Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit.

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nicole6
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Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit.

Beitrag von nicole6 »

Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit.
Eine Bildchronik
Von Anke Wolf-Graaf, Heyne Verlag, 1994, 220 Seiten

Die Autorin behandelt in ihrem Buch vor allem die Frauenarbeit im Mittelalter.
Unterlegt ist der Text mit sehr vielen Fotos von Grafiken und Bildern aus der Zeit.
Sie zeigt, dass die Männer an der Macht den Anteil der Frauenarbeit in der
Gesellschaft und den Anteil der Frauen an der Wirtschaft und am Wohlergehen
der Gesellschaft systematisch unterschlagen haben, um sich selbst als "wichtig"
hervortun zu können. Ein großes Kapitel im Buch ist auch der Sexarbeit gewidmet.
Hier erfahren die LeserInnen, dass die Sexarbeit bis zum 14. Jh. Zwar von der Kirche
als "unmoralisch" hingestellt, aber vom Volk als "normaler Beruf" angesehen wurde.
Die Sexarbeiterinnen lebten oft in Häusern die "Badestuben" genannt wurden.
Diese Badestuben dienten natürlich auch der Leibespflege, aber primär ging es
dort um die sexuelle Befriedigungen von Frauen und Männern unabhängig des Ehestandes.
Die Badestuben wurden von den Städten zur Verfügung gestellt und an Pächter vermietet.
Die Einnahmen gingen zum einen Teil an die Stadt, zum anderen an die Kirche.
Der Vatikan betrieb aber auch eigene Bordelle.
Doch der größte Teil der Sexarbeiterinnen zog von Ort zu Ort.
Die besten Verdienstmöglichkeiten waren Reichstage, Kriege, Kirchentreffen und Konzile.
Zum Reichstag 1394 erschienen 800 Sexarbeiterinnen, um den Männern ihre
Dienste anzubieten. In Paris, Genf und in Leipzig waren die Sexarbeiterinnen in
eigene Zünfte vereinigt. Bis 1400 gab es auch die Zwangsprostitution. Väter
konnten ihr Eigentum, z.B. ihre Tochter, an ein Badehaus vermieten, damit sie dort
benutzt wurde, um das durch die Benutzung des Eigentums eingenommene Geld zur
Begleichung von Schulden aufzubringen. Ab 1400 wurde das verboten.
Im 16. Jh. nahm der Vatikan pro Jahr durch seine Bordelle 60.000 Dukaten ein.
Was das bedeutet sieht man daran, dass die Abgabe einer Sexarbeiterin an die
Leitung des Bordells für Essen im Jahr etwa 2 Dukaten betrug!
Mit dem dreißigjährigen Krieg, und dem Beginn der Neuzeit begannen die
Hexenverfolgungen und der von Männern geplante und durchgeführte gesellschaftliche
Abstieg der Frauen als Gruppe, und damit auch der Sexarbeiterinnen.
Männer vertrieben mehr und mehr die Frauen aus vielen Berufen, in denen sie vorher tätig waren.

Das Buch ist für uns Sexarbeiterinnen sehr interessant, nicht nur, weil wir etwas
über die Geschichte der Sexarbeit erfahren, sondern auch die Einbettung der
Sexarbeit in die Gesellschaft als Ganzes, und die Wichtigkeit des Berufsstandes
innerhalb des Patriarchates. Was das Buch auch deutlich macht ist, dass
Patriarchat und Sexarbeit direkt miteinander zusammen hängen. Außerhalb von
ausbeuterischen patriarchalen Gesellschaften gab es nie Prostitution.

Nicole

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Marc of Frankfurt
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Anke Wolf-Graaf: "Die verborgene Geschichte der Frauena

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Danke für diesen schönen Buchtipp
www.amazon.de/dp/3407850352

(Die Rezension von Alexandra Bader aus Wien
www.ceiberweiber.at/index.php?type=revi ... les&id=106
und dieses Buch kommen ganz ohne Erwähnung von Sexarbeit aus
http://books.google.de/books?id=VMmFv08jInsC&pg=PA0 )


Leider scheint die Beweislage pro Prostitution so dünn zu sein, dass sich auch dieser Forscher vielfach daran vorbei mogeln konnte:

Harm von Seggern, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Kiel: "Warum die Kirche die Prostitution duldete"
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=133174#133174

Dipl.-Ing. Christian Moser weiss mehr
www.leben-im-mittelalter.net/alltag-im- ... ution.html





Hier mal mein Versuch unsere SW Geschichte tabellarisch zusammenzufassen
www.bit.ly/sexworkgeschichte

Auch die Einnahmen von Papst Sixtus IV. (1414–1484) von 20.000 Dukaten im Jahr in nur einem Bordell sind verlinkt. Wenn Du weitere Ergänzungen hast zur Tabelle, poste sie z.B. hier dann füge ich sie gerne ein.

Marc

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Re: Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit.

Beitrag von ehemaliger_User »

Was das Buch auch deutlich macht ist, dass Patriarchat und Sexarbeit direkt miteinander zusammen hängen. Außerhalb von ausbeuterischen patriarchalen Gesellschaften gab es nie Prostitution.
Und genau diesen Ansatz verfolgen manche Prostitutionsgegner_innen: Wenn die Prostitution abgeschafft ist ist auch das Patriarchat beendet.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

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nicole6
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RE: Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit.

Beitrag von nicole6 »

"Wenn die Prostitution abgeschafft ist ist auch das Patriarchat beendet."
Autos werden in Fabriken gebaut. Also: wer Autos abschafft,
hat auch Fabriken abgeschafft.
Kartoffeln werden vom Bauern gepflanzt und geerntet.
Also: wer die Kartoffeln abschafft, hat auch die Bauern abgeschafft.
Banken geben Sparbücher aus. Also: wer die Sparbücher
abschafft, hat auch die Banken abgeschafft.

Nicole