Abschiedsbrief einer medienbekannten Sexarbeiterin:
Vanessa Eden hat das Sexworker-Outplacement, die Neuorientierung geschafft
Abschiedsbrief
Eingetragen von Vanessa Eden auf 16. Februar 2010
good bye!
Abschied nehmen – sich von einem Menschen oder einer Situation bewußt zu verabschieden, kann Erleichterung bringen und den Blick für neue Wege öffnen. Abschied zu nehmen heißt für mich ausserdem, respektvoll einer Zeit den Rücken zu kehren, die zu ihrer Zeit richtig war, sich weiterentwickelt hat, gewachsen ist, bis der Schuh zu eng wurde.
Ende 2003 bin ich in die Erotikbranche eingestiegen. Ich glaube, ich habe alles oder fast alles erlebt, was man erleben kann.
Das kurz im Schnelldurchlauf:
Ich startete über eine
Escortagentur, die keine war. Dahinter verbarg sich ein Mann, der geschickt versuchte die Damen über den Escortservice zu locken, um sie in eines seiner Bordelle zu verfrachten – zu deutsch: ein Zuhälter. Wie er das tat? Ganz geschickt! Man hatte eben in den ersten 4 Wochen sehr gute und viele Aufträge und von heute auf morgen gar keine mehr. Die Ersparnisse sind bald aufgebraucht, man wird hingehalten, bis nichts mehr geht und dann der großzügige Vorschlag kommt, man könnte doch auch mal in diversen Etablissements arbeiten – mein Gott, wo ist schon der Unterschied – die Tätigkeit wäre schließlich die Gleiche. Dazu muss ich sagen, bin ich damals völlig freiwillig und ohne finanzielle Not in den Escortservice eingestiegen – die finanzielle Not kam dann erst. Durch nette, äußerst nette Kunden, die selbst merkten, dass mit der “Agentur” etwas nicht stimmte, ließen mich von ihrem Eindruck wissen und
halfen mir am Ende beim Ausstieg und gleichzeitig Einstieg in die Selbständigkeit als Independent Escortdame. Escort ist schon fast übertrieben – es waren Haus- und Hotelbesuche. Ich kannte es von der Agentur nicht anders und führte einfach das, ohne es in Frage zu stellen, eine zeitlang weiter fort. Nach ca neun Monaten wollte ich mir mit meinem Traumauto einen Wunsch erfüllen – seltsamerweise verliebte ich mich noch am selben Tag. Zuuuu dumm aber auch!
Der
Finanzierungsvertrag war unterschrieben, denn ich wollte diesen Job noch ein wenig machen. Verliebt war mir das leider nicht mehr möglich und so wählte ich die finanzielle Misere, die nicht ausbleiben sollte. Nach wieder neun Monaten
war die Beziehung dann auch dahin – der Druck war enorm, das Auto dann weg und der Schuldenberg groß.
Ich zog nach Deutschland zurück (aus der Schweiz) und fing an meine Schulden abzuarbeiten. Ohne Schuldnerberater oder sonstige Hilfe
machte mir die Audibank das Leben zur Hölle. Eine Rate, die mit einem ”normalen” Verdienst nicht zu bewältigen gewesen wäre. Ich versuchte den Ausstieg über Promotionjobs, etc. Doch da Promotionagenturen ein Zahlungsziel oft nicht so genau nehmen, hing ich das bald an den Nagel und arbeitete tapfer als Prostituierte weiter.
Es war für mich ok. Ich hatte mich arrangiert mit diesem Job in dieser Zeit. Er ermöglichte mir immerhin ein “normales” Leben, so dass ich meine Raten bezahlen konnte, Nachts ohne Sorgen einschlief und zudem sprang ab und zu auch noch ein Orgasmus dabei heraus:-).
Ich verliebte mich erneut im Sommer 2006 – unsterblich! Doch diesesmal sollte ich
nicht mehr so dumm sein und alles aufgeben, der Liebe wegen. Obwohl er mir die tollsten Versprechungen machte… ehe er nicht für meinen Unterhalt sorgen wollte, war ich nicht bereit den Job aufzugeben – nach vier Wochen fand ich heraus, dass er verheiratet war. Trotzdem dauerte die Affäre gut 2 Jahre weiter an. – Der Kerl hat am Ende ein echtes Schnäppchen gemacht! (Ich widmete ihm hier einen eigenen Artikel unter: Die Geliebte sein)
Anfang 2007 die nächste Beziehung – oder zumindest der Versuch.
Ich glaubte ja noch an Pretty Woman und ging den Versuch ein. Die Beziehung war fruchtbar. Er lernte endlich, was es heißt zu leben und
ich gönnte mir meine berufliche Weiterentwicklung in Form der Ausbildung zur Stylistin und zum Personal Trainer.
Nichts desto trotz war ich finanziell abhängig von ihm –
er kontrollierte meine finanziellen Verhältnisse wie das Taschengeld der Kinder und so drehte ich im April 2007 meine erste Szene in einem Porno. Es war die einzige Möglichkeit, um an Geld zu kommen, von dem er nichts wußte und welches ich auf die Seite legen konnte. Ende 2007 überlegte ich lange, ob ich in eine Escortagentur einsteigen solle oder nicht. Ich wagte dann doch den Schritt zur erneuten Selbständigkeit in den Escortservice. Buchungsdauer: ab vier Stunden. Ich wollte keine Kurztreffen mehr. Es erwies sich mit neuen Texten auf der Homepage und einem anderen, ehrlichen Selbstbewußtsein auf Grund meiner beruflichen Situation als Erfolg.
Anfang 2008 eröffnete ich in Bayreuth ein Stundenzimmer und das Lifestyle Studio Egoistin – das Outing im TV stand an. RTL 2 fragte mich für Exklusiv, die Reportage an.. ein Multiplikator. Es folgten weitere TV-Auftritte, unter anderem bei Erwin Pelzig, Wieland Backes, Oliver Geissen, RTL- Extra, das Magazin, u.a.
Den Escortservice setzte ich fort, bis ich im Sommer 2009
feste Kavaliere hatte und mich selbst zur “Kurtisane der Moderne” umbenannte. Seit Herbst 2009 bin ich endgültig aus dem erotischen Escortservice ausgestiegen und begleite Herren nach wie vor zu verschiedenen Anlässen ohne erotisches end, jedoch mit emotionalem Happyend.
- Zusammenfassung beendet -
Alles in allem waren meine Erfahrungen im Paysexgewerbe äußerst gut. Egal, ob ich in meinem angemieteten Zimmer gearbeitet habe, Haus- Hotelbesuche gemacht habe oder später im Escortservice erfolgreich war. Lediglich die
Pornobranche war nicht mein Ding und ich hörte nach nur sieben Szenen im Oktober 2007 schon wieder auf zu drehen.
Meine Erfahrungen waren positiv – ich habe Männer kennengelernt,
ich habe aber vor allem auch mich kennengelernt. Meinen Körper, was mir gefällt, was mir nicht gefällt, meine Sexualität habe ich nochmal neu entdeckt. Ich wurde selbstbewußter… mein Chef (Gastronomie) in der Schweiz, der von meinem Nebenjob wußte, spürte förmlich, wie ich aufblühte und auch die Gäste am Tresen viel selbstsicherer bedienen konnte. Er sagte immer leicht (oder auch stark) grinsend: “Gell? Der Job, der tut dir gut? - Das sieht man dir richtig an!” – im wahrsten Sinne des Wortes. Das tat er – bis zu den Schulden. Danach war es zwischenzeitlich der Horror. Ich hatte mich durch Unachtsamkeit und Naivität in eine Situation gebracht, in die ich nie nie kommen wollte –
ich nahm Drogen – Kokain – über einen Zeitraum von zwei Monaten. Meine Haut wurde dann allerdings so schlecht, dass ich von einem auf den anderen Tag wieder damit aufhörte – Selbstmitleid beendet!
Mit den Männern lernte ich umzugehen. Ich ging nach gut zwei Monaten Selbständigkeit meinen ganz eigenen Weg -
schaltete meine eigene Werbung – war kreativ und hatte Spaß an dieser Selbstvermarktung. Doch leider ist das nicht alles.
Eine Beziehung war quasi nie möglich oder nur mit großem Herzschmerz verbunden.
Man lernt Männer kennen, die einem alles über die Frau zu Hause erzählen, ich fragte allerdings auch immer gerne nach, weil ich es wissen wollte. Ich wollte wissen, was dahinter steckt, hinter dem Phänomen des “Fremdgehens”. Ich wußte also wie sie heißen, wie sie aussahen, ob sie gerade schwanger sind, falls ja, in welchem Monat, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird und wie er oder sie mal heißen werden.
Ich kannte wohl alle Ausreden, die Männern so einfallen, wenn sie fremdgehen, wußte, von welchem Computer aus sie nach den Frauen Ausschau halten, also ob zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus. Ich kannte die Lebensgeschichten und natürlich – nicht zu vergessen – die sexuellen Vorlieben! Dabei waren die bei mir meist gar nicht so ungewöhnlich, da ich keine seltsamen Dinge anbot. Für manche war es lediglich die Abwechslung, für wenige die Erniedrigung, für wieder andere… Ansehen kann man es den Männern nicht, genauso wenig wie den Frauen, die diesen Job ausüben.
:-)
Ja, ich lernte Männer fast nur von diesen zwei Seiten kennen. Die Fremdgeher, die Betrüger, die Lügner,… – kein schönes Bild. Auf der anderen Seite stand der nette Mann, der mich mit allem Respekt behandelte, der mich verwöhnte, der mir gut tat. Ich versuchte sie zu verstehen, beschäftigte mich immer mehr mit dem Thema: Sexualität und
fand für mich heraus, dass es keine Monogamie gibt (auf beiden Seiten eine Ausnahme) und dass Ehrlichkeit in Beziehungen die wohl größte Mangelware ist.
Ich lernte, dass
Prostituierte in der Gesellschaft, und dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob sie Puffhure oder Escortdame sind, ausgegrenzt werden.
Sie werden teilweise behandelt wie Aussätzige, wie Kranke, wie Geächtete. Nicht überall!
Ich hatte auch ganz tolle Erlebnisse nach meinem Outing, aber eben auch verletzende.
Am Ende bin ich zu dem Punkt gekommen, dass der Mensch so viel Ehrlichkeit einfach nicht verträgt. Es würde das Leben wohl zu unangenehm machen.
Im Erotikgewerbe arbeiten und sich in der Erotikszene bewegen/bewegen müssen sind zweierlei Paar Stiefel. Ich hatte tolle, tolle Männer, geile Dates, hammermäßigen Sex und trotzdem
geht der Job an die Substanz. Es sind viel weniger die Treffen, als viel mehr die Szene, in der man sich bewegt, wenn man independent arbeitet. Man muss Werbung schalten, surft im Internet, tauscht sich aus. Kommt auf Foren, deren Name ich lieber nicht nennen möchte in denen Dinge zu lesen sind, die einen vom Glauben abfallen lassen.
Männer schreiben über Frauen, die sie getroffen haben, wie über ein Stück Vieh auf dem Jahrmarkt – noch schlimmer! Es ist pervers, es geht unter die Gürtellinie, es ist menschenverachtend und abscheulich! Auch, wenn ich von diesen Dingen nie direkt betroffen war – und wenn – ich mich zur Wehr gesetzt habe, möchte man sich mit Menschen dieser Art nicht abgeben. Es sind Männer, die Frauen hassen und irgendwelchen Frust über diesen Weg versuchen zu kompensieren. Es gibt leider jede Menge davon. Und oft ist es sogar so, dass sie der Hure gegenüber kein Wort sagen, lieb und nett tun, damit sie schön bläst – für die Fickkumpanen wird dann jedes Detail ausgepackt, was er so mit der “alten Sau” alles gemacht hat.
Diese Männer, mit solch pathologischen Zügen gönnen einer “Hure” den Aufstieg/Ausstieg nicht. Sie gönnen ihr das Schlechteste. In Bezug auf mich, hoffen noch immer ein paar dieser Schwachmaten, mich irgendwann an der Nürnberger Mauer stehen zu sehen. Für sie sind Frauen Stücke, Stücke, wie im Katalog zu bestellen, auszusuchen, sie haben gefälligst zu “funktionieren”, denn dafür habe man(n) ja schließlich bezahlt. :kotz:
So – ja,… das ist es. Und wer als Frau einmal Einblick in diese Welt hatte, der will das nicht sein Leben lang – ich wollte es nicht mein Leben lang. Wie gesagt, so schön die einzelnen Begegnungen waren, die Gesellschaft auf der einen Seite und
diesen Einblick in die Abgründe der menschlichen Seele, machen ein positives Leben auf Dauer unmöglich – zumindest für mich.
Es stand oft die Frage.. was mache ich nach dem Ganzen? Mit der Erfahrung, mit dem, was ich über Menschen/Männer und der “Szene” gelernt habe? Gründe ich eine Escortagentur? Bleibe ich dort, wo ich schon viel Energie hineingesteckt habe?
NEIN! -
Ich habe mich dazu entschlossen, der gesamten Paysexszene den Rücken zu kehren! Ich möchte NEUE WEGE gehen. Ich möchte Männer anders kennenlernen, möchte Männern anders begegnen – aber nicht nur den Männern. Auch den Ehefrauen möchte ich mehr entgegenbringen können als Mitleid.
Ich bin dankbar für den Weg, der mir aufgezeigt wurde, für die wundervollen Begegnungen, die mir oft Kraft und Energie gaben, die mir eine kleine Stütze waren, mit denen ich mich fruchtbar austauschen konnte, die mich auf meinem Weg unterstützt haben und immer an mich geglaubt haben, da sie das Potenzial und die Kraft, die in mir steckt, gesehen haben. Die
seit 2006 meinen Newsletter abonniert haben, meine Wege verfolgen und nicht müde werden, mir immer wieder zu antworten – die liebevollen, stillen Begleiter auf meinem Weg. Ich bin dankbar für die Lehren, die ich aus meinem Leben gezogen habe.
Jetzt möchte ich mich voll und ganz auf meinen neuen Weg konzentrieren, der da heißt:
das ABITUR nachholen. Er wird nicht einfach werden, es wird mich Überwindung kosten und doch freue ich mich riesig auf diesen Schritt und auf diese nächste große Chance, welches mein Leben für mich bereit hält.
Original mit Leserbrieffunktion:
http://www.vanessa-eden.de/leben/2010/0 ... bschieden/
Ich wünsche Vanessa Eden alles Gute und Glück, damit ihre Vision gelingen möge.
Im Abschiedsbrief gibt sie allen, schonungslosen Einblick in die erlebte Prostitutionswelt und ihr seelisches Innenleben, so wie sie es sich hat nie leisten können es darzustellen, als sie noch dem Gewerbe verhaftet und verpflichtet war. Es zeigt wie hinter einer geschäftsbedingt glatten professionellen Fassade ein sensibler Mensch verborgen liegt. Meine Hochachtung für diesen Mut zur Selbstentblössung. Möge sich dieser harte Weg einer teil-öffentlichen Selbstfindung letztlich als mehr hilfreich denn schädigend oder nachtragend erweisen.
Nochmals, alles Gute und die besten Wünsche für eine mutige, starke Frau und Ex-Kollegin.
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