Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens Meyer
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Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens Meyer
Clemens Meyer: Im Stein
Reisender, kommst du nach Eden City
Clemens Meyer hat einen Roman über die Nachtseite unserer Gegenwart geschrieben, über Prostituierte, Zuhälter und Kunden - aber auch ein so schreckliches wie starkes literarisches Werk über Vertrauen und Verrat, Sehnsucht und Einsamkeit.
Von LENA BOPP
Zu Clemens Meyer gehört, dass vieles von dem, was er sagt und schreibt, zunächst einmal einer Echtheitsprüfung unterzogen wird. Das liegt zum Teil an Meyers Habitus, an jenem Frei-von-der-Leber-weg-Stil, in dem er klug und unverstellt über seine Bücher spricht. Zum größeren Teil aber liegt es an der Ähnlichkeit, die der Leipziger Schriftsteller mit seinen Figuren zu haben scheint - da spielt es auch keine Rolle, dass derlei Übertragungen den Grundregeln des Romanlesens eklatant widersprechen. Meyer wird diese Bilder nicht los. Nicht die von seiner großen bierflaschenschwenkenden Freude, als er 2008 für seinen Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ den Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Nicht die von seinen vielen Tattoos. Nicht die von seiner Vergangenheit als Bauarbeiter, Gabelstaplerfahrer und Hartz-IV-Empfänger.
Wenn Meyer von Gefängnisaufenthalten, Alkoholexzessen und Bordellbesuchen schreibt, schöpft er dann aus selbstgemachten Erfahrungen, oder bedient er sich seiner Phantasie? Das ist so eine Frage, die auch heute, wo sein neuer Roman „Im Stein“ erscheint, sicher wieder gestellt wird. Das ist der Preis, den Meyer vom ersten Buch, dem Roman „Als wir träumten“ (2006), an für seine Weigerung bezahlt, sich bürgerlich-bescheiden zu geben, und auch dafür, dass er in seinen Büchern an Figuren und Milieus festhält, die man wohl als literaturfremd bezeichnen darf.
Erkunden von Parallelgesellschaften
Es ist selten geworden, dass Schriftsteller so konsequent wie er Parallelwelten erkunden, die von Knastbrüdern, Dealern, Säufern, Pennern, Puffgängern, Zuhältern, Nutten und sonstigen Vögeln bevölkert sind. Und selbst diejenigen Schriftsteller, die einem in diesem Zusammenhang gleich in den Sinn kommen, Jean Genet etwa, Louis-Ferdinand Céline, Charles Bukowski und in jüngerer Zeit vor allem Michel Houellebecq, tragen das Etikett der Anders- und bisweilen auch Abartigkeit mit sich herum.
Da hilft es wenig, dass Meyer in einem Interview, das zu seinem neuen Roman auf seiner Homepage steht, betont, wie normal seine Figuren doch seien, „Teile unserer Gesellschaft und moralisch genauso integer oder nicht wie ein Investmentbanker, ein Manager, ein Vorstandsboss oder wer auch immer“. Das mag schon stimmen. Den meisten seiner Romanleser aber sind diese Lebenswelten dennoch erst einmal fremd.
Gängige Business-Parameter greifen nicht
Wer weiß schon Genaues über die Nuttenszene in einer mittelgroßen deutschen Stadt, zweihundert Kilometer von der polnischen Grenze? Wer ahnt, dass sich das Rotlichtviertel dieses in seinem neuen Buch bisweilen mythisch-spöttisch „Eden City“ genannten Ortes nach der Wende tiefgreifend wandelte, dass, gleichsam vom Versprechen auf blühende Landschaften angelockt, sofort allerlei dark lords aus Ost und West hierherkamen, um die neuen Märkte zu sondieren? Einen ganz normalen marktwirtschaftlichen Vorgang könnte man das nennen, und genau in diese Richtung scheint Meyers Vorwärtsverteidigung auch zu zielen. Doch in Wahrheit weiß er es besser.
Prostitution mag ein Geschäft sein, aber weil es sich bei der Ware um Sex handelt, um Körper, können die üblichen Business-Parameter hier nicht allein gelten. Das tun sie bei Clemens Meyer auch nicht. Es geht in seinem Roman zwar um so banal anmutende Dinge wie Angebot und Nachfrage, Sicherheiten und Risiken, Perspektiven und Profite. Viel mehr aber geht es um das Menschliche selbst in dieser Branche, mithin um Vertrauen und Verrat, Hoffnungen und Illusionen, Sehnsucht und Einsamkeit. Und gerade aus dem Wissen um den tiefen, letztlich unüberwindbaren Abgrund, der zwischen diesen beiden Seiten derselben Sache liegt, zieht der Roman „Im Stein“ eine enorme urwüchsige Kraft.
Verallgemeinerungen schwächen Meyers Figuren
Folglich ist das Buch immer dann am schwächsten, wenn es versucht, sein Milieu zu verlassen, sich zum Panorama zu weiten und das Geschehen, die Geschichten um Verteilungskämpfe und Bandenkriege im Rotlichtviertel, als Parabeln des gewöhnlichen Wirtschaftsgebarens unserer Zeit darzustellen. Dass etwa Arnold „Arnie“ Kraushaar, genannt AK, der Immobilienmogul der Stadt, der seine Wohnungen zu bestimmten Tagessätzen den Prostituierten überlässt, irgendwann beschließt, BWL zu studieren, ist in diesem Sinn ein Detail, das eigentlich in die Irre führt: „Er begreift jetzt die Dinge anders, gleicht die Geschehnisse und Erinnerungen ab mit den Lehrsätzen und Theorien aus den Büchern und den Seminaren, versucht, das Geheimnis des Marktes zu begreifen, und es ist überall derselbe Markt, das begreift und sieht er immer mehr und immer klarer, ob Bumsen, Badelatschen oder Millionen made by Ackermann.“ Mit derlei Verallgemeinerungen arbeitet Clemens Meyer gegen seine eigenen - starken - Figuren.
Denn sie, und damit sind wir bei dem, was diesen Roman so großartig macht, kreisen in ihrem Denken ohne Unterlass um das moralische Dilemma, man könnte auch sagen: um den Dreck, in dem sie stecken. Wer über Prostitution schreibt, erzählt von gebrochenen Herzen. Jedes einzelne von ihnen bildet in Meyers Roman ein eigenes kleines Zentrum. Daraus resultiert sein konsequenter Verzicht auf eine chronologische Erzählstruktur und auf eine klare Hierarchie unter den Figuren. Die Personen, die Prostituierte Lilli, der Immobilienkönig AK, dessen rechte Hand Hans Pieszeck, ein Kommissar, der seinen Dienst nicht antritt, bevor er nicht bei seiner Stammhure war, die ihm regelmäßig ein „Na, mein Gutster“ entgegengurrt, auch der „Mann hinter den Spiegeln“, jener ominöse Strippenzieher, der sich erst spät als solcher zu erkennen gibt - all diese Personen ließen sich zwar problemlos in Haupt- und Nebenfiguren einteilen. Aber erst gemeinsam bilden sie jenen Stimmenchor, der dem Roman seine Dichte, Komplexität und Wucht verleiht.
Konsequenter Dirigent des rhythmischen Stimmenchors
Clemens Meyer dirigiert diesen Chor mit beeindruckender Kompromisslosigkeit. Er zoomt nicht nur nah an die Figuren heran, sondern schlüpft meist ganz in sie hinein. Er erzählt nicht, er lässt erzählen. So reihen sich in seinem mehr als fünfhundert Seiten dicken Werk die inneren Monologe all dieser gefallenen Helden aneinander - aus ihren Gedanken, Erinnerungsfetzen, Assoziationen und Träumen entsteht eine Art kollektiver Bewusstseinsstrom, dem nichts Unmenschliches fremd ist. Das ist weder leicht noch immer schön zu lesen: Etwa dort, wo die einunddreißig Jahre alte Prostituierte Lilli mit einer naturalistisch anmutenden Detailversessenheit über sexuelle Praktiken nachdenkt, die sie anbietet (oder auch nicht). Und auch dort, wo die Teenager-Hure, deren Namen wir nicht erfahren, davon erzählt, wie sie die Falten der auf die Tapete des Zimmers gedruckten Fächer zählt, während sie ihren Kunden zu Diensten sein muss, überschreitet der Roman radikal die Grenzen des Erträglichen.
Immer wieder aber beweist Meyer in seinen langen, teils aus sehr kurzen Sätzen, teils aus Parataxen bestehenden Gedankenströmen, in denen Zeiten und Perspektiven innerhalb eines Satzes wechseln können, ein besonderes Gespür für den Rhythmus seiner Sprache. Bei aller Obszönität, mit der man es als Leser zu tun bekommt und von der man gar nicht wissen will, wie genau der Autor da eigentlich recherchiert hat, entstehen so zuweilen Augenblicke von großer innerer Poesie. Und auch von Komik. Man lernt beispielsweise nicht nur, dass selbst die Unterwelt einen Hang zur Spießigkeit besitzt, sondern auch, dass hier die Grenzen zwischen Gut und Böse wenn auch nicht besonders wichtig, so zumindest noch bekannt sind.
Labyrinthisch und verschachtelt
Der 1996 aus dem Ruhrpott in den Osten gereiste Friedrich von Pfeil, genannt „der Bielefelder“, nimmt auf Ausflügen jedenfalls immer seinen Weltempfänger mit, weil er am liebsten WDR hört. Eines Nachts, als er im Hotel darauf wartet, zu einem Geschäftsgespräch mit den ortsansässigen Milieugrößen abgeholt zu werden, lauscht er dem Moderator Domian, der gerade Harald Schmidt interviewt. Man spricht über Respekt und das Fehlen desselben. Und wie sich hier bald die Ebenen mischen, die Gesprächsfetzen von Domian/Schmidt in die Verhandlungen über neue Eros-Center im Osten, geschmierte V-Männer und angebotene Dienstleistungen hineinwehen, bis selbst der Bielefelder nolens volens über gewisse Werte nachdenkt - das ist einfach gut gemacht. „Die Politik unterstützt das Projekt, die Behörden sind mit im Boot, die Steuergelder fließen in beide Richtungen, und der Kommissar vom Dezernat 1 hält ihnen die Konkurrenz vom Hals. Europa-City. Alles wird sich ändern. Er schaltet seinen kleinen Weltempfänger ein. Domian und Harald Schmidt. Er lacht, was ist das nur für eine Type, dieser Schmidt. Kein Respekt vor niemand.“
Dieses häufige Ineinandergreifen der Wahrnehmungsebenen öffnet allerdings nicht nur den Raum für zahlreiche Anspielungen, für ein fast mythisch zu nennendes Raunen, das den Roman durchzieht, sondern es begrenzt gleichzeitig die Autonomie der Figuren. Für sie geht der Verlust an Orientierung mit einer ins Unermessliche sich steigernden Einsamkeit einher. Ständig ist in diesem Buch jemand müde, sehnt sich nach Schlaf oder phantasiert sich weit weg.
Immense Verlorenheit
Das wird nicht nur in jener wunderbaren Szene in der Mitte deutlich, in der zwei alternde Huren jede für sich heimlich davon tagträumen, mit der anderen befreundet zu sein, und zwar so sehr, dass sie in einem Café vor aller Augen beginnen, miteinander Walzer zu tanzen - eine Vision, die, weil beide sie hegen, die Einsamkeit jeder Einzelnen verstärkt. Die labyrinthische Struktur und der verschachtelte Stil, die Clemens Meyer ins Wort gesetzt hat, zielen letztlich auf die Veranschaulichung dieser großen allumfassenden Leere.
Meyer gibt die Fäden nicht aus der Hand. Er wechselt Tonhöhen, schwenkt vom umgangssprachlichen „Sag ich jetzt mal so“ einfacher Leute, meist einfacher Frauen, ins notgeile Gequatsche routinierter Freier und lässt in den fernen, halb verschütteten Kindheitserinnerungen der Bosse zuweilen so etwas wie Nostalgie anklingen. Er verschränkt Zeiten und Räume und hält seine Figuren doch immer in Selbstgesprächen gefangen. Und neben all der Pornographie, der Gewalt, der wabernden Angst, der Unruhe und der Ungewissheit ist es dieses Grundgefühl der krassen Verlorenheit, das sein Buch so schrecklich und so stark macht. „Im Stein“ ist wahrlich kein Lesevergnügen. Aber ein sehr guter Roman.
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/ ... 41182.html
Zeitungsartikel von ihm
viewtopic.php?p=136923#136923
Reisender, kommst du nach Eden City
Clemens Meyer hat einen Roman über die Nachtseite unserer Gegenwart geschrieben, über Prostituierte, Zuhälter und Kunden - aber auch ein so schreckliches wie starkes literarisches Werk über Vertrauen und Verrat, Sehnsucht und Einsamkeit.
Von LENA BOPP
Zu Clemens Meyer gehört, dass vieles von dem, was er sagt und schreibt, zunächst einmal einer Echtheitsprüfung unterzogen wird. Das liegt zum Teil an Meyers Habitus, an jenem Frei-von-der-Leber-weg-Stil, in dem er klug und unverstellt über seine Bücher spricht. Zum größeren Teil aber liegt es an der Ähnlichkeit, die der Leipziger Schriftsteller mit seinen Figuren zu haben scheint - da spielt es auch keine Rolle, dass derlei Übertragungen den Grundregeln des Romanlesens eklatant widersprechen. Meyer wird diese Bilder nicht los. Nicht die von seiner großen bierflaschenschwenkenden Freude, als er 2008 für seinen Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ den Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Nicht die von seinen vielen Tattoos. Nicht die von seiner Vergangenheit als Bauarbeiter, Gabelstaplerfahrer und Hartz-IV-Empfänger.
Wenn Meyer von Gefängnisaufenthalten, Alkoholexzessen und Bordellbesuchen schreibt, schöpft er dann aus selbstgemachten Erfahrungen, oder bedient er sich seiner Phantasie? Das ist so eine Frage, die auch heute, wo sein neuer Roman „Im Stein“ erscheint, sicher wieder gestellt wird. Das ist der Preis, den Meyer vom ersten Buch, dem Roman „Als wir träumten“ (2006), an für seine Weigerung bezahlt, sich bürgerlich-bescheiden zu geben, und auch dafür, dass er in seinen Büchern an Figuren und Milieus festhält, die man wohl als literaturfremd bezeichnen darf.
Erkunden von Parallelgesellschaften
Es ist selten geworden, dass Schriftsteller so konsequent wie er Parallelwelten erkunden, die von Knastbrüdern, Dealern, Säufern, Pennern, Puffgängern, Zuhältern, Nutten und sonstigen Vögeln bevölkert sind. Und selbst diejenigen Schriftsteller, die einem in diesem Zusammenhang gleich in den Sinn kommen, Jean Genet etwa, Louis-Ferdinand Céline, Charles Bukowski und in jüngerer Zeit vor allem Michel Houellebecq, tragen das Etikett der Anders- und bisweilen auch Abartigkeit mit sich herum.
Da hilft es wenig, dass Meyer in einem Interview, das zu seinem neuen Roman auf seiner Homepage steht, betont, wie normal seine Figuren doch seien, „Teile unserer Gesellschaft und moralisch genauso integer oder nicht wie ein Investmentbanker, ein Manager, ein Vorstandsboss oder wer auch immer“. Das mag schon stimmen. Den meisten seiner Romanleser aber sind diese Lebenswelten dennoch erst einmal fremd.
Gängige Business-Parameter greifen nicht
Wer weiß schon Genaues über die Nuttenszene in einer mittelgroßen deutschen Stadt, zweihundert Kilometer von der polnischen Grenze? Wer ahnt, dass sich das Rotlichtviertel dieses in seinem neuen Buch bisweilen mythisch-spöttisch „Eden City“ genannten Ortes nach der Wende tiefgreifend wandelte, dass, gleichsam vom Versprechen auf blühende Landschaften angelockt, sofort allerlei dark lords aus Ost und West hierherkamen, um die neuen Märkte zu sondieren? Einen ganz normalen marktwirtschaftlichen Vorgang könnte man das nennen, und genau in diese Richtung scheint Meyers Vorwärtsverteidigung auch zu zielen. Doch in Wahrheit weiß er es besser.
Prostitution mag ein Geschäft sein, aber weil es sich bei der Ware um Sex handelt, um Körper, können die üblichen Business-Parameter hier nicht allein gelten. Das tun sie bei Clemens Meyer auch nicht. Es geht in seinem Roman zwar um so banal anmutende Dinge wie Angebot und Nachfrage, Sicherheiten und Risiken, Perspektiven und Profite. Viel mehr aber geht es um das Menschliche selbst in dieser Branche, mithin um Vertrauen und Verrat, Hoffnungen und Illusionen, Sehnsucht und Einsamkeit. Und gerade aus dem Wissen um den tiefen, letztlich unüberwindbaren Abgrund, der zwischen diesen beiden Seiten derselben Sache liegt, zieht der Roman „Im Stein“ eine enorme urwüchsige Kraft.
Verallgemeinerungen schwächen Meyers Figuren
Folglich ist das Buch immer dann am schwächsten, wenn es versucht, sein Milieu zu verlassen, sich zum Panorama zu weiten und das Geschehen, die Geschichten um Verteilungskämpfe und Bandenkriege im Rotlichtviertel, als Parabeln des gewöhnlichen Wirtschaftsgebarens unserer Zeit darzustellen. Dass etwa Arnold „Arnie“ Kraushaar, genannt AK, der Immobilienmogul der Stadt, der seine Wohnungen zu bestimmten Tagessätzen den Prostituierten überlässt, irgendwann beschließt, BWL zu studieren, ist in diesem Sinn ein Detail, das eigentlich in die Irre führt: „Er begreift jetzt die Dinge anders, gleicht die Geschehnisse und Erinnerungen ab mit den Lehrsätzen und Theorien aus den Büchern und den Seminaren, versucht, das Geheimnis des Marktes zu begreifen, und es ist überall derselbe Markt, das begreift und sieht er immer mehr und immer klarer, ob Bumsen, Badelatschen oder Millionen made by Ackermann.“ Mit derlei Verallgemeinerungen arbeitet Clemens Meyer gegen seine eigenen - starken - Figuren.
Denn sie, und damit sind wir bei dem, was diesen Roman so großartig macht, kreisen in ihrem Denken ohne Unterlass um das moralische Dilemma, man könnte auch sagen: um den Dreck, in dem sie stecken. Wer über Prostitution schreibt, erzählt von gebrochenen Herzen. Jedes einzelne von ihnen bildet in Meyers Roman ein eigenes kleines Zentrum. Daraus resultiert sein konsequenter Verzicht auf eine chronologische Erzählstruktur und auf eine klare Hierarchie unter den Figuren. Die Personen, die Prostituierte Lilli, der Immobilienkönig AK, dessen rechte Hand Hans Pieszeck, ein Kommissar, der seinen Dienst nicht antritt, bevor er nicht bei seiner Stammhure war, die ihm regelmäßig ein „Na, mein Gutster“ entgegengurrt, auch der „Mann hinter den Spiegeln“, jener ominöse Strippenzieher, der sich erst spät als solcher zu erkennen gibt - all diese Personen ließen sich zwar problemlos in Haupt- und Nebenfiguren einteilen. Aber erst gemeinsam bilden sie jenen Stimmenchor, der dem Roman seine Dichte, Komplexität und Wucht verleiht.
Konsequenter Dirigent des rhythmischen Stimmenchors
Clemens Meyer dirigiert diesen Chor mit beeindruckender Kompromisslosigkeit. Er zoomt nicht nur nah an die Figuren heran, sondern schlüpft meist ganz in sie hinein. Er erzählt nicht, er lässt erzählen. So reihen sich in seinem mehr als fünfhundert Seiten dicken Werk die inneren Monologe all dieser gefallenen Helden aneinander - aus ihren Gedanken, Erinnerungsfetzen, Assoziationen und Träumen entsteht eine Art kollektiver Bewusstseinsstrom, dem nichts Unmenschliches fremd ist. Das ist weder leicht noch immer schön zu lesen: Etwa dort, wo die einunddreißig Jahre alte Prostituierte Lilli mit einer naturalistisch anmutenden Detailversessenheit über sexuelle Praktiken nachdenkt, die sie anbietet (oder auch nicht). Und auch dort, wo die Teenager-Hure, deren Namen wir nicht erfahren, davon erzählt, wie sie die Falten der auf die Tapete des Zimmers gedruckten Fächer zählt, während sie ihren Kunden zu Diensten sein muss, überschreitet der Roman radikal die Grenzen des Erträglichen.
Immer wieder aber beweist Meyer in seinen langen, teils aus sehr kurzen Sätzen, teils aus Parataxen bestehenden Gedankenströmen, in denen Zeiten und Perspektiven innerhalb eines Satzes wechseln können, ein besonderes Gespür für den Rhythmus seiner Sprache. Bei aller Obszönität, mit der man es als Leser zu tun bekommt und von der man gar nicht wissen will, wie genau der Autor da eigentlich recherchiert hat, entstehen so zuweilen Augenblicke von großer innerer Poesie. Und auch von Komik. Man lernt beispielsweise nicht nur, dass selbst die Unterwelt einen Hang zur Spießigkeit besitzt, sondern auch, dass hier die Grenzen zwischen Gut und Böse wenn auch nicht besonders wichtig, so zumindest noch bekannt sind.
Labyrinthisch und verschachtelt
Der 1996 aus dem Ruhrpott in den Osten gereiste Friedrich von Pfeil, genannt „der Bielefelder“, nimmt auf Ausflügen jedenfalls immer seinen Weltempfänger mit, weil er am liebsten WDR hört. Eines Nachts, als er im Hotel darauf wartet, zu einem Geschäftsgespräch mit den ortsansässigen Milieugrößen abgeholt zu werden, lauscht er dem Moderator Domian, der gerade Harald Schmidt interviewt. Man spricht über Respekt und das Fehlen desselben. Und wie sich hier bald die Ebenen mischen, die Gesprächsfetzen von Domian/Schmidt in die Verhandlungen über neue Eros-Center im Osten, geschmierte V-Männer und angebotene Dienstleistungen hineinwehen, bis selbst der Bielefelder nolens volens über gewisse Werte nachdenkt - das ist einfach gut gemacht. „Die Politik unterstützt das Projekt, die Behörden sind mit im Boot, die Steuergelder fließen in beide Richtungen, und der Kommissar vom Dezernat 1 hält ihnen die Konkurrenz vom Hals. Europa-City. Alles wird sich ändern. Er schaltet seinen kleinen Weltempfänger ein. Domian und Harald Schmidt. Er lacht, was ist das nur für eine Type, dieser Schmidt. Kein Respekt vor niemand.“
Dieses häufige Ineinandergreifen der Wahrnehmungsebenen öffnet allerdings nicht nur den Raum für zahlreiche Anspielungen, für ein fast mythisch zu nennendes Raunen, das den Roman durchzieht, sondern es begrenzt gleichzeitig die Autonomie der Figuren. Für sie geht der Verlust an Orientierung mit einer ins Unermessliche sich steigernden Einsamkeit einher. Ständig ist in diesem Buch jemand müde, sehnt sich nach Schlaf oder phantasiert sich weit weg.
Immense Verlorenheit
Das wird nicht nur in jener wunderbaren Szene in der Mitte deutlich, in der zwei alternde Huren jede für sich heimlich davon tagträumen, mit der anderen befreundet zu sein, und zwar so sehr, dass sie in einem Café vor aller Augen beginnen, miteinander Walzer zu tanzen - eine Vision, die, weil beide sie hegen, die Einsamkeit jeder Einzelnen verstärkt. Die labyrinthische Struktur und der verschachtelte Stil, die Clemens Meyer ins Wort gesetzt hat, zielen letztlich auf die Veranschaulichung dieser großen allumfassenden Leere.
Meyer gibt die Fäden nicht aus der Hand. Er wechselt Tonhöhen, schwenkt vom umgangssprachlichen „Sag ich jetzt mal so“ einfacher Leute, meist einfacher Frauen, ins notgeile Gequatsche routinierter Freier und lässt in den fernen, halb verschütteten Kindheitserinnerungen der Bosse zuweilen so etwas wie Nostalgie anklingen. Er verschränkt Zeiten und Räume und hält seine Figuren doch immer in Selbstgesprächen gefangen. Und neben all der Pornographie, der Gewalt, der wabernden Angst, der Unruhe und der Ungewissheit ist es dieses Grundgefühl der krassen Verlorenheit, das sein Buch so schrecklich und so stark macht. „Im Stein“ ist wahrlich kein Lesevergnügen. Aber ein sehr guter Roman.
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/ ... 41182.html
Zeitungsartikel von ihm
viewtopic.php?p=136923#136923
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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RE: Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens M
Autorenleseung in Frankfurt-Bahnhofsviertel
19:30 Uhr
Clemens Meyer
Im Stein
Lesung mit Clemens Meyer
Galerie Bernhard Knaus Fine Art
Niddastr. 84
60329 Frankfurt
Moderation: Insa Wilke
19:30 Uhr
Clemens Meyer
Im Stein
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Mein Kommentar zum FAZ-Artikel
Rezension der Rezension von Lena Bopp in der FAZ vom 21.8.
Hier geht es also um das große Sex-Biz in Leipzig (nach der Wende-Umbruchszeit), was im Roman "mythisch-spöttisch" Eden-City genannt werde.
In der Stadt gab es, erklärbar aus der Failed-State-Revolutionszeit der Wende [MoF], bekanntlich auch den Fall des sog. "Sachsensumpfs" um das "Kinderbordell Jasmin".
www.sexworker.at/lokal
Im FAZ-Text geht es um eine Rezension qualitätvoller Literatur, ganz in der Tradition des kürzlich verstorbenen ehemaligen FAZ-Mitarbeiter und späteren Literaturpapstes Reich Ranicki.
Ich versuche mich mal als Sexworker und Wissenschaftler die Rezension zu anal-ysieren, ohne den Roman schon gelesen haben zu können. Das können wir später hier im Forum sicher ergänzen, nämlich die sich aufdrängende Frage, wie unterschiedlich zu der Postition von Lena Bopp von der FAZ die Postition vom Romanautor zur Prostitution ist bzw. im Roman tatsächlich dargestellt wird...
Ich beobachte dass die Qualiltät und die Wertungen über das Sujet des Romans, die Werturteile über Prostitution überdeutlich in diese Rezension hereinwirken.
www.bit.ly/prostitutions-argumente
> Lena Bopp: "schöpft er dann aus selbstgemachten Erfahrungen, oder bedient er sich seiner Phantasie?"
Das ist genau die Kernfrage, die die Boulevardpresse auch als erste stellt. Erschreckend zu sehen, wie sich Boulevard und FAZ doch tatsächlich nahe sind.
Lena Bopp von der FAZ benutzt alle möglicherweise auch im Roman verstreuten negativen Worte, um einen Gegensatz von Gesellschaft zur Prostitution zu bekräftigen:
Parallelwelt, Anders- und Abartigkeit, Puffgänger, notgeile Gequatsche routinierter Freier, sonstige Vögel, Dark-Lords, Pornographie, Gewalt, wabernde Angst, krasse Verlorenheit, Nutten ... Ob das Wort Sexworker im Roman vorkommt? In der Rezension jedenfalls nicht. Ob Lena Bopp mal auf den Seiten vom Sexworker Forum war?
Scheinbar genüßlich schreibt die Rezensentin in einer Sexworker diskriminierenden Sprache und Wortwahl:
> Lena Bopp: "Wer weiß schon Genaues über die Nuttenszene [..]?"
Ich erlebe das stark an der Grenze zu Haßtaten!
Dabei gibt es eine starke Traditionslinie der guten Prostitutionsliteratur. Danke dass Lena Bopp berühmte Autoren für uns auflistet:
- Jean Genet. Er war selbst Stricher.
- Louis-Ferdinand Céline
- Charles Bukowski
- Michel Houellebecq
- ...
> Lena Bopp: "Da hilft es wenig". D.h. sie läßt nicht gelten, dass das Prostitutionsmilieu als genauso moralisch oder unmoralisch gewertet wird vom Autor wie etwa das Banking-Milieu.
Als Argument trägt sie nur Fremdheit vor.
> Lena Bopp: "Den meisten seiner Romanleser aber sind diese Lebenswelten dennoch erst einmal fremd."
So einfach wird Außenseiterstatus und Fremdheit konstruiert. Das ist Marginalisierung, "Othering" und "Alienation" der Prostitution und mit ihr der Sexworker was die Rezensentin sich hier leistet!
Lena Bopp diskreditiert in der Frankfurter Allgmeinen Zeitung die Argumente des Romanautors als "Vorwärtsverteidigung" und behauptet dreist: "Doch in Wahrheit weiß er es besser".
Das ist auf der selben Ebene, wie wenn Prostitutionsgegner Sexworker als Opfer von Gehirnwäsche oder als nichtrepräsentativ bezeichnen, ihnen das Wort im Munde herumdrehen, und die Erfahrungen von Frauen, Männern und Trans*menschen damit hegemonial im Prostitutionsdiskurs zum Schweigen bringen wollen.
Lena Bopp argumentiert fundamentalistisch prostitutionsfeindlich wie das Frauen, Kirchen und Prostitutionsgegner gerne machen: "weil es sich bei der Ware um Sex handelt, um Körper, können die üblichen Business-Parameter hier nicht allein gelten".
Das was einen Roman oder Kunstwerk großartig werden läßt, wenn es gelingt das universell Menschliche herauszuarbeiten, benutzt Lena Bopp hier als Argumente um ihre sexworkfeindliche Sicht zu bekräftigen.
> "geht es um das Menschliche selbst in dieser Branche, mithin um Vertrauen und Verrat, Hoffnungen und Illusionen, Sehnsucht und Einsamkeit."
> "aus dem Wissen um den tiefen, letztlich unüberwindbaren Abgrund, der zwischen diesen beiden Seiten derselben Sache liegt, zieht der Roman „Im Stein“ eine enorme urwüchsige Kraft."
Da bleibt Lena Bopp dann nichts anderes übrig, als generalisierende, komparatistische Analysen als Schwächen des Werkes abzuwerten:
> "Folglich ist das Buch immer dann am schwächsten, wenn es versucht, sein Milieu zu verlassen, sich zum Panorama zu weiten und das Geschehen, die Geschichten um Verteilungskämpfe und Bandenkriege im Rotlichtviertel, als Parabeln des gewöhnlichen Wirtschaftsgebarens unserer Zeit darzustellen."
Ich habe in einem anderen Posting gestern herausgestrichen wie wichtig es für uns ist die Theoriebildung der Sexarbeit voranzutreiben. Hier bei ihr können wir erleben, wie uns da Steine in den Weg gelegt werden: "als die Romanfigur Arnold Kraushaar der Immobilienmogul "beschließt, BWL zu studieren, ist in diesem Sinn ein Detail, das eigentlich in die Irre führt".
Wenn also im Roman Lebenserfahrung und Wissenschaft/Uniausbildung -was nunmal leider nicht allgemeinverbreitet zu haben ist- zusammenfließen um Erkenntnisse über die Welt ihr zu entlocken und uns allen mitzuteilen, wertet sie das ab: "Mit derlei Verallgemeinerungen arbeitet Clemens Meyer gegen seine eigenen - starken - Figuren."
Vermutlich könnte sie mit so einer voreingenommenen Grundhaltung auch nichts mit den von uns gesammelten Studien zu Ökonomie und Sexarbeit anfangen www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=2288 Das ist sehr schmerzhaft zu lesen. Wie geht es Euch? Hat jemand tröstende Worte?
Sie steigert ihre Gemeinheiten über Prostitution weiter:
> Lena Boop: "das moralische Dilemma, man könnte auch sagen: [...] den Dreck, in dem sie [die Romanfiguren aus der Sexarbeitswelt] stecken. Wer über Prostitution schreibt, erzählt von gebrochenen Herzen."
Ich frage mich ob sie den Roman auch deshalb gut findet, weil er ihr es ermöglicht sich an ihrem Feindbild Prostituton so detailiert abzuarbeiten? Sie schreibt als letzten Satz: "sein Buch so schrecklich und so stark [...] „Im Stein“ ist wahrlich kein Lesevergnügen. Aber ein sehr guter Roman."
Sie beschreibt die Protagonisten der Sexarbeitswelt als "gefallene Helden", denen "nichts Unmenschliches fremd ist." Damit dreht sie die sonst von uns inanspruchgenommene Realität, dass uns 'nichts Menschliches fremd ist' einfach um.
Was Lena Bopp hier macht ist kein Deut besser als wenn selbsterklärte Prostitutionsgegnerin Alice Schwarzer vor die Medienkameras der Nation tritt und die Sexworker als "die sozial Toten" konstruiert.
Vermutlich ekelt sie sich auch beim Lesen, wenn sie schreibt:
> "[d]as ist weder leicht noch immer schön zu lesen: Etwa dort, wo die 31 Jahre alte Prostituierte Lilli mit einer naturalistisch anmutenden Detailversessenheit über sexuelle Praktiken nachdenkt, die sie anbietet (oder auch nicht). Und auch dort, wo die Teenager-Hure, deren Namen wir nicht erfahren, davon erzählt, wie sie die Falten der auf die Tapete des Zimmers gedruckten Fächer zählt, während sie ihren Kunden zu Diensten sein muss, überschreitet der Roman radikal die Grenzen des Erträglichen."
Dabei kennen wir alle letztztlich doch zu gut die kollektive Erzählung, wenn Frauen überlegen welche Hausarbeiten sie noch erledigen werden, während ihr Mann mit ihr Sex hat. Hier soll eine so vertraute Szene auf einmal grenzwertig erträglich sein. Das hat offensichtlich mit der verbreiteten Menschenhandelspropaganda in den Kampagnenmedien zu tun, deren Gehirnwäsche sie vollkommen erlegen zu sein scheint.
www.bit.ly/spiegel-prostitution
> Lena Bopp: "Bei aller Obszönität, mit der man es als Leser zu tun bekommt und von der man gar nicht wissen will, wie genau der Autor da eigentlich recherchiert hat".
Dann käme man nämlich in einen Wertekonflikt. Wie kann man einen Autor hoch schätzen, von dem man wüßte, das er etwas macht, was man stark verabscheut. Sie weicht geschickt ihrem eigenen Dilemma aus, indem sie diese Floskel "will man gar nicht wissen" hinschreibt. Sie will offensichtlich keine Mitschuld haben und nicht hineingezogen werden in die von ihr verabscheute Wertewelt. Promotet gleichzeitig aber Literatur über Prostitution, d.h. deren Vermarktung, die in den kommenden Tagen auf der Frankfurter Buchmesse ihren diesjährigen Höhepunkt haben wird.
Verzückt scheint Lena Bopp zu sein nicht nur über die Sprache des Romans, sondern wenn sie negative Werturteile dort findet, die sie vmtl. so nicht erwartet hatte oder zumindest nicht für so erwartbar hält wie etwa dass: "selbst die Unterwelt einen Hang zur Spießigkeit besitzt".
Der Lena Bopp vom bürgerlichen Zeitungsflagschiff FAZ gelingt es nicht eine höhere universelle Ethik zu erkennen, die sowohl für die Mainstreamgesellschaft als auch die ausgegrenzte und 2002 legalisierte Prostitution gilt. Vielmehr macht sich sich über unsere sozio-sexuelle Minderheit lustig wenn sie scheinbar amüsiert schreibt:
> Lena Bopp: "Grenzen zwischen Gut und Böse wenn auch nicht besonders wichtig, so zumindest noch bekannt sind."
Dabei steht irgendwo im Roman ganz explizit und Lena Bopp zitiert das ein paar Zeilen weiter unten: "Kein Respekt vor niemand".
Interessant was wir über die Leipziger Prostitutionszene der neuen Großbordelle (Laufhäuser) erfahren, wo sie den Originaltext zitiert: „Die Politik unterstützt das Projekt, die Behörden sind mit im Boot, die Steuergelder fließen in beide Richtungen, und der Kommissar vom Dezernat 1 hält ihnen die Konkurrenz vom Hals“. Sie benutzt es weder um Korruption von Politik und Großindustriellen in der Prostitution zu beklagen, geschweige denn sich mit den Sexarbeiterinnen zu solidarisieren, etwa wegen überhöhten Monopolmietpreisen für Sexarbeitsplätze.
Zum Klischee der in der Prostitution angeblich "gebrochenen Herzen" was sich in der möglicherweise congenialen Romanszene der imaginär miteinander tanzenden alternden Huren widerspiegelt und offensichtlich Lena Bopps Empathie für Sexworker dann doch ein Stück geweckt haben mag:
Später liefert sie als vermutlich hochgebildete Literaturkritikerin oder Journalistin uns eine teilweise gute Analyse, als sie dem "mythischen Raunen" was den Roman durchtränke auf der Spur ist. "[E]s begrenzt gleichzeitig die Autonomie der Figuren. Für sie geht der Verlust an Orientierung mit einer ins Unermessliche sich steigernden Einsamkeit einher. Ständig ist in diesem Buch jemand müde, sehnt sich nach Schlaf oder phantasiert sich weit weg." Für mich sind das auf den ersten Blick Symptome von SWBO.
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=6996#6996 SW only
Für mich ist das die perfekte Anal-yse der angeblich gebrochenen Herzen, d.h. der strukturell prekären Lage von Prostitution und isolierten Sexworkern, die in einem gesellschaftlichen Wertekonflikt aufgrund von Ausgrenzung und Stigmatisierung bis hin zur Kriminalisierung begründet liegen. FAZ-Rezensentin Lena Bopp schafft es aber nicht diese Wirkung des Prostitutionsstigmas, der Putophobie und Misoharlotrie, zu erkennen, geschweige denn zu dekonstruieren als Ursache für Orientierungsverlußt und Einsamkeit der Menschen in der Sexarbeitswelt. Sie macht sich vielmehr gemein mit herrschender Ausgrenzung und beteiligt sich aktiv auf höchstanerkannter gesellschaftlicher Ebene, nämlich dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeigung, an der Stigmatisierung wie ich weiter oben bereits anal-ysiert habe.
Wie unendlich traurig ist das denn, wenn man als Sexworker Forum Autor und Leser ständig herausgefordert ist so viel Dreck ausgeschüttet lesen zu müssen über Prostitution - auch wenn es hier indirekt erfolgt und sich hochkultiviert gibt als Rezension eines Werkes über Prostitution. Wie viel Kraft uns das kostet hier so einen Schund nicht einfach nur reinkopiert stehen zu lassen, sondern auch eine Sexworker-Postitution dazu auszuarbeiten (die Stimme als Sexworker erhehen... unser Forum als Talk-Back-Tool zu nutzen).
Ich finde es pervers, wie die Rezensentin ein Buch, weil es gesellschaftliche Widersprüche deutlich seziert und schonungslos abbildet, was bei ihr offenbar gruselig-angenehme Gefühle des distanziertem Schaudern hervorgerufen hat, als Basis für ein Qualitätsurteil von guter Literatur hernimmt.
Das ist eine ökonomische Ausbeutung von Prostitution und vom Prostitutionsstigma. Solche Literatur -und damit meine ich die bisher von mir nur gelesene Rezension- gehört für mich in die Rubrick Elends-Porno oder Poverty-Porn.
Clemens Meyer, Jg.77
www.meyer-clemens.de
www.de.wikipedia.org/wiki/Clemens_Meyer ... steller%29
"Im Stein"
Roman
S.Fischer, Frankfurt
558 Seiten
23 Euro
Rezension von Lena Bopp:
"Clemens Meyer: Im Stein Reisender, kommst du nach Eden City"
21.08.2013
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/ ... 41182.html
.
Hier geht es also um das große Sex-Biz in Leipzig (nach der Wende-Umbruchszeit), was im Roman "mythisch-spöttisch" Eden-City genannt werde.
In der Stadt gab es, erklärbar aus der Failed-State-Revolutionszeit der Wende [MoF], bekanntlich auch den Fall des sog. "Sachsensumpfs" um das "Kinderbordell Jasmin".
www.sexworker.at/lokal
Im FAZ-Text geht es um eine Rezension qualitätvoller Literatur, ganz in der Tradition des kürzlich verstorbenen ehemaligen FAZ-Mitarbeiter und späteren Literaturpapstes Reich Ranicki.
Ich versuche mich mal als Sexworker und Wissenschaftler die Rezension zu anal-ysieren, ohne den Roman schon gelesen haben zu können. Das können wir später hier im Forum sicher ergänzen, nämlich die sich aufdrängende Frage, wie unterschiedlich zu der Postition von Lena Bopp von der FAZ die Postition vom Romanautor zur Prostitution ist bzw. im Roman tatsächlich dargestellt wird...
Ich beobachte dass die Qualiltät und die Wertungen über das Sujet des Romans, die Werturteile über Prostitution überdeutlich in diese Rezension hereinwirken.
www.bit.ly/prostitutions-argumente
> Lena Bopp: "schöpft er dann aus selbstgemachten Erfahrungen, oder bedient er sich seiner Phantasie?"
Das ist genau die Kernfrage, die die Boulevardpresse auch als erste stellt. Erschreckend zu sehen, wie sich Boulevard und FAZ doch tatsächlich nahe sind.
Lena Bopp von der FAZ benutzt alle möglicherweise auch im Roman verstreuten negativen Worte, um einen Gegensatz von Gesellschaft zur Prostitution zu bekräftigen:
Parallelwelt, Anders- und Abartigkeit, Puffgänger, notgeile Gequatsche routinierter Freier, sonstige Vögel, Dark-Lords, Pornographie, Gewalt, wabernde Angst, krasse Verlorenheit, Nutten ... Ob das Wort Sexworker im Roman vorkommt? In der Rezension jedenfalls nicht. Ob Lena Bopp mal auf den Seiten vom Sexworker Forum war?
Scheinbar genüßlich schreibt die Rezensentin in einer Sexworker diskriminierenden Sprache und Wortwahl:
> Lena Bopp: "Wer weiß schon Genaues über die Nuttenszene [..]?"
Ich erlebe das stark an der Grenze zu Haßtaten!
Dabei gibt es eine starke Traditionslinie der guten Prostitutionsliteratur. Danke dass Lena Bopp berühmte Autoren für uns auflistet:
- Jean Genet. Er war selbst Stricher.
- Louis-Ferdinand Céline
- Charles Bukowski
- Michel Houellebecq
- ...
> Lena Bopp: "Da hilft es wenig". D.h. sie läßt nicht gelten, dass das Prostitutionsmilieu als genauso moralisch oder unmoralisch gewertet wird vom Autor wie etwa das Banking-Milieu.
Als Argument trägt sie nur Fremdheit vor.
> Lena Bopp: "Den meisten seiner Romanleser aber sind diese Lebenswelten dennoch erst einmal fremd."
So einfach wird Außenseiterstatus und Fremdheit konstruiert. Das ist Marginalisierung, "Othering" und "Alienation" der Prostitution und mit ihr der Sexworker was die Rezensentin sich hier leistet!
Lena Bopp diskreditiert in der Frankfurter Allgmeinen Zeitung die Argumente des Romanautors als "Vorwärtsverteidigung" und behauptet dreist: "Doch in Wahrheit weiß er es besser".
Das ist auf der selben Ebene, wie wenn Prostitutionsgegner Sexworker als Opfer von Gehirnwäsche oder als nichtrepräsentativ bezeichnen, ihnen das Wort im Munde herumdrehen, und die Erfahrungen von Frauen, Männern und Trans*menschen damit hegemonial im Prostitutionsdiskurs zum Schweigen bringen wollen.
Lena Bopp argumentiert fundamentalistisch prostitutionsfeindlich wie das Frauen, Kirchen und Prostitutionsgegner gerne machen: "weil es sich bei der Ware um Sex handelt, um Körper, können die üblichen Business-Parameter hier nicht allein gelten".
Das was einen Roman oder Kunstwerk großartig werden läßt, wenn es gelingt das universell Menschliche herauszuarbeiten, benutzt Lena Bopp hier als Argumente um ihre sexworkfeindliche Sicht zu bekräftigen.
> "geht es um das Menschliche selbst in dieser Branche, mithin um Vertrauen und Verrat, Hoffnungen und Illusionen, Sehnsucht und Einsamkeit."
> "aus dem Wissen um den tiefen, letztlich unüberwindbaren Abgrund, der zwischen diesen beiden Seiten derselben Sache liegt, zieht der Roman „Im Stein“ eine enorme urwüchsige Kraft."
Da bleibt Lena Bopp dann nichts anderes übrig, als generalisierende, komparatistische Analysen als Schwächen des Werkes abzuwerten:
> "Folglich ist das Buch immer dann am schwächsten, wenn es versucht, sein Milieu zu verlassen, sich zum Panorama zu weiten und das Geschehen, die Geschichten um Verteilungskämpfe und Bandenkriege im Rotlichtviertel, als Parabeln des gewöhnlichen Wirtschaftsgebarens unserer Zeit darzustellen."
Ich habe in einem anderen Posting gestern herausgestrichen wie wichtig es für uns ist die Theoriebildung der Sexarbeit voranzutreiben. Hier bei ihr können wir erleben, wie uns da Steine in den Weg gelegt werden: "als die Romanfigur Arnold Kraushaar der Immobilienmogul "beschließt, BWL zu studieren, ist in diesem Sinn ein Detail, das eigentlich in die Irre führt".
Wenn also im Roman Lebenserfahrung und Wissenschaft/Uniausbildung -was nunmal leider nicht allgemeinverbreitet zu haben ist- zusammenfließen um Erkenntnisse über die Welt ihr zu entlocken und uns allen mitzuteilen, wertet sie das ab: "Mit derlei Verallgemeinerungen arbeitet Clemens Meyer gegen seine eigenen - starken - Figuren."
Vermutlich könnte sie mit so einer voreingenommenen Grundhaltung auch nichts mit den von uns gesammelten Studien zu Ökonomie und Sexarbeit anfangen www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=2288 Das ist sehr schmerzhaft zu lesen. Wie geht es Euch? Hat jemand tröstende Worte?
Sie steigert ihre Gemeinheiten über Prostitution weiter:
> Lena Boop: "das moralische Dilemma, man könnte auch sagen: [...] den Dreck, in dem sie [die Romanfiguren aus der Sexarbeitswelt] stecken. Wer über Prostitution schreibt, erzählt von gebrochenen Herzen."
Ich frage mich ob sie den Roman auch deshalb gut findet, weil er ihr es ermöglicht sich an ihrem Feindbild Prostituton so detailiert abzuarbeiten? Sie schreibt als letzten Satz: "sein Buch so schrecklich und so stark [...] „Im Stein“ ist wahrlich kein Lesevergnügen. Aber ein sehr guter Roman."
Sie beschreibt die Protagonisten der Sexarbeitswelt als "gefallene Helden", denen "nichts Unmenschliches fremd ist." Damit dreht sie die sonst von uns inanspruchgenommene Realität, dass uns 'nichts Menschliches fremd ist' einfach um.
Was Lena Bopp hier macht ist kein Deut besser als wenn selbsterklärte Prostitutionsgegnerin Alice Schwarzer vor die Medienkameras der Nation tritt und die Sexworker als "die sozial Toten" konstruiert.
Vermutlich ekelt sie sich auch beim Lesen, wenn sie schreibt:
> "[d]as ist weder leicht noch immer schön zu lesen: Etwa dort, wo die 31 Jahre alte Prostituierte Lilli mit einer naturalistisch anmutenden Detailversessenheit über sexuelle Praktiken nachdenkt, die sie anbietet (oder auch nicht). Und auch dort, wo die Teenager-Hure, deren Namen wir nicht erfahren, davon erzählt, wie sie die Falten der auf die Tapete des Zimmers gedruckten Fächer zählt, während sie ihren Kunden zu Diensten sein muss, überschreitet der Roman radikal die Grenzen des Erträglichen."
Dabei kennen wir alle letztztlich doch zu gut die kollektive Erzählung, wenn Frauen überlegen welche Hausarbeiten sie noch erledigen werden, während ihr Mann mit ihr Sex hat. Hier soll eine so vertraute Szene auf einmal grenzwertig erträglich sein. Das hat offensichtlich mit der verbreiteten Menschenhandelspropaganda in den Kampagnenmedien zu tun, deren Gehirnwäsche sie vollkommen erlegen zu sein scheint.
www.bit.ly/spiegel-prostitution
> Lena Bopp: "Bei aller Obszönität, mit der man es als Leser zu tun bekommt und von der man gar nicht wissen will, wie genau der Autor da eigentlich recherchiert hat".
Dann käme man nämlich in einen Wertekonflikt. Wie kann man einen Autor hoch schätzen, von dem man wüßte, das er etwas macht, was man stark verabscheut. Sie weicht geschickt ihrem eigenen Dilemma aus, indem sie diese Floskel "will man gar nicht wissen" hinschreibt. Sie will offensichtlich keine Mitschuld haben und nicht hineingezogen werden in die von ihr verabscheute Wertewelt. Promotet gleichzeitig aber Literatur über Prostitution, d.h. deren Vermarktung, die in den kommenden Tagen auf der Frankfurter Buchmesse ihren diesjährigen Höhepunkt haben wird.
Verzückt scheint Lena Bopp zu sein nicht nur über die Sprache des Romans, sondern wenn sie negative Werturteile dort findet, die sie vmtl. so nicht erwartet hatte oder zumindest nicht für so erwartbar hält wie etwa dass: "selbst die Unterwelt einen Hang zur Spießigkeit besitzt".
Der Lena Bopp vom bürgerlichen Zeitungsflagschiff FAZ gelingt es nicht eine höhere universelle Ethik zu erkennen, die sowohl für die Mainstreamgesellschaft als auch die ausgegrenzte und 2002 legalisierte Prostitution gilt. Vielmehr macht sich sich über unsere sozio-sexuelle Minderheit lustig wenn sie scheinbar amüsiert schreibt:
> Lena Bopp: "Grenzen zwischen Gut und Böse wenn auch nicht besonders wichtig, so zumindest noch bekannt sind."
Dabei steht irgendwo im Roman ganz explizit und Lena Bopp zitiert das ein paar Zeilen weiter unten: "Kein Respekt vor niemand".
Interessant was wir über die Leipziger Prostitutionszene der neuen Großbordelle (Laufhäuser) erfahren, wo sie den Originaltext zitiert: „Die Politik unterstützt das Projekt, die Behörden sind mit im Boot, die Steuergelder fließen in beide Richtungen, und der Kommissar vom Dezernat 1 hält ihnen die Konkurrenz vom Hals“. Sie benutzt es weder um Korruption von Politik und Großindustriellen in der Prostitution zu beklagen, geschweige denn sich mit den Sexarbeiterinnen zu solidarisieren, etwa wegen überhöhten Monopolmietpreisen für Sexarbeitsplätze.
Zum Klischee der in der Prostitution angeblich "gebrochenen Herzen" was sich in der möglicherweise congenialen Romanszene der imaginär miteinander tanzenden alternden Huren widerspiegelt und offensichtlich Lena Bopps Empathie für Sexworker dann doch ein Stück geweckt haben mag:
Später liefert sie als vermutlich hochgebildete Literaturkritikerin oder Journalistin uns eine teilweise gute Analyse, als sie dem "mythischen Raunen" was den Roman durchtränke auf der Spur ist. "[E]s begrenzt gleichzeitig die Autonomie der Figuren. Für sie geht der Verlust an Orientierung mit einer ins Unermessliche sich steigernden Einsamkeit einher. Ständig ist in diesem Buch jemand müde, sehnt sich nach Schlaf oder phantasiert sich weit weg." Für mich sind das auf den ersten Blick Symptome von SWBO.
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=6996#6996 SW only
Für mich ist das die perfekte Anal-yse der angeblich gebrochenen Herzen, d.h. der strukturell prekären Lage von Prostitution und isolierten Sexworkern, die in einem gesellschaftlichen Wertekonflikt aufgrund von Ausgrenzung und Stigmatisierung bis hin zur Kriminalisierung begründet liegen. FAZ-Rezensentin Lena Bopp schafft es aber nicht diese Wirkung des Prostitutionsstigmas, der Putophobie und Misoharlotrie, zu erkennen, geschweige denn zu dekonstruieren als Ursache für Orientierungsverlußt und Einsamkeit der Menschen in der Sexarbeitswelt. Sie macht sich vielmehr gemein mit herrschender Ausgrenzung und beteiligt sich aktiv auf höchstanerkannter gesellschaftlicher Ebene, nämlich dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeigung, an der Stigmatisierung wie ich weiter oben bereits anal-ysiert habe.
Wie unendlich traurig ist das denn, wenn man als Sexworker Forum Autor und Leser ständig herausgefordert ist so viel Dreck ausgeschüttet lesen zu müssen über Prostitution - auch wenn es hier indirekt erfolgt und sich hochkultiviert gibt als Rezension eines Werkes über Prostitution. Wie viel Kraft uns das kostet hier so einen Schund nicht einfach nur reinkopiert stehen zu lassen, sondern auch eine Sexworker-Postitution dazu auszuarbeiten (die Stimme als Sexworker erhehen... unser Forum als Talk-Back-Tool zu nutzen).
Ich finde es pervers, wie die Rezensentin ein Buch, weil es gesellschaftliche Widersprüche deutlich seziert und schonungslos abbildet, was bei ihr offenbar gruselig-angenehme Gefühle des distanziertem Schaudern hervorgerufen hat, als Basis für ein Qualitätsurteil von guter Literatur hernimmt.
Das ist eine ökonomische Ausbeutung von Prostitution und vom Prostitutionsstigma. Solche Literatur -und damit meine ich die bisher von mir nur gelesene Rezension- gehört für mich in die Rubrick Elends-Porno oder Poverty-Porn.
Clemens Meyer, Jg.77
www.meyer-clemens.de
www.de.wikipedia.org/wiki/Clemens_Meyer ... steller%29
"Im Stein"
Roman
S.Fischer, Frankfurt
558 Seiten
23 Euro
Rezension von Lena Bopp:
"Clemens Meyer: Im Stein Reisender, kommst du nach Eden City"
21.08.2013
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/ ... 41182.html
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RE: Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens M
ROMAN «IM STEIN»
Prostitution ist überall
Der Schriftsteller Clemens Meyer seziert das Rotlichtmilieu in seinem neuen Roman.
Von Michael Kraft
Im Rotlichtmilieu siedelt Clemens Meyer seinen zweiten Roman an. Der preisgekrönte Autor glänzt in Im Stein mit unnachahmlichen Sound und kunstvoller Konstruktion. Und er zeigt: Das älteste Gewerbe der Welt funktioniert wie jeder andere Wirtschaftszweig - oder umgekehrt.
Clemens Meyer hat einen Roman über die Prostitution geschrieben. Das ist eine erstaunliche Wahl, aber eine sehr interessante und vor allem kluge. Zu Beginn seiner Laufbahn gab es oft den Vorwurf, der Leipziger zehre als Schriftsteller lediglich von seiner Milieukenntnis, von einer rauen Jugend inmitten von Crashkids und Drogen im wilden Osten. Diesmal könnte das Thema kaum weniger autobiografisch sein. Im Stein fußt nicht auf Erfahrungen, sondern auf Recherche.
Meyer hat für die Arbeit an seinem Roman mit rund 70 Frauen aus dem Rotlichtmilieu gesprochen. Seine Erkenntnisse verarbeitet er mit sagenhafter Kunstfertigkeit in einer Montage, die in ihrer Technik ein wenig an sein Debüt Als wir träumten erinnert, vor allem aber seinen Ehrgeiz, seine Fantasie und seine Raffinesse beweist.
Im Stein ist der zweite Roman des Autors aus Leipzig.
Im Stein ist der zweite Roman des Autors aus Leipzig. Foto: Verlag S. Fischer
Die Handlung erstreckt sich über etliche Jahre, der wichtigste Schauplatz ist eine namenlose ostdeutsche Großstadt, das Ensemble ist riesig. Im Mittelpunkt stehen Arnold Kraushaar, der Zimmer an Prostituierte vermietet, und Hans Pieszeck, der ein Bordell betreibt. Dazu kommen Protagonisten, die manchmal nur kurz auftauchen, manchmal förmlich durch die gut 550 Seiten mäandern. Ein Ex-Jockey zum Beispiel, der seine Tochter sucht, seit sie vor vier Jahren im Rotlichtmilieu verschwand. Ein Polizist, der Crystal-Meth-Dealern auflauert und weiß, dass seine Arbeit ähnlich wirkungsvoll ist wie die von Sisyphos. Eine 31-jährige Prostituierte, die früher mal studiert hat und dann in Berlin den Drogenabsturz erlebte, den sie nicht als solchen empfindet, «weil war’ne schöne wilde Zeit».
Das Bordell ist nicht igitt
Das Rotlichtmilieu schildert Meyer nicht allzu glamourös, aber auch nicht schäbig. Dass unser Blick auf die Prostitution bigott ist, führt der Autor immer wieder vor. Viele der Protagonisten sind selbst angewidert von diesem Geschäft, aber noch mehr vom schlechten Ruf, der ihnen deshalb anhaftet, obwohl doch jeder nur versucht, über die Runden zu kommen und seinen Schnitt zu machen. Die wohl wichtigste Botschaft von Im Stein lautet: Diese Branche ist auch nicht unmoralischer als andere. «Das Geld fließt und fließt, meist in beide Richtungen, rein und raus, das alte Spiel, und wir waren, und wir sind, und wenn man seinen Platz hat im großen Spiel, geht es weiter… Immer weiter», heißt es an einer Stelle.
Es geht in diesem Geschäft (und in diesem Buch) nicht um Sex, sondern um Kampf und vor allem um Macht. Kraushaar und Pieszeck haben beide Ärger mit der Konkurrenz, müssen um ihre Position fürchten und damit um ihren Lebensunterhalt. Auch auf den Hierarchieebenen darunter gehen hier ganz durchschnittliche Menschen ihrer ganz alltäglichen Beschäftigung nach. Es ist zum einen diese These der Normalität, die zugleich ein Tabubruch und eine Absolution ist, aus der das Buch seinen Reiz bezieht.
Zum anderen ist es aber die Form. Das Buch ist ein mitunter surreales Kaleidoskop aus unchronologisch angeordneten Gesprächsnotizen, Zitaten aus BWL-Lehrbüchern, Zeilen aus Liedern, Protokollen, gegen Ende sogar einer langen Interview-/Verhörsequenz. Dazwischen gibt es ganz klassisch Erzähltes und rührend schöne Szenen wie die von den zwei alten Huren bei Kaffee und Birnenbrand oder dem Mann, der bei einem Besuch in seiner alten Heimatstadt mit der Blumenhändlerin anbandelt, die jahrelang das Grab seiner Mutter gepflegt hat.
Überall gibt es Erinnerungen, Abkürzungen, Codes, und ganz oft setzt Meyer auf einen assoziativen Stil, in dem mit vielen Stichworten und Auslassungen kommuniziert wird. Das ist die Sprache der Stammtische, in der vieles selbstverständlich ist, die Nennung eines Namens reicht, um eine Anekdote oder eine ganze Biografie in Erinnerung zu bringen, und in der vieles verklärt wird, nur nicht der gemeinsame Horizont. Der Leser sitzt in Im Stein mit an diesem Stammtisch, als Nicht-Eingeweihter. Der Erzähler strahlt durch diese Methode eine sehr coole, abgeklärte Allwissenheit aus. Er hat alles gesehen, er weiß alles, aber er wird nicht alles verraten, weil es nicht nötig oder nicht ratsam ist. Er weiß um das gemeinsame Fundament von Erfahrungen und Überzeugungen – und um den Wert eines Geheimnisses.
Noch mehr als seine bisherigen Werke ist Im Stein damit ein Clemens-Meyer-Buch. Es gibt keine unvergesslichen Figuren und keine allzu spannende Handlung. Der Wert liegt zu einem guten Teil im Hintergrund, in den aufgezeigten Assoziationen und Parallelen, in der Form, im Sound. Spätestens mit diesem Roman dürfte Meyer alle widerlegt haben, die in ihm bloß einen Literatur-Rebellen mit exotischer Biografie und mehr Tattoos als Talent gesehen haben. Im Stein beweist: Es geht nicht darum, wer hier schreibt. Sondern was er schreibt. Und wie er schreibt.
Bestes Zitat: «Er braucht die Geschäfte. Die Stadt. Die Städte. Die Burg. Die Clubs. Die Weiber. Das Geld. Die Strategien des Marktes. Die Konkurrenz. Die Spekulation. Die Investitionen. Die Informationen. Die Spieler. Das Fließen. Die Blicke in die Zukunft. Und die Blicke zurück.»
www.news.de/medien/855457826/im-stein-c ... itution/1/
Prostitution ist überall
Der Schriftsteller Clemens Meyer seziert das Rotlichtmilieu in seinem neuen Roman.
Von Michael Kraft
Im Rotlichtmilieu siedelt Clemens Meyer seinen zweiten Roman an. Der preisgekrönte Autor glänzt in Im Stein mit unnachahmlichen Sound und kunstvoller Konstruktion. Und er zeigt: Das älteste Gewerbe der Welt funktioniert wie jeder andere Wirtschaftszweig - oder umgekehrt.
Clemens Meyer hat einen Roman über die Prostitution geschrieben. Das ist eine erstaunliche Wahl, aber eine sehr interessante und vor allem kluge. Zu Beginn seiner Laufbahn gab es oft den Vorwurf, der Leipziger zehre als Schriftsteller lediglich von seiner Milieukenntnis, von einer rauen Jugend inmitten von Crashkids und Drogen im wilden Osten. Diesmal könnte das Thema kaum weniger autobiografisch sein. Im Stein fußt nicht auf Erfahrungen, sondern auf Recherche.
Meyer hat für die Arbeit an seinem Roman mit rund 70 Frauen aus dem Rotlichtmilieu gesprochen. Seine Erkenntnisse verarbeitet er mit sagenhafter Kunstfertigkeit in einer Montage, die in ihrer Technik ein wenig an sein Debüt Als wir träumten erinnert, vor allem aber seinen Ehrgeiz, seine Fantasie und seine Raffinesse beweist.
Im Stein ist der zweite Roman des Autors aus Leipzig.
Im Stein ist der zweite Roman des Autors aus Leipzig. Foto: Verlag S. Fischer
Die Handlung erstreckt sich über etliche Jahre, der wichtigste Schauplatz ist eine namenlose ostdeutsche Großstadt, das Ensemble ist riesig. Im Mittelpunkt stehen Arnold Kraushaar, der Zimmer an Prostituierte vermietet, und Hans Pieszeck, der ein Bordell betreibt. Dazu kommen Protagonisten, die manchmal nur kurz auftauchen, manchmal förmlich durch die gut 550 Seiten mäandern. Ein Ex-Jockey zum Beispiel, der seine Tochter sucht, seit sie vor vier Jahren im Rotlichtmilieu verschwand. Ein Polizist, der Crystal-Meth-Dealern auflauert und weiß, dass seine Arbeit ähnlich wirkungsvoll ist wie die von Sisyphos. Eine 31-jährige Prostituierte, die früher mal studiert hat und dann in Berlin den Drogenabsturz erlebte, den sie nicht als solchen empfindet, «weil war’ne schöne wilde Zeit».
Das Bordell ist nicht igitt
Das Rotlichtmilieu schildert Meyer nicht allzu glamourös, aber auch nicht schäbig. Dass unser Blick auf die Prostitution bigott ist, führt der Autor immer wieder vor. Viele der Protagonisten sind selbst angewidert von diesem Geschäft, aber noch mehr vom schlechten Ruf, der ihnen deshalb anhaftet, obwohl doch jeder nur versucht, über die Runden zu kommen und seinen Schnitt zu machen. Die wohl wichtigste Botschaft von Im Stein lautet: Diese Branche ist auch nicht unmoralischer als andere. «Das Geld fließt und fließt, meist in beide Richtungen, rein und raus, das alte Spiel, und wir waren, und wir sind, und wenn man seinen Platz hat im großen Spiel, geht es weiter… Immer weiter», heißt es an einer Stelle.
Es geht in diesem Geschäft (und in diesem Buch) nicht um Sex, sondern um Kampf und vor allem um Macht. Kraushaar und Pieszeck haben beide Ärger mit der Konkurrenz, müssen um ihre Position fürchten und damit um ihren Lebensunterhalt. Auch auf den Hierarchieebenen darunter gehen hier ganz durchschnittliche Menschen ihrer ganz alltäglichen Beschäftigung nach. Es ist zum einen diese These der Normalität, die zugleich ein Tabubruch und eine Absolution ist, aus der das Buch seinen Reiz bezieht.
Zum anderen ist es aber die Form. Das Buch ist ein mitunter surreales Kaleidoskop aus unchronologisch angeordneten Gesprächsnotizen, Zitaten aus BWL-Lehrbüchern, Zeilen aus Liedern, Protokollen, gegen Ende sogar einer langen Interview-/Verhörsequenz. Dazwischen gibt es ganz klassisch Erzähltes und rührend schöne Szenen wie die von den zwei alten Huren bei Kaffee und Birnenbrand oder dem Mann, der bei einem Besuch in seiner alten Heimatstadt mit der Blumenhändlerin anbandelt, die jahrelang das Grab seiner Mutter gepflegt hat.
Überall gibt es Erinnerungen, Abkürzungen, Codes, und ganz oft setzt Meyer auf einen assoziativen Stil, in dem mit vielen Stichworten und Auslassungen kommuniziert wird. Das ist die Sprache der Stammtische, in der vieles selbstverständlich ist, die Nennung eines Namens reicht, um eine Anekdote oder eine ganze Biografie in Erinnerung zu bringen, und in der vieles verklärt wird, nur nicht der gemeinsame Horizont. Der Leser sitzt in Im Stein mit an diesem Stammtisch, als Nicht-Eingeweihter. Der Erzähler strahlt durch diese Methode eine sehr coole, abgeklärte Allwissenheit aus. Er hat alles gesehen, er weiß alles, aber er wird nicht alles verraten, weil es nicht nötig oder nicht ratsam ist. Er weiß um das gemeinsame Fundament von Erfahrungen und Überzeugungen – und um den Wert eines Geheimnisses.
Noch mehr als seine bisherigen Werke ist Im Stein damit ein Clemens-Meyer-Buch. Es gibt keine unvergesslichen Figuren und keine allzu spannende Handlung. Der Wert liegt zu einem guten Teil im Hintergrund, in den aufgezeigten Assoziationen und Parallelen, in der Form, im Sound. Spätestens mit diesem Roman dürfte Meyer alle widerlegt haben, die in ihm bloß einen Literatur-Rebellen mit exotischer Biografie und mehr Tattoos als Talent gesehen haben. Im Stein beweist: Es geht nicht darum, wer hier schreibt. Sondern was er schreibt. Und wie er schreibt.
Bestes Zitat: «Er braucht die Geschäfte. Die Stadt. Die Städte. Die Burg. Die Clubs. Die Weiber. Das Geld. Die Strategien des Marktes. Die Konkurrenz. Die Spekulation. Die Investitionen. Die Informationen. Die Spieler. Das Fließen. Die Blicke in die Zukunft. Und die Blicke zurück.»
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Die übliche Stigmatisierung und Ausgrenzung halt mal wieder.
Ich sage es seit Jahren und immer wieder: einzig unser eigenes Wort, in der ersten Person Plural, sollte zählen. Wir müssen uns permanent deutlich hör- und sichtbar machen um das Stigma zu bekämpfen.
Ich sage es seit Jahren und immer wieder: einzig unser eigenes Wort, in der ersten Person Plural, sollte zählen. Wir müssen uns permanent deutlich hör- und sichtbar machen um das Stigma zu bekämpfen.
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RE: Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens M
In der großen Stadt
Deutscher Buchpreis Clemens Meyer lässt in seinem neuen Roman Huren, Luden und Freier sprechen – frei von Sozialkitsch und mit Stilwillen
Jan Pfaff, Stellv. Ressortleiter Kultur und Alltag
Um es gleich klarzustellen: Im Stein, der neue Roman von Clemens Meyer, ist eine Zumutung – aber eine, der man sich unbedingt aussetzen sollte. Es ist eine Zumutung, seitenlang einem Möchtegern-Radiomoderator und begeisterten Bordellgänger zuzuhören, der in einer fiktiven Show die Prostituierten in der Stadt benotet und Frauen gern als „Dreilochstuten“ bezeichnet. Und es ist auch nicht das, was man gemeinhin unter einem Lesevergnügen versteht, wenn detailliert aufgeschlüsselt wird, welche Praktiken sich hinter den Abkürzungen in den Sexanzeigen verbergen – von AV für Analverkehr über EL für Eierlecken bis zu KB für Körperbesamung.
Meyers 560-Seiten-Werk nimmt den Leser mit in die Welt des gekauften Sex, der Rotlichtclubs, Wohnwagennutten und einschlägig vermieteten Appartements. Man taucht tief in die Gedankenwelt von Huren ein, die bis zum nächsten Freier stundenlang die Zeit totschlagen müssen. Und man lernt die Männer kennen, die mit diesen Frauen viel Geld verdienen. Indem sie den Prostituierten Dienstwohnungen andienen, für deren Benutzung eine saftige Tagespauschale fällig ist. Oder indem sie als Clubbetreiber an jedem Getränk und jeder Dienstleistung auf den Zimmern im Obergeschoss mitverdienen. Die Mädchen mit ihren „Herzen wie Diamanten“ würden natürlich alle aus freien Stücken bei ihnen arbeiten, betonen diese Herren immer wieder.
Wer denkt da jetzt?
Der Roman mutet dem Leser aber nicht nur mit seinem Inhalt, sondern auch mit seiner Form einiges zu. Er folgt keinem klaren Handlungsstrang, sondern kreist um sein Thema. Er nimmt hier einen Faden auf, lässt ihn da wieder liegen, um einer anderen Figur, einer anderen Lebensgeschichte zu folgen. Ständig werden Perspektive und Tonlage verändert. Innerer Monolog, Bewusstseinsstrom und allwissender Erzähler wechseln sich ab. In einem dem Nouvelle-Vague-Kino [ http://de.wikipedia.org/wiki/Nouvelle_Vague ] abgeschauten Jump Cut [ http://de.wikipedia.org/wiki/Jump_Cut ] wird auch schon mal mitten im Absatz von der Innensicht einer Figur zur anderen geschnitten, so dass der Leser erst einen Moment braucht, um zu verstehen, wer da jetzt gerade wieder denkt.
Meyer arrangiert die vielen Stimmen zu einem großen Chor, der davon erzählt, wie der Kapitalismus nach dem Mauerfall im Osten auch im Sexuellen Einzug hält. Aufbau Ost im Horizontalen, die Durchökonomisierung der Verhältnisse bis ins Bett. Und auf diesem Markt der Körper hat jede Zuwendung, jede Aufmerksamkeit ihren exakt benennbaren Preis. Hauptort der Handlung ist „die große Stadt“, ein ins metropolishaft Phantastische überzeichnetes Leipzig. Knallhartes Monopoly wird hier um Territorien, Einfluss und Immobilien gespielt. In der Nachwendezeit probieren sich viele aus. Mit zunehmender Professionalisierung der Geschäftsstrukturen ziehen viele Prostituierte dann „weg von der Straße, rein in den Stein“, wie ein Zuhälter die entsprechenden Wohnungen nennt. Und damit den Buchtitel erklärt.
Schnöde Alltäglichkeit
Ostdeutsche Schläger, westdeutsche Zuhälter, ausgebrannte Polizisten und ein verzweifelter Vater auf der Suche nach seiner ans Milieu verlorenen Tochter erzählen von ihren Ängsten und Träumen. Und das alles in einer Sprache, die so genau dem Leben abgelauscht ist, dass eine große Unmittelbarkeit entsteht, dass man die Figuren beim Lesen tatsächlich zu hören meint. Meyer moralisiert nicht, sondern lässt die Protagonisten ihre eigene, mitunter eigenwillige Moral entfalten. Der Leser soll sich selbst ein Urteil bilden.
Mit einem genauen Gefühl für Stimmungen entgeht Meyer dabei auch den zwei Gefahren, die das Schreiben über Prostitution immer begleiten. Zum einen der Gefahr des Sozialkitschs – die Literaturgeschichte ist ja voll mit bemitleidenswerten „gefallenen Mädchen“. Die Prostituierten hier berichten hingegen nicht klagend, sondern mit großer Abgeklärtheit von ihrer Arbeit. Wobei gerade diese schnöde Alltäglichkeit nachhaltig irritiert. Was ist passiert, dass man dieses Leben irgendwann als völlig normal empfindet?
Die andere Gefahr ist jene des Voyeurismus. Bei aller Schonungslosigkeit, mit der das Geschäft mit dem Trieb beschrieben wird, tappt der Text nie in diese Falle. Meyer weiß, wann etwas benannt werden muss – und wann nicht. Das zeigt sich gut in einem Kapitel, in dem er beschreibt, was in einer Minderjährigen vorgeht, die in einer Wohnung täglich zur Prostitution gezwungen wird. Sie erzählt von Disneys Lustigen Taschenbüchern, von der Welt von Donald und Dagobert Duck, in die sie sich in Gedanken flüchtet. Das Grauen dahinter muss nicht mehr ausbuchstabiert werden.
Für das Minderjährigen-Bordell gab es in Leipzig eine reale Vorlage. 1993 stürmte die Polizei dort das Jasmin in der Merseburger Straße, in dem fünf Mädchen unter 18 an Freier verkauft wurden. Im Roman wird daraus eine Wohnung in der Mecklenburger Straße. Genauso sind einige andere Figuren und Ereignisse von Vorbildern des sogenannten „Sachsensumpfs“ inspiriert – jenem bis heute nicht richtig aufgeklärten Gestrüpp von Justiz, Politik, Halbwelt und Immobilienwirtschaft.
Bei Meyer, der 2006 mit seinem ersten Roman Als wir träumten über eine Leipziger Jugendgang mit einem großen Knall die Literaturbühne betrat, und dem dort seitdem immer wieder die Rolle des sozialen Underdogs zugewiesen wird, ist die Versuchung noch größer als bei anderen Autoren, das Erzählte als kaum verändertes Abbild der Realität zu verstehen. Abgesehen davon, dass das ein stark verkürztes Literaturverständnis verrät, tut es diesem Buch in besonderem Maße Unrecht.
Denn bei aller Akribie, die der Autor auf Details aus dem Prostituiertenalltag verwendet, Meyer zielt auf mehr als nur auf einen Milieuroman ab. Ihn interessiert das Epos, die Überhöhung über das konkrete Zeitgeschehen hinaus. Das zeigt sein Stilwille. Deswegen ist die „große Stadt“ auch nicht mit Leipzig identisch. Und deshalb gleiten ausgreifende Passagen auch ins Traumhafte, Phantastische, Surreale hinüber – nicht nur, weil der Wahrnehmung einzelner Figuren im Drogenrausch oder im angeschossenen Zustand nicht zu trauen ist. Nein, das Phantastische hat hier eine andere Funktion. Es geht um die Kraft der Literatur an sich, es geht um das Verlassen jener Ebene, auf der nur die Fakten zählen.
Die Erzählung endet, wie sie begonnen hat – mit den Reflexionen einer Prostituierten. „Ich möchte ein Pferd, irgendwann einmal“, denkt sie mitten in der Rekapitulation ihres Arbeitstags. Dass Menschen sich ihre Fähigkeit zum Träumen bewahren, egal unter welchen Umständen, ist die versöhnliche Botschaft am Ende dieses verstörenden Romans.
www.freitag.de/autoren/jan-pfaff/in-der-grossen-stadt
Deutscher Buchpreis Clemens Meyer lässt in seinem neuen Roman Huren, Luden und Freier sprechen – frei von Sozialkitsch und mit Stilwillen
Jan Pfaff, Stellv. Ressortleiter Kultur und Alltag
Um es gleich klarzustellen: Im Stein, der neue Roman von Clemens Meyer, ist eine Zumutung – aber eine, der man sich unbedingt aussetzen sollte. Es ist eine Zumutung, seitenlang einem Möchtegern-Radiomoderator und begeisterten Bordellgänger zuzuhören, der in einer fiktiven Show die Prostituierten in der Stadt benotet und Frauen gern als „Dreilochstuten“ bezeichnet. Und es ist auch nicht das, was man gemeinhin unter einem Lesevergnügen versteht, wenn detailliert aufgeschlüsselt wird, welche Praktiken sich hinter den Abkürzungen in den Sexanzeigen verbergen – von AV für Analverkehr über EL für Eierlecken bis zu KB für Körperbesamung.
Meyers 560-Seiten-Werk nimmt den Leser mit in die Welt des gekauften Sex, der Rotlichtclubs, Wohnwagennutten und einschlägig vermieteten Appartements. Man taucht tief in die Gedankenwelt von Huren ein, die bis zum nächsten Freier stundenlang die Zeit totschlagen müssen. Und man lernt die Männer kennen, die mit diesen Frauen viel Geld verdienen. Indem sie den Prostituierten Dienstwohnungen andienen, für deren Benutzung eine saftige Tagespauschale fällig ist. Oder indem sie als Clubbetreiber an jedem Getränk und jeder Dienstleistung auf den Zimmern im Obergeschoss mitverdienen. Die Mädchen mit ihren „Herzen wie Diamanten“ würden natürlich alle aus freien Stücken bei ihnen arbeiten, betonen diese Herren immer wieder.
Wer denkt da jetzt?
Der Roman mutet dem Leser aber nicht nur mit seinem Inhalt, sondern auch mit seiner Form einiges zu. Er folgt keinem klaren Handlungsstrang, sondern kreist um sein Thema. Er nimmt hier einen Faden auf, lässt ihn da wieder liegen, um einer anderen Figur, einer anderen Lebensgeschichte zu folgen. Ständig werden Perspektive und Tonlage verändert. Innerer Monolog, Bewusstseinsstrom und allwissender Erzähler wechseln sich ab. In einem dem Nouvelle-Vague-Kino [ http://de.wikipedia.org/wiki/Nouvelle_Vague ] abgeschauten Jump Cut [ http://de.wikipedia.org/wiki/Jump_Cut ] wird auch schon mal mitten im Absatz von der Innensicht einer Figur zur anderen geschnitten, so dass der Leser erst einen Moment braucht, um zu verstehen, wer da jetzt gerade wieder denkt.
Meyer arrangiert die vielen Stimmen zu einem großen Chor, der davon erzählt, wie der Kapitalismus nach dem Mauerfall im Osten auch im Sexuellen Einzug hält. Aufbau Ost im Horizontalen, die Durchökonomisierung der Verhältnisse bis ins Bett. Und auf diesem Markt der Körper hat jede Zuwendung, jede Aufmerksamkeit ihren exakt benennbaren Preis. Hauptort der Handlung ist „die große Stadt“, ein ins metropolishaft Phantastische überzeichnetes Leipzig. Knallhartes Monopoly wird hier um Territorien, Einfluss und Immobilien gespielt. In der Nachwendezeit probieren sich viele aus. Mit zunehmender Professionalisierung der Geschäftsstrukturen ziehen viele Prostituierte dann „weg von der Straße, rein in den Stein“, wie ein Zuhälter die entsprechenden Wohnungen nennt. Und damit den Buchtitel erklärt.
Schnöde Alltäglichkeit
Ostdeutsche Schläger, westdeutsche Zuhälter, ausgebrannte Polizisten und ein verzweifelter Vater auf der Suche nach seiner ans Milieu verlorenen Tochter erzählen von ihren Ängsten und Träumen. Und das alles in einer Sprache, die so genau dem Leben abgelauscht ist, dass eine große Unmittelbarkeit entsteht, dass man die Figuren beim Lesen tatsächlich zu hören meint. Meyer moralisiert nicht, sondern lässt die Protagonisten ihre eigene, mitunter eigenwillige Moral entfalten. Der Leser soll sich selbst ein Urteil bilden.
Mit einem genauen Gefühl für Stimmungen entgeht Meyer dabei auch den zwei Gefahren, die das Schreiben über Prostitution immer begleiten. Zum einen der Gefahr des Sozialkitschs – die Literaturgeschichte ist ja voll mit bemitleidenswerten „gefallenen Mädchen“. Die Prostituierten hier berichten hingegen nicht klagend, sondern mit großer Abgeklärtheit von ihrer Arbeit. Wobei gerade diese schnöde Alltäglichkeit nachhaltig irritiert. Was ist passiert, dass man dieses Leben irgendwann als völlig normal empfindet?
Die andere Gefahr ist jene des Voyeurismus. Bei aller Schonungslosigkeit, mit der das Geschäft mit dem Trieb beschrieben wird, tappt der Text nie in diese Falle. Meyer weiß, wann etwas benannt werden muss – und wann nicht. Das zeigt sich gut in einem Kapitel, in dem er beschreibt, was in einer Minderjährigen vorgeht, die in einer Wohnung täglich zur Prostitution gezwungen wird. Sie erzählt von Disneys Lustigen Taschenbüchern, von der Welt von Donald und Dagobert Duck, in die sie sich in Gedanken flüchtet. Das Grauen dahinter muss nicht mehr ausbuchstabiert werden.
Für das Minderjährigen-Bordell gab es in Leipzig eine reale Vorlage. 1993 stürmte die Polizei dort das Jasmin in der Merseburger Straße, in dem fünf Mädchen unter 18 an Freier verkauft wurden. Im Roman wird daraus eine Wohnung in der Mecklenburger Straße. Genauso sind einige andere Figuren und Ereignisse von Vorbildern des sogenannten „Sachsensumpfs“ inspiriert – jenem bis heute nicht richtig aufgeklärten Gestrüpp von Justiz, Politik, Halbwelt und Immobilienwirtschaft.
Bei Meyer, der 2006 mit seinem ersten Roman Als wir träumten über eine Leipziger Jugendgang mit einem großen Knall die Literaturbühne betrat, und dem dort seitdem immer wieder die Rolle des sozialen Underdogs zugewiesen wird, ist die Versuchung noch größer als bei anderen Autoren, das Erzählte als kaum verändertes Abbild der Realität zu verstehen. Abgesehen davon, dass das ein stark verkürztes Literaturverständnis verrät, tut es diesem Buch in besonderem Maße Unrecht.
Denn bei aller Akribie, die der Autor auf Details aus dem Prostituiertenalltag verwendet, Meyer zielt auf mehr als nur auf einen Milieuroman ab. Ihn interessiert das Epos, die Überhöhung über das konkrete Zeitgeschehen hinaus. Das zeigt sein Stilwille. Deswegen ist die „große Stadt“ auch nicht mit Leipzig identisch. Und deshalb gleiten ausgreifende Passagen auch ins Traumhafte, Phantastische, Surreale hinüber – nicht nur, weil der Wahrnehmung einzelner Figuren im Drogenrausch oder im angeschossenen Zustand nicht zu trauen ist. Nein, das Phantastische hat hier eine andere Funktion. Es geht um die Kraft der Literatur an sich, es geht um das Verlassen jener Ebene, auf der nur die Fakten zählen.
Die Erzählung endet, wie sie begonnen hat – mit den Reflexionen einer Prostituierten. „Ich möchte ein Pferd, irgendwann einmal“, denkt sie mitten in der Rekapitulation ihres Arbeitstags. Dass Menschen sich ihre Fähigkeit zum Träumen bewahren, egal unter welchen Umständen, ist die versöhnliche Botschaft am Ende dieses verstörenden Romans.
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Clemens Mayer, "Im Stein": ein Roman über das Rotl
Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, der alljährlich in Leipzig verliehen wird, stand in 2013 der neue Roman von Clemens Mayer "Im Stein". Clemens Mayer, 1977 in Halle geboren, ist in Leipzig aufgewachsen, mit dem er sich tief verbunden fühlt. Nach dem Abitur hat er dort als Bauarbeiter gearbeitet, war zweimal im Knast (nur kurz, Jugendarrest), hat dann an der Literaturakademie in Leipzig auf "Schriftsteller" studiert. Ich hätte dem Buch und seinem Autor den Preis in seiner Heimatstadt gegönnt, aber er hat ihn dann doch nicht bekommen. Aber einen anderen Preis hat er gewonnen: Clemens Mayer ist von "EMMA" zum "Pascha des Jahres" ernannt worden, für seine Wortmeldung "Hört den Huren endlich zu!", http://www.welt.de/kultur/literarischew ... ch-zu.html. Sein Roman "Im Stein" dreht sich um die Prostitution. Rezensionen, gute Rezensionen gibt es davon genug, z. B. http://www.zeit.de/2013/35/literatur-ro ... r-im-stein. Wikipedia hat einen eigenen Artikel darüber. Ich möchte hier dieses Buch kurz im Forum vorstellen, aus Sicht einer Prostituierten, auch, um mich beim Autor und "Pascha des Jahres" zu bedanken.
Der Roman versteht sich als eine Folge schlaglichtartiger Momentaufnahmen und kurzer Episoden. Eine "richtige" Handlung gibt es eigentlich nicht. 22 Kapitel beleuchten das Bild einer Parallelwelt der Prostitution, des Rotlichtmilieus in Deutschland, genauer gesagt in Nord- und Ostdeutschland. Es geht um die "wilden Jahre" des Aufbaus nach der Wende: Bordelle, Clubs, Wohnungen werden gegründet, werden erfolgreich, stagnieren und kommen herunter, verschwinden; Betreiber, Zuhälter, Unternehmer treten ein, schaffen den Durchbruch, verdienen Geld, viel Geld, sehen sich herausgefordert von neuen Wettbewerbern und gehen unter; Frauen, das gleiche, fangen an irgendwo, steigen auf und blicken irgendwann zurück, immer der gleiche Zyklus. Ankerfigur ist Arnold Kraushaar, genannt AK, der im fortgeschrittenen Alter noch die Betriebswirtschaftslehre studiert, um sein Geschäft noch professioneller zu machen. Geschäftspartner, Mitarbeiter, Wettbewerber, Randfiguren treten auf: Hans Pieczek, erfahrener Schläger und Altmeister; der ehemalige Jockey, der im Rotlicht seine Tochter sucht; der "Bielefelder", der "Graf", Randy, der Zuhälter aus dem Ruhrpott und so weiter. Frauen kommen vor, natürlich sind sie alle Huren, aber sie stehen neben der Handlung (soweit es eine gibt), stehen am Rande des Bildes (der Roman ist ja ein Album von Momentaufnahmen), sie agieren nicht. In der Mitte der Fotografie stehen die Männer. Orte des Geschehens sind in erster Linie Leipzig, Halle, Eisenhüttenstadt, die alle drei nur umschrieben, aber nicht explizit genannt werden, Berlin und Hannover. Die großen Affären jener Jahre, der Immobilienhype, der Sachsensumpf, die Hannover-Connection und die Hanebuth-Geschichte, die Hell's Angels und die Bandenkriege erscheinen im Hintergrund. Korrupte Polizeikommissare, ein Doppelmord, der nur zum Teil aufgeklärt wird, Vermerke des Finanzamts über das Prostitutionsgesetz als Grundlage staatlicher Mehreinnahmen - solcherart sind die Farbtupfer, mit denen Clemens Mayer seine Erzählung ausstattet.
Das Auge des Betrachters ist scharf und kühl, die Ausleuchtung der Szene ist gleißend hell. Seine Typen, jedenfalls die, für die Clemens Mayer sich interessiert, sind stehen eigentlich alle am Ende ihrer Laufbahn. Sie haben große Zeiten hinter sich, sie blicken zurück. Für "Im Stein" hat Clemens Mayer fünfzehn Jahre lang im Rotlichtmilieu recherchiert (er hat also 1998 mit 21 angefangen), und seine Beschreibung der Rotlichtwelt ist absolut exakt, ja, genau so ist diese Welt, genau so erlebt sich der Alltag der Prostitution, jedenfalls der hier geschilderte Teil dieses weiten Felds. Die nüchtern-exakte Beschreibung lässt keine moralisierende Wertung zu, weder Beschönigung oder Idealisierung noch Bezichtigung, ebenso sind pornographische Reize absolut ausgeschlossen, Voyeure kommen nicht auf ihre Kosten. Es wird gefickt, wie in einem Puff eben gefickt wird, damit hat es sich. Diese Authentizität, diese Genauigkeit der Wiedergabe der Realität ist der erste große Vorzug dieses Buches. Der zweite ist die wirklich großartige Poesie der Schilderung, die Clemens Mayer trotz oder auch wegen dieser Genauigkeit zustande bringt. Die lyrische Qualität dieser Prosa ist ein Leseerlebnis für sich, das reißt mit und geht unter die Haut, die Erzählung von der Sonne über Eisenhüttenstadt zum Beispiel, das ist große Literatur.
Der Titel "Im Stein" bezieht sich übrigens auf die Strategie des talentierten Geschäftsmannes Arnold Kraushaar, der das "Business Model" des Clubbetreibers hinter sich lässt und nur noch in die Immobilien investiert, natürlich nach wie vor im Rotlichtbezirk, aber er ist jetzt nicht mehr Zuhälter, sondern vermietet nur noch die Zimmer (Tagesmiete 100 Euro), Immobilieninvestor also, "im Stein" liegt das Geld, vermutet er. Übrigens, für die aktuelle Debatte: Zwangsprostituierte kommen hier nicht vor, keine der Frauen hier arbeitet, weil sie gewaltsam dahin gebracht wurde. Über diesem Buch wurde mir schlagartig klar, warum die Thesen der Schwarzer so unglaubwürdig sind. Die hier geschilderten Herrschaften lehnen nämlich Zwangsprostitution strikt ab - aus einem ganz einfachen Grund: es wäre ihnen viel zu aufwendig, ihre Huren mit Gewalt bei der Stange zu halten. Sie finden genug, die freiwillig kommen, das ist viel einfacher, alle sind zufrieden und das Geschäft läuft viel besser. Hat das niemand nachgerechnet, was es bedeuten würde, der Schwarzer'schen Behauptung folgend 400.000 Frauen gewaltsam in der Prostitution zu halten? Ein absurdes Bild - von den rund 45 Millionen Erwerbsfähigen in Deutschland müssten einschließlich des Überwachungspersonals 1 Millionen im Rotlichtumfeld tätig sein ....
Clemens Mayer schreibt Literatur, bestsellende Illusionsware ist nicht sein Metier, für den weihnachtlichen Gabentisch ist das 560-Seiten-Werk nix, trotz der redlichen Verkaufsbemühungen des S. Fischer-Verlags. Die literarische Schlaglichttechnik der authentischen Wiedergabe der Sprache und Gedanken der Protagonisten, genau so wie sie eben in ihrer jeweiligen Situation sprechen oder denken - all dies hat auch eine Schattenseite: das Buch ist nicht leicht zu lesen, schon gar nicht für Leute, die auch noch anderes zu tun haben und jeden Tag nur ein paar Seiten lesen können. Der Autor verweigert seinen Lesern jede Unterstützung. In jedem Kapitel verwendet man erst einmal ein paar Seiten, um herauszufinden, wer jetzt wieder spricht. Der Leser hört gleichsam Gesprächen zu und muss erraten, worum es geht und wem die Stimmen zuzuordnen sind. Das nimmt die Aufmerksamkeit in Anspruch, man kann den Text zunächst nicht verstehen und schon gar nicht genießen, bis man endlich beisammen hat, was jetzt wieder los ist. Da kommt es vor, dass sich sieben (!) Seiten lang zwei in wilder Rede und Gegenrede unterhalten, ohne dass irgendwo gesagt wird, wer jetzt spricht, ohne Anhaltspunkt für den Leser, ohne ein erklärendes "... sagte Hans" nimmt man sich am besten einen Bleistift und markiert "A" und "B", um die Dialogfetzen zuzuordnen. Ich verstehe die Idee, beim Hineinhören in ein fremdes Gespräch bekommt man auch keine Hilfe - aber ich bin nicht die NSA, sondern eine zahlende Leserin, an der Stelle hätte ich mir gewünscht, dass Clemens Mayer etwas eingefallen wäre, mir zu helfen.
Friederike
Der Roman versteht sich als eine Folge schlaglichtartiger Momentaufnahmen und kurzer Episoden. Eine "richtige" Handlung gibt es eigentlich nicht. 22 Kapitel beleuchten das Bild einer Parallelwelt der Prostitution, des Rotlichtmilieus in Deutschland, genauer gesagt in Nord- und Ostdeutschland. Es geht um die "wilden Jahre" des Aufbaus nach der Wende: Bordelle, Clubs, Wohnungen werden gegründet, werden erfolgreich, stagnieren und kommen herunter, verschwinden; Betreiber, Zuhälter, Unternehmer treten ein, schaffen den Durchbruch, verdienen Geld, viel Geld, sehen sich herausgefordert von neuen Wettbewerbern und gehen unter; Frauen, das gleiche, fangen an irgendwo, steigen auf und blicken irgendwann zurück, immer der gleiche Zyklus. Ankerfigur ist Arnold Kraushaar, genannt AK, der im fortgeschrittenen Alter noch die Betriebswirtschaftslehre studiert, um sein Geschäft noch professioneller zu machen. Geschäftspartner, Mitarbeiter, Wettbewerber, Randfiguren treten auf: Hans Pieczek, erfahrener Schläger und Altmeister; der ehemalige Jockey, der im Rotlicht seine Tochter sucht; der "Bielefelder", der "Graf", Randy, der Zuhälter aus dem Ruhrpott und so weiter. Frauen kommen vor, natürlich sind sie alle Huren, aber sie stehen neben der Handlung (soweit es eine gibt), stehen am Rande des Bildes (der Roman ist ja ein Album von Momentaufnahmen), sie agieren nicht. In der Mitte der Fotografie stehen die Männer. Orte des Geschehens sind in erster Linie Leipzig, Halle, Eisenhüttenstadt, die alle drei nur umschrieben, aber nicht explizit genannt werden, Berlin und Hannover. Die großen Affären jener Jahre, der Immobilienhype, der Sachsensumpf, die Hannover-Connection und die Hanebuth-Geschichte, die Hell's Angels und die Bandenkriege erscheinen im Hintergrund. Korrupte Polizeikommissare, ein Doppelmord, der nur zum Teil aufgeklärt wird, Vermerke des Finanzamts über das Prostitutionsgesetz als Grundlage staatlicher Mehreinnahmen - solcherart sind die Farbtupfer, mit denen Clemens Mayer seine Erzählung ausstattet.
Das Auge des Betrachters ist scharf und kühl, die Ausleuchtung der Szene ist gleißend hell. Seine Typen, jedenfalls die, für die Clemens Mayer sich interessiert, sind stehen eigentlich alle am Ende ihrer Laufbahn. Sie haben große Zeiten hinter sich, sie blicken zurück. Für "Im Stein" hat Clemens Mayer fünfzehn Jahre lang im Rotlichtmilieu recherchiert (er hat also 1998 mit 21 angefangen), und seine Beschreibung der Rotlichtwelt ist absolut exakt, ja, genau so ist diese Welt, genau so erlebt sich der Alltag der Prostitution, jedenfalls der hier geschilderte Teil dieses weiten Felds. Die nüchtern-exakte Beschreibung lässt keine moralisierende Wertung zu, weder Beschönigung oder Idealisierung noch Bezichtigung, ebenso sind pornographische Reize absolut ausgeschlossen, Voyeure kommen nicht auf ihre Kosten. Es wird gefickt, wie in einem Puff eben gefickt wird, damit hat es sich. Diese Authentizität, diese Genauigkeit der Wiedergabe der Realität ist der erste große Vorzug dieses Buches. Der zweite ist die wirklich großartige Poesie der Schilderung, die Clemens Mayer trotz oder auch wegen dieser Genauigkeit zustande bringt. Die lyrische Qualität dieser Prosa ist ein Leseerlebnis für sich, das reißt mit und geht unter die Haut, die Erzählung von der Sonne über Eisenhüttenstadt zum Beispiel, das ist große Literatur.
Der Titel "Im Stein" bezieht sich übrigens auf die Strategie des talentierten Geschäftsmannes Arnold Kraushaar, der das "Business Model" des Clubbetreibers hinter sich lässt und nur noch in die Immobilien investiert, natürlich nach wie vor im Rotlichtbezirk, aber er ist jetzt nicht mehr Zuhälter, sondern vermietet nur noch die Zimmer (Tagesmiete 100 Euro), Immobilieninvestor also, "im Stein" liegt das Geld, vermutet er. Übrigens, für die aktuelle Debatte: Zwangsprostituierte kommen hier nicht vor, keine der Frauen hier arbeitet, weil sie gewaltsam dahin gebracht wurde. Über diesem Buch wurde mir schlagartig klar, warum die Thesen der Schwarzer so unglaubwürdig sind. Die hier geschilderten Herrschaften lehnen nämlich Zwangsprostitution strikt ab - aus einem ganz einfachen Grund: es wäre ihnen viel zu aufwendig, ihre Huren mit Gewalt bei der Stange zu halten. Sie finden genug, die freiwillig kommen, das ist viel einfacher, alle sind zufrieden und das Geschäft läuft viel besser. Hat das niemand nachgerechnet, was es bedeuten würde, der Schwarzer'schen Behauptung folgend 400.000 Frauen gewaltsam in der Prostitution zu halten? Ein absurdes Bild - von den rund 45 Millionen Erwerbsfähigen in Deutschland müssten einschließlich des Überwachungspersonals 1 Millionen im Rotlichtumfeld tätig sein ....
Clemens Mayer schreibt Literatur, bestsellende Illusionsware ist nicht sein Metier, für den weihnachtlichen Gabentisch ist das 560-Seiten-Werk nix, trotz der redlichen Verkaufsbemühungen des S. Fischer-Verlags. Die literarische Schlaglichttechnik der authentischen Wiedergabe der Sprache und Gedanken der Protagonisten, genau so wie sie eben in ihrer jeweiligen Situation sprechen oder denken - all dies hat auch eine Schattenseite: das Buch ist nicht leicht zu lesen, schon gar nicht für Leute, die auch noch anderes zu tun haben und jeden Tag nur ein paar Seiten lesen können. Der Autor verweigert seinen Lesern jede Unterstützung. In jedem Kapitel verwendet man erst einmal ein paar Seiten, um herauszufinden, wer jetzt wieder spricht. Der Leser hört gleichsam Gesprächen zu und muss erraten, worum es geht und wem die Stimmen zuzuordnen sind. Das nimmt die Aufmerksamkeit in Anspruch, man kann den Text zunächst nicht verstehen und schon gar nicht genießen, bis man endlich beisammen hat, was jetzt wieder los ist. Da kommt es vor, dass sich sieben (!) Seiten lang zwei in wilder Rede und Gegenrede unterhalten, ohne dass irgendwo gesagt wird, wer jetzt spricht, ohne Anhaltspunkt für den Leser, ohne ein erklärendes "... sagte Hans" nimmt man sich am besten einen Bleistift und markiert "A" und "B", um die Dialogfetzen zuzuordnen. Ich verstehe die Idee, beim Hineinhören in ein fremdes Gespräch bekommt man auch keine Hilfe - aber ich bin nicht die NSA, sondern eine zahlende Leserin, an der Stelle hätte ich mir gewünscht, dass Clemens Mayer etwas eingefallen wäre, mir zu helfen.
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Re: "Im Stein"
Danke für deine Buchrezension.
Wenn "Im Stein" für Betongeld oder das Geschäftsmodell Immoblien steht, sollten wir nicht aufhören zu überlegen und aufzuklären, ob und wie es einen Sexismus diesbezüglich gibt, dass im Patriarchat Macht, Geld und Immobilien beim männlichen Geschlecht und bei wenigen Leuten konzentriert sind und was Sexworker und Arbeiter_innen brauchen und sie unterstützen kann, um diesen Weg auch für sich leichter gehen zu können, um nämlich nachhaltig Unabhängigkeit sich zu sichern:
Rechenbeispiele Immobilieninvestment:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=129912#129912
Interview mit Sexarbeiterin Hanna:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=137788#137788
Die Immobilie muß über Mieten (oder Mieteinsparung) refinanziert werden. Mietzinseinnahmen gelten als leistungsloser Profit. Das kann als eine legale Form der Ausbeutung interpretiert werden, die jedoch die Basis unseres Wirtschaftssystems darstellt und daher nicht als Sondergesetz im Strafgesetzbuch geregelt ist, sondern im allgemeinen Vertragsrecht (BGB).
Hier beißt sich die Ideologie der Prostitutionsgegnerschaft und erweist sich als ein Ausgrenzungs- und Projektionsmechanismus.
Zeittafel Sachsensumpf
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=17128#17128
Vgl. Beutezug Ost - Die Treuhand und die Abwicklung der DDR
Wie die Treuhand aus +600 Mrd geschätztem DDR-Vermögen -250 Mrd Staatsverschuldung für das wiedervereinigte Deutschland machte.
ZDF Frontal 21 vom 14.9.2010
45 min Reality Krimi (Video)
www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1 ... utezug-Ost
Wenn "Im Stein" für Betongeld oder das Geschäftsmodell Immoblien steht, sollten wir nicht aufhören zu überlegen und aufzuklären, ob und wie es einen Sexismus diesbezüglich gibt, dass im Patriarchat Macht, Geld und Immobilien beim männlichen Geschlecht und bei wenigen Leuten konzentriert sind und was Sexworker und Arbeiter_innen brauchen und sie unterstützen kann, um diesen Weg auch für sich leichter gehen zu können, um nämlich nachhaltig Unabhängigkeit sich zu sichern:
Rechenbeispiele Immobilieninvestment:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=129912#129912
Interview mit Sexarbeiterin Hanna:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=137788#137788
Die Immobilie muß über Mieten (oder Mieteinsparung) refinanziert werden. Mietzinseinnahmen gelten als leistungsloser Profit. Das kann als eine legale Form der Ausbeutung interpretiert werden, die jedoch die Basis unseres Wirtschaftssystems darstellt und daher nicht als Sondergesetz im Strafgesetzbuch geregelt ist, sondern im allgemeinen Vertragsrecht (BGB).
Hier beißt sich die Ideologie der Prostitutionsgegnerschaft und erweist sich als ein Ausgrenzungs- und Projektionsmechanismus.
Zeittafel Sachsensumpf
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=17128#17128
Vgl. Beutezug Ost - Die Treuhand und die Abwicklung der DDR
Wie die Treuhand aus +600 Mrd geschätztem DDR-Vermögen -250 Mrd Staatsverschuldung für das wiedervereinigte Deutschland machte.
ZDF Frontal 21 vom 14.9.2010
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RE: Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens M
Mein wichtigster Tag: Verlorene Wahlen, gewonnene Wahlen, Rücktritte, Wohnungskündigungen, Gerichtsurteile, Firmenübernahmen und Weltmeisterschaften. Zehn Menschen blicken zurück auf ein ganz besonderes Jahr
Ein Tag ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Auch weil die Zeit, die ich immer weniger verstehe, dort aus den Fugen geraten ist, zumindest im Nachhinein, und das ist ja immer die einzige Aussichtsplattform, das Nachhinein, das ein Verschwimmen der Zeiten bedeutet, plötzlich treffen und kreuzen sich die Tage, Erinnerungen. Der 5. Oktober. Mit dem Zug reiste ich von Leipzig nach Paris. Nachts. Um am Vormittag des 6. Oktobers vom Gare de l'Est auf die Rennbahn in Longchamp zu fahren, wo ich mich mit einem guten Freund traf.
Da wusste ich noch nicht, dass sie in Frankreich die Prostitution in eine rechtliche Dunkelzone drängen werden. Dass wenig später in Deutschland ein öffentliches "über den Kamm scheren" einsetzen würde, ein Stigmatisierungsprozess, der jegliche Form der Prostitution verdammen möchte. Dass mich die "Emma" zum Pascha des Monats küren wird, weil ihr die Art und Weise, wie Huren und Geschäftsleute im sogenannten Rotlicht in meiner Literatur (literarisch!!!) zu Wort kommen, missfällt. An jenem Tag verfolgte ich begeistert mit circa 30.000 Galoppsportfans die Rennen in Longchamp, tippte die Siegerin, die Stute Treve, im Hauptrennen, dem "Prix de l'Arc de Triomphe". Die Hymne ertönte. Oh große Stutenzeit. Und so erklingt die Marseillaise mir heute noch. Freiheit und Gleichheit... Hätte ich all das gewusst, vielleicht wäre ich in die Nachtklubs gegangen, hätte geschaut und gelauscht, wie Jahre zuvor an anderen Orten. Aber es war die Ruhe vor... ja, vor was und wem?
Gute Nacht, ihr politisch Korrekten... wie schön es war, als die Marseillaise erklang und die Stute siegte.
http://www.welt.de/print/wams/politik/a ... tober.html
Ein Tag ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Auch weil die Zeit, die ich immer weniger verstehe, dort aus den Fugen geraten ist, zumindest im Nachhinein, und das ist ja immer die einzige Aussichtsplattform, das Nachhinein, das ein Verschwimmen der Zeiten bedeutet, plötzlich treffen und kreuzen sich die Tage, Erinnerungen. Der 5. Oktober. Mit dem Zug reiste ich von Leipzig nach Paris. Nachts. Um am Vormittag des 6. Oktobers vom Gare de l'Est auf die Rennbahn in Longchamp zu fahren, wo ich mich mit einem guten Freund traf.
Da wusste ich noch nicht, dass sie in Frankreich die Prostitution in eine rechtliche Dunkelzone drängen werden. Dass wenig später in Deutschland ein öffentliches "über den Kamm scheren" einsetzen würde, ein Stigmatisierungsprozess, der jegliche Form der Prostitution verdammen möchte. Dass mich die "Emma" zum Pascha des Monats küren wird, weil ihr die Art und Weise, wie Huren und Geschäftsleute im sogenannten Rotlicht in meiner Literatur (literarisch!!!) zu Wort kommen, missfällt. An jenem Tag verfolgte ich begeistert mit circa 30.000 Galoppsportfans die Rennen in Longchamp, tippte die Siegerin, die Stute Treve, im Hauptrennen, dem "Prix de l'Arc de Triomphe". Die Hymne ertönte. Oh große Stutenzeit. Und so erklingt die Marseillaise mir heute noch. Freiheit und Gleichheit... Hätte ich all das gewusst, vielleicht wäre ich in die Nachtklubs gegangen, hätte geschaut und gelauscht, wie Jahre zuvor an anderen Orten. Aber es war die Ruhe vor... ja, vor was und wem?
Gute Nacht, ihr politisch Korrekten... wie schön es war, als die Marseillaise erklang und die Stute siegte.
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RE: Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens M
Weser Kurier vom 10.01.2014, S.19
Ausgrenzung ist das Thema der Literarischen Woche / Am 27. Januar erhält Clemens Meyer Bremens Buchpreis
Romane über das Anderssein
Von Hendrik Werner
Bremen. Nach drei Jahren mal kein österreichischer Autor als Träger des Bremer Literaturpreises! Und das ist nicht das einzig Bemerkenswerte an der 38. Literarischen Woche Bremen, die sich vom 15. bis 28. Januar der Figur des Anderen widmet. Höhepunkt ist die Auszeichnung des Leipziger Schriftstellers Clemens Meyer, dessen belobigter Roman "Im Stein" gemäß dem Themenschwerpunkt den Nachtgestalten unserer Gesellschaft nachspürt.
Das Thema der Literarischen Woche erinnert frappierend an den Titel eines germanistischen Proseminars in den frühen 90er-Jahren. Es lautet: "Die Anderen - Angst und Faszination. Konstruktionen des Fremden in Literatur, Wissenschaft, Kunst und Film". Aber keine Sorge vor Philologen-Hardcore-Jargon und anderem akademischen Hokuspokus: Der wohltuend breit gefächerte Veranstaltungsreigen, der von Lesungen über Vortrag und Filmvorführung bis hin zur Installation und zur Ausstellung reicht, wird inhaltlich inspirierender gestaltet als eine handelsübliche Belehrungsveranstaltung an der Universität. Das zeigte die gestern in der Stadtbibliothek Bremen anberaumte Vorstellung des Programms, das in ganzer Schönheit unter www.literarische-woche.de nachzulesen ist.
...
Das liegt zum einen daran, dass sowohl Hauptpreisträger Clemens Meyer mit dem Prostituierten-Prosastück "Im Stein" als auch Förderpreisträger Roman Ehrlich mit dem Einsamkeitsroman "Das kalte Jahr" soziale Außenseiter zu Hauptfiguren ihrer Arbeiten gemacht haben. Zum anderen liegt es daran, dass die Veranstaltungen, die sich um die Verleihung am 27. Januar (und die Lesung der Gekürten am Vorabend) ranken, ähnlich eindringlich vom Los ausgegrenzter Individuen und Gruppen handeln.
Ein Höhepunkt ist das Lektüre-Gastspiel von Klaus Michael Bogdal. Der Literaturwissenschaftler stellt am 17. Januar sein Buch "Europa erfindet die Zigeuner" vor, für das ihm 2013 der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Völkerverständigung zugesprochen wurde. Von ähnlicher Brisanz ist am 24. Januar der Vortrag des Gewaltforschers Andreas Zick. Er spricht auch anhand Bremer Beispiele und Zahlen über Fremdenfeindlichkeit.
Wiederum literarische Texte stellen Eugenia Rico (20. Januar; auf Einladung des Instituto Cervantes) und Mathias Énard (23. Januar; auf Einladung des Institut Français) vor. Diese schrieb einen Roman über Hexen, jener einen über "Diebe, Nutten und Junkies". Erwähnt man noch den um Gewalt und Neonazis kreisenden Roman "Blutsbrüder" des Berliners Michael Wildenhain (21. Januar), ist es Gewissheit: Leichte Kost bietet die 38. Literarische Woche nicht; lohnende allemal. Dafür dürfte auch eine thematisch einschlägige Lesung junger Bremer Autoren am 25. Januar sorgen, die das hiesige Literaturkontor organisiert hat. Noch mehr Lokalkolorit bietet der musikalisch gerahmte Beitrag des Redaktionskollektivs "BOM 13", das die neue Ausgabe seines Online-Magazins mit Geschichten und Reportagen über Chancen und Risiken des Fremdseins und des Befremdens bestückt. Mit dieser Veranstaltung beginnt am 15. Januar die von einem Film-und Austellungsprogramm flankierte Literarischen Woche, die – streng genommen – fast zwei Wochen währt. Aber auch dies ist im Sinne gelebten Andersseins fraglos erkenntnisträchtig.
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Grüße
Klaus
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Buchkritik "Im Stein" / Umgang mit Prostitution
http://www.neon.de/artikel/sehen/gesell ... on/1120120
Wie sollte man mit Prostitution umgehen?
Buchkritik "Im Stein":
Finde das Buch ziemlich gut. Es zeigt die verschiedenen Facetten des Rotlichts. Der Autor ist künstlerisch begabt, schafft eine melancholische Stimmung, fühlte mich beim lesen oft als würde ich an einem regnerischen grauen Tag im Bahnhofsviertel einer Großstadt stehen. Meyer hat genau hingesehen, so genau, daß es weh tut, manchmal hat man das Gefühl als verarbeitet er, das was er gesehen hat in dem Buch, teilt seinen Schmerz. Allerdings fiel es mir oft schwer, den roten Faden zu finden, dass mag auch an seiner anspruchsvollen philosophischen Schreibweise liegen.
Kritik Umgang mit Prostitution:
Mir hat gefallen, daß er auch unbequeme Themen anspricht, wie minderjährige Zwangsprostituierte in Berlin. Sowas gibt es eben nicht nur in Tschechien oder Asien, sondern auch in Deutschland. Der Zuhälter, der die teilweise noch nicht mal 16 jährigen Mädchen zur Prostitution gezwungen hat, hatte 3,5 Jahre Gefängnis bekommen. Zu den Kunden gehörten hohe Beamte, Polizisten und Richter. Das zeigt das nicht nur Armut sondern auch Gier und Gewissenlosigkeit Ursachen sind, daß Prostitution unmenschlich wird. Korruption und Ungerechtigkeit gibt es eben auch im reichen Deutschland. Mich kotzt die Disskusion über Prostitution einfach nur an. Ich bin sicher nicht der hellste Stern am Himmel, doch die Ursachen für das Leid der Frauen sind ja wohl offensichtlich. Wütend werde ich wenn die Augen vor der Realität geschlossen werden. Wenn Politiker so tun als wäre alles getan weil Prostitution legal ist, die Frauen können Steuern zahlen und sind krankenversichert. Es wird so getan, als wäre Prostitution, das selbe wie Brötchen verkaufen und Zuhälter fäire Vorgesetzte. Genauso engstirnig finde ich Feministinnen die behaupten Prostitution sei IMMER schlecht, allen Männern die zu Prostituierten gehen, geht es darum Macht über Frauen auszuüben u der Besuch bei diesen Frauen sei IMMER ein Akt der Gewalt. Alle Prostituierte würden leiden. Wenn ein Mann einer Domina Geld zahlt, ihr auf Knieen die Füße küssen zu dürfen, will er Ihr Gewalt antun und Macht über sie ausüben? Warum verschließen manche Feministinnen die Augen vor der Realität, halten die Ohren zu wenn Prostituierte sagen, daß sie freiwillig arbeiten, ihnen die Arbeit spaß macht und sie auch noch mehr verdienen als bei dem Job den sie zuvor ausübten? Die Realität ist Prostitution gab es schon immer, selbst Affenmännchen bieten Affenweibchen Kokosnüsse an um Sex dafür zu bekommen. Die Realität ist, Prostitution wird nicht verschwinden wenn man sie verbietet. Prostitution ist manchmal okay. Falsch und unmenschlich ist Prostitution mit Minderjährigen und Zwangsprostitution. Der Staat muss Zuhälter die Mädchen und Frauen zwingen viel härter zu bestrafen!! Im Moment verdient der Staat sehr gutes Geld mit Prostitution, aus Gier kümmert er sich manchmal nicht darum ob Zwang oder Freiwillig! Ich habe eine Dokumentation auf den öffentlich rechtlichen(glaube ZDF) gesehen, in der eine Prostituierte erzählte, dass deutsche Beamte eine Razzia im Puff machten, daß Mädchen teilte einem Beamten mit, daß sie zum Sex gezwungen wird. Der Beamte sagte ihr, er sei nicht hier um ihr zu helfen, sondern um Steuern zu kassieren! Das Problem ist also nicht Prostitution an sich, sondern wie mit ihr umgegangen wird. Das Problem ist Arroganz, Gewissenlosigkeit und Faschismus, daß die würde des Menschen hier nicht mehr unantastbar ist, daß Kapitalismus u Geld wichtiger sind!!! Und das vor dem Gesetzt leider nicht alle gleich sind, kein Schwein interessiert sich, wenn eine arme Rumänin zum Sex gezwungen wird, wie glauben sie hätte der Beamte reagiert, wenn in dem Puff ein deutsches Mädchen zu ihm gesagt hätte:" Ich bin die Tochter eines deutschen Politikers, ich werde hier festgehalten, bitte holen sie mich raus"? Aber solange es ja nur eine arme Rumänin, Bulgarin oder Russin ist, bringts ja Steuergeld! Billige Arbeitskraft! Ein Hoch auf die EU! Ich bin kein Kommunist u kein Hippi. Doch frage ich kann herzlose Gier nach immer mehr Geld das richtige System sein? Was ist das für eine Regierung die mitverdient wenn Waffen an Diktatoren in Saudi Arabien verkauft werden, oder Mädchen zu Sex gezwungen werden? Im Moment ist eine Frau Bundeskanzlerin. Sexismus stinkt darum sage ich es gibt gute Männer und gute Frauen. Es gibt böse Männer und böse Frauen.
http://www.neon.de/artikel/sehen/gesell ... on/1120120
Wie sollte man mit Prostitution umgehen?
Buchkritik "Im Stein":
Finde das Buch ziemlich gut. Es zeigt die verschiedenen Facetten des Rotlichts. Der Autor ist künstlerisch begabt, schafft eine melancholische Stimmung, fühlte mich beim lesen oft als würde ich an einem regnerischen grauen Tag im Bahnhofsviertel einer Großstadt stehen. Meyer hat genau hingesehen, so genau, daß es weh tut, manchmal hat man das Gefühl als verarbeitet er, das was er gesehen hat in dem Buch, teilt seinen Schmerz. Allerdings fiel es mir oft schwer, den roten Faden zu finden, dass mag auch an seiner anspruchsvollen philosophischen Schreibweise liegen.
Kritik Umgang mit Prostitution:
Mir hat gefallen, daß er auch unbequeme Themen anspricht, wie minderjährige Zwangsprostituierte in Berlin. Sowas gibt es eben nicht nur in Tschechien oder Asien, sondern auch in Deutschland. Der Zuhälter, der die teilweise noch nicht mal 16 jährigen Mädchen zur Prostitution gezwungen hat, hatte 3,5 Jahre Gefängnis bekommen. Zu den Kunden gehörten hohe Beamte, Polizisten und Richter. Das zeigt das nicht nur Armut sondern auch Gier und Gewissenlosigkeit Ursachen sind, daß Prostitution unmenschlich wird. Korruption und Ungerechtigkeit gibt es eben auch im reichen Deutschland. Mich kotzt die Disskusion über Prostitution einfach nur an. Ich bin sicher nicht der hellste Stern am Himmel, doch die Ursachen für das Leid der Frauen sind ja wohl offensichtlich. Wütend werde ich wenn die Augen vor der Realität geschlossen werden. Wenn Politiker so tun als wäre alles getan weil Prostitution legal ist, die Frauen können Steuern zahlen und sind krankenversichert. Es wird so getan, als wäre Prostitution, das selbe wie Brötchen verkaufen und Zuhälter fäire Vorgesetzte. Genauso engstirnig finde ich Feministinnen die behaupten Prostitution sei IMMER schlecht, allen Männern die zu Prostituierten gehen, geht es darum Macht über Frauen auszuüben u der Besuch bei diesen Frauen sei IMMER ein Akt der Gewalt. Alle Prostituierte würden leiden. Wenn ein Mann einer Domina Geld zahlt, ihr auf Knieen die Füße küssen zu dürfen, will er Ihr Gewalt antun und Macht über sie ausüben? Warum verschließen manche Feministinnen die Augen vor der Realität, halten die Ohren zu wenn Prostituierte sagen, daß sie freiwillig arbeiten, ihnen die Arbeit spaß macht und sie auch noch mehr verdienen als bei dem Job den sie zuvor ausübten? Die Realität ist Prostitution gab es schon immer, selbst Affenmännchen bieten Affenweibchen Kokosnüsse an um Sex dafür zu bekommen. Die Realität ist, Prostitution wird nicht verschwinden wenn man sie verbietet. Prostitution ist manchmal okay. Falsch und unmenschlich ist Prostitution mit Minderjährigen und Zwangsprostitution. Der Staat muss Zuhälter die Mädchen und Frauen zwingen viel härter zu bestrafen!! Im Moment verdient der Staat sehr gutes Geld mit Prostitution, aus Gier kümmert er sich manchmal nicht darum ob Zwang oder Freiwillig! Ich habe eine Dokumentation auf den öffentlich rechtlichen(glaube ZDF) gesehen, in der eine Prostituierte erzählte, dass deutsche Beamte eine Razzia im Puff machten, daß Mädchen teilte einem Beamten mit, daß sie zum Sex gezwungen wird. Der Beamte sagte ihr, er sei nicht hier um ihr zu helfen, sondern um Steuern zu kassieren! Das Problem ist also nicht Prostitution an sich, sondern wie mit ihr umgegangen wird. Das Problem ist Arroganz, Gewissenlosigkeit und Faschismus, daß die würde des Menschen hier nicht mehr unantastbar ist, daß Kapitalismus u Geld wichtiger sind!!! Und das vor dem Gesetzt leider nicht alle gleich sind, kein Schwein interessiert sich, wenn eine arme Rumänin zum Sex gezwungen wird, wie glauben sie hätte der Beamte reagiert, wenn in dem Puff ein deutsches Mädchen zu ihm gesagt hätte:" Ich bin die Tochter eines deutschen Politikers, ich werde hier festgehalten, bitte holen sie mich raus"? Aber solange es ja nur eine arme Rumänin, Bulgarin oder Russin ist, bringts ja Steuergeld! Billige Arbeitskraft! Ein Hoch auf die EU! Ich bin kein Kommunist u kein Hippi. Doch frage ich kann herzlose Gier nach immer mehr Geld das richtige System sein? Was ist das für eine Regierung die mitverdient wenn Waffen an Diktatoren in Saudi Arabien verkauft werden, oder Mädchen zu Sex gezwungen werden? Im Moment ist eine Frau Bundeskanzlerin. Sexismus stinkt darum sage ich es gibt gute Männer und gute Frauen. Es gibt böse Männer und böse Frauen.
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Re: RE: Im Stein: Reisender, kommst du nach Eden City Clemens M
Ich würde gerne diesen Ort besuchen, um es selbst zu sehenfraences hat geschrieben: ↑29.09.2013, 01:18ROMAN «IM STEIN»
Prostitution ist überall
Der Schriftsteller Clemens Meyer seziert das Rotlichtmilieu in seinem neuen Roman.
Von Michael Kraft
Im Rotlichtmilieu siedelt Clemens Meyer seinen zweiten Roman an. Der preisgekrönte Autor glänzt in Im Stein mit unnachahmlichen Sound und kunstvoller Konstruktion. Und er zeigt: Das älteste Gewerbe der Welt funktioniert wie jeder andere Wirtschaftszweig - oder umgekehrt.
Clemens Meyer hat einen Roman über die Prostitution geschrieben. Das ist eine erstaunliche Wahl, aber eine sehr interessante und vor allem kluge. Zu Beginn seiner Laufbahn gab es oft den Vorwurf, der Leipziger zehre als Schriftsteller lediglich von seiner Milieukenntnis, von einer rauen Jugend inmitten von Crashkids und Drogen im wilden Osten. Diesmal könnte das Thema kaum weniger autobiografisch sein. Im Stein fußt nicht auf Erfahrungen, sondern auf Recherche.
Meyer hat für die Arbeit an seinem Roman mit rund 70 Frauen aus dem Rotlichtmilieu gesprochen. Seine Erkenntnisse verarbeitet er mit sagenhafter Kunstfertigkeit in einer Montage, die in ihrer Technik ein wenig an sein Debüt Als wir träumten erinnert, vor allem aber seinen Ehrgeiz, seine Fantasie und seine Raffinesse beweist.
Im Stein ist der zweite Roman des Autors aus Leipzig.
Im Stein ist der zweite Roman des Autors aus Leipzig. Foto: Verlag S. Fischer
Die Handlung erstreckt sich über etliche Jahre, der wichtigste Schauplatz ist eine namenlose ostdeutsche Großstadt, das Ensemble ist riesig. Im Mittelpunkt stehen Arnold Kraushaar, der Zimmer an Prostituierte vermietet, und Hans Pieszeck, der ein Bordell betreibt. Dazu kommen Protagonisten, die manchmal nur kurz auftauchen, manchmal förmlich durch die gut 550 Seiten mäandern shuttle paris transfer. Ein Ex-Jockey zum Beispiel, der seine Tochter sucht, seit sie vor vier Jahren im Rotlichtmilieu verschwand. Ein Polizist, der Crystal-Meth-Dealern auflauert und weiß, dass seine Arbeit ähnlich wirkungsvoll ist wie die von Sisyphos. Eine 31-jährige Prostituierte, die früher mal studiert hat und dann in Berlin den Drogenabsturz erlebte, den sie nicht als solchen empfindet, «weil war’ne schöne wilde Zeit».
Das Bordell ist nicht igitt
Das Rotlichtmilieu schildert Meyer nicht allzu glamourös, aber auch nicht schäbig. Dass unser Blick auf die Prostitution bigott ist, führt der Autor immer wieder vor. Viele der Protagonisten sind selbst angewidert von diesem Geschäft, aber noch mehr vom schlechten Ruf, der ihnen deshalb anhaftet, obwohl doch jeder nur versucht, über die Runden zu kommen und seinen Schnitt zu machen. Die wohl wichtigste Botschaft von Im Stein lautet: Diese Branche ist auch nicht unmoralischer als andere. «Das Geld fließt und fließt, meist in beide Richtungen, rein und raus, das alte Spiel, und wir waren, und wir sind, und wenn man seinen Platz hat im großen Spiel, geht es weiter… Immer weiter», heißt es an einer Stelle.
Es geht in diesem Geschäft (und in diesem Buch) nicht um Sex, sondern um Kampf und vor allem um Macht. Kraushaar und Pieszeck haben beide Ärger mit der Konkurrenz, müssen um ihre Position fürchten und damit um ihren Lebensunterhalt. Auch auf den Hierarchieebenen darunter gehen hier ganz durchschnittliche Menschen ihrer ganz alltäglichen Beschäftigung nach. Es ist zum einen diese These der Normalität, die zugleich ein Tabubruch und eine Absolution ist, aus der das Buch seinen Reiz bezieht.
Zum anderen ist es aber die Form. Das Buch ist ein mitunter surreales Kaleidoskop aus unchronologisch angeordneten Gesprächsnotizen, Zitaten aus BWL-Lehrbüchern, Zeilen aus Liedern, Protokollen, gegen Ende sogar einer langen Interview-/Verhörsequenz. Dazwischen gibt es ganz klassisch Erzähltes und rührend schöne Szenen wie die von den zwei alten Huren bei Kaffee und Birnenbrand oder dem Mann, der bei einem Besuch in seiner alten Heimatstadt mit der Blumenhändlerin anbandelt, die jahrelang das Grab seiner Mutter gepflegt hat.
Überall gibt es Erinnerungen, Abkürzungen, Codes, und ganz oft setzt Meyer auf einen assoziativen Stil, in dem mit vielen Stichworten und Auslassungen kommuniziert wird. Das ist die Sprache der Stammtische, in der vieles selbstverständlich ist, die Nennung eines Namens reicht, um eine Anekdote oder eine ganze Biografie in Erinnerung zu bringen, und in der vieles verklärt wird, nur nicht der gemeinsame Horizont. Der Leser sitzt in Im Stein mit an diesem Stammtisch, als Nicht-Eingeweihter. Der Erzähler strahlt durch diese Methode eine sehr coole, abgeklärte Allwissenheit aus. Er hat alles gesehen, er weiß alles, aber er wird nicht alles verraten, weil es nicht nötig oder nicht ratsam ist. Er weiß um das gemeinsame Fundament von Erfahrungen und Überzeugungen – und um den Wert eines Geheimnisses.
Noch mehr als seine bisherigen Werke ist Im Stein damit ein Clemens-Meyer-Buch. Es gibt keine unvergesslichen Figuren und keine allzu spannende Handlung. Der Wert liegt zu einem guten Teil im Hintergrund, in den aufgezeigten Assoziationen und Parallelen, in der Form, im Sound. Spätestens mit diesem Roman dürfte Meyer alle widerlegt haben, die in ihm bloß einen Literatur-Rebellen mit exotischer Biografie und mehr Tattoos als Talent gesehen haben. Im Stein beweist: Es geht nicht darum, wer hier schreibt. Sondern was er schreibt. Und wie er schreibt.
Bestes Zitat: «Er braucht die Geschäfte. Die Stadt. Die Städte. Die Burg. Die Clubs. Die Weiber. Das Geld. Die Strategien des Marktes. Die Konkurrenz. Die Spekulation. Die Investitionen. Die Informationen. Die Spieler. Das Fließen. Die Blicke in die Zukunft. Und die Blicke zurück.»
www.news.de/medien/855457826/im-stein-c ... itution/1/