sie war damals 17 Jahre. Immer wieder fragte sie, ob ich nicht auch....Alles wäre so "easy", so "sexy", so "edel"...
Doch nein, ich hatte kaum Erfahrungen mit Jungs gesammelt, denn ich war ein absoluter Spätstarter. Mit 18 Jahren war ich flach wie ein Brett und eine dürre Bohnenstange. Womit sollte ich erwachsene Männer schon erregen können? Wer sollte Kohle für diesen Körper zahlen wollen?
Sie ließ nicht locker und überredete mich, mit ihr gemeinsam bei einer ganz neuen Agentur anzufangen. Ihre Erzählungen waren so spannend und schillernd, dass ich kaum eine Wahl hatte. Ich wollte nur einen kleinen Blick in diese Welt werfen, nur ein Date und dann wäre Schluss mit diesem Experiment. Schließlich bin ich keine Nutte!
Eigentlich hätte mich dieses eine, dieses erste Date davon abbringen müssen, je wieder einen Schritt ins Milieu zu wagen, denn es war kein schönes Erlebnis. Eigentlich....
Doch nur wenige Wochen darauf fand ich mich in einem Bordell wieder. Ich verdiente an meinem ersten Tag 80 € und fühlte mich wie das reichste Mädchen der Welt. Mein erster Gast dort war ein seltsamer Vogel. Er erzählte ständig, wie viele Frauen er beglückt habe und eigentlich musste ich nicht viel machen. Nur daliegen. Das änderte sich auch bei den nächsten Gästen nicht...
80 € fürs "Daliegen"....Mein Taschengeld betrug zu der Zeit 30 € monatlich und nun hatte ich mehr als das Doppelte in kurzer Zeit verdient. Zu dem Zeitpunkt war mir natürlich nicht bewusst, dass mich die Männer nicht fürs Daliegen bezahlen, sondern dafür, dass sie es mit einem Mädchen tun durften, das unerfahren war, unschuldig, unverbraucht....
So fing es also an..

Vieles hat sich mittlerweile verändert. Meine beste Freundin hat mich abgezockt und mir damit bewiesen, dass die Prostitution die Menschen verändern kann. Aber ich habe viele neue Freunde gewonnen. Auch ich habe mich verändert. Juliette hat mich stark gemacht. Und mittlerweile studiere ich recht erfolgreich...Nicht mehr ausschließlich nur Männer, sondern auch ganz solide.
Manchmal nehme ich Juliettes Welt auch mit in den Hörsaal. Und oft begleitet mich das Studium ins Schlafzimmer. Es ist verrückt, es ist verwirrend und vielleicht ist es die spannendste Zeit meines Lebens...

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Die ersten zwei Jahre arbeitete ich im "Niedriglohnsektor". Die Stunde kostete gerade einmal 80€ und da ich nur wenige Tage im Monat zur Juliette wurde, war mein Verdienst vergleichsweise gering. Aber um das Geld ging es ja auch nie.
Eine Alice Schwarzer hört das wahrscheinlich nicht gerne. Weshalb prostituiert sich ein junges Mädchen, das nicht gezwungen wird, nicht drogensüchtig ist und nicht unter Geldnot leidet? WARUM?
Ja, das frage ich mich bis heute. Mittlerweile findet man(n) mich in einem teureren Bordell, aber selbst heute arbeite ich nur sporadisch und wenn ich Lust habe.
Ich bin weder nymphoman, noch verzweifelt, es gibt keinen Mann, der die Hand aufhält und eigentlich bin ich nichtmal annähernd "naturgeil". Trotzdem liebe ich diesen Nebenjob. Vielleicht gerade weil es nur ein Nebenjob ist? Das kann natürlich sein...
Ich liebe die Aufmerksamkeit. Ich liebe die Wärme. Ich liebe die Komplimente. Ich liebe die dankbaren Gesichter....

Nach den ersten zwei Jahren legte ich eine langjährige Pause ein. Ich war verliebt und wollte ihn nicht betrügen. Und ihn einzuweihen, kam auch nicht in Frage. Also verabschiedete ich mich von meinen liebgewonnenen Gewohnheiten und wurde "grundsolide". Jobbte neben dem Studium als Kellnerin. Vermisste den Puff...
Die Beziehung scheiterte, zwei Tage später bewarb ich mich bei einem edlen Etablissement. Ich wollte es drauf ankommen lassen. Würde die Betreiberin mich haben wollen? Ja, sie wollte, ich konnte gleich anfangen.
Die Männer hier zahlten zwar mehr für die Stunde, suchten aber dasselbe, wie im "Niedriglohnsektor". Bald hatte ich wieder einen großen Stamm, wenige Tage im Monat reichten aus, um mein Studium ohne elterliche Hilfe zu finanzieren.
Perfekter Nebenjob? Für mich definitiv...
Da stehe ich nun...Juliette in the middle of nowhere...
Zuletzt geändert von Juliette O am 21.06.2010, 00:57, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Aoife »

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Juliette O hat geschrieben:Kommentiert mich bitte gnadenlos, ...
Ja, das werde ich jetzt tun, gnadenlos: Gefällt mir sehr gut, wie du schreibst, Juliette :001

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von Zwerg »

Ich möchte doch negativ anmerken - bei aller Freundlichkeit, die ich normalerweise mein Eigen nenne.... Du hast mit Deiner ersten Leseprobe viel zu lange gewartet! Auch von meiner Seite ein aufrichtiges Lob - speziell die Frage an Alice hat was :-)

Liebe Grüße (an die neu verifizierte UserIn)

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Re: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von certik »

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Juliette O hat geschrieben:Kommentiert mich bitte gnadenlos, ...
Wann kommt endlich die Fortsetzung? :002
Kann mich Eva und Zwerg nur anschliessen...

Liebe Grüße certik
* bleibt gesund und übersteht die Zeit der Einschränkungen *

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Lieber Christian, liebe Aoife (dein Name ist wunderschön),

danke für eure ersten Kommentare! Ich bin selbst gespannt, wohin mich mein "Geschreibsel" noch führen wird und hoffe, manchen Neugierigen einen Einblick gewähren zu können, der sich unterscheidet vom dümmlichen Geschreibe notgeiler (verzeiht den Ausdruck) Redakteure oder den Opferfantasien trauriger "Feministinnen".
Ich bin nämlich durch und durch emanzipiert! Und trotzdem bezahlen Männer für die gemeinsame Zeit mit mir. Ich sehe da absolut keinen Widerspruch, denn viele meiner Gäste begleiten mich mittlerweile seit Jahren. Und vor allem befinde ich mich nicht in Abhängigkeit...
Die Prostitution hat sich gewandelt. Neben der Zwangsprostitution, die sicherlich immer noch in großem Maße existiert, gibt es diese klugen, warmherzigen, stolzen und souveränen Frauen, die ihre Zeit verkaufen, nicht ihren Körper. Dazu zähle ich viele meiner Kolleginnen - und auch mich.
Ich sehe uns nicht als Sklaven der männlichen Lust, sondern eher als Gefährtinnen an - für eine gewisse Zeit. Vielleicht vergleichbar mit den Hetären der Antike, nur fehlt leider noch die Akzeptanz in der Gesellschaft.
Darüber will ich berichten...
Dass dieser Nebenjob auch seine Schattenseiten hat und ich es natürlich gut getroffen habe, will ich gar nicht leugnen oder ignorieren. Auch ich hatte weniger schöne Erlebnisse, über die ich schreiben will.
Aber meiner Meinung nach gehört das zum zwischenmenschlichen Kontakt dazu. Wenn man sich auf Menschen einlässt, wird man auch manchmal enttäuscht. Die Frage ist, wie man damit umgeht.
Alice Schwarzer hat in meiner Generation eigentlich keine große Rolle mehr gespielt. Trotzdem habe ich viel von ihr gelesen und meine Nächte mit Simone de Beauvoir verbracht. Ich wollte einfach VERSTEHEN, warum ich der Prostitution nachgehe. Antworten auf diese Frage lieferten mir leider beide Damen nicht. Und die Schwarzer verärgerte mich zutiefst.
Heute spreche ich ihr den letzten Funken Respekt deshalb ab, weil sie sich auf die erbärmlichste Art und Weise prostituiert hat: Sie machte Werbung für das sexistischste Gossenblatt unserer Tage. Während ich bis heute meine eigenen Gründe für den Einstieg in die Prostitution nicht vollkommen erschlossen habe, sind mir die ihren allerdings glasklar: Geld erleichtert die Vermählung mit Axel Springer doch ungemein...Alice Schwarzer, die in Prostituierten nur Opfer der männlichen Lust sieht, hat sich und ihre Integrität, ihre Würde und ihre Glaubhaftigkeit an Millionen (männliche) Leser verkauft - ich hoffe der Preis war gut....
Und nun bin ich hier....
Ich freue mich wirklich auf diese Reise!

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Und auch dir, certik, danke ich! Eine Fortsetzung bleibe ich euch bestimmt nicht lange schuldig :)

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Augenblicke

Jede Zeitdienstleisterin kennt das. Sie stellt sich vor und weiß: "Er wird mich wählen!" Diese Blicke, dieses Lächeln, in genau diesem Moment - für die gebuchte Zeit ist man tatsächlich "verliebt".
Anfangs war ich noch zu unerfahren und sicherlich auch zu zurückhaltend, um diese Augenblicke zu erkennen. Aber damals buchten die Männer mich noch aus ganz anderen Gründen. Nach meiner Pause hatte ich mich verändert. Während mein Einstieg in die Prostitution noch eher zufälliger Natur war und ich diese kindliche, pubertäre Art ausstrahlte, die gewisse Männer süchtig machte, entschied ich mich nach meiner Pause ganz bewusst für diesen Beruf. Ich reflektierte mein Verhalten und das der Gäste viel stärker und wurde tatsächlich intim mit ihnen - ohne dabei einen besonderen Service anzubieten.
Und plötzlich häuften sich diese "Augenblicke".
Er nannte sich Chris. Wir verbrachten eine gemeinsame Stunde miteinander und vergaßen die Zeit. Es war irrsinnig - in vielerlei Hinsicht, denn irgendwas fühlte sich anders an. Chris war nicht besonders hübsch oder sexuell talentiert, aber er berührte mich auf eine Weise, die mir nahe ging.
Trotzdem stellte er die obligatorische Frage nach dem gemeinsamen Kaffee nicht. Aber er besuchte mich wieder. Und wieder. Und wieder. Jedesmal derselbe Augenblick.
Bis wir uns irgendwann zufällig auf der Straße trafen. Mit hochrotem Kopf warf er mir ein kleines Lächeln zu. Er hielt seine bildhübsche Freundin an der Hand und ich grüßte ihn natürlich nicht.
Das Ungerechte an diesen Augenblicken ist, dass sie nicht alltagstauglich sind. Chris besuchte mich nie wieder. Und ich verstand warum, auch wenn ich es schade fand...

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Ps: Auch wenn Namen Schall und Rauch sind - hier werden sie natürlich geändert!

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Freundinnen

Oftmals werden Konkurrentinnen zu Freundinnen und Freundinnen zu Konkurrentinnen...
Das erste Jahr bei der resoluten, aber verlässlichen Mischa, waren Meike und ich unzertrennlich. Sie war es ja auch, die mich in diese Welt geführt hatte. Und sie war mein Rettungsanker: Ich glaubte, wenn mir alles zu viel werden würde, wäre sie da, würde sie mich auffangen und mich "zurückbringen".
Schon bevor ich überhaupt wusste, dass sie bei einer Begleitagentur arbeitete, zeigte sich ihr Geschäftssinn. Ihr gelang es immer, sich an den Türstehern der edelsten Clubs der Stadt vorbeizulächeln, mich im Schlepptau. Wir waren zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht volljährig, aber zumindest Meike war gerne gesehen. Mich akzeptierte man als Anhängsel. Es fing an mit Cocktails. Ein Lächeln - ein Sex on the Beach...
Meike konnte schon damals gut verhandeln. Sie kannte ihren Wert, ich ließ mich schonmal mit einer Cola zufrieden stellen.
Fängt es so an?
Sie wusste, was sie wollte und was sie anzubieten hatte. Da war es nur konsequent für den Sex Geld zu nehmen.
Manch einer wendet sich vielleicht angewidert ab, wenn ich in diesem Punkt ehrlich bin: Ja, ich war auch noch nicht 18, als ich das erste Mal bezahlt wurde. Ich war nichtmal sehr erfahren. Und ja, der Mann wusste es. Ich will dieses Ereignis nicht beschönigen, aber trotzdem möchte ich betonen, dass es meine Entscheidung war. Auch sah ich mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Prostituierte, auch wenn ich de facto sicherlich schon damals eine war. Es fühlte sich jedoch anders an...
Aber zurück zu dem ersten Jahr bei Mischa. Meike veränderte sich. Sie verdiente schlecht, weil sie den Gästen zu professionell war. Sie spürten ihren Geschäftssinn... Ich hingegen baute mir recht schnell einen zuverlässigen Stamm auf. Irgendwann erreichte mich das erste Gerücht: "Juliette bläst ohne Gummi und das umsonst!" Dann das zweite :"Ein Gast hat erzählt, er durfte blanko ran."
Die meisten Mädels standen auf meiner Seite, sie hatten mich als absolut safe kennengelernt - wenn der Vater Arzt ist, leidet man halt auch an einer gesunden Portion Hypochondrie - und gaben nicht viel auf die Gerüchte.
Irgendwann traf es mich wie ein Schlag. Meike solle angeblich gegen mich hetzen. Meine Meike.. Ich glaubte es nicht....verdrängte alles....
Zwei Wochen später dann das Häufchen Elend vor meiner Tür. Sie habe Schulden gemacht.... Ich gab ihr mein Erspartes...Schließlich kannte ich sie schon gefühlte hundert Jahre.
Meike fuhr auf Termin - und meldete sich wochenlang nicht bei mir. Als sie wieder zurückkam, hatte sie die Taschen voller Geld und litt an Amnesie. Ich hätte ihr nie etwas geliehen....Wie ich auf diese Idee käme....
Ich kannte sie gefühlte tausend! Jahre und vor mir stand eine Fremde....
Wie heißt es so schön Hurengeld ist verlorenes Geld?

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Lucy
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Beitrag von Lucy »

liebe juliette, ich finde deine geschichte toll. wie du schreibst und worüber du schreibst, ich bin ganz begeistert!

lieber gruss
lucy

rene-hb
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Beitrag von rene-hb »

Bei Deinem Posting meine ich ein Tallent zum Schreiben zu bemerken.
Sehr interessant zu lesen!
Gerade weil ein ähnlicher familiärer Backround wie bei mir besteht und aus keiner Notlage der Einstieg erfolgte.
Die Frage, warum man dann trotzdem im Sexbiz tätig ist, habe ich mir auch X-Mal gestellt und keine richtige Antwort gefunden.
Erst seit ich aufgegeben habe danach zu fragen, geht es mir besser damit.

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Sinamore
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Beitrag von Sinamore »

Hey, finde es auch toll von dir zu lesen, insbesondere weil wir in einer ziemlich ähnlichen Situation sind. Den Ärger über Alice Schwarzer und co. teilen wir auch:-)

lena1
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Beitrag von lena1 »

Hi !

Mich sprichts du auch total an! Geldnot war es bei mir auch nicht. 2 Jahres-Beziehung .....

Ich lese gerne weiter und du schreibst super!

Danke für deine Erzählung! Ganz liebe grüße *

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Marc of Frankfurt
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Willkommen

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Die Medien lieben StudentInnen-Sexworker. Das zeigen auch die vielen Buchveröffentlichungen der letzten Jahre. Eines der wohl immer wirtschaftlich erfolgversprechenden Bereiche ("sex sells" und "sex work sells even more") und das leider im Gegensatz zu Beratungsliteratur wie Hurenratgeber oder Einstiegsratgeber.


M. solle angeblich gegen mich hetzen: "J. bläst ohne Gummi und das umsonst!" ... "Ein Gast hat erzählt, er durfte blanko ran."
Da hast du ja hautnah einen der fiesesten Konkurrenz-Mechanismen kennengelernt. Und ich vermute stark, dass er nicht nur weit verbreitet individuell zwischen einzelnen Sexworkern benutzt wird, sondern auch kollektiv zwischen großen Sexworker-Teilgruppen wie z.B. Einheimische und Sexworker MigrantInnen. Letztlich eine Folge, weil unser Dienstleistungsmarkt nicht geschützt ist :-((




Zu den Gründen warum man Sexarbeit wählt fallen mir auch ein:
- Kompetenz: weil man auf dem Tätigkeitsfeld aktiv ausgeübter promiskuitiver Sexualität begabt ist
- Neugier/Forscherdrang: wissen wollen, wie die Menschen intim drauf sind und was sie antreibt (hinter die Tabu-Fassade schaun wollen)
- Machtgefühl: weil man seine Macht auf andere spürt und spüren will (Suche nach Anerkennung)
- Bindungsangst: weil man ein Nähe-Distanz-Thema hat und sein eigenes Ding jenseits der Konventionen (Ehe) machen will
- Tabubruch: zu enge Normen überwinden
- Grenzen ausprobieren und erweitern ("Transzendenzerleben")
- Befreiung: sexuelle Selbstverwirklichung, vgl. Gay Liberation, Swinger, Polyamory Bewegung
- Trotz, Rache: dem beklemmenden guten Ruf des Elternhauses, Heimatortes oder der Jungfrauenschaft vor der Heirat eigenes -wenn auch stigmatisiertes- Tun entgegenzusetzen (Loslösungsprozess)
- Lust, Sucht: Die Suche nach sich, Selbstverwirklichung, -findung
- Abenteuer, Spaß: das Verruchte ausleben (Rotlicht), Männer-Vielfalt, Orgasmen, Geld
- Inszenierungskunst, -lust: Rollenspiel, Vergnügungsevent, Show...
- ...



Schön dass du unser Forum als Plattform für Dich gefunden hast. Freue mich auf weitere Texte und einen Austausch.


LG,
Marc

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Ich freue mich über die sehr interessanten Reaktionen und danke natürlich ganz artig. Hoffentlich lesen auch weiterhin einige mit und kommentieren meine Gedanken!

Käufliche Dialoge

Die Mehrheit meiner Stammis besucht mich, weil ich ihnen intellektuell etwas "bieten" kann. Sonst ist mein Service auch eher langweilig, da ich, wie schon erwähnt, ein kleiner Hypochonder bin. Sex, auch oral, gibt es nur mit Gummi. Trotzdem verdiene ich an den Tagen, an denen ich arbeite, verdammt gut. Dies liegt sicher zu einem gewissen Teil an meiner Jugend und dem "niedlichen" Aussehen (eine Sexbombe bin ich keineswegs), zu einem großen Teil aber auch an meiner eigenen Sucht nach Nähe. Ich bin meinen Gästen einfach wirklich gerne nahe und habe keine Berührungsangste. Intimität offenbart sich auch in der Qualität der Gespräche und so kann es schonmal passieren, dass ein Gast mich in der Stunde zehn Minuten beglückt und wir daraufhin den Rest der Zeit kuschelnderweise verplaudern.
Käufliche Dialoge irgendwie...
Ein Extremfall war Roland. Anfangs buchte er mich nur eine Stunde. Unsere erste Begegnung war ziemlich befremdlich, weil wir sexuell gar nicht harmonierten, aber unser Gespräch extrem intensiv war. Später besuchte er mich regelmäßig und buchte gleich mehrere Stunden, in denen er mich nicht mehr berührte. Irgendwann kam er gleich zu Beginn meiner Schicht und zahlte für 4-6 Stunden.
Ich mochte und respektierte ihn sehr. Für mich zählt Roland zu den beeindruckendsten und klügsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte. Trotzdem war diese Situation irgendwann ziemlich strange, so dass ich den Kontakt im Bordell nicht mehr wollte. Ein wirklicher Mindfuck war es zwar nicht, da sich Roland nie mit aller Macht in mein privates Leben drängte, aber mir erschien es falsch, ausschließlich für Dialoge bezahlt zu werden. Und zwar jedesmal mit einem kleinen Vermögen.
Heute vermisse ich meinen Mentor oft. Er gehört definitiv zu den faszinierendsten und schillerndsten Menschen in meinem Leben. Wir haben zwar versucht, privat den Kontakt durch Briefe aufrecht zu erhalten, aber irgendwie gelang es mir nicht, regelmäßig zu antworten, da privat nunmal etwas anderes ist, als Puff. Ich glaube, das hat ihn wirklich verletzt...

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Ein Bordell ist heutzutage i.A. mehr auf Stundenservice konditioniert in der allgemeinen Kundenwahrnehung.

Sexorgien und viel Champagner tam tam waren früher häufiger.

Evt. bist du zur High-Class-Escort und Kurtisane berufen und wirst es später ausprobieren, wenn du im Bordell alles gelernt hast was du wolltest...

(Als hochpreisige Kurtisane reicht auch der Verdienst, um die Arrangements über eine Sekretärin erledigen zu lassen.)


Tipps hochpreisig zu arbeiten:
viewtopic.php?p=109134#109134 :icon_eyes





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 17.03.2012, 09:26, insgesamt 1-mal geändert.

Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Lieber Marc,

da hast du vielleicht Recht. Ich weiß nicht, wohin mich dieser Weg noch führen wird, aber mir schwirren soviele Pläne im Kopf herum, die sich wunderbar auch mit sporadischer Prostitution kombinieren ließen.
Sicher hat es etwas "Trauriges" als 50-Jährige im Laufhaus um sein täglich Brot zu kämpfen. Doch ich sehe bestimmte Altersgrenzen nicht ganz so dogmatisch im Escort-Bereich.
Ich bin eh der Meinung, dass ein Ausstieg nur dann nötig ist, wenn eine SW zur Prostitution gezwungen wird (sei es durch Menschenhandel, Drogen oder Armut). In meinem Fall trifft das offensichtlich ja nicht zu. Ich sehe meine Tätigkeit deshalb auch eher als Berufung, denn als Beruf.
Ab 30 Jahren bietet sich Escort sicher als Alternative zum herkömmlichen Bordell an

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Re: RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Aoife »

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Juliette O hat geschrieben:..., aber mir erschien es falsch, ausschließlich für Dialoge bezahlt zu werden.
... eine schwierige Frage, die ich auch für mich selbst nicht ausreichend geklärt empfinde :017

Einerseits finde ich schon, dass ich für Dialoge das volle Honorar nehmen kann/soll, vor allem wenn ich bedenke, dass ein
Psychoanalytiker (privat) das gleiche nimmt und dafür nicht einmal einen Dialog bietet. Andererseits habe ich schon das Gefühl die
sexuelle Dienstleistung in gewisser Weise zu entwerten, wenn sie nicht mehr kostet als "nur" Gesprächszeit. Für mich habe ich das
so gelöst, dass ich keine Sonderpreise "ohne Sex" anbiete, weil ich prinzipiell ja zum Sex bereit wäre, der Gast entscheidet, was er in
der jeweiligen Situation bevorzugt.

Aber irgendwo spüre ich dabei schon den logischen Widerspruch zwischen "kein Preisnachlass für ohne Sex" und "mit Sex wird's
natürlich teurer" :002 - ich bin gespannt, welche Meinungen da noch kommen.

Liebe Grüße, Aoife
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Juliette O
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RE: Das erste Semester im Fach "Prostitution"

Beitrag von Juliette O »

Liebe Aoife,

was mir vor allem Unbehagen verschaffte, war die Tatsache, dass ich Roland schon irgendwie als Freund angesehen hatte. Das Geld entwertete aber jede Annäherung diesbezüglich, weil echte Freundschaft nicht bezahlt werden kann.
Das machte es so schwierig für mich, da er jeden sexuellen Kontakt meidete mit den Worten, er sei zu alt für mich. Was ich natürlich nicht so sah, im Gegenteil, sein Alter reizte mich eher, da er mehr zu erzählen hatte, als die meisten anderen Gäste.
Tja, mit meiner heutigen Erfahrung sehe ich das durchaus auch ein wenig professioneller, da ich mich schließlich für meine Zeit bezahlen lasse und nicht für meinen Körper. Wie der Gast die Zeit nutzen möchte, macht finanziell keinen Unterschied. Aber damals sah ich das noch nicht so.

Ganz liebe Grüße und gute Nacht!