Wie das Prostitutions-Stigma juristisch zementiert wird:
Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg: "Angebot «Geld für Sex»: Erfüllt den Straftatbestand der Beleidigung"
Wer einem anderen für die Vornahme sexueller Dienste Geld anbietet, macht sich wegen Beleidigung strafbar.
Dagegen liege in der Aufdrängung eines Kusses noch keine Beleidigung. [aber schon eine sexuelle Belästigung/Übergriff???]
Der Angeklagte [Alter?] hatte einer 18-jährigen Frau, die ihm nur flüchtig bekannt war, Geld für die Vornahme sexueller Dienste angeboten.
Das Landgericht (LG) Odenburg hatte ihn deshalb wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Angeklagte habe mit seinem Angebot zum Ausdruck gebracht,
dass die junge Frau käuflich sei wie eine Prostituierte. Dies sei ihm bewusst gewesen und er habe die damit geäußerte
ehrverletzende Herabsetzung billigend in Kauf genommen.
Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten zum OLG hatte keinen Erfolg.
Das LG habe die Handlung des Angeklagten zu Recht als nach § 185 StGB strafbare Beleidigung
www.dejure.org/gesetze/StGB/185.html gewertet, so die Richter.
Der zu entscheidende Fall unterscheide sich von einem Sachverhalt, in dem ein Angeklagter eine Jugendliche gegen ihren Willen im Halsbereich geküsst hatte und über den das OLG im März 2010 befunden habe.
Nach ständiger Rechtsprechung auch des Bundesgerichtshofs sei in einer solchen
sexuell gefärbten Zudringlichkeit allein keine Kundgabe einer Herabsetzung oder Geringschätzung der Person –und damit keine Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches –zu sehen, so das OLG.
Im jetzt zu beurteilenden Fall dagegen habe der Angeklagte
durch das Ansprechen der jungen Frau als Prostituierte diese fraglos in ihrer Ehre verletzt.
Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 06.01.2011, 1 Ss 204/10
www.anwalt.de/rechtstipps/angebot-geld- ... 15871.html
Mögliche abweichende Wertungen
Aus der Perspektive der Frau:
- Das für eine Prostituierte gehalten zu werden, ist eine Beleidigung (Fall oben).
- Das Geld anbieten zeigt wie sehr der Mann begehrt und erzeugt bestenfalls Mitleid mit ihm.
- Das Geld angeboten zu bekommen zeigt wie wertvoll für den Mann der Sex ist mit mir, es zeigt wie sehr er mich begehrt, wie attraktiv ich für ihn bin.
- Das Geld angeboten zu bekommen ist ein Mißverständnis oder ein Patzer (ein Mißgriff bei der Wahl der Mittel um eine Frau zu werben/freien).
- ...
Aus der Perspektive des Mannes:
- Einer Frau Geld anzubieten als Geste um sie gezielt und wissentlich herabzuwürdigen (sie zu stigmatisieren, insbesondere wenn es öffentlich geschieht sie bloszustellen).
- Einer Frau Geld anzubieten, um sein Ziel zu erreichen und dabei die Gefahr falsch verstanden zu werden inkauf nehmen (ehrverletzende Herabsetzung billigend inkaufnehmen; Urteil oben).
Die sexuell gefärbete Zudringlichkeit, ein Kuss, ist dann eine sexueller Übergriff (Sexuelle Nötigung
http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__240.html ).
- Einer Frau Geld anbieten, um ihr eine Motivation zu geben oder sie für etwas zu kompensieren, wenn sie seinem Wunsch nachgibt (Paysex-Tauschhandel).
- Das Geldangebot ist ein Kompliment und Zeichen der Wertschätzung (Kurtisanentum).
- ...
Aus der neutralen Urteilsperspektive:
Ergeben sich alle möglichen Kombinationen.
Es kommt m.E. auf die genauen Details an ob hier Ehre verletzt wurde:
- Wie ist die Situation, der Tonfall gewesen, Eindringlichkeit...?
- Wie hoch war der Geldbetrag (vgl. den
Churchill zugeschriebenen Witz), was wurde sonst eingesetzt oder verhandelt...?
- Wie stehen die Personen zueinander, sind sie sich sympathisch, könnten sie sich unter sonstigen Umständen sympathisch sein...?
- Wie ist der Status der Personen, sind sie ähnlich attraktiv, gleich alt, gleich vermögend...?
- Wie steht die "beleidigte" Person zur Prostitution? Ist sie Prostitutions-Phobikerin?
- Hat sie Mißbrauchserfahrung?
- Wie erheblich ist ihre subjektive Beurteilung von Prostitution / Sexarbeit / Escorttätigkeit / Sex4Something-Tausch für die Beurteilung, ob Beleidigung vorliegt? Und das insbesondere im Verhältnis zur allgemeinen Beurteilung von Prostitution?
- Welche objektiven Bewertungen von Prostitution existieren und was darf hier zugrundegelegt werden?
- Darf eine Moralverstellung eines konservativen Richters ausschlaggebend sein? ("Vor Gericht und auf hoher See...")
Positionen zu Prostitution / Sexarbeit:
- Prostitution ist sittenwidrig weil sozialschädlich (Nur moralisches Werturteil oder materielles Recht?). Käuflichkeit als Korrumpierung von Werten, nachdenen Sex privat ist und im privaten Bereich kein Geld fließen darf (Geldtabu).
- Prostitution ist seit 2002 bzw. 1927 eine legal Tätigkeit.
- Prostitution ist nur schlechthin nicht mehr sittenwidrig (Bundesverfassungsgerichtsurteil).
- Prostitution ist immer noch stigmatisiert. Daraus folgt mögliche Ehrverletzung.
- Prostitution ist eine ehrliche, ehrenwerte, anspruchsvolle, heilsame, Kompetenzen erfordernde Berufsstätigkeit. Daraus folgt mögliche Wertung als Kompliment.
Richter McNeal hat 2000 im
Café Pssst-Prozess eine Umfrage gemacht, um solche Fragen zu klären.
- Sexualität, Geld, Prostitution und allgemein Beziehungen unterliegen einer
Verhandlungsethik. Man muß halt drüber sprechen, was man will oder fühlt. Das muss evt. erst gelernt werden und ist bei Geld und Sex Themen nicht gerade leicht. Jeder hat das Recht Nein zu sagen, so wie jeder das Recht Ja sagen zu können haben muß (Kein Sexkauf-Verbot!).
Beleidigung etc. (14. Abschnitt: Beleidigung § 185)
http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ ... G005102307
Systematik
http://de.wikipedia.org/wiki/Beleidigun ... ngsdelikte
In der Psychologie ist die Beleidigung eine Aussage oder Handlung eines Senders, die das Ego bzw. den Stolz eines Empfängers mit negativen Emotionen assoziiert.
Es muß auf
Ehrverletzung geprüft werden.
Nötigung (18. Abschnitt: Straftaten gegen die persönliche Freiheit, § 240)
http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__240.html
Bei dem "offenen Straftatbestand" der Nötigung reicht es nicht nur die Tat zu kennen, es muß die
Verwerflichkeit beurteilt werden.
Wenn so ein Urteil zugunsten der Ehre einer Beleidigten getroffen wird, so wird gleichzeitig die Ehre aller Sexworker beleidigt und verletzt. Tragisch !!!
Das wiederum ist nur dann und solange möglich, als Sexworker im öffentlichen Raum nicht die ihnen gebührende Stellung eingenommen haben und Präsenz zeigen.
Das liegt auch daran, dass Sexworker-Kompetenzen im körperlich-sexuellen Bereich liegen, und es schwer fällt das angemessen in den geistig-nichtsexuellen Bereich zu übertragen. Dieses
strukturelle "PR oder Öffentlichkeitsproblem" liegt auch vor bei vielen Medienberichten und Interviews mit Sexworkern wie z.B. bei der angeblich hochkarätigen ARD-Doku gestern
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=132339#132339 . Es ist meistens unterschwellig eine "Asymmetriesche Kriegsführung" wirksam zwischen studierten Journalisten und vielfach nicht studiert-habenenden Sexworkern. Vielfach sind es zudem ausländische Migrant_innen also mit Fremdsprachproblemen hier bei uns. Das erzeugt dann quasi automatisch ein deklassierend wirkendes Bild, wo dann umso leichter zusätzlich ein Opferstatus hineininterpretiert werden kann.
Dieses Grundproblem kann sich nur ändern, wenn es eine Sexworker Akademie irgendwann mal geben wird, so wie es auch für Helfende Berufe inzwischen einer Sozialarbeits-Universität gibt. Da werden dann Sexworker quasi nebenbei erlernen, auf demselben hohem Niveu über ihre Sexarbeit sprechen zu können, wie die Menschen, die den öffentlichen Raum, die Medien, Gerichtssäle, Parlamente etc. beherrschen. Oder es gibt noch mehr Studenten-Sexworker auf die jetzt schon beides zutrifft: Studium & Sexwork und die ganz wesentlich die Sexworker-Emanzipationsbewegung tragen. Dabei muß jedoch berücksichtigt werden, dass ein Student der Sozialarbeit etc. erst nach 6-8 Semestern fertig ausgebildet ist und warum soll das bei Sexwork anders sein? Auch ein Sexworker hat erst mit gleichlanger Berufserfahrung einen vergleichbar umfassenden Überblick über sein Fach.
Das die Menschen und Gesellschaft das bei Sex und somit bei Prostitution grundsätzlich anders werten ist wiederum das
Kernproblem der Abwertung von Sexarbeit. Sex wird als angeborene natürliche Fähigkeit geringgeschätzt, während reden wie ein Richter als staatstragende Kompetenz gilt, die nur ein hochgradig selektierendes Studium ermöglicht.
Hier erkennt man, warum die Prostitutionsunterdrückung ein staatstragendes Element der bestehenden Gesellschaftsordnung ist. Deswegen ist der Kampf der Sexworker um Rechte und Anergennung so unendlich schwer. Alles andere käme einer Revolution gleich.
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