Escort-Mann im Interview: "Frauen buchen Männer nicht einfach für Sex."

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Escort-Mann im Interview: "Frauen buchen Männer nicht einfach für Sex."

Beitrag von deernhh »

ESCORT-MANN SASCHA IM INTERVIEW
"Frauen buchen Männer nicht einfach für Sex"

Escort-Mann Sascha im Interview: "Frauen buchen Männer nicht einfach für Sex"

© Privat

von Julia Ballerstädt
15.02.2024, 10:01
8 Min.

Sascha hat einen ungewöhnlichen und seltenen Job. Er ist Escort-Mann. Welche Frauen zu ihm kommen, was sie bei ihm suchen, wie er zu dem Job gekommen ist und was er über Beziehungen denkt, hat er unserer Redakteurin im Interview verraten.
Auf seiner Website stellt sich Sascha als sinnlicher Begleiter vor. Den Begriff Callboy mag er nicht – er sagt: "Mit meinen 51 Jahren bin ich schon lange kein Boy mehr“. Gefragt ist er dennoch. Frauen buchen ihn als Begleiter für Business-Trips und Freizeit, zum Beispiel Events, Ausgehen, ein Abendessen aber auch für sinnliche, erotische Stunden.

Brigitte.de: Escort-Damen kennt man, Escort-Männer weniger. Wie bist du zu dem ungewöhnlichen Job gekommen?

Sascha: Ich liebe die Begegnungen mit Menschen und habe immer sehr viel Spaß und Freude an Gesprächen. Doch die Gespräche mit Frauen finden auf einer anderen Ebene statt, als die mit Männern. Mich fasziniert, was Frauen aus ihrem Leben erzählen, wie sie sich zeigen, wie sie Gefühle zeigen, da ich sehr neugierig und interessiert bin und mich gerne inspirieren lasse. Gleichzeitig bin ich ein sehr sinnlicher Mensch, der Körperlichkeit liebt. Als dann eine Frau aus meinem weiteren Bekanntenkreis zu mir sagte: "Mensch, du könntest eigentlich mal als Escort-Mann tätig sein“, und sich bei mir beruflich und privat einiges verändert hatte, habe ich beschlossen, das einfach mal auszuprobieren.

Wie war dann das erste Mal? Ich stelle mir das sehr aufregend vor.

Das war es auch. Ich habe natürlich vorher im privaten Bereich schon die ein oder anderen Treffen gehabt, weil ich mich auch von diesen klassischen Beziehungskonstrukten, die wir haben – lange Beziehung, feste, monogame Beziehung – gelöst habe, um zu gucken, welche anderen Formen von Leben es gibt. Da habe ich schon ein bisschen experimentieren dürfen und deswegen sind diese Begegnungen, auch wenn die Vorzeichen ein wenig anders sind, für mich wie ein Date, bei dem zuallererst das sich Aufeinander einstimmen und sich Miteinander wohlfühlen im Vordergrund steht.

Natürlich habe ich mich gefragt, was das mit mir macht, wenn die Frau äußerlich nicht so ganz meinen Vorstellungen entspricht.
Hast du dir beim ersten Mal Gedanken gemacht, wie es wäre, wenn dir die Frau nicht gefällt?

Natürlich habe ich mich gefragt, was das mit mir macht, wenn die Frau äußerlich nicht so ganz meinen Vorstellungen entspricht. Oder wenn wir auf der persönlichen Ebene nicht so schnell eine Verbindung zu einander finden. Und in der Realität war es dann genauso, wie gedacht. Das Spannende für mich war dann aber, festzustellen, dass ich es mag, das Besondere und Anregende an einer Frau zu entdecken. Und es gibt immer etwas einzigartiges und besonderes an einem Menschen, ob das nun auf der geistigen, intellektuellen Ebene ist, auf der emotionalen oder auf der körperlichen. Und dann wurde es eine schöne Begegnung und für mich ja auch eine Art Prüfung, nach der ich gemerkt habe, dass das, was ich tue, mir entspricht.

Wie haben Familie und Freunde auf deinen neuen Job reagiert?

Für mich ist es nicht ein "Job" oder "Beruf", sondern Berufung. Meiner Familie und meinen Freunden habe ich direkt am Anfang erzählt, was ich mache. Mir tut es nicht gut, wenn ich irgendwas aus meinen Gesprächen raushalten muss. Ich möchte authentisch sein. Deswegen war für mich klar, dass ich das nicht verheimliche. Außerdem habe ich schon bei Diskussionen mit Freunden, Bekannten oder Unbekannten über anderen Themen, wie beispielsweise verschiedene Formen von Liebesbeziehungen gemerkt, dass da ein ganz großes Interesse ist. Dennoch brauchte ich Mut mich zu "outen". Als ich es erzählt habe, war ich aber trotzdem überrascht, wie viel Neugierde und Offenheit mir entgegengebracht wurde. Bei Freunden habe ich schon eher gedacht, die sind da cool mit. Aber selbst meine Schwestern und meine erwachsende Tochter waren aufgeschlossen.

Das Spannende ist ja, dass wir oft einen Glaubenssatz im Kopf haben, wie andere vielleicht reagieren könnten und dann kommt was ganz anderes bei raus. Aber auch wenn mich beispielsweise Fremde fragen, was ich beruflich mache, dann sage ich das. Interessanterweise wird das bei mir immer als was Spannendes, Cooles wahrgenommen. Wenn eine Frau diese Tätigkeit ausübt, hat das meist etwas Anrüchiges, was ich aber anders sehe.

Escort-Mann Sascha im Interview: "Frauen buchen Männer nicht einfach für Sex"
© PR

Ja, da hat sich noch nicht so viel geändert. Was sind das für Frauen, die sich bei dir melden?

Ich würde sagen, das sind vor allem Frauen, die ihr Leben selbstbestimmter gestalten wollen und selbstbewusst sind. Im Sinne von „sich über sich selbst bewusster werden", über das, was sie selbst mehr zulassen und was sie z.B. an limitierenden Glaubenssätzen ziehen lassen möchten. Auch dahingehend erlebe ich die Treffen als sehr lebendige Begegnungen, weil das Frauen sind, die sich auf den Weg machen und sich weiterentwickeln wollen.

Buchen dich vorrangig Frauen in deinem Alter?

Im Schnitt sind die Frauen, die sich bei mir melden zwischen 30 und 55, aber Ausnahmen in beide Richtungen gibt es auch. Von der Geschäftsführerin, der Managerin, der Angestellten, der Selbstständigen bis zur Studentin ist alles dabei. Ich erlebe die unterschiedlichsten Hintergründe und unterschiedlichsten Motivationen, sich dieses Erlebnis zu gönnen, das ja auch nicht ganz günstig ist. Für viele ist es auch eine Art der Selfcare: Sich um nichts kümmern müssen, im Mittelpunkt stehen, endlich mal keine Verantwortung übernehmen oder Erwartungen erfüllen müssen.

Frauen möchten ein besonderes Erlebnis
Was suchen die Frauen bei dir, was ihnen andere oder auch ihre eigenen Männer nicht bieten können?

Generell möchten sie eine besondere Zeit, ein besonderes Erlebnis. Wie das aussieht, ist wiederum ganz unterschiedlich. Frauen buchen Männer in diesem High Class Bereich, nicht einfach für Sex, sondern für ein niveauvolles, sinnliches und leidenschaftliches Erlebnis auf der geistigen, emotionalen Ebene und gegebenenfalls auch auf der körperlichen Ebene. Da herrscht offensichtlich, zumindest erlebe ich das so, großer Männermangel. Die Frauen suchen einen Mann auf Augenhöhe, jemanden, der auf diesen Ebenen reif ist, sich mitteilen und über Gefühle sprechen kann und dabei auch Freude an diesen Gesprächen empfindet. Einen Mann, der emotional verfügbar ist.

Ist das bei Männern anders, die Escort-Frauen buchen?

Ich möchte uns Männern ja nicht zu nahe treten, aber wir Männer sind recht einfach strukturiert (Sascha lacht). Wenn wir eine Escort-Frau suchen, schauen wir uns schöne Bilder im Internet an. Da muss auch nicht viel Text stehen. Wir Männer können dann die Entscheidung treffen: Okay, die möchte ich jetzt kennenlernen. Bei einer Frau braucht es ein Gesamtpaket und dann auch noch die Möglichkeit, sich Dinge offen lassen zu können. Also sagen zu können: Hey, ich würde dich gerne bei einem Abendessen kennenlernen und dann gemeinsam schauen, wo das jetzt eigentlich hinführt. Deswegen haben die Treffen einen sehr lebendigen, sehr natürlichen Charakter, wo alles sein kann und nichts muss.

Melden sich viele verheiratete Frauen bei dir?

Ja, bei mir melden sich auch viele Frauen, die verheiratet oder in langjährigen Beziehungen sind. Einige von ihnen sagen auch, dass sie einen tollen Mann zu Hause haben und sich auch nicht trennen oder eine Affäre beginnen wollen. Es geht ihnen mehr darum, wieder die Sinnlichkeit und Körperlichkeit zu erleben, die in der Beziehung aus unterschiedlichen Gründen abhanden gekommen ist und das in einem geschützten und diskreten Rahmen, ganz nach ihren Vorstellungen.

Hat ein Treffen mit dir schon mal zu einer Trennung geführt?

Es ist natürlich eine zutiefst menschliche Begegnung, die ich so erlebe und die auch mich bewegt. Und die kann durchaus etwas in Gang setzen. Manche Frauen überprüfen dann, ob das Leben, das sie führen, wirklich das ist, was sie wollen. Aber zu mir kommen nicht die verzweifelten Frauen, die unglücklich zu Hause sitzen, sondern vielmehr die, die ihr Leben wieder mehr in die Hand nehmen möchten, die neugierig und abenteuerlustig sind, die sich weiterentwickeln und ihren Horizont erweitern wollen.

Wenn wir im Vorfeld das Gefühl haben, wir bekommen keine Verbindung zustande, dann bin ich in diesem Fall nicht der Richtige.
Wie läuft das ab, wenn man dich buchen möchte?

Die Frau kann mich ganz einfach per Mail, per WhatsApp, oder über Callboyz.net, einer seriösen Plattform für Escort-Männer, kontaktieren und dann klären wir erstmal, wie ein Treffen aussehen könnte oder ich mache Vorschläge. Es gibt unterschiedliche Anfragen. Einige suchen beispielsweise eine Begleitung für Events im Business-Kontext oder für Veranstaltungen wie Geburtstage, andere wiederum eine sinnliche Begleitung für einen Wellnesstag, eine Urlaubsbegleitung, ein romantisches Abendessen mit offenen Ausgang oder ein Abenteuer im Hotelzimmer oder ähnliches.

Wenn wir im Vorfeld miteinander schreiben, telefonieren oder einen Videocall machen, bekommen wir ein Gefühl dafür, ob es stimmig ist und wir uns treffen. Bin ich in der Nähe, gibt es für die Frau auch die Möglichkeit eines unverbindlichen Kennenlernens im Café und sie kann später über eine Buchung entscheiden.

Was, wenn es gar nicht matcht? Hast du schon mal ein Treffen abgelehnt?

Wenn wir im Vorfeld das Gefühl haben, wir bekommen keine Verbindung zustande, dann bin ich in diesem Fall nicht der Richtige. Das ist sehr selten. Und falls ja, ist es keine Abwertung von mir oder meinem Gegenüber. Menschen sind einfach manchmal sehr unterschiedlich. Dann kommt es auch nicht zu einem Treffen. Und ich kann auf diese Weise dazu beitragen, dass bisher noch kein Treffen abgebrochen wurde oder sich nicht stimmig angefühlt hat.

Wie gelingt es dir, dich jedes Mal neu auf unterschiedliche Frauen einzustellen? Ich stelle mir das sehr anstrengend vor, vor allem auch emotional.

Das geht nur, indem ich mir auch meine freie Zeit nehme. So eine Begegnung hat auch was Ekstatisches, in die wir gemeinsam eintauchen. Dementsprechend nehme ich mir die Pausen, um mich zu erden und um Dinge zu tun, die mir guttun und in denen ich für mich sorge.

Hat sich eine Frau schon mal in dich verliebt? Oder andersherum?

Ein solches Treffen ist eine sehr menschliche Begegnung. Und ich bin dann auch emotional verfügbar. Das heißt, ich lasse Emotionen zu. Dadurch entstehen oft sehr faszinierende Begegnungen. Ich kann dann wirklich mal ins Schwärmen geraten über das, was ich da gerade erlebe. Die Frage ist, muss ich das, was ich jetzt gerade erlebe, in irgendwas anderes transformieren oder weiterentwickeln, z.B. eine Liebesbeziehung?

Ich habe gelernt dankbar zu sein, für das was gerade ist, was wir im Moment einzigartiges miteinander teilen und ich kann mich darauf einlassen und danach auch wieder loslassen. Und ich erlebe die Frauen oft auch als selbstbewusst und reflektiert, dass sie das auch so tun.

Die Frauen machen sich vorher natürlich auch Gedanken und sind sich dann schon bewusst, worauf sie sich einlassen. Das Setting ist in diesem Rahmen klarer im Vergleich zu einem klassischen privaten Date, wo der Wunsch nach Verlieben eher eine Rolle spielt. Hier geht es für die Frau mehr um das Erleben und für sich, ihre Sinnlichkeit und Körperlichkeit zu sorgen.

Sinnlicher Wellnesstag, ein erotischer Abend oder Business Date – alles geht, nichts muss
Wenn du Frauen auf Events begleitest, wie bereitest du das vor? Was sagt die Frau, wer du bist?

Wir überlegen uns vorher gemeinsam eine Geschichte. Die Frau will mich ja gar nicht unbedingt als ihren Freund vorstellen, sondern als irgendeinen Bekannten, den sie lange nicht getroffen hat. Oder ich bin der ehemalige Arbeitskollege, der gerade in der Nähe ist, oder der gute Kumpelfreund. In der Regel begleite ich auch nicht auf Geburtstagsfeiern in kleinem Kreis, sondern zu grösseren Veranstaltungen, zum Tanzen oder zu einer Hochzeit, wo dann aber vielleicht die beste Freundin auch eingeweiht ist.

Wie ist es mit Körperlichkeiten?

Es kann auch zu Intimität und Erotik kommen, wenn es für beide stimmig und gewünscht ist.

Und das funktioniert so auf Knopfdruck?

Nein. Sympathie und Anziehung spielen ein große Rolle, wenn es spontan über ein "Social Date", wie z.B. ein Event, ein Abendessen oder eine Begleitung zum Tanzen hinausgeht. Beide sollten selbstbestimmt sein und sich authentisch fühlen. Auch im Kontext einer Buchung, das macht es zu einer sehr menschlichen, sinnlichen und wertschätzenden Begegnung. Küsse, Berührungen braucht es, damit sich unsere Sinne öffnen können, wir das empfinden können, was wir in dem Moment brauchen und zulassen möchten.

Kann man, wenn man diesen Job ausübt, noch an die monogame Beziehung glauben? Oder ist das für dich gar nicht erstrebenswert?

Es gibt keine bessere oder schlechtere Beziehungsform. Ich habe großen Respekt vor Paaren, die nach Jahren oder nach Jahrzehnten noch eine lebendige monogame Liebesbeziehung pflegen, sowohl geistig, emotional als auch körperlich. Schauen wir uns jedoch in unserem Dunstkreis um und sprechen mit dem einen oder anderen Freund, Freundin oder Bekannten offener, erkennen wir, dass es die Wenigsten schaffen.

Jede Beziehung, ob exklusiv, offen oder polyamor, hat ihre eigenen Herausforderungen. Dass Spannende bei einer nicht exklusiven Beziehung ist, mit den eigenen Ängsten und Unsicherheiten umgehen zu lernen. Deswegen sind Liebesbeziehungen, wenn du da hingucken kannst und ein bisschen Mut hast, das beste Lernfeld. In Liebesbeziehungen kommt der ganze alte Shit hoch, den wir so mit uns herumschleppen und wir ansonsten noch gut verbergen können. Auch ein Grund für die vielen Crashs in Beziehungen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es egal ist, welche Beziehungsform du lebst, solange du kommunizierst, achtsam bist, deine Bedürfnisse und Fallstricke einigermassen kennst und den passenden Menschen an deiner Seite hast.


Sascha ist erfahrener Escort-Mann und bietet unterschiedliche Arten von Begegnungen an. Wer sich eine genaueres Bild machen möchte, findet alle Infos auf seiner Website ..... (Anmerkung von deernhh: Den Namen seiner Website habe ich entfernt)

Brigitte
© G+J Medien GmbH

https://www.brigitte.de/liebe/escort-ma ... 62760.html

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Callboys im Interview

Beitrag von deernhh »

Feuilleton
Prostitution: Callboy über seine Arbeit und Frauen, die Sex kaufen

«Als Mann kann ich es mir nicht leisten, keine Lust zu haben» – aus dem Leben eines Callboys

Der Callboy Noah-Leo Lassalle bedient vor allem Frauen mittleren Alters, die sich sagen: Jetzt bin ich an der Reihe. Ein Prostitutionsverbot findet er falsch: Sex sei ein Menschenrecht.

Birgit Schmid (Text), Fritz Beck (Bilder)
10.08.2024, 05.30 Uhr 7 min

«Man verliert sich leicht»: Noah-Leo Lassalle arbeitet erst seit vier Jahren als Callboy.

Er nennt sich Noah-Leo Lassalle. Dabei will Lassalle gerade das Bild des jungen muskulösen Verführers korrigieren, der im Anzug mit einer Rose im Mundwinkel an die Hotelzimmertür klopft. Aber weil man als Beat Pfister oder Konstantin Schumacher die Phantasien von Frauen nicht vergleichbar weckt, hat sich Lassalle einen anderen Namen gegeben.

Lassalle verkauft seit vier Jahren seinen Körper. Sex gegen Geld. Er ist ein Callboy, den Frauen für zwei Stunden oder eine ganze Nacht buchen können. Manchmal bleibt es beim «begleiteten Ausgang», einem Spaziergang oder einem Nachtessen. Der Münchner ist als Prostituierter angemeldet und zahlt Steuern.

In seinem früheren Leben arbeitete Lassalle in der Kommunikationsbranche. Heute ist er der Callboy, der sich für Kultur interessiert, mit dem man es lustig haben kann, der aber auch zuhört und sich in eine Frau einfühlt, «um herauszufinden, was du suchst». So bewirbt er sich selber auf der Seite, auf der auch ein wildgelockter 31-jähriger Andreas aus Hannover und ein 28-jähriger gestählter Tim aus Zürich ihre Dienste als Callboy anbieten.

Bilder von Lassalle zeigen einen schmalen Mann mit feinem Gesicht. Mal posiert er lässig im Schneidersitz in Hemd und Anzug, barfuss. Mal liegt er im Bademantel im Bett, das Buch «Erhörte Gebete» von Truman Capote in der Hand. Dann wieder sieht man ihn nackt von hinten am Fenster stehen. Mit seinen 48 Jahren gehört Lassalle zu den älteren Callboys.

Die lasterhafte Stadt
«Ich bin der Mann für die Doktorinnen, sowohl der Medizin wie der Geisteswissenschaften», sagt Lassalle, als man ihn in der Bar eines Luxushotels in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs trifft. Rosa Plüschsessel, rot-goldene Wände, Gäste stossen mit Champagner an. Das Hotel liegt im «Sperrbezirk», ein Wort, das dank dem Lied von Spider Murphy Gang bekannt wurde und mit ihm das Zentrum von München, wo keine Freudenhäuser geduldet sind, «damit in dieser schönen Stadt das Laster keine Chance hat».

Natürlich lebt das Gewerbe, vielleicht nicht hier, dafür anderswo. Auch darüber möchte Lassalle reden: über die lauter werdenden Forderungen nach einem landesweiten Prostitutionsverbot. Über eine Sexualmoral, die in seinen Augen ein menschliches Bedürfnis verkennt. Prostitution werde fast nur noch mit Ausbeutung gleichgesetzt, sagt er. Dabei seien käuflicher Sex und Begehren kein Widerspruch.

Das sagt einer, der den Beruf nicht aus wirtschaftlicher Not gewählt hat und auch nicht davon leben muss, was Lassalle im Moment auch nicht könnte. Er hat vergleichsweise bescheidene Tarife. Für zwei Stunden zahlt man 250 Euro, für Sex mit Übernachtung 800 Euro. Bucht ihn eine Frau in Wien oder Zürich, zahlt sie die Fahrkosten. Die wenigsten Callboys verdienen sich ihr Leben allein mit diesem Job. Die Nachfrage von Frauen nach männlichen Prostituierten ist viel kleiner als jene von Männern, die sich Sex von Frauen erkaufen. Zahlen dazu fehlen.

Doch das Thema wird langsam enttabuisiert. Auch Frauen jenseits der fünfzig wird heute eine Sexualität zugestanden. Dazu tragen Filme wie «Good Luck to you, Leo Grande» bei, der 2022 vor allem Frauen mittleren Alters betörte. Darin spielt Emma Thompson eine 55-jährige Frau, die nach dem Tod ihres Mannes den Callboy Leo bucht, um endlich das zu haben, was sie in ihrer Ehe nie hatte: einen Orgasmus.

Auch er erlebe, dass sich Frauen von der Begegnung mit ihm einen Schub erhofften, sagt Lassalle, an dem auf den ersten Blick tatsächlich der Name das Verwegenste scheint. Man käme nicht auf die Idee, dass sich hinter dem eher schüchternen Mann mit Brille ein Callboy verbirgt. Einzig das Hemd hat er grosszügig aufgeknöpft. Und er ist auffällig zugewandt. Auch für diese ungeteilte Aufmerksamkeit werden seine Kundinnen zahlen.

Was, wenn ihn ein Körper abstösst? «Ich habe meine Methoden», sagt Noah-Leo Lassalle hier im Hotel Deutsche Eiche in München.
Was, wenn ihn ein Körper abstösst? «Ich habe meine Methoden», sagt Noah-Leo Lassalle hier im Hotel Deutsche Eiche in München.
Wieder einmal begehrt werden
Warum buchen Frauen einen Callboy? Lassalle bezeichnet sich als «Mann der Kultur». Aber die Frauen wollen kaum nur über Gegenwartsliteratur diskutieren oder vom letzten Opernbesuch erzählen. Er beschreibt die Motive der Frauen so: Sie hatten lange keinen Sex mehr, vermissen das Flirten und tun es für ihr Selbstbewusstsein. Sie suchen ein Abenteuer, obwohl sie einen Mann haben, zu dem sie danach zurückkehren. Sie haben keinen Mann, sind verunsichert und wollen in Übung bleiben. Die meisten seiner Kundinnen verfügten über Lebenserfahrung, sagt Lassalle. Die älteste, die ihr Alter nannte, war 78.

Auch eine 23-jährige Frau bestellte ihn schon ein. Sie wollte ihr erstes Mal in einem kontrollierten Rahmen erleben. Ein Mann mit Erfahrung, dem sie jederzeit «Stopp» sagen könnte, schien ihr geeigneter als «ein betrunkener Bursche, den sie aus der Dorfdisco abschleppt», sagt Lassalle. Sex-Käuferinnen jeden Alters sagen es ähnlich. Bei einem Callboy wissen sie, dass er Kondome benutzt. Er duscht vorher. Das Wichtigste aber: Es geht um die Frau und ihre Bedürfnisse und nicht darum, dass er, der Mann, befriedigt wird.

Lassalle holt eine ausgedruckte Mail aus der Tasche, die ihm eine Kundin nach der Begegnung geschrieben hat und die er mit ihrem Einverständnis zeigen darf. Sie denke noch immer an seine Berührungen und daran, wie schnell sie ihre Scheu verloren habe, steht da. Er habe ihren Körper berührt an Stellen, wo sie noch nie berührt worden sei. «Mich wieder als wirkliche Frau fühlen zu können, bedeutet mir viel. Danke. Am liebsten hätte ich um einen weiteren Termin am nächsten Tag gebeten.»

«Ich bin ein Dienstleister»
Lassalles Interesse an Menschen kam ihm bei der späten Berufswahl zugute. Und die Freude an Sex. Es war seine Partnerin, die ihn auf die Idee brachte, diese zu professionalisieren. Sie lasen ein Interview mit einem Callboy, und sie habe gesagt, nicht ganz im Ernst: «Das wäre doch etwas für dich.»

Eine Frau, die ihren Mann in die Prostitution schickt? Laut Lassalle würden sie sich gegenseitig das Gute gönnen. Dass ihn auch andere begehren, sei ein «positiver Reiz» und Eifersucht selten ein Thema. Im Unterschied zu einer offenen Beziehung liessen sich bei diesem Tauschverhältnis Privatleben und Sex mit Fremden viel klarer trennen. «Ich tue das beruflich und bin zuerst einmal bloss Dienstleister für Frauen, unabhängig davon, wie viel Freude es mir macht», sagt er.

Ein Callboy erhält sogar Geld für das, wofür andere einfach ein Tinder-Date ans andere reihen. Doch Lassalle widerspricht: Der Job sei aufwendig und auch anstrengend. Die Frauen haben Ansprüche, wollen sein Interesse an ihnen spüren. Dass er sich um sie bemüht. Oft verlässt sie der Mut. Sie zweifeln. Sie wollen zuerst telefonieren oder sich zum Kaffee treffen, bevor sie ihn zu sich nach Hause oder ins Stundenhotel bestellen. Meist verlangt er für dieses Herantasten noch kein Geld.

Die Beziehungspflege sei für einen Callboy, der auf Stammkundinnen angewiesen sei, wesentlich, sagt Lassalle. So erwähnt die Mailschreiberin lobend, wie er schon vorab eine Vertrautheit hergestellt habe: «Dein Job hat vermutlich viel mit Psychologie zu tun.»

«Man kann sich leicht verlieren», sagt Lassalle. Deshalb müsse er sich immer wieder abgrenzen. Die Prostitution lebt von Phantasien und Projektionen, es werden Illusionen verkauft, gegen die sich auch die klügsten Frauen nicht wehren können. Verliebt sich eine Frau und wird übergriffig, bricht er den Kontakt ab. Die meisten Frauen sähen ihn «als entfernte Affäre für einen bestimmten Lebensabschnitt».

Sie zahlen zwar, und trotzdem gehört für sie dazu, dass auch er es gut mit ihnen hat. Nur wenn auch er befriedigt ist, sind sie glücklich. Manchmal hat er den Eindruck, dass sie ihm im Bett etwas beweisen wollen, statt sich einfach hinzugeben. Auch staunt er, wie viele Frauen Sex ohne Kondom möchten. Er lässt sich nicht darauf ein.

Was, wenn die Chemie nicht stimmt? Ihn ein Körper abstösst? Und er nicht kann? Das komme nicht vor, antwortet er, er habe seine Methoden: «Konzentration und Übung.» Mehr sagt er nicht dazu. «Als Mann kann ich es mir nicht leisten, keine Lust zu haben. Ich kann mein Begehren nicht vorspielen.» Um in Form zu bleiben, investiert er viel Arbeit in den Körper. Sport, der Verzicht auf Alkohol bereits Tage vor einem Date.

Das «erste Mal» einer Transfrau
Warum er den ganzen Aufwand betreibt für ein bescheidenes Honorar, kann er letztlich nicht schlüssig erklären. Mehrmals erwähnt er seinen starken Sexualtrieb, der ihm jetzt, da er älter werde, auch zugutekomme.

Dafür glaubt man zuweilen, einen Entwicklungshelfer für Frauen mittleren Alters vor sich zu haben. Er sagt, was oft auch weibliche Prostituierte behaupten: Ihre Arbeit rette Ehen. Sie böten ein Ventil für die eingeschlafene Sexualität in vielen Beziehungen. Er erhalte Einblick hinter bürgerliche Fassaden, die ihm zu denken gäben, sagt Lassalle. Lieblosigkeit, Lügen, auch Gewalt.

Deshalb argumentiert er gegen ein Sexkaufverbot, wie es in Schweden gilt. Die Frage, ob es auf alle Mitgliedsländer auszuweiten wäre, wird inzwischen auch im EU-Parlament debattiert, angestossen von Vertreterinnen von SPD und CSU. Den Frauen, die zur Prostitution gezwungen würden, sei damit nicht geholfen, sagt Lassalle. «Unterdrückte Triebe bahnen sich immer einen Weg, in diesem Fall in die Illegalität.»

Vor allem würde manchen Leuten das Recht auf eine erfüllte Sexualität genommen. Er denkt an die Transfrau, die zu ihm kam, um den ersten Sex mit einem Mann auszuprobieren. Er denkt an die Kundinnen im Pensionsalter, von denen er lernt, dass die Libido mit 65 nicht weg ist. Er denkt an die Unternehmerin, die nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist. Ihre Schwester hatte ihn für sie ausgesucht.

Natürlich denkt Noah-Leo Lassalle auch an sich und an das, was ihn erwartet, wenn er nun losmuss. Die nächste Frau will mit ihm ins Bett.

Es braucht gerade als «Spätberufener», wie Lassalle sich nennt, Disziplin, um körperlich in Form zu bleiben.

https://www.nzz.ch/feuilleton/prostitut ... ld.1841057

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Re: Escort-Mann im Interview: "Frauen buchen Männer nicht einfach für Sex."

Beitrag von friederike »

Ich finde, Sascha hat vernünftige Ansichten!

Es ist lange her, da war ich neugierig - und ich habe auch einen Escort-Mann gebucht. Das Spiel mit den vertauschten Rollen hatte seinen Reiz, keine Frage. Aber ich bin nicht wirklich der Typ dafür, ich habe eine submissive Ader, und die kommt dabei zu kurz, wenn ich die Kundenrolle einnehme.

Er hat gesagt, dass er tatsächlich immer hart wird. Bei mir war das sicher so, aber das fand ich nicht überraschend, in aller Bescheidenheit. Und er war sehr teuer, was ich verstehen kann, denn solche Männer sind eben selten und knapp.

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Re: Escort-Mann im Interview: "Frauen buchen Männer nicht einfach für Sex."

Beitrag von NoraSW »

Kleines Offtopic.
Auch Männer buchen Frauen sehr oft nicht nur für Sex, sondern auch Zärtlichkeit, Haut spüren, reden....
Das geht viel zu oft unter, wie viel mehr Sexarbeit eigentlich ist.
...
Grüße
Nora