Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Ein nahezu unerschöpfliches Thema: Psychologische Betrachtungsweise der Sexarbeit
Stellaalex
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Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von Stellaalex »

Ich hab immer wieder das Problem das ich nicht weiss, was ich antworten soll/will... wenn ich nach meinem derzeitigen Beruf oder Beschäftigung gefragt werde.

Bin noch nicht lange in diesem Gewerbe tätig und auf dem Weg mir etwas eigenes auf zu bauen.

Hab bis jetzt die Erfahrung gemacht das die meisten Leute in meinem Umfeld, die davon wissen, mir entweder den Rücken gekehrt haben oder es versuchten auszunutzen...nur wenige nahmen es einfach hin.

Wie macht ihr das so?

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Melanie_NRW
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RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von Melanie_NRW »

Da ich noch 2 weitere Berufe habe, sag ich hiervon nichts.

In der Zeit, als ich nur als Sexarbeiterin gearbeitet habe, habe ich einfach von meinem vorherigen Beruf erzählt. Konnte da zumindest eh niemand nachprüfen/nachvollziehen.

Die Leute haben eine Antwort, sind zufrieden und du hast deine Ruhe. Such dir einen Beruf der zu deinen Arbeitszeiten passt und von dem du ein bissl was weißt um auf etwaige weitere Fragen antworten zu können.
Generell wiegel ich sowas aber eh ab weil ich so oder so ungern über meine Arbeit spreche. Verbringt man eh schon zuviel Zeit mit :)
Ein Freund meinte, ich hätte Wahnvorstellungen. Da wäre ich fast von meinem Einhorn gefallen!

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@Stellaalex

es kommt darauf an wer fragt: Sind es Behörden wegen irgendwelcher Anträge (da wird es bei falschen Angaben knifflig!) oder Kunden: Letzteren muss Du darauf ja gar nicht antworten oder kannst denen was "vom Pferd" erzählen bei Fragen, was Du den sonst neben der Sexarbeit so beruflich machst.

Kasharius grüßt

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Nuttella66
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RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von Nuttella66 »

Ich denke mir immer was aus, weil ich auch die Erfahrung gemacht habe daß die Leute einem dann den Rücken zukehren.

Wenn die die Leute nicht gut kenne oder ich weiß daß ich sie nie wieder sehe, dann mache ich mir oft einen Spaß und sage, daß ich Rechtsanwältin oder Allgemeinmedizinerin bin. Wenn sie weiter auf das Thema eingehen wollen, winke ich charmant ab und sage daß ich jetzt nicht über Arbeit sprechen möchte.


Komisch aber; bei den ausgedachten Berufen steigt man gleich im Ansehen der anderen Leute........................... bei der Wahrheit kommt oft nur Verachtung rüber.
** - Wenn du in den Abgrund schaust, schaut der Abgrund auch in dich -**

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Veraguas
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RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von Veraguas »

Wenn ich so etwas höre kann ich mich aufregen. Was geht in deren Kopf ab? Glauben die sie seien etwas Besseres? Mir geht diese Bigotterie so etwas auf den Sack. Wer oder was masst sich an anderen Menschen ein schlechtes Gewissen einzureden obgleich sie nichts Böses getan haben?
Auf jeden Fall weisst Du jetzt was Du von diesen "Menschen in Deinem Umfeld" zu halten hast. Wenn Du dem Beruf der Immobilienspekulantin, der Inkasso Geldeintreiberin, oder der Waffenhändlerin nachgehen würdest könnte man so ein Verhalten ja noch verstehen. Aber so?
Ich wünsche Dir, dass Du Menschen in Deinem Umfeld findest die Dich nach den Dingen beurteilen die wirklich wichtig sind. Ja, Menschen finden, sich vernetzen, mit ihnen gemeinsam handeln. Das gibt Kraft zu sich selber zu stehen, sich zu stärken und sich stark zu machen gegen dumme Angriffe von aussen.
Welches Problem auch immer in der Gesellschaft besteht-
der Staat weiss eine völlig irre Problemlösung die niemandem nützt, aber Arbeitsplätze im Beamtenapparat schafft. H.S.

flatgirl
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Beitrag von flatgirl »

Ich habe noch einen anderen Job, und gebe den an. Als ich den noch nicht hatte, habe ich mir irgendwas ausgedacht, von dem ich halbwegs Ahnung hatte, falls mal eine Rückfrage kam.

LG Lisa

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friederike
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RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von friederike »

Ich bin ja die ganze Zeit Studentin gewesen, damit ist das Thema erst mal erledigt. Einen anderen Beruf auch noch zu haben ist auf jeden Fall ein großer Vorteil.

Ich kann mir Deine Erfahrung gut vorstellen, dass andere sich abwenden, wenn sie davon erfahren. Sogar die eigenen Eltern.

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Beitrag von Kasharius »

Und es spricht gegen die Professionalität so mancher Beratender im SW-Bereich wenn ihnen bei dieser schlimmen sozialen Ausgrenzung als Antworten nur Instrumentalisierung und Reglementierung einfallen. Diesen Vorwurf mangelnder Professionalisierung und fehlender Distanz muss sich z.B. SISTERS e.V. gefallen lassen. Das sage ich auch als (ehem.) Sozialpädagoge.

Kasharius grüßt

Boris Büche
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RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von Boris Büche »

"Was sagt ihr . . .?"

ist für mich so ziemlich das traurigste an der ganzen Thematik "Prostitution" - das diese Frage überhaupt gestellt werden kann!

Die GegnerInnen - sie lassen das Stigma gern unter den Tisch fallen. Nur wenn's nicht anders geht, wird es erwähnt (und gleich heruntergespielt, richtig, Kasharius!)

Ich habe kürzlich über die Huschke-Jagd eine junge SW aus Berlin kennengelernt, die komplett geoutet lebt (außer an der Uni) - Hochachtung!!! Da gehört viel dazu.

Wo und wann das Stigma zuschlägt, ist kaum vorhersehbar. Vergangenes Jahr habe ich an einem KM-Blogger-Treffen teilgenommen, und bevor ich da hin bin,
noch bei flippig/queeren Bekannten in ihrem Second-hand vorbeigeschaut. Ich erwähnte,
zu einem Hurengeburtstag eingeladen zu sein. Reaktion: "und ich dachte, das Niveau könnte nicht weiter sinken!"

Totales Unverständnis und leichtes Entsetzen.

Ich sagte nur: Auch Huren haben Geburtstag! wie alle Menschen . . .

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Melanie_NRW
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Re: RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werde

Beitrag von Melanie_NRW »

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Boris Büche hat geschrieben: Ich erwähnte,
zu einem Hurengeburtstag eingeladen zu sein. Reaktion: "und ich dachte, das Niveau könnte nicht weiter sinken!"

Totales Unverständnis und leichtes Entsetzen.

Ich sagte nur: Auch Huren haben Geburtstag! wie alle Menschen . . .
Und warum muss extra erwähnt werden, das es ein HURENgeburtstag ist?
Ein Freund meinte, ich hätte Wahnvorstellungen. Da wäre ich fast von meinem Einhorn gefallen!

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Boris Büche
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RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von Boris Büche »

@Warum?

Private Stigma-Forschung.
ich habe das erwähnt, um eine Reaktion zu sehen. Sie hätte ja neugierig, interessiert, oder positiv ausfallen können.
Das ist dann ein guter Gesprächsanlass, um Vorurteile abzubauen.
Ergab sich hier nicht. Aber vielleicht nistet nun doch ein Zweifelchen in diesem Kopf . . . :002

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Melanie_NRW
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RE: Was sagt Ihr wenn ihr nach eurem Beruf gefragt werdet?

Beitrag von Melanie_NRW »

Erwähnst du auch das du auf einen Friseurinnengeburtstag gehst?
Oder einen Krankenschwesterngeburtstag?
Einen Anlagenberatergeburtstag?
Einen Akademikergeburtstag?

:kotzen

Ist das irgendwie cool für dich, dich als "Outlaw" zu geben, der auf HURENparties geht? Anders kann ich mir sowas nicht erklären.

Während du dich mit unserem Stigma schmückst, ist es für uns harte Realität.
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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@Melanie
@Boris

ich wünsche Euch beiden und natürlich allen anderen ein schönes WE und (nochmal)

ALLEZ LE BLEU!!

Kasharius grüßt

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Elisa
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Beitrag von Elisa »

Hallo Forum!!! Oh, mensch, ich würde lieber ein fröhlicher erster Beitrag geben... Aber so ist es ;)!

Stigma gibt es... Deswegen ist das hier auch nicht mein echter Name, sonder mein Working Name... Ich wünsche ich könnte meinen echten Namen schreiben... So wäre ich von manchen, die mich kennen, schon erkannt! (Melanie habe ich es gesagt, wer ich bin) aber ich habe Angst, dass jemand es findet, mit Google suche oder sonst was. Ja, ich habe tierische Angst, dass meine Eltern das erfahren. Weil es SIE umbringen würde, leider. Und sie sind ja nicht mehr so jung und gesund, dass ich den Prozess schneller machen wollen wurde...

Vielleicht erkennen mich wohl die, die mich kennen, bin bei Hydra, und schreibe hier und da eine Forschung, und bin im internationalen Aktivismus sehr engagiert, und gerade seit kurzem in einer Pause, weg von Berlin...


Also, leider leider, Stigma gibt es...

...und es ist NICHT *weil* wir SA nicht den Mut haben, ein outing zu machen.

Stigma lebt und herrscht weil es genau die Mächte unterstützt, die uns Sexarbeiterin nicht erlauben, eine bessere oder gerechtere Position in der Gesellschaft zu erreichen.

Letzteres ist nicht erwünscht in einer Gesellschaft, die Sexismus und Rassismus nutzt, damit die Macht in den Händen der üblichen Verdächtigen bleibt.

Es ist in dieser Gesellschaft nicht erwünscht, dass diejenige (Frauen, LGBT, migrant*innen), die aufgrund oder durch deren Sex und Sexualität (und Herkunft) unterdrückt werden, durch dasselbe (eben SEX!) stattdessen Geld und Macht kriegen...


Deswegen, herrscht dieses verfickte Stigma.

Das traurigste ist, dass Stigma so erfolgreich ist als Mechanismus, dass es unter uns auch herrscht, unter Frauen, LGBT, SA selbst...

Gerade gestern wurde ich gefragt, von meiner jetzt ex Loverin: was hast du in London gemacht? Und ich habe ihr die Wahrheit gesagt, einen Kunde habe ich da. Ich hatte es nämlich schon erwähnt, dass ich ab und zu als SA arbeite. Aber nein, das hatte sie nicht kapiert! Darauf Stille und ich wurde einfach da verlassen, sie hatte nichtmal Bock, mit mir darüber zu sprechen...

Ich wollte aber nicht lügen... Und bin auch froh, dass ich es nicht getan habe, jetzt weiss ich, dass sie für mich nicht reif ist. Ich verteufele sie nicht, Stigma und diese Scheissmachtgesellschaft sind Schuld, aber eine die Mitteln hat, um zu verstehen, tut und will es aber nicht, will ich nicht an meiner Seite.

Um die originelle Frage zu beantworten... Ich fand es immer hilfreich, aber versteh, dass es nicht für alle möglich ist, einen anderen Job nebenbei zu haben (selbst wenn nur einmal im Monat) oder Aktivismus zu machen, und dann habe ich eine halbe Wahrheit erzählt...

Früher habe ich als Gärtnerin ab und zu gearbeitet... Und nur das habe ich dann manchen erzählt... war wohl etwas schwierig wegen outfit ;)

Ich sage seit ein paar Jahren nur dass ich mich beruflich für die Rechte der SA einsetzte, da ich Feministin bin (JAWOHL! genau DESWEGEN!)... eine super Wahrheit!

Und dann muss ich wohl ins Bordell, oder nachts Outreach machen...

Sogar meine Eltern wissen *das*... Ohne von weitem zu denken, ich wäre auch selber Sexarbeiterin.... Und manche Leute wollen es eher nicht verstehen obwohl es ziemlich klar ist (sieh meine Ex-loverin) ...

Es ist aber so so so ein Privileg, und mensch muss so MUTIG sein, um es vielen, sogar allen sagen zu können ohne dafür teuer zu bezahlen... Bevor mehr SA das machen können (und davon hängt unseres Wellbeing auch), müssen wir aber die Welt verändern, damit wir nicht mehr riskieren müssen, Leute zu verlieren oder noch viel schlimmeres zu erfahren, wenn wir uns outen...