Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
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floggy
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Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von floggy »

Bayern 2 Tagesgespräch "Soll man Prostitution verbieten?"

https://www.br.de/nachrichten/deutschla ... en,SheJYvF

Zur Diskussion gestellt wird die Forderung der CDU Frauen-Union Baden-Württemberg.

Moderator Stefan Parrisius: Sehen Sie die Frauen in der Illegalität besser geschützt ?

Meine Highlights

Minute 25: Johanna Weber vom BesD e.V "Modellprojekt vom Familienministerium in fünf Städten muß es deutschlandweit geben UND da fehlen einfach alternative Beschäftigungsmöglichkeiten"
Minute 36: Sexarbeiterin aus Nürnberg "Gibs keine"
Minute 41: Johanna Weber vom BesD e.V "Kompetenz abgesprochen"
Minute 51: Johanna Weber vom BesD e.V "40.000 = 5%"

Die Moderation von Stefan Parrisius fand ich ausgewogen akzeptabel, aber die Unwörter hat auch er noch verinnerlicht.

Glossar für dummies

Prostituierte = Sexarbeiter/in in der Prostitution
älteste Gewerbe = Dienstleistung
Freier = Kunde bzw Kundin
Milieu = Branche
Opfer von Menschenhandel = Betroffene/r von Menschenhandel
Sex ist Grundbedürfnis = Fortpflanzung ist Grundbedürfnis; Mildere Mittel (begrenzt tauglich): Solo-Sex, gleichgeschlechtlicher Sex, Triebsublimierung
Zuhälter = Fahrdienst, Sekretär/in, Security, Reisebegleiter/in, Organisator/in, Lebenspartner/in

Bei dieser Gelegenheit zur Info: Erste Stuttgarter Sexarbeits-Konferenz "Aufklären statt Ausgrenzen" 2. und 3. September 2021 Liederhalle Stuttgart

https://sexarbeitskonferenz.de/

Quellenangabe

https ://www .br .de/nachrichten/deutschland-welt/tagesgespraech-live-soll-man-prostitution-verbieten,SheJYvF
https ://sexarbeitskonferenz .de/
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deernhh
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von deernhh »

INTERVIEW
"Unsachlich" und eine "Frechheit": Sexworkerin antwortet auf Spahn-Aussage zu Bordellen
03.10.2021, 14:30
Julia Dombrowsky


Es gibt ein paar Branchen, die politisch recht wenig Fürsprecher finden, weil ihre Arbeit als moralisch umstritten gilt – allen voran die Prostitution. Ob und in welcher Form sie in Deutschland überhaupt existieren sollte, ist sowohl in der Bevölkerung als auch unter Abgeordneten schwer umstritten.

Daher eignet sich das Thema auch wunderbar, um im Wahlkampf ein paar Stimmen zu ergattern, dachte sich offenbar Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der im watson-Interview zu einem Seitenhieb gegen die Branche ansetzte und die Bordellöffnungen im Sommer 2020 als Beispiel unerklärlicher Corona-Entscheidungen anführte, die er dann mit der Schließung von Schulen verglich.

Die Bordell-Aussage von Jens Spahn
watson: Trotzdem entsteht bei vielen der Eindruck, dass die Interessen junger Menschen weniger wert sind.

Jens Spahn: Ich verstehe, dass dieser Eindruck manchmal entsteht. Wir wurden ja teilweise durch Gerichtsurteile zu Maßnahmen gezwungen, die nur schwer verständlich waren. So mussten wir zum Beispiel die Bordelle wieder aufmachen, während die Schulen noch geschlossen waren. Das kann man Schülerinnen und Schülern schwer bis gar nicht erklären. Oft wurden in solche Entscheidungen Wertungen reingelesen, die es überhaupt nicht gab.
Auszug aus dem watson-Interview
Es ist eine Aussage, die Stephanie Klee wütend macht. Die Berlinerin ist selbst Sexworkerin und Vorstand im Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD). Seit Anfang der 1970er Jahre setzt sie sich für die Rechte von Prostituierten ein und glaubt, dass die Coronakrise politisch genutzt wurde, um die Arbeit ihrer Kolleginnen Stück für Stück zu illegalisieren. Mit watson sprachen wir mit ihr darüber.

Sie sagt:
"Uns mit Absicht in diesen Kontext zu stellen und gegen die Gesellschaft und ihre Kinder auszuspielen, ist eine Frechheit."
watson: "So mussten wir zum Beispiel die Bordelle wieder aufmachen, während die Schulen noch geschlossen waren", bedauert Jens Spahn in einem watson-Interview. Wie finden Sie diese Aussage als Vertreterin der Branche?

Stephanie Klee: Interessant. Herr Spahn hat offenbar keine Mühe gehabt, uns als Beispiel anzubringen, obwohl er nicht einmal danach gefragt wurde. Diese Haltung scheint also tief in ihm zu stecken. Sicher ist er auch noch im Wahlkampfmodus gewesen, dass er so in Stimmung war, rechts und links auszuteilen. Uns mit Absicht in diesen Kontext zu stellen und gegen die Gesellschaft und ihre Kinder auszuspielen, ist allerdings eine Frechheit.

Wieso eine Frechheit?

Weil es unsachlich ist und Stimmung gegen uns macht. Schulen, an denen viele Kinder über Stunden zusammenkommen, lassen sich überhaupt nicht mit Bordellen vergleichen. In der Regel ist der Kunde nur 15 bis 30 Minuten zu Besuch und das auch nur im Eins-zu-Eins-Kontakt. Ich vermute, Herr Spahn ist noch nie in einem Bordell gewesen und er hat sich auch nicht die seitenweisen Erläuterungen zu unserer Branche angesehen, die wir ihm – wie auch anderen Ministern – im Zuge der Pandemie vorgelegt haben...

Sie halten den Gesundheitsminister in puncto Sexarbeit für ignorant?

Entweder, er hat sich kein bisschen mit der Thematik beschäftigt – was doch eigentlich sein Job gewesen wäre – oder er wollte der Branche mit so einer Aussage nochmal einen mitgeben, um den Prostitutionsgegnern und -gegnerinnen seiner Partei einen Gefallen zu tun. In beiden Fällen kann ich nur sagen: Ich wünsche Herrn Spahn, dass er jetzt sehr lange auf der Oppositionsbank sitzen bleibt.

Im Satz zuvor bedauert er es, dass die Politik "durch Gerichtsurteile zu Maßnahmen gezwungen" worden sei. Damit bezieht er sich auf die Klagewelle im Spätsommer 2020, nach der viele Bordelle unter Auflagen wieder öffnen durften.

Bis auf die Clubbetreiber waren Sexworker und Bordellbesitzer wohl die einzigen, die eine Öffnung ihrer Branche in der Pandemie so vehement juristisch erstreiten mussten. Wir forderten damals Gleichberechtigung und die Richter stimmten uns zu. Eigentlich hätte das den Politikern doch ein Zeichen sein sollen, dass ihre Einschätzung falsch war. Im Nachgang zu bedauern, man sei von deutschen Gerichten zur Korrektur "gezwungen" worden, ist für einen Politiker der Bundesregierung eine seltsame Rechtsauffassung und zeigt: Die Politik hat sich unter Corona von ihrer privaten, moralischen Haltung leiten lassen, um uns auszubremsen. Wie mit uns umgegangen wurde, war in höchstem Maß unsachlich.

"Ich wünsche Herrn Spahn, dass er jetzt sehr lange auf der Oppositionsbank sitzen bleibt."
Nun ist es aber schon verständlich, dass in der Notlage eher auf Bordelle verzichtet wurde als auf Schulen oder Supermärkte...

Natürlich! Das war auch für uns Sexarbeiter nie eine Frage. Aber zu suggerieren, dass Vergnügen für das Seelenleben der Menschen gar keinen Stellenwert hat, ist falsch. Und was ein verzichtbares oder unverzichtbares Vergnügen ist, hat nicht die Moral der Politik zu entscheiden. Die Friseure waren so schnell wieder geöffnet, weil es für das Wohlbefinden der Menschen wichtig sei, hieß es oft. Auch Hoteliers und Künstler wurden ernstgenommen. Wenn die Minister es gewagt hätten, diese Berufsgruppen als komplett verzichtbar abzuwerten, wäre der Aufschrei groß gewesen.

Warum ist Sexarbeit denn Ihrer Meinung nach wichtig?

Unsere Branche ist derart tabuisiert, dass viele es nicht hören wollen, aber Sexualität ist für Menschen ein Grundbedürfnis und auch ein großer Stabilitätsfaktor. Die Pause unter Corona hat uns deutlich gezeigt, welche Auswirkungen der Wegfall von Intimität und Sex für unsere Kunden hatte. Die Menschen waren isoliert und einsam, einige haben enorm darunter gelitten und uns dramatische Nachrichten geschrieben, bis hin zu Suizidgedanken.

Das Image der Branche war aber auch schon vor Corona nicht das Beste.

Ich bin schon so lange als Sexarbeiter-Aktivistin unterwegs und erinnere mich, dass es durchaus Momente gab, in denen sich die Politik zumindest mal zum Gespräch mit uns zusammengefunden hat. Doch schon bei der Debatte um das Prostituiertenschutzgesetz 2017 wollten die Entscheider auf Bundesebene nicht mehr mit uns reden. Die Coronakrise wurde von Prostitutionsgegnern politisch genutzt, um unsere Arbeit immer weiter zu verunmöglichen.

"Was ein verzichtbares oder unverzichtbares Vergnügen ist, hat nicht die Moral der Politik zu entscheiden."
Wie meinen Sie das?

Es begann mit dem Offenen Brief von 16 Abgeordneten der SPD und CDU, die bereits im ersten Lockdown forderten, man solle die Bordelle doch einfach für immer zulassen und Sexarbeit komplett abschaffen. Es ging weiter mit den unendlich langen Bordell-Schließungen, die dazu geführt haben, dass hunderte Frauen illegal auf der Straße ihr Geld verdient haben, wo sie Gewalt und schlechten Hygienebedingungen ausgesetzt waren. Und nun, kurz vor der Sommerpause und am letztmöglichen Sitzungstag, hat der Bundesrat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die "Freierstrafbarkeit" verschärft. Die ganze Branche weiß: Wir müssen uns warm anziehen. (Anm. d. Red. Der BSD lehnt die in der Gesetzesänderung vorgesehene Pflicht, dass sich Kunden die Anmeldung der Prostituierten nachweisen lassen sollen aus Datenschutzgründen ab. Man mache den Kunden so "zum verlängerten Arm der Überwachungsbehörde".)

Glauben Sie denn, dass die neue Bundesregierung eine neue Haltung zur Sexarbeit aufweisen könnte?

Wir kamen in kaum einem Wahlprogramm überhaupt vor, was uns nur bestätigt, dass wir wohl für keine Partei einen großen Stellenwert haben. Eine Ausnahme war hierbei die CDU/CSU, die verkündeten, sie würden gern das "Nordische Modell" einführen, also ein Prostitutionsverbot nach schwedischem Vorbild. Das überrascht uns natürlich nicht. Ich habe die deutsche Politik noch nie so ablehnend uns gegenüber erlebt, wie jetzt. Wir waren zwar immer die Schmuddelkinder, die am Rand agieren mussten, aber zumindest wurden wir auch mal angehört, wenn es um unsere Branche ging. Das geschieht momentan eigentlich nur noch auf Länderebene.

Die neue Bundesregierung steht ja noch nicht fest. Könnte es nicht sein, dass Sexarbeiter im Anschluss zu einem runden Tisch eingeladen werden?

(lacht schallend) Das ist süß. Wir würden uns sehr darüber freuen, aber momentan sehe ich das wirklich nicht kommen. Dabei wäre es bitter nötig. Die Erfahrung zeigt: Wenn die Politik Regelungen beschließt, die an den Erfordernissen der Branche vorbeigehen, sind diese wertlos. Sie werden schlicht unterwandert. Außerdem gäbe es viele Themen, die dringend besprochen werden müssen.

"Ich habe die deutsche Politik noch nie so ablehnend uns gegenüber erlebt, wie jetzt."
Was denn zum Beispiel?

Die Krankenversicherung der Sexarbeiter. Corona hat aufgezeigt, wie viele von ihnen nicht ordentlich versichert sind, weil sie sich die private Krankenversicherung nicht leisten können oder die Auflagen beim Eintritt nicht erfüllen. Das ist ein strukturelles Problem, was durch eine Bürgerversicherung oder auch durch die Künstlersozialkasse als Option ausgeglichen werden könnte. Ich denke, es gäbe Lösungsansätze – um diese zu finden, müsste die Politik allerdings mal mit und nicht über uns reden.

https://www.watson.de/leben/interview/1 ... szuspielen

Boris Büche
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Boris Büche »

"So mussten wir zum Beispiel die Bordelle wieder aufmachen, während die Schulen noch geschlossen waren."

So Spahn.
Wetten, das ist nicht nur impertinent, sondern schlicht falsch?
Meiner Erinnerung nach wurden sexuelle Dienstleistungen / dazu dienliche Etablissements in D. erst um August 2020 wieder zugelassen, und auch 2021 waren Bordelle länger geschlossen als Schulen, nicht?

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Veraguas
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Veraguas »

Das war ja ein ständiges hin und her. Bei uns in Hamburg gab z.B. eine Zeit wo die Kneipen geschlossen waren und die Bordelle offen. Da bildeten sich Trauben von Männern vor den Bordellen die dort nur ein Bier trinken wollten.
Welches Problem auch immer in der Gesellschaft besteht-
der Staat weiss eine völlig irre Problemlösung die niemandem nützt, aber Arbeitsplätze im Beamtenapparat schafft. H.S.

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Kasharius
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »

@all

ein hervorragendes Interview von Steffi Klee was zudem die Demagogie von Jens Spahn offenlegt. Hat sich ja hoffentlich bald "Ausgespahnt"...

Kasharius grüßt

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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »

...und noch weiteres zum unerfreulichen Thema Sexkauf-Verbot


https://www.swr.de/swraktuell/rheinland ... t-100.html

https://www.swr.de/swr2/wissen/sexkauf- ... d-100.html

Kasharius grüßt

Boris Büche
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Boris Büche »

Aus dem Manuskript des SWR-Beitrags:

"Vielleicht wird es eines Tages klappen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und gemeinsam Lösungen zu finden:
Um jene Frauen zu schützen, die zur Prostitution gezwungen werden, und die Arbeitsbedingungen für diejenigen Frauen zu verbessern,
die den Job freiwillig machen.
"

Ich denke, es würde reichen, die UNBETEILIGTEN von der Lösungsfindung zu entlasten,
und nicht mehr an dem "Tisch" willkommen zu heißen, dessen Existenz SIE ablehnen.
Man diskutiert ja schließlich über Aufnahme oder Integration von Geflüchteten nicht mit der NPD.

Wenn diese Selbstverständlichkeit - verfassungsfeindliche Fanatiker aus demokratischen Debatten rauszuhalten -
in Bezug auf AbolitionistInnen mal endlich formuliert würde, sollte es laufen.

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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »

@Boris ja das sehe ich mindestens bei Abolisten-Leni oder H&M auch so...

Kasharius grüßt

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deernhh
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von deernhh »

EXKLUSIV
Sexworkerinnen laden Jens Spahn ins Bordell ein, um "Einblicke" in die Branche zu geben

11.10.2021, 17:13
Julia Dombrowsky

Folgen
Politiker besuchen ständig Betriebe, um sich über die Arbeitsbedingungen und Erfordernisse der Branche zu informieren: So sah man Minister und Ministerinnen schon in Molkereien, Kliniken und Schulen. Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD) hat nun Gesundheitsminister Jens Spahn in einem öffentlichen Brief ins Bordell eingeladen. Sie wollen "die Gelegenheit nutzen und Ihnen umfassend Einblicke in die Vielfalt unserer Branche geben", heißt es in dem Schreiben vom Montag. Man lade den CDU-Politiker daher zu einem Bordellbesuch ein und das – "selbstverständlich diskret".

Die Einladung des BSD
Herr Gesundheitsminister Spahn: wir laden Sie zu einem Bordellbesuch ein!

Gegenüber der Presse äußerten Sie:
1. "So mussten wir zum Beispiel die Bordelle wieder aufmachen, während die Schulen noch geschlossen waren", bedauert Jens Spahn in einem watson-Interview.
2. Im Satz zuvor bedauert er es, dass die Politik "durch Gerichtsurteile zu Maßnahmen gezwungen" worden sei. Damit bezieht er sich auf die Klagewelle im Spätsommer 2020, nach der viele Bordelle unter Auflagen wieder öffnen durften.

Diese Aussagen haben uns erstaunt, aber auch verärgert.

Sie bezogen sich hier auf die Corona-Schließungen. Dabei ist Ihnen offensichtlich der Unterschied zwischen Bordellen und Schulen nicht bekannt, obwohl wir Sie in umfangreichen Statements darüber informierten:
– in den Schulen treffen für mehrere Stunden viele Schüler*innen zusammen.
– Sexarbeit in den Bordellen findet dagegen fast immer in einem 1 : 1 Kontakt statt (1 Sexarbeiter*in trifft auf einen Kunden) und meist sind die Kontakte kurz (15 – 30 Minuten). Wir haben Sexarbeit in Bordellen immer verglichen mit Frisören, Masseuren, etc. und aus epidemologischer Vorsicht eine Öffnung der Bordelle nur mit einem 1 : 1 Kontakt gefordert.

Dass die Politik durch Gerichtsurteile zur Öffnung der Bordelle gezwungen wurde (wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes), ist Bestandteil unseres rechtsstaatlichen Systems, das für Sie als Bundesminister selbstverständlich sein sollte. Haben Sie sich auch darüber mokiert, dass Hotels, Restaurants und Theater ebenfalls den Rechtsweg gegen Ihre Corona-Beschränkungen einschlugen?

Wir werfen Ihnen nicht vor, dass Sie keine Erfahrungen mit der Sexarbeitsbranche haben, wohl aber, dass Sie sich nicht informieren, bevor Sie Regelungen für Bordelle treffen und sich dann auch noch mit FakeNews despektierlich äußern. So wollen wir die Gelegenheit nutzen und Ihnen umfassend Einblicke in die Vielfalt unserer Branche geben und laden Sie zu einem Bordellbesuch – selbstverständlich diskret – ein.
Hintergrund der Einladung war eine Äußerung des Ministers in einem watson-Interview, in der er Bildungsstätten und Bordelle miteinander verglich. Für Stephanie Klee, Sprecherin des BSD, ein Beweis fehlender Sachkenntnis: "Entweder, er hat sich kein bisschen mit der Thematik beschäftigt – was doch eigentlich sein Job gewesen wäre – oder er wollte der Branche mit so einer Aussage nochmal einen mitgeben, um den Prostitutionsgegnern und -gegnerinnen seiner Partei einen Gefallen zu tun", sagte sie dazu als Reaktion.

Die Sexworkerinnen und Bordellbesitzer und -besitzerinnen im Verband wünschen sich, dass die Politik mit ihnen in den Dialog tritt, um Lösungen für aktuelle Probleme der Branche zu finden, wie zum Beispiel eine fehlende Krankenversicherung bei einigen Sexworkerinnen. Zu oft würde über, aber nicht mit ihnen gesprochen, kritisierten die Verbände der Sexworker in den vergangenen Jahren immer wieder.

Sexworker wünschen sich mehr Mitsprache in Debatten um ihre Branche
Ein parteiübergreifendes Problem: Erst vergangenen Freitag hatte zum Beispiel eine Podiumsdiskussion der SPD Baden-Württemberg unter dem Titel "Freiheit und Verantwortung – Prostitution im Fokus" stattgefunden, in dem man "die verschiedenen Ansätze, Blickwinkel und Probleme" des Rotlichtgewerbes diskutieren wollte. Sexworkerinnen waren nicht eingeladen, stattdessen debattierten zwei Politiker, eine Psychotraumatologin und ein Bischof miteinander.

In der Coronakrise hätten sich Politiker von "ihrer privaten, moralischen Haltung leiten lassen", anstatt sich mit den realen Arbeitssituationen auseinanderzusetzen, glaubt Klee. So würde Sex zwischen Prostituierten und Freiern derzeit nur im Eins-zu-Eins-Kontakt erlaubt und würde maximal 30 Minuten dauern, was mit dem Infektionsrisiko bei einer Massage vergleichbar wäre. Für das Rotlichtmilieu hätten dennoch oft strengere Regeln gegolten als für vergleichbare körpernahe Dienstleistungen. Vielerorts durften Bordelle erst wieder öffnen, nachdem sie vor Gericht Gleichberechtigung erstritten.

"Viele stellen nach einem Besuch fest, dass ihre Fantasie nichts mit der Realität im Bordell zu tun hatte."
BSD-Sprecherin Elke Winkelmann
Die Einladung, die an Pressevertreter und die Ministerien geschickt wurde, sei "absolut ernst gemeint", bestätigt Elke Winkelmann, selbst Bordellbesitzerin aus Berlin auf watson-Anfrage. "Wir haben schon oft Politiker und Politikerinnen bei uns gehabt, weil viele überhaupt keine Ahnung von Sexarbeit haben." Mit Ausstellungen und Tagen der offenen Tür würde man versuchen, eine Transparenz zu schaffen und aufzuklären. Wie ein Bordellbesuch unter Corona-Richtlinien läuft, hatte sich auch watson im August 2020 angeschaut.

Spahn soll nicht als Kunde kommen, sondern als Politiker
"Viele stellen nach einem Besuch fest, dass ihre Fantasie nichts mit der Realität im Bordell zu tun hatte", so Winkelmann. Welche Politiker schon zu Besuch waren, verrät sie nicht, da viele sich scheuen, eine Stippvisite öffentlich zuzugeben – und sei sie noch so unschuldig.

Auch Spahn soll natürlich "nicht als Kunde in ein Bordell gehen, sondern sich hier sachkundig machen", wie der Verband auf Facebook noch einmal klarstellt. "Hätte er dies getan, hätte er auch nicht den blödsinnigen Vergleich zwischen Kitas und Bordelle gezogen." Ob sich der Gesundheitsminister dafür Zeit nehmen wird, bleibt fraglich. Eine Antwort steht bislang noch aus.

https://www.watson.de/leben/exklusiv/91 ... e-zu-geben

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Kasharius
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »

Meine ganz persönliche Meinung dazu: Prinzipiell eine sehr gute Initiative...aber aller Voraussicht nach ist Jens Spahn ein Gesundheitsminister auf Abruf. Hoffentlich nimmt die ihm nachfolgende Person das Thema ernster und die Einladung dann wirklich an...

Kasharius grüßt

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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von deernhh »

https://kripoz.de/2021/09/28/einfuehrun ... henwuerde/


Um das Bild bewegend sehen zu können, bitte auf das Bild klicken.
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Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von floggy »

Nochmal gut davon gekommen beim Thema Sexarbeit und Würde. Sexarbeit und Gleichstellung bedarf aber laut Schlussfolgerungen der Autorin noch der kritischen Analyse, bzw wenn ich Anmerkung 7 lese (Lembke und Gugel) dann wird es brandgefährlich.

http://www.ciando.com/img/books/extract ... 382_lp.pdf

Die Dissertation von Gugel 2010 will ich hier nicht verlinken, weil sie von kofra München zur Verfügung gestellt wird. Bitte selbst danach suchen (Google Suche "Gugel Doktorarbeit").

http://www.gbv.de/dms/spk/sbb/toc/635923408.pdf

https://www.dhbw-vs.de/hochschule/mitar ... gugel.html

https://www.gaismair-gesellschaft.at/wp ... ressed.pdf

Quellenangabe

http ://www .ciando .com/img/books/extract/3845290382_lp.pdf
http ://www .gbv .de/dms/spk/sbb/toc/635923408.pdf
https ://www .dhbw-vs .de/hochschule/mitarbeitende/rahel-gugel.html
https ://www .gaismair-gesellschaft .at/wp-content/uploads/2019/01/2015_Gugel_78-ilovepdf-compressed.pdf
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »

VON WEGEN NICHTS ÜBER EUCH OHNE EUCH!

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wue ... m-100.html

bleiben wir wachsam

kasharius grüßt

Boris Büche
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Boris Büche »

Marietta Hageney ist "Frauenrechtlerin" und wird zu einer "Fachkonferenz" in Ulm interviewt.
Was gibt es denn fachliches zu ihrer Person zu erfahren?

- seit Jan. 2019 ist Frau H. Leiterin der Beratungsstelle von SOLWODI Baden-Württemberg e.V. in Aalen, Leni B.s Heimatstadt;
was sie dazu qualifiziert, erfahren wir nicht.
- wohl kaum ihre Mitgründerinnenschaft der Event-Location Freudenschmaus - trotz Wortspielerei;
- auch Frau H.s Firma "Hageney - Training - Beratung" mag nur theoretischer Geschäftsbetrieb sein, kein Hinweis auf Aktivität ist zu sehen;
- "Coaching" geht auch ohne Studium o. ä.;
Man kann allerdings noch was bei ihr lernen:
Kochen macht glücklich - gut kochen macht glücklicher!


und ein (für mich) neues grausames und abstoßendes Detail gab's noch dazu: des Oralverkehrs wegen entfernte Schneidezähne.

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floggy
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Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von floggy »

Ich hab' gerade gegoogelt, nach "cansin köktürk lanz", und die Treffer sind gewaltig:

Grüne bei Markus Lanz: „Skandal, dass so viele Erstwähler die FDP gewählt haben. Ich finde das schrecklich“ - WELT
https://www.welt.de/politik/deutschland ... klich.html

Bei „Lanz“: Moderator fällt Sozialarbeiterin ins Wort, die greift die Sendung an - Politik - FOCUS Online
https://www.focus.de/politik/sie-verdre ... 70243.html

Hitzige Debatte über soziale Gerechtigkeit in Deutschland | Markus Lanz vom 27. Oktober 2021 - YouTube
https://www.youtube.com/watch%3Fv%3DhnxUIwghZlU

Markus Lanz im ZDF sprachlos wie selten - „Ich weiß, wie es ist, mit wenig Geld klarzukommen“ | Politik
https://www.merkur.de/politik/markus-la ... 79992.html

Grünen-Politikerin: Skandal, dass die meisten Erstwähler die FDP gewählt haben - Berliner Zeitung
https://www.berliner-zeitung.de/politik ... -li.191631

Markus Lanz vom 27. Oktober 2021 - ZDF
https://www.zdf.de/gesellschaft/markus- ... 1-100.html

Lanz: Was ist Reichtum? Grünen-Politikerin kritsiert FDP - ZDF
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ ... e-100.html

Die Frau, die Lanz und Deutschland aufmischt? Dabei hat sich Cansin Köktürk mit dem Thema MIGRATION bei Lanz warmgeredet, und die Scheinheiligkeit der Europäer und Europäerinnen angeprangert. Auch da ist Frau Köktürk mit ihrer selbst- und grenzenlosen Hilfsbereitschaft schon auf Unverständnis gestossen, nämlich bei der Frage, "aber irgendwann muss doch Schluß sein mit der Aufnahme und Integration immer neuer Flüchtlinge?". Leider mußte ich mir die Antwort selber geben, weil sie nicht über ihre Lippen kam: Ja, wir helfen bis es nicht mehr geht, bis wir die Lebensverhältnisse aneinander angeglichen haben, bis keine Flüchtlinge mehr zu uns kommen, weil es keinen Grund mehr gibt, nach Europa zu kommen, weil die Lebensverhältnisse in der ganzen Welt die gleichen geworden sind. Wow! Ich würde gerne eine Fortsetzung bei Lanz erleben wollen, wo es um die Hilfsbereitschaft und Solidarität des Morgenlandes versus die Hilfsbereitschaft und Solidarität des Abendlandes geht. Und wer das Wort "Menschenrechte" in rein deklamatorischer Absicht in den Mund nimmt, wenn er "Hilfe in der Not" meint, hat verloren.

Es ist erst fünfhundert Jahre her, daß Europa zum größten Sündenfall der damaligen Menschheit aufbrach . . . . und nichts daraus gelernt hat.

Frau Köktürk hat Freiheit neu definiert, nämlich sich frei fühlen zu können in Sicherheit, wenn es allen gut geht, und alle glücklich sein können. Ja, es muss einem ein Bedürfnis sein, seinen Nachbarn und seine Nachbarin glücklich sehen zu wollen, und keine Angst vor ihnen haben zu müssen. Nach John Locke haben wir uns zu einem Staat(enbündnis) zusammengeschlossen, um in Sicherheit und Freiheit leben zu können, und nicht, um von diesem Staat(enbündnis) in unserer Freiheit und Sicherheit bedroht zu werden. Und es darf von unserem Staat(enbündnis) keine Bedrohung für andere ausgehen, was die gleichberechtigte Nutzung unserer Ressourcen "in Not" mit einschließt. Mein Haus ist dein Haus, und mein Bett ist dein Bett.

Was hat das mit Sexarbeit und Verbotsrethorik zu tun? Konzentrieren wir uns doch endlich auf die Beseitigung der Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Welt, dann wird sich die Frage von Sexkauf und Verbotsrethorik von ganz alleine lösen. Meine Message bis ans Ende meiner Tage. Mein erstes Interesse galt der Entwicklungsarbeit. Die "Früchte" erntet Europa gerade.

Es war ein Aufeinandertreffen der Generationen und Lebenseinstellungen: Gerhart Baum, 89-jährige Koryphäe der FDP diskutierte bei „Markus Lanz“ mit Cansin Köktürk, 28-jährige Sozialarbeiterin aus Bochum und seit einem Jahr Mitglied der Grünen.
Als es zu Beginn der Sendung mit weiteren Gästen um das Thema der Migrationswelle über Belarus und die polnische Grenze ging, beklagte Köktürk: „Wir sitzen hier und debattieren, warum nicht dieses Land mehr macht oder die da mehr Leute aufnehmen – warum fangen wir nicht einfach damit an und nehmen die Leute auf?“
Lanz erinnerte Köktürk daran, dass Deutschland das seit Jahren ja tue. „Wir können aber noch mehr Leute aufnehmen“, entgegnete sie, forderte „handeln und nicht rumlabern“. Als Baum sagte, dass die Aufnahmebereitschaft nicht „grenzenlos“ sein könne, konterte Köktürk mit einem klaren „Ich denke schon“.

Für Cansin Köktürk bedeutet "soziale Gerechtigkeit, dass wir nicht auf Kosten anderer leben“. Sie sparte auch an diesem Mittwochabend nicht mit Kritik an der FDP: "Die FDP spricht immer von liberaler Freiheit. Aber da geht es immer darum, dass einer darunter leidet.“ Köktürk selbst geht es um "soziale Freiheit“. Sie präzisierte: Meine Freiheit kann nur dadurch entstehen, dass auch ein anderer frei ist. Das bedeutet, dass wir alle ein würdiges Leben bekommen.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.

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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Boris Büche »

@friederike schrieb:
"Frank Heinrich MdB (CDU) ist ein besonders abstoßender Typ von Menschenretter."

Zu diesem Herrn eine Nachricht: Er gehört dem Bundestag nicht mehr an.
Leni B., und der Arbeitskreis "Prostitution wohin?" müssen also ohne ihn auskommen.

"Es ist das Ende seiner politischen – und damit seiner gesamten – Karriere. Der 56-Jährige steht vor dem Nichts."
formuliert t-online in einem einfühlsamen Porträt unter der Schlagzeile: "Ich hatte mir vorgenommen, kein Arschloch zu werden".

Ob das in 12 Jahren Mandatsinhaberschaft gelang, erfahren wir nicht wirklich.
Sein Familienleben konnte er noch retten.
Seinen Einsatz "für Prostituierte" kennen wir.

"Frank Heinrich ist der festen Überzeugung, dass die meisten Politiker keine schlechten Menschen sind. Viele seien nur fast zerrissen: zwischen dem öffentlichen Druck, den Zwängen der eigenen Partei und dem Wunsch nach persönlichem Vorankommen. Da bleibe eben das Sachargument manchmal auf der Strecke, glaubt er."
Lies *Gewissen* statt *Sachargument* - es stimmt genauso.

Als Psychogramm des modernen Parlamentsbetriebs ist der Artikel wirklich lesenswert.

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friederike
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von friederike »

Nein. Der Artikel ist als Beschreibung des Parlamentsbetriebs nicht lesenswert. Er watet in dieser Mischung aus Klischees und Moralin-versetztem Abwasser. Dieser Typ Frank Heinrich ist fest davon überzeugt, dass er selbst das moralisch Richtige verkörpert und den anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern seine Weltsicht aufdrücken muss. Ein frommer Missionar unter Heidinnen und Heiden eben. "Sachargumente" schätzt er selbst auch nicht, weil er das Aktenstudium verabscheut - er bezieht seine "Argumente" aus seiner theologischen Offenbarung. Wenn er von seinen angeblichen Erfahrungen als Streetworker spricht, steckt nicht viel dahinter und schon gar keine Recherchen. Die Realität kann solche Menschen nicht berühren, sie nehmen sie nur durch die starken Filter ihrer Vorurteile wahr. Heinrich ist endlich abgewählt worden, eines der erfreulichen Ergebnisse dieser Wahl.

Dieser t-online-Bericht (wer schreibt sowas eigentlich? Wer ist dieser Autor Tim Kummert?) zitiert ihn, als er ziemlich erschüttert der konstituierenden Sitzung des Bundestages von außen zusieht: "Ich wäre gern neidisch. Aber ich bin es nicht." Was soll ein solch unsinniger Satz? Natürlich ist er sauer, er wäre furchtbar gern Abgeordneter geblieben, der einzigen wirklichen Tätigkeit in seiner Laufbahn (er ist kein wirklich ordinierter Pastor der evangelischen Kirche), er hat die Reisen, die Bahnnetzkarte, die tollen Auftritte genossen. Er ist natürlich neidisch auf die, die jetzt dadrinnen sitzen, richtig gelb vor Neid - aber jemand mit einer solch hohen moralischen Wertigkeit muss das selbstverständlich sofort in Abrede stellen.

Dafür muss er nun gleich über den "irrwitzigen" Politikbetrieb herziehen. "Er ist der festen Überzeugung, dass die meisten Politiker keine schlechten Menschen sind. Viele seien nur fast zerrissen: zwischen dem öffentlichen Druck, den Zwängen der eigenen Partei und dem Wunsch nach persönlichem Vorankommen. Da bleibe eben das Sachargument manchmal auf der Strecke, glaubt er." Was diese Sätze eigentlich sagen, sei einmal in Klartext übersetzt: "Ich bin ein moralisch überlegener Mensch. Ich habe immer recht gehabt, aber die anderen sind meinen Belehrungen nicht gefolgt. Ich lasse mich von edleren Motiven leiten als die anderen, die ja nur äußerem Druck nachgeben und an ihr Fortkommen denken." Und weiter: "Ich sitze jedenfalls nicht zu Hause und weine den ganzen Tag. Ich habe es gern gemacht, aber es ist auch ein bisschen eine Befreiung." Wer so redet, sagt in Wahrheit: "Mir ist zum Heulen elend. Verdammt, es war so schön, wichtig zu sein, von den Diäten etc. mal ganz zu schweigen." Dann kommt wieder er: "Ich hatte mir vorgenommen, kein Arschloch zu werden." Auch das heißt im Klartext etwas anderes, nämlich: "Die anderen, die in der Arbeit im Bundestag besser waren als ich, sind eben bereit gewesen, Arschlöcher zu werden."

Diesem Heuchler kann ich eine Beruhigung zurufen: "Seien Sie unbesorgt, Sie sind im Politikbetrieb kein Arschloch geworden. Sie haben sich nicht verändert." Die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten ist eben genau das: Arbeit. Sie ist hochbezahlt (auf dem Gehaltsniveau eines Spitzenbeamten, nämlich eines Ministerialrats) und mit zahlreichen Privilegien ausgestattet. Aber man muss dafür auch viel leisten: man muss in komplexe Materien eindringen, man muss sich ein Urteil dazu bilden, man muss seine Ergebnisse kommunizieren und andere davon überzeugen, man muss sich durchsetzen und Mehrheiten organisieren. Es reicht nicht, im Kanzelton donnernd hohle und im Grunde nichtssagende Phrasen wie "Deutschland ist das Bordell Europas" zu tönen und sich daran zu sonnen, dass die BILD-Zeitung das zitiert und damit ihre Auflage steigert. Wie in jedem Beruf ist es auch beim Politiker so, dass es sehr hilfreich ist, wenn man den Beruf kann, das Handwerk beherrscht. Wer klavierspielen kann, tut sich leicht, vor Publikum vorzuspielen. Für den, der nicht klavierspielen kann, wird ein Job als Barpianist zur "irrwitzigen" Belastung. Man sollte sich als Abgeordneter auch nicht wundern, dass der Beruf zu einem sehr hohen Anteil im fernen Berlin ausgeübt wird. Das weiß man vorher, und auch, dass dies bedeutet, dass das Familienleben am Heimatort nicht unberührt bleibt. Dafür gibt es dann monatliche Bezüge von 10.012,89 Euro, eine Kostenpauschale von monatlich 4.560,59 Euro, in Berlin einen Chauffeur-Fahrdienst, eine bundesweite Bahnnetzkarte (1. Klasse), Inlandsflüge (Business Class), Mitarbeiter im Büro (54 qmm) sowie Mitarbeiter im Wahlkreis. Und noch manch anderes mehr. Herr Heinrich wundert sich, dass er dafür arbeiten muss, und zwar mehr als 8 Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche. Tja.

Es ist nicht der Politikbetrieb, der irrwitzig ist. Das Problem ist, dass viele diesen Beruf ergreifen, obwohl sie dafür nicht wirklich qualifiziert und vorbereitet sind, obwohl sie dafür gar nicht "gemacht" sind, obwohl dieser Beruf gar nicht der Richtige für sie ist. Sie wählen diesen Beruf aus den falschen Motiven: ein hohes Einkommen, ein gesellschaftliches Standing, das (wenn es gut läuft) wärmende Licht der Öffentlichkeit, das für das Ego wohltuende Gefühl, Einfluss zu haben. Manche glauben auch, eine feste moralische Haltung zu haben, die sie mit einem Abgeordnetenmandat auch anderen zugute kommen lassen können, und sind dann erschüttert, wenn sie feststellen, dass das in der Parlamentsarbeit bei weitem nicht ausreicht.

Menschen werden in einem Beruf nicht glücklich, wenn der Beruf nicht für sie passt und wenn sie ihn aus den falschen Motiven gewählt haben. Deswegen gibt es unglückliche, überforderte Bundestagsabgeordnete genauso wie es, zum Beispiel, Prostituierte gibt, die mit ihrem Beruf nicht zurechtkommen. Das erlaubt dann aber kein Urteil über den Beruf an sich, weder bei Abgeordneten noch bei Prostituierten.

Obwohl - vielleicht sollte man dieser Erscheinung der Zwangs-Bundestagsabgeordneten einmal schärfer entgegentreten. Kein Mann macht das freiwillig, nicht wahr? Schade, da hätte Frank Heinrich vielleicht etwas bewegen können.

Boris Büche
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Boris Büche »

Doch!
@friederike, Du bestätigst gerade: "Als Psychogramm [ . . .] ist der Artikel wirklich lesenswert", und ich stimme dem, was Du sagst, in vollem Umfang zu. "Lesenswert" muss ja nicht heißen "gefällt" - "aufschlussreich" wäre eine alternative Lesart. Herr Heinrich war nichts, erreichte nichts, und jetzt ist seine Karriere zu Ende, die aus einem gut bezahlten NICHTS bestand - und der Herr Journalist Kimmert hat es geschildert, auch wenn er sich dessen wohl kaum bewusst ist.

"Wer ist dieser Autor Tim Kummert?"
Kann man bei t-online sehen: Ein Naivling, der "in Tübingen Politikwissenschaft und Jura studiert" hat, und jetzt "als politischer Reporter" arbeitet. Gerade posiert er (als Einblendung) vor der kriegsmäßig befestigten EU-Außengrenze bei Białowieża (PL) und gruselt sich: "Hier herrscht völliger Ausnahmezustand". Von Herrn Kummert ist nicht zu erwarten, dass er mehr als die Oberfläche schildert, oder etwas grundsätzlich in Frage stellen könnte.
Ein typischer Vertreter seiner Zunft, wie sie heute ist:
Ich schreib' mir die Welt, wididiwie sie mir gefällt - und komme mir großartig vor, besonders wegen der moralisch überlegenen Haltung,
die ich dabei zur Schau stellen kann!

P.S.: Der Link zum Artikel zu Frank Heinrich scheint inaktiv zu sein - drum setze ich ihn nochmal

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friederike
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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von friederike »

Jetzt funktioniert der Link - man kann den Artikel auch über Google finden.

Was ich sagen wollte: als ein "Psychogramm des Politikbetriebes" ist der Artikel nicht brauchbar. Der Politikbetrieb funktioniert nicht so, wie Frank Heinrich und dieser Journalist es darstellen wollen. In die Psyche des Ex-MdB Frank Heinrich und anderer Drop-outs erhält man sicherlich Einblicke. Ich denke, das ist es auch, was Du meinst.

Es geht mir darum, mich gegen solche Versuche vonseiten solcher Loser zu wehren, die Arbeit des Parlaments zu diskreditieren. Der Parlamentsbetrieb funktioniert nämlich bemerkenswert gut. Natürlich nicht perfekt, das geht gar nicht und wäre vielleicht auch wieder ungesund, aber wesentliche Kritik gibt es nicht und von "Irrwitz" kann sicher nicht geredet werden.

Wie gesagt, es ist halt Arbeit, und zwar auf hohem Niveau. Die Arbeit des Abgeordneten Heinrich, soweit ich mich damit befasst habe, war fraglos unter dem geforderten Anspruch. Das ist aber zum Glück nicht bei jedem Abgeordneten der Fall, da wird in der Mehrheit ordentliche Arbeit geleistet.

Abgewählt wurde übrigens auch Sylvia Pantel (CDU) aus Düsseldorf, die zu den Federführern bei dem unseligen ProstSchG gehört hat. Ich habe sie deshalb vielfach kritisiert. In der letzten Zeit ist sie allerdings den AbolitionistInnen in der CDU/CSU-Fraktion sehr energisch entgegengetreten und hat im Grunde im Alleingang verhindert, dass deren Positionen ernsthaft verfolgt wurden. Ich muss auch eingestehen, dass viele Besorgnisse hinsichtlich des ProstSchG sich nicht materialisiert haben und sich auch einzelne positive Wirkungen eingestellt haben, man soweit das nach den Unterbrechungen durch Corona sagen kann. So sehr ich das Ausscheiden des Frank Heinrich also begrüße, die Abwahl von Sylvia Pantel wird sich nachteilig erweisen.

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Re: Sexarbeit- Über Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »

"Ein typischer Vertreter seiner Zunft, wie sie heute ist:"

Wieder so ein undifferenziertes Pauschalurteil diesmal über Journalisten. Es tut mir leid @ Boris aber das ist anmassend und entwertet meiner Ansicht ein wenig nach Deine Solidarität mit SW. Warum :Weil Du hier letztendlich genauso populistisch argumentierts, wie die von Dir so vehement kritisierten Abolitionistinnen; deren Methoden einfach - im anderen oder gleichen Kontext zu übernehmen ist m.M. nach nicht zielführend...zumal Deine ausführlicheren Texte ja gegenteiliges beweisen

Es gibt gute und schlechte Anwälte oder ...nichts für ungut aber guten usern gibt man ein...

Kasharius grüßt Dich und freut sich auf Deinen differenzierten Tritt in den A...auf dem ich sitze KEEP ROLLING ! ;)