Legale Sexarbeit gegen HIV
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Legale Sexarbeit gegen HIV
Legale Sexarbeit gegen HIV: Laut EU-weiter Studie senkt Legalisierung der Prostitution die HIV-Prävalenz
In Ländern, die Prostitution legalisiert haben, ist die HIV-Prävalenz unter Sexarbeitern deutlich niedriger [1]. Zu diesem Ergebnis kommen Dr. Aaron Reeves vom International Inequalities Institute der London School of Economics and Political Science und seine Kollegen. Reeves warnt daher Politiker vor zu restriktiven Maßnahmen in ihrer Gesetzgebung.
Durch Kriminalisierung geht Kontakt zu Sexarbeitern verloren
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
„Die Studie bestätigt eigentlich, was wir seit 100 Jahren wissen“, kommentiert Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer gegenüber Medscape. Er leitet die Interdisziplinäre Immunologische Ambulanz am Walk In Ruhr (WIR) – Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, Bochum. „Weniger Kriminalisierung und mehr Freizügigkeit sind der einzige Weg, um generell die Raten sexuell übertragbarer Infektionen (STI) zu senken.“ Diese Erfahrung musste kürzlich auch Australien machen: „Starke Überwachung ließ die Zahl an STI nach oben schnellen“, berichtet Brockmeyer.
Weniger Kriminalisierung und mehr Freizügigkeit sind der einzige Weg, um generell die Raten sexuell übertragbarer Infektionen (STI) zu senken.
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
„Prostitution löst sich durch Gesetze nicht in Luft auf, sondern verschwindet in den Untergrund“, erklärt der Experte. „Damit verlieren Ärzte oder Sozialarbeiter den Kontakt zu Sexarbeitern.“ Gelingt es nicht, Infektionen zu diagnostizieren und zu therapieren, kommt es zu weiteren Übertragungen und auch zu verstärkter Ausbeutung der Sexarbeiter.
Sexarbeit wenigstens teilweise legalisieren
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Reeves in seiner aktuellen Arbeit. Er wertete Daten des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) zu 27 EU-Nationen aus. Über juristische Datenbanken erfasste er die jeweilige Gesetzeslage inklusive möglicher Änderungen.
Von allen untersuchten Nationen hatte 17 zumindest einige Aspekte der Sexarbeit legalisiert. In diesen Ländern war die HIV-Prävalenz unter Sexarbeitern signifikant niedriger (Regressionskoeffizient β: -2,09). Zum Vergleich dienten 10 Länder mit restriktiven Regelungen.
Dieser Effekt blieb selbst nach Korrektur weiterer Einflussfaktoren wie dem Konsum injizierbarer Drogen sowie der ökonomischen Situation erhalten (Regressionskoeffizient β: -1,86). „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Legalisierung von einigen Aspekten der Sexarbeit dazu beitragen könnte, die HIV-Prävalenz in dieser Gruppe mit hohem Risiko zu verringern, vor allem in Ländern mit einem effektiven und fairen Justizsystem“, schlussfolgern Reeves und seine Kollegen. Marie-Claude Boily schreibt in einem begleitenden Editorial, die Wissenschaft liefere zur rechten Zeit Argumente für die Legalisierung und gegen die Diskriminierung [2]. Boily forscht am Imperial College London.
Aufgrund der liberalen Politik haben wir momentan die niedrigsten HIV-Infektionsraten weltweit.
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
Experte rechnet auch in Deutschland mit Problemen
Boilys Aussage ist auch für Deutschland von Bedeutung. „Aufgrund der liberalen Politik haben wir momentan die niedrigsten HIV-Infektionen weltweit“, meint Brockmeyer. Mit dem neuen „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ (Prostitutionsschutzgesetz) sieht er jedoch einige Probleme aufkommen. Ab 1. Juli müssen sich Sexarbeiter mit ihrem Namen registrieren lassen, um danach pseudonymisiert überwacht zu werden.
„Das wird für viele Frauen, die kurzfristig in der Prostitution sind, eine hohe Schwelle sein“, sagt der Experte. „Viele werden sich nicht anmelden und damit auch der ärztlichen Untersuchung entziehen.“ Damit würde der „Schwarzmarkt der Prostitution deutlich ansteigen“. Seine Prognose: „Wir wissen als Ärzte dann kaum noch, was in diesem Bereich unter gesundheitlichem Blickwinkel wirklich passiert.“ Es werde kaum noch gelingen, Sexarbeiter entsprechend anzusprechen oder zu stärken. „Überall dort, wo ein großer gesellschaftlicher Druck auf Normierung und auf Verdrängung von Prostitution oder Homosexualität ist, infizieren sich die meisten Menschen mit HIV.“
http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4905723
Der Link zur Studie (englisch):
http://tinyurl.com/z56esgx
In Ländern, die Prostitution legalisiert haben, ist die HIV-Prävalenz unter Sexarbeitern deutlich niedriger [1]. Zu diesem Ergebnis kommen Dr. Aaron Reeves vom International Inequalities Institute der London School of Economics and Political Science und seine Kollegen. Reeves warnt daher Politiker vor zu restriktiven Maßnahmen in ihrer Gesetzgebung.
Durch Kriminalisierung geht Kontakt zu Sexarbeitern verloren
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
„Die Studie bestätigt eigentlich, was wir seit 100 Jahren wissen“, kommentiert Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer gegenüber Medscape. Er leitet die Interdisziplinäre Immunologische Ambulanz am Walk In Ruhr (WIR) – Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, Bochum. „Weniger Kriminalisierung und mehr Freizügigkeit sind der einzige Weg, um generell die Raten sexuell übertragbarer Infektionen (STI) zu senken.“ Diese Erfahrung musste kürzlich auch Australien machen: „Starke Überwachung ließ die Zahl an STI nach oben schnellen“, berichtet Brockmeyer.
Weniger Kriminalisierung und mehr Freizügigkeit sind der einzige Weg, um generell die Raten sexuell übertragbarer Infektionen (STI) zu senken.
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
„Prostitution löst sich durch Gesetze nicht in Luft auf, sondern verschwindet in den Untergrund“, erklärt der Experte. „Damit verlieren Ärzte oder Sozialarbeiter den Kontakt zu Sexarbeitern.“ Gelingt es nicht, Infektionen zu diagnostizieren und zu therapieren, kommt es zu weiteren Übertragungen und auch zu verstärkter Ausbeutung der Sexarbeiter.
Sexarbeit wenigstens teilweise legalisieren
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Reeves in seiner aktuellen Arbeit. Er wertete Daten des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) zu 27 EU-Nationen aus. Über juristische Datenbanken erfasste er die jeweilige Gesetzeslage inklusive möglicher Änderungen.
Von allen untersuchten Nationen hatte 17 zumindest einige Aspekte der Sexarbeit legalisiert. In diesen Ländern war die HIV-Prävalenz unter Sexarbeitern signifikant niedriger (Regressionskoeffizient β: -2,09). Zum Vergleich dienten 10 Länder mit restriktiven Regelungen.
Dieser Effekt blieb selbst nach Korrektur weiterer Einflussfaktoren wie dem Konsum injizierbarer Drogen sowie der ökonomischen Situation erhalten (Regressionskoeffizient β: -1,86). „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Legalisierung von einigen Aspekten der Sexarbeit dazu beitragen könnte, die HIV-Prävalenz in dieser Gruppe mit hohem Risiko zu verringern, vor allem in Ländern mit einem effektiven und fairen Justizsystem“, schlussfolgern Reeves und seine Kollegen. Marie-Claude Boily schreibt in einem begleitenden Editorial, die Wissenschaft liefere zur rechten Zeit Argumente für die Legalisierung und gegen die Diskriminierung [2]. Boily forscht am Imperial College London.
Aufgrund der liberalen Politik haben wir momentan die niedrigsten HIV-Infektionsraten weltweit.
Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
Experte rechnet auch in Deutschland mit Problemen
Boilys Aussage ist auch für Deutschland von Bedeutung. „Aufgrund der liberalen Politik haben wir momentan die niedrigsten HIV-Infektionen weltweit“, meint Brockmeyer. Mit dem neuen „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ (Prostitutionsschutzgesetz) sieht er jedoch einige Probleme aufkommen. Ab 1. Juli müssen sich Sexarbeiter mit ihrem Namen registrieren lassen, um danach pseudonymisiert überwacht zu werden.
„Das wird für viele Frauen, die kurzfristig in der Prostitution sind, eine hohe Schwelle sein“, sagt der Experte. „Viele werden sich nicht anmelden und damit auch der ärztlichen Untersuchung entziehen.“ Damit würde der „Schwarzmarkt der Prostitution deutlich ansteigen“. Seine Prognose: „Wir wissen als Ärzte dann kaum noch, was in diesem Bereich unter gesundheitlichem Blickwinkel wirklich passiert.“ Es werde kaum noch gelingen, Sexarbeiter entsprechend anzusprechen oder zu stärken. „Überall dort, wo ein großer gesellschaftlicher Druck auf Normierung und auf Verdrängung von Prostitution oder Homosexualität ist, infizieren sich die meisten Menschen mit HIV.“
http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4905723
Der Link zur Studie (englisch):
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Ein Freund meinte, ich hätte Wahnvorstellungen. Da wäre ich fast von meinem Einhorn gefallen!
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RE: Legale Sexarbeit gegen HIV
Die Ergebnisse der Studie sind nicht wirklich überraschend, sondern waren erwartbar, aber die Methodik ist neu und wegweisend. Leider kommt sie für Deutschland zu spät ...
Die Studie ist im Volltext kostenfrei zugänglich, aber nicht verlinkbar. Man muss sich über Email bei Lancet anmelden
und bekommt dann freien Zugang zum Volltext.
Wem das zu kompliziert ist, hier die wichtigsten Erkenntnisse:
Basierend auf Datensätzen zur HIV-Prävalenz bei FSW überwiegend aus den Jahren 2010 oder 2011, die aus 27 europäischen, aber auch einigen asiatischen Ländern (z.B. Israel)verfügbar waren, korrelierte die Arbeitsgruppe um Aaron Reeves (London School of Economics und Political Science) die HIV-Prävalenz der FSW mit der Legalität bzw. Illegalität von Sexarbeit (als dichotomie Variable: legal oder illegal, ohne Graduierung) in den zugrunde liegenden Ländern, einschließlich Aspekten der Rechtsstaatlichkeit.
Die HIV-Prävalenz der einbezogenen Länder variierte zwischen 0,1 % (Tschechien) und 0,2 % (Deutschland, Belgien) im unteren Bereich bis 22,2 % (Lettland) (wobei i.v.-Drogenkonsum eine wegweisende Rolle spielen dürfte).
Die Sexarbeit wurde
--- als legal qualifiziert (einschl. Bordelle legal) in Deutschland,
--- als legal (aber Bordelle illegal) in Armenien, Belgien, Bulgarien, Tschechien, Estland, (damals noch in) Frankreich, Israel, Italien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Polen, Portugal, Spanien und Großbritannien,
--- als nordisches Modell (anbieten erlaubt, Nachfrage verboten) in Schweden und Norwegen (inzwischen gilt dies auch für Nordirland, Frankreich, Island, die aber bis auf Frankreich nicht Gegenstand der Studie waren),
--- als völlig illegal (sowohl Angebot wie Nachfrage illegal) in Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Litauen, Montenegro, Rumänien, Serbien, Tadschikistan, Ukraine und Usbekistan.
Im Rahmen der linearen Regressionsmodelle wurde nach der Anzahl der FSW (zwei Länder inkludierten Daten für männliche Sexarbeiter), für die Prävalenzdaten gemeldet worden waren, gewichtet. Man geht davon aus, dass größere Stichproben repräsentativer sind als kleinere.
In den 17 Ländern, in denen Sexarbeit zumindest in manchen Aspekten legalisiert war, lag die HIV-Prävalenz bei 0,5 %; in den 10 Ländern, in denen Sexarbeit komplett illegal war, lag sie mit 4,02 % etwa achtmal so hoch.
Selbst wenn man auf das kaufkraft- und inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt oder auf den Anteil der i.v.-Drogennutzerinnen unter den Sexarbeiterinnen (insgesamt: 12,6 % in 22 Ländern, für die Daten vorlagen; Spanne: 0,1 – 55 %) adjustierte, blieb die enge Korrelation zwischen HIV-Prävalenz und Legalitätsstatus von Sexarbeit bestehen.
Beim direkten Vergleich zwischen dem Nordischen Modell (Schweden, Norwegen) und dem einzigen Land der Studie, in dem auch die Vermittlung von Sexarbeit erlaubt ist (Deutschland), erwies sich die HIV-Prävalenz in Deutschland (0,2 %) als niedriger als in den Ländern des Nordischen Modells (2,2 % und 1,0 %).
Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Daten – in Einklang mit anderen Referenzen – dafür sprechen, dass das Nordische Modell das HIV-Risiko für Sexarbeiterinnen nicht reduzieren dürfte („Our results are also consistent with evidence that suggests the Nordic model might not reduce HIV risk among sex workers and stresses lingering questions about the expansion of this legal approach to sex work across the world“).
Auch der Grad der Rechtsstaatlichkeit hatte einen Einfluss auf die HIV-Prävalenz. Sie modifizierte die Korrelation zwischen Legalität und HIV-Prävalenz. Am niedrigsten ist die HIV-Prävalenz bei legaler Sexarbeit und einem hohen Grad an Rechtsstaatlichkeit, am höchsten bei illegaler Sexarbeit und hohem Grad an Rechtsstaatlichkeit. Hier spielt beispielsweise eine Rolle, dass der Besitz von Kondomen schon als Beweismittel für illegale Sexarbeit angesehen werden kann, was kondomfreien Sex fördert.
Die Ergebnisse von REEVES et al. lassen folgende Gradierung des HIV-Risikos von Sexarbeiterinnen (von hoch nach niedrig) erkennen:
Sexarbeit illegal, Rechtsstaatlichkeit hoch (z.B. zwar keine Angst vor gewalttätigen Übergriffen der Polizei, aber höhere Angst vor Verfolgung, Bestrafung, Kondome als Beweismittel usw.)
Sexarbeit illegal, Rechtsstaatlichkeit gering (Unterschied zu der vorausgehenden Kategorie aber nicht signifikant)
Sexarbeit legal, Rechtsstaatlichkeit gering
Sexarbeit legal, Rechtsstaatlichkeit hoch (Unterschied zu der vorausgehenden Kategorie signifikant!)
Sexarbeit legal, Vermittlung von Sexarbeit (z.B. Bordelle) legal, Rechtsstaatlichkeit hoch
Mit dem Grad an Legalität und Rechtsstaatlichkeit nehmen sowohl der Schutz von Sexarbeiterinnen vor Gewalt sowie der Zugang zu verschiedenen Organisationen (z.B. Hilfsorganisationen, Gesundheitswesen, Polizei usw.) zu, die Sexarbeiterinnen schützen, Prävention, Hilfe, Unterstützung, Therapie usw. anbieten. Am Beispiel von Kanada wurde im Jahr 2015 modelliert, dass die Dekriminalisierung von Sexarbeit die Rate an HIV-Infektionen bei Sexarbeiterinnen innerhalb von 10 Jahren um 39 % reduzieren würde.
Die Autoren gehen davon aus, dass die methodischen Unzulänglichkeiten in den zugrunde liegenden Datensätzen sowohl zur HIV-Prävalenz wie auch zu den rechtlichen Rahmenbedingungen dazu führen, dass die gefundenen Korrelationen eher konservativ sind, d.h. dass auf der Basis präziserer Datensätze noch stärkere (engere) Korrelationen anzunehmen sind.
Sie kommen zu der Schlussfolgerung: „our evidence suggests that the greatest gains (in Bezug auf niedriges HIV-Risiko; Anmerkung) appear when countries have legalised buying, selling and procuring sex“ – was von den Ländern in der Studie nur für Deutschland (bis zur Einführung des ProstSchG) zutrifft.
Hinweis:
Für uns so interessante Länder wie Schweiz, Österreich, Niederlande, Polen waren leider nicht an der Studie beteiligt.
Eddy
Quelle: REEVES A et al.,
National sex work policy and HIV prevalence among sex workers: an ecological regression analysis of 27 European countries
Reeves A, et al, Lancet HIV 2017;S2352-3018(16)30217-X
Die Studie ist im Volltext kostenfrei zugänglich, aber nicht verlinkbar. Man muss sich über Email bei Lancet anmelden
und bekommt dann freien Zugang zum Volltext.
Wem das zu kompliziert ist, hier die wichtigsten Erkenntnisse:
Basierend auf Datensätzen zur HIV-Prävalenz bei FSW überwiegend aus den Jahren 2010 oder 2011, die aus 27 europäischen, aber auch einigen asiatischen Ländern (z.B. Israel)verfügbar waren, korrelierte die Arbeitsgruppe um Aaron Reeves (London School of Economics und Political Science) die HIV-Prävalenz der FSW mit der Legalität bzw. Illegalität von Sexarbeit (als dichotomie Variable: legal oder illegal, ohne Graduierung) in den zugrunde liegenden Ländern, einschließlich Aspekten der Rechtsstaatlichkeit.
Die HIV-Prävalenz der einbezogenen Länder variierte zwischen 0,1 % (Tschechien) und 0,2 % (Deutschland, Belgien) im unteren Bereich bis 22,2 % (Lettland) (wobei i.v.-Drogenkonsum eine wegweisende Rolle spielen dürfte).
Die Sexarbeit wurde
--- als legal qualifiziert (einschl. Bordelle legal) in Deutschland,
--- als legal (aber Bordelle illegal) in Armenien, Belgien, Bulgarien, Tschechien, Estland, (damals noch in) Frankreich, Israel, Italien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Polen, Portugal, Spanien und Großbritannien,
--- als nordisches Modell (anbieten erlaubt, Nachfrage verboten) in Schweden und Norwegen (inzwischen gilt dies auch für Nordirland, Frankreich, Island, die aber bis auf Frankreich nicht Gegenstand der Studie waren),
--- als völlig illegal (sowohl Angebot wie Nachfrage illegal) in Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Litauen, Montenegro, Rumänien, Serbien, Tadschikistan, Ukraine und Usbekistan.
Im Rahmen der linearen Regressionsmodelle wurde nach der Anzahl der FSW (zwei Länder inkludierten Daten für männliche Sexarbeiter), für die Prävalenzdaten gemeldet worden waren, gewichtet. Man geht davon aus, dass größere Stichproben repräsentativer sind als kleinere.
In den 17 Ländern, in denen Sexarbeit zumindest in manchen Aspekten legalisiert war, lag die HIV-Prävalenz bei 0,5 %; in den 10 Ländern, in denen Sexarbeit komplett illegal war, lag sie mit 4,02 % etwa achtmal so hoch.
Selbst wenn man auf das kaufkraft- und inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt oder auf den Anteil der i.v.-Drogennutzerinnen unter den Sexarbeiterinnen (insgesamt: 12,6 % in 22 Ländern, für die Daten vorlagen; Spanne: 0,1 – 55 %) adjustierte, blieb die enge Korrelation zwischen HIV-Prävalenz und Legalitätsstatus von Sexarbeit bestehen.
Beim direkten Vergleich zwischen dem Nordischen Modell (Schweden, Norwegen) und dem einzigen Land der Studie, in dem auch die Vermittlung von Sexarbeit erlaubt ist (Deutschland), erwies sich die HIV-Prävalenz in Deutschland (0,2 %) als niedriger als in den Ländern des Nordischen Modells (2,2 % und 1,0 %).
Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Daten – in Einklang mit anderen Referenzen – dafür sprechen, dass das Nordische Modell das HIV-Risiko für Sexarbeiterinnen nicht reduzieren dürfte („Our results are also consistent with evidence that suggests the Nordic model might not reduce HIV risk among sex workers and stresses lingering questions about the expansion of this legal approach to sex work across the world“).
Auch der Grad der Rechtsstaatlichkeit hatte einen Einfluss auf die HIV-Prävalenz. Sie modifizierte die Korrelation zwischen Legalität und HIV-Prävalenz. Am niedrigsten ist die HIV-Prävalenz bei legaler Sexarbeit und einem hohen Grad an Rechtsstaatlichkeit, am höchsten bei illegaler Sexarbeit und hohem Grad an Rechtsstaatlichkeit. Hier spielt beispielsweise eine Rolle, dass der Besitz von Kondomen schon als Beweismittel für illegale Sexarbeit angesehen werden kann, was kondomfreien Sex fördert.
Die Ergebnisse von REEVES et al. lassen folgende Gradierung des HIV-Risikos von Sexarbeiterinnen (von hoch nach niedrig) erkennen:
Sexarbeit illegal, Rechtsstaatlichkeit hoch (z.B. zwar keine Angst vor gewalttätigen Übergriffen der Polizei, aber höhere Angst vor Verfolgung, Bestrafung, Kondome als Beweismittel usw.)
Sexarbeit illegal, Rechtsstaatlichkeit gering (Unterschied zu der vorausgehenden Kategorie aber nicht signifikant)
Sexarbeit legal, Rechtsstaatlichkeit gering
Sexarbeit legal, Rechtsstaatlichkeit hoch (Unterschied zu der vorausgehenden Kategorie signifikant!)
Sexarbeit legal, Vermittlung von Sexarbeit (z.B. Bordelle) legal, Rechtsstaatlichkeit hoch
Mit dem Grad an Legalität und Rechtsstaatlichkeit nehmen sowohl der Schutz von Sexarbeiterinnen vor Gewalt sowie der Zugang zu verschiedenen Organisationen (z.B. Hilfsorganisationen, Gesundheitswesen, Polizei usw.) zu, die Sexarbeiterinnen schützen, Prävention, Hilfe, Unterstützung, Therapie usw. anbieten. Am Beispiel von Kanada wurde im Jahr 2015 modelliert, dass die Dekriminalisierung von Sexarbeit die Rate an HIV-Infektionen bei Sexarbeiterinnen innerhalb von 10 Jahren um 39 % reduzieren würde.
Die Autoren gehen davon aus, dass die methodischen Unzulänglichkeiten in den zugrunde liegenden Datensätzen sowohl zur HIV-Prävalenz wie auch zu den rechtlichen Rahmenbedingungen dazu führen, dass die gefundenen Korrelationen eher konservativ sind, d.h. dass auf der Basis präziserer Datensätze noch stärkere (engere) Korrelationen anzunehmen sind.
Sie kommen zu der Schlussfolgerung: „our evidence suggests that the greatest gains (in Bezug auf niedriges HIV-Risiko; Anmerkung) appear when countries have legalised buying, selling and procuring sex“ – was von den Ländern in der Studie nur für Deutschland (bis zur Einführung des ProstSchG) zutrifft.
Hinweis:
Für uns so interessante Länder wie Schweiz, Österreich, Niederlande, Polen waren leider nicht an der Studie beteiligt.
Eddy
Quelle: REEVES A et al.,
National sex work policy and HIV prevalence among sex workers: an ecological regression analysis of 27 European countries
Reeves A, et al, Lancet HIV 2017;S2352-3018(16)30217-X
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RE: Legale Sexarbeit gegen HIV
@Doris67:
Genau so ist es: anbieten erlaubt, Nachfrage verboten. Entspricht dem Nordischen Modell.
REEVES et al. haben daher auch die Länder des nordischen Modells (in ihrer Studie Norwegen und Schweden; Frankreich gehörte im Untersuchungszeitraum bis 2011 ja noch nicht zum nordischen Modell) auch jenen 17 Ländern zugeschlagen, in denen "Aspekte der Sexarbeit" (in diesem Fall: nur das Angebot) erlaubt sind. Also "Sexarbeit legal, Rechtsstaatlichkeit hoch".
Meines Erachtens wäre es sinnvoller gewesen, das nordische Modell als dritte Kategorie separat zu betrachten, aber das haben sie wohl deshalb nicht getan, weil diese Kategorie dann nur aus 2 Ländern und Daten von 792 FSW bestanden hätte.
Eddy
Genau so ist es: anbieten erlaubt, Nachfrage verboten. Entspricht dem Nordischen Modell.
REEVES et al. haben daher auch die Länder des nordischen Modells (in ihrer Studie Norwegen und Schweden; Frankreich gehörte im Untersuchungszeitraum bis 2011 ja noch nicht zum nordischen Modell) auch jenen 17 Ländern zugeschlagen, in denen "Aspekte der Sexarbeit" (in diesem Fall: nur das Angebot) erlaubt sind. Also "Sexarbeit legal, Rechtsstaatlichkeit hoch".
Meines Erachtens wäre es sinnvoller gewesen, das nordische Modell als dritte Kategorie separat zu betrachten, aber das haben sie wohl deshalb nicht getan, weil diese Kategorie dann nur aus 2 Ländern und Daten von 792 FSW bestanden hätte.
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Re: RE: Legale Sexarbeit gegen HIV

Das ist allerdings der reine Hohn, wenn man sich mal näher anschaut, wie menschenverachtend Schweden Sexarbeiterinnen de facto behandelt (Rose Alliance z.B. haben dazu viel Material). Das schwedische Modell (es gibt übrigens kein "nordisches", das ist eine Propagandaerfindung der Schweden) widerspricht ganz einfach Menschenrechten. Und somit kann da von "legal" unter keinem Aspekt die Rede sein.Eddy hat geschrieben:@Doris67:
REEVES et al. haben daher auch die Länder des nordischen Modells (in ihrer Studie Norwegen und Schweden; Frankreich gehörte im Untersuchungszeitraum bis 2011 ja noch nicht zum nordischen Modell) auch jenen 17 Ländern zugeschlagen, in denen "Aspekte der Sexarbeit" (in diesem Fall: nur das Angebot) erlaubt sind. Also "Sexarbeit legal, Rechtsstaatlichkeit hoch".
Vielleicht sollten die Forscher mehr mit den Hauptbetroffenen reden bevor sie Studien veröffentlichen die den Tatsachen widersprechen?
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RE: Legale Sexarbeit gegen HIV
Sehe ich genauso. Ich hätte das schwedische bzw. nordische Modell niemals als "legal" qualifiziert. Die Frauen dürfen Leistungen anbieten, aber niemand darf sie in Anspruch nehmen ...
Hätten REEVES et al. diese beiden Länder aufgrund ihrer Sonderstellung ganz weggelassen, wären übrigens ihre Bezüge zwischen HIV-Prävalenz und Legalitätsstatus noch etwas stärker geworden.
Interessant auch die Datenbasis: Norwegen meldete 1 % HIV für 746 weibl. und männl. SW aus 2008; die Daten stammen aus einer Klinik in Oslo. Schweden meldete eine Quote von immerhin 2,2 % für gerade einmal 46 FSW. Die Daten stammen aus 2006/07 aus einem schwedischen "Prison Project". Es ist nicht näher erläutert, was das bedeutet. Immerhin wandern ja in Schweden normalerweise nicht die FSW ins Gefängnis, sondern allenfalls die Freier ... oder die FSW müssen aus anderen Gründen straffällig geworden sein.
Eddy
Hätten REEVES et al. diese beiden Länder aufgrund ihrer Sonderstellung ganz weggelassen, wären übrigens ihre Bezüge zwischen HIV-Prävalenz und Legalitätsstatus noch etwas stärker geworden.
Interessant auch die Datenbasis: Norwegen meldete 1 % HIV für 746 weibl. und männl. SW aus 2008; die Daten stammen aus einer Klinik in Oslo. Schweden meldete eine Quote von immerhin 2,2 % für gerade einmal 46 FSW. Die Daten stammen aus 2006/07 aus einem schwedischen "Prison Project". Es ist nicht näher erläutert, was das bedeutet. Immerhin wandern ja in Schweden normalerweise nicht die FSW ins Gefängnis, sondern allenfalls die Freier ... oder die FSW müssen aus anderen Gründen straffällig geworden sein.
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RE: Legale Sexarbeit gegen HIV
HIV: Legale Sexarbeit ist gute Sexarbeit
Hat die Gesetzeslage fuer oder gegen Sexarbeit einen Einfluss auf die sexuelle Gesundheit? Eine europaeische Studie gibt jetzt eine klare Antwort. Laender, in denen Sexarbeit in Teilen oder ganz erlaubt ist, haben eine geringere HIV-Praevalenz in dieser Berufsgruppe
Weiterlesen auf:
http://news.doccheck.com/de/167083/hiv- ... sexarbeit/
Hat die Gesetzeslage fuer oder gegen Sexarbeit einen Einfluss auf die sexuelle Gesundheit? Eine europaeische Studie gibt jetzt eine klare Antwort. Laender, in denen Sexarbeit in Teilen oder ganz erlaubt ist, haben eine geringere HIV-Praevalenz in dieser Berufsgruppe
Weiterlesen auf:
http://news.doccheck.com/de/167083/hiv- ... sexarbeit/
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RE: Legale Sexarbeit gegen HIV
Noch eine Studie gegen die Kriminalisierung von Sexarbeit bzw. Nachfrage nach Sexarbeit:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28585156
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