Polizei-Gesundheitsamt-Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Abgesehen vom Fehlen der nötigen Hilfsinstitutionen für Sexworker findet hier auch alles Platz, was ihr an bestehenden Einrichtungen auszusetzen habt oder loben wollt
Benutzeravatar
Zwerg
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 18062
Registriert: 15.06.2006, 19:26
Wohnort: 1050 Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Polizei-Gesundheitsamt-Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Zwerg »

Angeregt durch eine Diskussion im internen Bereich des Forums, bei der es dabei ging, ob es tatsächlich sein kann, dass Jemand für das "Blickkontakt zu einem Auto suchen" und durch "Nicken und oder Kopfbewegungen auf sich aufmerksam machen" in Wien als Prostituierte bei der Anbahnung überführt werden und mit einer hohen Verwaltungsstrafe belegt werden kann? Aufmerksame LeserInnen im Forum werden wissen, dass es um den verlinkten Strafzettel gegangen ist.

https://www.sexworker.at/Strafverfuegung_neutral.jpg

Ich habe nun ein wenig weiter recherchiert und bin auf eine TV-Serie gestoßen, welche in AT ausgestrahlt wurde und auch regelmäßig wiederholt wird. Die Serie hat den Titel "Pratergeschichten" und wurde von und für ATV (einem österreichischen Privatsender) produziert. Obwohl sie als Trashdoku zu verstehen ist, werden in der Sendung tatsächliche Vorfälle dokumentiert bzw. gefilmt. Ich bin sicher, dass die Szenen nicht gestellt und auch dass die ProtagonistInnen echt sind, da ich einige davon persönlich kenne und in einer Folge auch ich selbst das unangenehme Vergnügen hatte, gefilmt zu werden (dies ist jedoch auf den von mir zusammengefassten Video nicht drauf).

Hier nun die Ausschnitte:



Und jetzt stellen sich hier für mich einige Fragen:

Warum werden Frauen migrantischer Herkunft in den absolut gleichen Situationen (stehen auf der Straße im Stuwerviertel bzw. in der Nähe des Praters ) bestraft und Frauen welche InländerInnen sein dürften nicht? Warum verläuft der Ton der Amtshandlung in einem Fall derart rüde und im anderen Fall zivilisiert?

Warum ist es ausreichend, als Frau in manchen Gegenden (sogar am Nachmittag) unterwegs zu sein, um eine derartige Amtshandlung ertragen zu müssen? Im Wiener Prostitutionsgesetz heißt es, dass die Anbahnung verboten ist. Also der versuchte Kundenkontakt... Wo steht, dass die Dinge welche man im Video zu sehen bekommt, auch strafbar wären? Warum dreht man solche Dokumentationen? Kann man sich nicht vorstellen, dass derartiges Filmmaterial in höchstem Maße "färbend" auf die Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber migrantischen MitbürgerInnen wirken. Dazu noch für SexarbeiterInnen stigmatisierende Wirkung haben? Ist das jenes Bild, welches die Exekutive von sich geben will? Dass ein Privatsender derartige Bilder sucht, ist in meinen Augen legitim. Dass aber BehördenvertreterInnen bereitwillig mitmachen ist mir nicht begreiflich!

Und warum ein Chefinspektor der Wiener Polizei SexarbeiterInnen als Nutten bezeichnet ist für mich unakzeptabel!

Zur Erklärung: Der oben verlinkte Strafzettel wurde vor dem Drehtermin ausgestellt. Zu der Zeit war dort (das Video zeigt genau diesen Raum) in der Nähe des Parkplatzes noch Straßenprostitution erlaubt. Die Strafe wurde gegen eine SexarbeiterIn (registriert, also mit Deckel) verhängt, wie sie (weil Regen einsetzte) den erlaubten Platz verlassen hat und nach Hause gegangen ist - sie wohnt im Stuwerviertel und hat keine andere Möglichkeit, außer dort über die Sperrzone zu gehen, um zu ihrer Wohnung zu gelangen....

Das natürlich auch tatsächliche SexarbeiterInnen (auch Registrierte) im Video beanstandet werden, ist außer Frage. Die Frage ist für mich, ob eine SexarbeiterIn, welche ihrer Verpflichtung zur Registrierung nachkommt, also eine grüne Karte hat, nun wirklich damit "schuldig" ist und somit auch dann bestraft werden kann, wenn sie sich nur in der Gegend des Sperrgebietes (übrigens 99% von Wien sind keine Erlaubniszone) aufhält.

christian knappik

Als Zusatz: Als SexarbeiterIn wird man bei der Ausstellung des "Deckels" belehrt, dass man bei einer Kontrolle den PolizistInnen die Karte zeigen muss. Mich wundert es nicht, dass die auch dann geschieht, wenn man nur beim Spazierengehen aufgehalten wird - dies ist kein Hinweis darauf, dass man sich gerade prostituiert. Und dann noch: Wenn Jemand ohne sich als Polizist zu erkennen gibt aus einem Auto ruft "was machen Sie da, kommen Sie her, kann es auch vorkommen, dass eine Frau in der Nacht Angst bekommt und weg läuft.... ist es deswegen tatsächlich gerechtfertigt ihr zu unterstellen, dass sie eine strafbare Handlung begangen hat....?

Beachtet bitte: Ich kritisiere nicht so sehr die BeamtInnen - sondern die Gesetzgebung, welche derartige Dinge ermöglicht bzw. bisweilen sogar erzwingt.
Zwerg

Kontakt per PN oder über das Kontaktformular:
memberlist.php?mode=contactadmin

Notfälle: ++43 (0)676 413 32 23

Benutzeravatar
Magdalena
wissend
wissend
Beiträge: 252
Registriert: 30.09.2008, 23:02
Wohnort: Wien
Ich bin: SexarbeiterIn

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Magdalena »

Kann gar nicht so viel essen, wie ich k...… möchte! Ich will Niemand Rassismus unterstellen, aber der Gedanke drängt sich nach Ansicht des Videos auf.

Magda, solidarisch mit den KollegInnen! Was die Denen antun, tun sie uns Allen an.

Benutzeravatar
floggy
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 385
Registriert: 15.09.2013, 19:28
Wohnort: 85716 Unterschleissheim
Ich bin: KundIn

Wehe, wenn sie losgelassen

Beitrag von floggy »

Einfach nur krass. Mangels Masse wird einfach gegen Jedermann vorgegangen, und man hat dabei gar nicht mal ein ungutes Gewissen. Man fühlt sich ja im Recht. Schlimmer finde ich wird's dann noch, wenn BürgerInnen das Heft selbst in die Hand nehmen, wie in Saarbrücken 2014 und Salzburg 2015, und Streife gehen, und Verstöße der Polizei melden, und von der Polizei einfordern, endlich hart durchzugreifen. In Saarbrücken hat die Polizei, nach Inkrafttreten des Tagarbeitsverbot, die Frauen zunächst auf dem Hauptfriedhofparkplatz arbeiten, und an der Bushaltestelle anbahnen lassen, weil sie wohl ein Einsehen hatte, dass Sex gegen Bezahlung im stockfinstren Deutschmühlental doch ein ganz klein wenig außerirdisch anmutet. Der Mob hatte auch versucht, die Frauen dort mit glühenden Eisenstangen einzuschüchtern. Es gibt immer eine Steigerung.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.

Benutzeravatar
Kasharius
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 4100
Registriert: 08.07.2012, 23:16
Wohnort: Berlin
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Kasharius »

Und das ganze unter dem heimeligen Label PRATER GESCHICHTEN (Da denke ich an Peter Alexander oder Hans Moser...) Ich finde das alles auch zum "speien". Sollte man all dies nicht mal in einer Art Schwarzbuch dokumentieren und den lokalen Wiener Entscheidungsträgern übergeben/vor die Füsse werfen...wahrscheinlich wieder so ein naives Hienjespinnst vom Kasharius...

Kasharius grüßt

Benutzeravatar
deernhh
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 1640
Registriert: 17.06.2018, 13:17
Ich bin: SexarbeiterIn

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von deernhh »

Nicht nur das, was oben berichtet wurde, sondern noch viel mehr:
Was wir Sexarbeiter*innen nicht alles erleben/erdulden/ertragen muessen:
* Diskriminierung
* Respektlosigkeit
* Rassismus
* Reduzierung unserer Arbeitsplaetze
(wo koennen wir ueberhaupt noch in Ruhe und sicher legal arbeiten?)
* Unterstellungen, dass wir SW nicht selbststaendig denken koennen/wuerden
* Stigmatisierung
* Hexenjagd gegen uns
* Kontrollen, ob wir ja auch "richtig" arbeiten
* nachteilige Gesetze, die nichts nuetzen/bringen
* Klischees
* Vorurteile
* menschenrechtswidriger Umgang mit uns
* Missbrauch unserer nur zur Werbung gestellten Fotos/Bilder
* unsittliche Vertraege durch Escortagenturen/Betreiber*innen und/oder Zimmervermieter*innen/Fotografen
* Versteckspiel in Sachen Beruf vor Familien/Freunden
* Abkassieren unseres sauer verdientes Geldes (meist durch unsere Bereitschaft, taeglich 12 Stunden und mehr fuer die Kunden da zu sein) durch Zimmervermieter und andere, dass das letzte restliche Fitzchen Geld gerade so fuer unser Privatleben (Wohnung, normale Lebnshaltungskosten) reicht, um "ueber"leben zu koennen
* unsinnige aerztliche Untersuchungen unserer Pussys alle 6 Wochen
* unfassbar abnorme hohe Geldstrafen ab 500 €, nur, weil mal geschaut, gewunken, freundlich geplaudert wurde
* Registrierungen, Hurenausweise/Deckel immer bei sich tragen
* manchmal bloede Anrufe/Mails/SMS von "angeblichen" Kunden
* manchmal Verdienstausfaelle durch Kunden, die trotz Termin nicht wenigstens telefonisch entschuldigt nicht erscheinen (weil Absage an andere Kunden, die zeitgleich auch kommen wollten). Faketermine
* manchmal unsinnige/unnoetige "Verhandlungen" mit Kunden in Sachen Preise wie auf dem Flohmarkt/Basar, wenn die Kunden nicht verstehen, dass unsere Dienstleistungen eben seinen Preis hat
* SW-Print-Werbeanzeigen sind teurer als z.B. "normale" Autoverkaufsanzeigen
* Voyorismus/Anstachelungen durch Youtube/Journalismus (bei Journalismus teilweise)
* Prostitution durch TV-Filme klischeeisiert wird
* und so weiter und so fort .............

Das alles durch die ganze, "ach so tolle tolerante" Gesellschaft/Bevoelkerung, wie z.B.
* Politiker*innen
* Legislative, Executive, Judikative
* Polizist*innen
* Feministinnen
* Abolitionistinnen
* Anrainer*innen
* Behoerden aller Art
* frustierte/hysterische Ehefrauen/Freundinnen/Partnerinnen
* TINDER- und Swingerclubgesellschaft (jaja, Kostenlos-Fick. Wir SW sind doch nicht bloed und lassen "es" uns bezahlen)
Teilweise/ferner
* Sexwork-Aussteiger*innen
* Familie/Freunde
* Kunden
* und so weiter und so fort ...........

Ist Euch ueberhaupt schon mal aufgefallen, dass wir Sexarbeiter*innen so ziemlich ruhig sind, bei der Arbeit, im Privatleben, ueberhaupt generell allgemein und ganz besonders GERADE BEI DEN FRAGWUERDIGEN, UNMENSCHLICHEN POLIZEI-AMTSHANDLUNGEN WIE Z.B. IN DEM OBIGEN VIDEO, wir also noch nicht mal austicken?

Denkt mal nach ...

Benutzeravatar
floggy
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 385
Registriert: 15.09.2013, 19:28
Wohnort: 85716 Unterschleissheim
Ich bin: KundIn

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von floggy »

"Ist Euch ueberhaupt schon mal aufgefallen ... wir also noch nicht mal austicken?"

doch, doch. Das bewundere ich enorm, und Ihr seid alle mein Vorbild.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.

Benutzeravatar
Zwerg
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 18062
Registriert: 15.06.2006, 19:26
Wohnort: 1050 Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Zwerg »

Kasharius hat geschrieben:
27.09.2018, 21:52
Sollte man all dies nicht mal in einer Art Schwarzbuch dokumentieren und den lokalen Wiener Entscheidungsträgern übergeben/vor die Füsse werfen..
Ups.... Ich habe erst Gestern mehrere lange Telefonate geführt, wo es genau darum ging - und auch da tut sich was und zwar in einer Form, die nicht ignoriert werden kann. Es ist gut, wenn derartige Ungeheuerlichkeiten auch von anderen Seiten aufgegriffen werden (ohne jetzt zu viel verraten zu wollen) und die Verfolgung von SexarbeiterInnen massiv kritisiert wird.

Liebe Grüße

christian

Benutzeravatar
deernhh
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 1640
Registriert: 17.06.2018, 13:17
Ich bin: SexarbeiterIn

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von deernhh »

Naja, Sprech Sprech von anderen.
Seit Jahrzehnten schon.
In die Tat umsetzen?
Minimal.
Eigentlich eher, was "anderen" nuetzt.
Naja, viel Sprech Sprech, wenig dahinter ...
Wer's glaubt, wird selig ...

Benutzeravatar
Zwerg
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 18062
Registriert: 15.06.2006, 19:26
Wohnort: 1050 Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Zwerg »

deernhh hat geschrieben:
28.09.2018, 00:45
Naja, viel Sprech Sprech, wenig dahinter ...
Wer's glaubt, wird selig ...
Dem ist definitiv nicht so - wenn ich nicht wüsste, was ich in dem Fall weiß, wäre ich auch skeptisch.

Es gibt ja in unserer Runde auch ein, zwei oder auch mehr Beispiele von Leuten die bisweilen versuchen etwas in die Tat umzusetzen..... Meine Minimalität zum Beispiel - ich bin auch nur ein engagierter Außenstehender und habe keinerlei Bezug zur Sexarbeit selbst. Der gemeinsame Nenner heißt Menschenrecht - und da engagiert sich gerade wer (Außenstehende/r) - gewaltig, wofür ich äußerst dankbar bin.

Der Frust der bisweilen durchbricht ist verständlich - Aber gerade bei einem Thema wo es (auch für Außenstehende) sofort nachvollziehbar ist, dass da was in die falsche Richtung läuft gibt es Reaktionen die etwas bewirken könnten. Unsere Aufgabe ist, derartiges aufzudecken und auch entsprechend zu dokumentieren. Das wir hier unter uns wissen, dass es Derartiges gibt, bewirkt nur noch mehr Frust. Wenn aber Personen die nichts mit "der Sache" zu tun haben, sich zu Wort melden und konkrete Vorschläge bringen, so ist das eine Chance. Wir werden weder vereinnahmt, noch spricht wer für "uns".

Als gutes Beispiel finde ich den Artikel über die Seelsorgerin Monika viewtopic.php?p=157472#p15747244

Das Video oben habe ich bewusst öffentlich eingestellt - ich möchte dadurch auch Reaktionen von "NurleserInnen" bewirken. Natürlich gibt es keine Garantie, dass das was gerade in Vorbereitung ist, auch funktioniert. Aber es nicht zu wagen, würde für mich bedeuten aufzugeben - es hinzunehmen, dass eine Gruppe, die ich schätze und achte, derart behandelt wird. Und auch wenn es Manche als Drohung wahrnehmen könnten: So weit bin ich persönlich noch lange nicht.

Herzliche Grüße

christian

Benutzeravatar
Jupiter
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 892
Registriert: 13.08.2010, 09:30
Wohnort: Südbaden
Ich bin: Keine Angabe

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Jupiter »

Nachdem der FPÖ-Innenminister mit seiner Presse-Maulkorb-Anordnung an die Polizeibehörden für internationale Aufregung gesorgt hat, ist wohl in Punkto Menschenrechte kaum Verbesserung zu erwarten. Jeder fragt sich mittlerweile, dass diese Nominierung vom Staatspräsidenten geduldet wurde.
Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

Benutzeravatar
hapebe
wissend
wissend
Beiträge: 261
Registriert: 15.09.2010, 18:29
Wohnort: Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von hapebe »

Das Video zeigt schön die Willkür der Amtsorgane. Leider kommt es auch sehr gekünstelt rüber. Sicher ist ein Inspektor kein geborener Schauspieler, jedoch finde ich seine Art und Umgang mit Menschen und Worten teilweise sehr unpassend für ein Staatsorgan. Schade. Leider müssen die Medien es wohl zum eigenen Nutzen so übertrieben reisserisch darstellen. Nein, ich lasse mich nicht weiter aus.

Liebe Grüße von Hans-Peter
„Ein Atom ist leichter zu zertrümmern als ein Vorurteil“ (Albert Einstein)

Benutzeravatar
Kasharius
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 4100
Registriert: 08.07.2012, 23:16
Wohnort: Berlin
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Kasharius »

@Zwerg

ich sage hier mit allem Ernst: Wenn ich in Sachen Schwarzbuch in irgendeiner Form im Rahmen meiner geringen Möglichkeiten helfen kann, dann werde ich das versuchen!

Kasharius grüßt

Benutzeravatar
floggy
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 385
Registriert: 15.09.2013, 19:28
Wohnort: 85716 Unterschleissheim
Ich bin: KundIn

Was kann der Einzelne tun?

Beitrag von floggy »

"Naja, viel Sprech Sprech, wenig dahinter ...
Wer's glaubt, wird selig ..."


Ich kann das sehr gut verstehen. Irgendwie sind alle ratlos. Die 'guten' Jahre sind zudem vorbei. Jetzt redet man vom Rollback und Backlash.

Meine Antwort: Präsent sein. Präsent sein ist Pflicht. Sich nicht wegducken. Empathisch sein.

Ich laufe mir gerne die Hacken ab, in München, Augsburg, Stuttgart, Saarbrücken, und anderswo, wenn mir jemand Material in die Hand gibt, mit dem sich der Organisationsgrad erhöhen läßt. Laufen ist gut für mich. Beschäftigt sein auch. Sich nur mit Flugblättern und Plaudereien an die gespaltene schachmatt im Sessel sitzende deutsche Fernsehgesellschaft zu richten, halte ich für zu wenig. Und das Thema Armut und Migration ist in meinen Augen nicht geeignet, im deutschen Rechtssystem Fuß zu fassen. Die, die es sich leisten können unter den Sex Workers, müssen sich organisieren, und politisch und sozial Druck machen. Vehement und penetrant. Diejenigen, die es sich nicht leisten können, müssen versuchen zu überleben, ohne von den anderen ausgegrenzt zu werden (Sex Workers sind naturgemäß ebenso pluralistisch aufgestellt wie die Gesamtbevölkerung, und die Probleme der Verständigung und Partizipation sind auch nicht geringer).

Ohne sich zu wehren, wird sich wohl nichts ändern. Aber diejenigen, die sich heute noch nicht wehren können, müssen sich sagen können, so will ich auch mal werden.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.

Benutzeravatar
Zwerg
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 18062
Registriert: 15.06.2006, 19:26
Wohnort: 1050 Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Zwerg »

Da in Österreich nahezu alle selbstständigen Formen der Sexarbeit (ohne BetreiberIn) verboten oder nahezu verunmöglicht sind, ist es schwer sich zu Aktionen zusammen zu finden. Eine Demo ist hier im Land (gab es zwar mal, aber von BetreiberInnen organisiert und auch entsprechend mitgestaltet) eigentlich undenkbar - bevor Jemand sagt "vermummt" - auch das ist verboten. "Ich arbeite illegalisiert" kann man schwer tönen... Umso wichtiger ist es Medien und auch Außenstehenden (StudentInnen zum Beispiel) teilnehmen zu lassen. Nicht Nacktheit zeigen, nicht Klischee bedienen - sondern Fakten und Dokumente sammeln und entsprechend auch weiter geben (geschwärzt, aber doch erkennbar was und wo geschehen ist.

Wer meine Onlinezeiten verfolgen würde, könnte erkennen, dass ich meistens am Donnerstag oder Freitag nachts nicht "da" bin Heute ist eine Ausnahme, da ich mich Heute Nachmittags mit einer UserIn zu einem Verifizierungsgespräch getroffen habe und keinen anderen Termin machen wollte, um nicht in Zeitdruck zu geraten. An diesen beiden Tagen bzw. vorwiegend Freitags habe ich zumeist Gespräche oder "Touren" mit StudentInnen bzw. Diskussionen - ich halte diese Öffentlichkeitsarbeit für immens wichtig und auch zielführend. Ebenso gibt es regelmäßige Treffen mit uns befreundeten NGO?s um gemeinsames Vorgehen zu besprechen. Auch die NGO`s welche nicht direkt mit uns dürfen (da die Trägerorganisationen keine Freude damit hätten) tauschen sich mit uns entsprechend aus.

Klar ist das nervenaufreibend und bisweilen sind es auch leere Kilometer. Das jedoch die Zwangsuntersuchung in AT seit Anfang des Jahres statt wöchentlich "nur" mehr alle 6 Wochen stattfindet und man bereits Gerüchte hört, dass man über 3 Monate Abstand zumindest nachdenkt, hat damit auch zu tun. Nicht wir alleine sind die vom Erfolg gekrönten - da haben Viele Druck gemacht und nachgefragt. Uns ist das aber zu wenig: Wir wollen auf Grund der damit verbundenen Menschenrechtsverletzung eine Abschaffung - und deshalb machen wir weiter.

Nur so - und über den öffentlichen Teil des Forums, welchen Ihr bestückt - haben wir die Möglichkeit Gehör zu finden. Auch mit unseren Schattenberichten wenden wir uns an "Poltik und Außenstehende" auf einer internationalen Ebene - auch hier gab es bereits Erfolge und auch entsprechende kleinere Verbesserungen. Mühsam? Allemal! Manchmal enttäuschend? Viel zu oft! Aufgeben? Nein, wir fordern unsere Rechte ein! Warum ich schreibe unsere Rechte? Weil es um Menschenrechte geht und jeder Eingriff in die Lebensqualität einer Gruppe auch mich persönlich betrifft. Genauso wie jede SexarbeiterIn betroffen ist, wenn irgendwo eine Kollegin diskriminiert oder ungerechtfertigt bestraft wird.

Ich bin, trotz der verheerenden Gesetzeslagen in Europa, eigentlich optimistisch, dass wir auf dem richtigen Weg sind! Wäre es denn denkbar gewesen, dass es Heute einen eigenständigen SexarbeiterInnenkongress gibt, wie er jetzt gerade in Berlin statt findet? Ich kann mich noch gut erinnern wie es die "Fachtagung Prostitution" gegeben hat - gemeinsam mit Beratungsstellen wurde "die Sache diskutiert und auch entsprechend nach Lösungen gesucht" - bis unser Marc einer der Ersten war, der aufgestanden ist und gesagt hat "wir machen etwas Eigenes" - Unsere Rose war ebenso mit dabei und auch ich bin damals unter den Stehenden gewesen und stolz darauf in dieser Runde dabei zu sein. Einer der Gründe warum dies geschehen ist war, dass damals das österreichische Gesundheitsamt (dort wo die Zwangsuntersuchungen stattfinden) eine VertreterIn zu diesem Konkress entsandt hat. Damit war klar - so geht es nicht. Wir werden nicht mit der Kontrollbehörde am Tisch (auch wenn die Person selbst durchaus OK war) unsere Sorgen, Ängste und unsere weitere Vorgehensweise besprechen.

Oder auch das Treffen zu den Frankfurter Prostitutionstagen? Auch da gab es auf einmal etwas, was früher nicht funktioniert hätte. Wir sind auf dem richtigen Weg, der noch sehr weit und steinig ist, aber ich denke, dass wir uns nicht entmutigen lassen sollen. Wir können gehört werden, wenn wir auch den Ton hierfür finden. Frust ist bisweilen angebracht und verständlich - jedoch, da bin ich sicher, dass wir stückweise vorankommen.

Ich gebe zu, dass auch ich manchmal vor der Frustration nicht davon laufen kann. Aber wenn ich dann im Forum oder auch vor Ort, sehe dass da wieder wer eine Idee hat - etwas aufzeigt, so gibt das wieder den Schwung den ich brauche.

Liebe Grüße

christian

Benutzeravatar
Kasharius
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 4100
Registriert: 08.07.2012, 23:16
Wohnort: Berlin
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Kasharius »

@Zwerg

starker Aufruf von Dir der Mut zum weiterkämpfen macht! Ich möchte an dieser Stelle fragen, weshalb es in AT offenkundig keine SW-Selbstvertretungsverbände, wie in D den BSD oder den BeSD gibt (oder irre ich hier?)? Ist das politische Umfeld dann in D doch noch etwas liberaler...?

Kasharius grüßt und wünscht ein schönes WE

Benutzeravatar
Zwerg
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 18062
Registriert: 15.06.2006, 19:26
Wohnort: 1050 Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Zwerg »

Berechtigte Frage: In AT ist man außer am Straßenstrich im illegalisierten Bereich, wenn man sich weigert mit BetreiberInnen zusammen zu arbeiten.

Escort und Wohnung ist verboten bzw. dunkelgrauer Bereich. Dadurch bedingt zeigen sich viele SexarbeiterInnen nicht öffentlich.

Es gibt uns: Das Sexworker Forum wird von SexarbeiterInnen geleitet. Auf Grund der Überschaubarkeit des Landes (8 Millionen EinwohnerInnen) mit einem starken Ost-Westgefälle in Bezug auf Gesetzgebung und auch BetreiberInnenlandschaft liegt der Schwerpunkt von aufflackernden Bestrebungen in Wien, wo wir sehr stark vertreten sind.

Um bei der Wahrheit zu bleiben: Es gibt auch noch eine "Org" - die ich aber nicht bewerten kann, da es mir/uns seit Jahren trotz mehrfacher persönlicher Gespräche nicht gelingt Positionen zu hinterfragen. Man muss sich auch nicht uns gegenüber deklarieren, jedoch eine Zusammenarbeit ist so nahezu unmöglich. Diese Gruppe ist jedoch eher als klein anzusehen und auf "Aktivismus" beschränkt, was auch OK ist. Auch ist sie auf spezielle Gebiete reduziert tätig, also fern ab von unserem Aufgabenbereich. Ist auch OK für mich (wenn mir denn diese Aussage überhaupt zusteht)-

Von Seiten der Politik bzw. der Medienlandschaft werden wir zumeist als Selbstvertretung wahrgenommen. Was natürlich verstärkt werden würde, wenn es meine Person als Sprecher bzw. Senioradmin nicht geben würde. Dafür spricht wieder, dass ich bei Terminen rund um Sexworker.at mit einer aktiven SexarbeiterIn (nicht zuletzt auch als Kontrolle bzgl. meiner Aussagen) erscheine, wann immer das irgendwie terminlich möglich ist. Auch Fraences ist im Land nicht nur durch Interviews, sondern auch durch diverse (teilweise grandiose) Veranstaltungen bekannt.

Ein weiteres Problem besteht hier durch diverse "Außenstehende" welche relativ schnell versuchen eventuell erscheinende SexarbeiterInnenaktivistInnen an sich zu binden. Um Förderungen zu erhalten und auch Reputation welche sie ohne einer SexarbeiterIn an Board nicht bekommen würden. Vielleicht nicht einmal so sehr in böser Absicht, aber doch nachhaltig. Und da erleben wir immer wieder dass die vormals motivierte SexarbeiterIn sich "ausgebrannt" oder auch "als verraten gefühlt" zurück zieht. Hier gibt es zum Teil abstoßende Geschichten, welche SexarbeiterInnen nachhaltig schildern.

Als Beispiel: Ein Fall in dem behauptet wurde (auf Nachfrage der SexarbeiterIn) dass es uns nicht gäbe - dass wir noch nie etwas gemacht hätten - dass man sich im Falle eines Notfalles nicht an uns wenden soll, da wir nie erreichbar sind und noch einiges mehr. Und das von Jemanden der vor meinen Augen versucht hat, über einen Betreiber (welcher einer SexarbeiterIn ihren Lohn vorenthalten und sie hernach bedroht hat) sich lustig zu machen. Da Angst immer subjektiv ist, ein absolutes NoGo! Die SexarbeiterIn wurde geschädigt und sie wurde in Furcht und Schrecken versetzt. Hier sind Worte "das Würstchen da ist ein Ausbeuter? Lächerlich, könnte mir nie passieren" unangebracht. Wir haben damals der SexarbeiterIn zu ihrem Geld verholfen.

Oder ein anderer Fall wo bei einer Veranstaltung mehrere Forums-Frauen am Tisch saßen (in einer Pause) und auf einmal sich Jemand mit einer eingeschaltenen Kamera (locker in der Hand haltend. wie wenn man sie nur tragen würde) dazu gestellt hat uns also, gewollt oder ungewollt, filmte.

Man muss auch beachten, dass nur wenige VertreterInnen der Behörde mit unserer Sache zu tun haben. Man trifft immer wieder die Gleichen und da baut sich dann (auch bei der möglichen Strafverfolgung) ein besonderes Naheverhältnis auf. Auch nicht geeignet um offen zu kritisieren oder auch politische Vorschläge zu machen, welche ein Amt oder auch eine Kontrollfunktion beschneiden möchte. Unsere Jasmin zum Beispiel wurde in einer offiziellen Sitzung einer ExpertInnengruppe zum Thema Prostitution (wir waren dort nur für wenige Stunden zugelassen) von einem Polizisten gesagt, dass sie nicht herumblasen soll. Und wenig später meinte eine VertreterIn des Gesundheitsamtes auf unsere Forderung "Zwangsuntersuchung einstellen", dass sie doch erwachsen werden muss. Mit anderen Worten: Man kann kuscheln und übervorteilt werden - oder man sagt was man denkt und kriegt eine drüber.

Wie gesagt: Das Land ist klein - Die meisten sichtbaren SexarbeiterInnen sind (wunderbare, tolle, hinreißende, intelligente) Frauen welche migrantischer Herkunft sind und deren vielfältigen Probleme oft verhindern, dass sie sich äußern. Die nicht Sichtbaren (Männer welche sexuelle Dienstleistungen anbieten, weibl. Escorts und Viele mehr) treten nicht offiziell in Erscheinung, da dies einer Selbstanzeige gleich kommen würde. Wahrscheinlich war das ein Mitgrund für den Erfolg des Sexworker Forums. Durch unsere Niederschwelligkeit erreichen wir auch die "die im Dunkeln sind". Und dadurch, dass wir weder Spenden noch Förderungen oder Mitgliedsbeiträge nehmen - auch keine BetreiberInnen als Vertretung haben, sind wir nicht so leicht anzugreifen. Man kann versuchen uns zu negieren - aber da wirken wir mit unserer Öffentlichkeitsarbeit bisweilen erfolgreich dagegen.

christian

Benutzeravatar
deernhh
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 1640
Registriert: 17.06.2018, 13:17
Ich bin: SexarbeiterIn

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von deernhh »

Kasharius hat geschrieben:
29.09.2018, 11:17
Ich möchte an dieser Stelle fragen, weshalb es in AT offenkundig keine SW-Selbstvertretungsverbände, wie in D den BSD oder den BeSD gibt (oder irre ich hier?)?
Weil:
Zwerg hat geschrieben:
28.09.2018, 23:25
Da in Österreich nahezu alle selbstständigen Formen der Sexarbeit (ohne BetreiberIn) verboten oder nahezu verunmöglicht sind, ist es schwer sich zu Aktionen zusammen zu finden. Eine Demo ist hier im Land (gab es zwar mal, aber von BetreiberInnen organisiert und auch entsprechend mitgestaltet) eigentlich undenkbar - bevor Jemand sagt "vermummt" - auch das ist verboten. "Ich arbeite illegalisiert" kann man schwer tönen... Umso wichtiger ist es Medien und auch Außenstehenden (StudentInnen zum Beispiel) teilnehmen zu lassen. Nicht Nacktheit zeigen, nicht Klischee bedienen - sondern Fakten und Dokumente sammeln und entsprechend auch weiter geben (geschwärzt, aber doch erkennbar was und wo geschehen ist.

Ebenso gibt es regelmäßige Treffen mit uns befreundeten NGO?s um gemeinsames Vorgehen zu besprechen. Auch die NGO`s welche nicht direkt mit uns dürfen (da die Trägerorganisationen keine Freude damit hätten) tauschen sich mit uns entsprechend aus.
Kasharius hat geschrieben:
29.09.2018, 11:17
Ist das politische Umfeld dann in D doch noch etwas liberaler...
Ja, ist leider so.
Ich solidarisiere mich mit den KollegInnen in Oesterreich!

Liebe Gruesse von deernhh

Benutzeravatar
deernhh
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 1640
Registriert: 17.06.2018, 13:17
Ich bin: SexarbeiterIn

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von deernhh »

Och, es tut mir leid, Zwerg!
Ich war mit dem Absenden zu langsam!
Du warst schneller.
Der obige letzte Beitrag von Zwerg ist interessanter und wichtiger als mein Beitrag.
Also bitte den Beitrag von Zwerg unbedingt lesen!!!
Danke!

LG deernhh

Benutzeravatar
Zwerg
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 18062
Registriert: 15.06.2006, 19:26
Wohnort: 1050 Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Zwerg »

Wenn eine verifizierte SexarbeiterIn im Forum der SexarbeiterInnen einen Beitrag schreibt, so kann mein Beitrag nicht wichtiger sein!

Herzliche Grüße

christian

Benutzeravatar
Ursa Minor
wissend
wissend
Beiträge: 299
Registriert: 08.01.2016, 22:18
Wohnort: Schweiz
Ich bin: Außenstehende(r)

Re: Polizei - Amtshandlung - Umgang mit Menschen

Beitrag von Ursa Minor »

Ich habe beide Beiträge gelesen, und finde beide Beiträge wichtig!

Grüss euch und wünsche ein schönes Wochenende