ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

Hier können SexarbeitInnen ihren Arbeitsplatz bzw. ihre Arbeitsbedingungen beschreiben. Was erlebt Ihr alles in Eurem Beruf?
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Zwerg
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ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

Beitrag von Zwerg »

Gerechtigkeit

Ich bin Sexarbeiter – und ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

05.08.2019, 11:38 · Aktualisiert: 05.08.2019, 11:38

Christian Schmacht

Es ist eine heiße Julinacht, ich sitze oben ohne auf meinem Balkon und rauche. Es war ein langer Tag im Bordell, ich bin zufrieden und erschöpft von der körperlichen Arbeit. Wer auf dem Bau arbeitet, fühlt sich vielleicht so, wenn er oder sie erfolgreich ein sauberes Fundament gegossen hat. Ich denke an meine fünf Kunden, die respektvoll und großzügig waren.


Ich bin 27 und Sexarbeiter. Ich arbeite im Escort und im Bordell.

Als trans Mann ist das eine besondere Herausforderung. Im Bordell muss ich mich mit viel Schminke und einer Ganzkörper-Rasur erst einmal dem erforderlichen Maß an Weiblichkeit annähern. Ich nehme Testosteron, dadurch wächst mir ein Bart, den die heterosexuellen Kunden nicht entdecken sollen. Es wäre zu verwirrend für sie.

Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter lassen sich auf intime, nahe Begegnungen mit der meist männlichen, manchmal weiblichen oder nicht binären, Kundschaft ein. Wir sind dadurch besonders verletzlich für Diskriminierung und Gewalt.



Immer wieder wollen Politikerinnen und Politiker unsere Arbeit deshalb verbieten – zu unserem eigenen Schutz. Anfang Juli wurde im Bundestag der fraktionsübergreifende Arbeitskreis "Prostitution überwinden" gegründet. Politikerinnen von SPD, CDU und FDP wollen in Deutschland ein Sexkaufverbot einführen. (SPIEGEL ONLINE)

SPD-Politikerin Maria Noichl sagte dazu: "Kann es eine Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt geben, wenn draußen am Straßenstrich Frauen zu kaufen sind als Objekte?" Aber das ist ein Missverständnis: Man kann auf dem Strich keine Frauen kaufen. Nur ihre Dienstleistungen stehen zum Verkauf.

Der Arbeitskreis und viele andere Organisationen fordern das sogenannte Nordische Modell: Der Kauf von bestimmten sexuellen Dienstleistungen wird verboten - der Verkauf soll legal bleiben, damit Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter keine Nachteile haben.

Die Realität sähe aber anders aus.

Wenn meine Kunden kriminalisiert würden, gäbe es keine Bordelle mehr. Es gäbe nicht mehr die anderen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, mit denen ich mich austauschen kann, nicht mehr die Hausdame, die mich in der Verhandlung mit dem Kunden stärkt oder den Sicherheitsdienst, der freche Gäste vor die Tür befördert.

Ich arbeite nicht nur im Bordell, sondern auch als Escort. Da bin ich bereits heute auf mich allein gestellt, denn es gibt keine Agentur, die mit trans Männern arbeitet. Ich suche mir meine Kunden selbst, schätze ab, ob sie vertrauenswürdig sind oder potenziell gefährlich und verhandle die Preise.

Wäre Sexkauf verboten, wären auch diese Kundinnen und Kunden vorsichtiger. Sie würden mir im Escort nicht mehr ihre echten Namen, Fotos und Adressen geben. Ich könnte sie nicht mehr überprüfen und einer Freundin Bescheid sagen, wenn ich zu ihnen fahre. Die Kunden wären immer nervös, weil sie sich strafbar machen. Ich könnte wohl nicht mehr meinem Bauchgefühl vertrauen und abschätzen, wer ehrlich ist – und wer nicht.

Wäre der Sexkauf illegal, könnte ich auch nicht mehr zu Hause arbeiten. Meine Vermieterin könnte mich rausschmeißen, wenn sie von meiner Arbeit erfahren würde. Meine beste Freundin, die mich heute oft mit dem Auto zum Hotel fährt, wo ich Kunden treffe, könnte angezeigt werden: als Zuhälterin. Und wenn ich Kinder hätte, könnte mir das Jugendamt das Sorgerecht entziehen.
Bereits heute müssen sich Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter verstecken.

Wer auf dem Straßenstrich arbeitet, muss in weit abgelegene Straßen ausweichen und dort ohne viel Nachdenken in die Autos steigen. Denn der Kunde läuft Gefahr, von der Polizei entdeckt zu werden. Ein Verbot bedeutet für uns also vor allem: höhere Risiken.

Auch das "Prostituiertenschutzgesetz" von 2017 kriminalisiert Sexarbeit in Deutschland durch viele neue Regeln. Halten wir uns nicht daran, drohen hohe Bußgelder. So muss beispielsweise ein Ort, an dem Sexarbeit stattfindet, getrennte Waschräume für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und Kundschaft haben. Während große Läden die Vorschrift bei der Einführung des neuen Gesetzes schon erfüllten, konnten sich kleine, selbstgeführte Wohnungsbordelle den Umbau nicht leisten – und mussten schließen.

Seit der Gesetzesänderung ist auch der "Hurenpass" vorgeschrieben. So nennen wir die Anmeldebescheinigung nach dem Prostituiertenschutzgesetz. Dafür musste ich meinen Ausweis zeigen, mich als Prostituierte registrieren lassen und bekam eine Zwangsberatung, bei der ausführlich gefragt wurde, ob ich den Job wirklich freiwillig mache.

Ich habe nie verschwiegen, wie hart meine Arbeit sein kann.

Oft höre ich, ich sei ein privilegierter Sexarbeiter. Ich mache den Job doch nur zum Spaß und solle nicht für meine Kolleginnen und Kollegen sprechen. Aber ich bin trans und lebe mit psychischen Krankheiten. Trotz Privilegien und Uniabschluss finde ich keine bessere Arbeit. Mit Sexarbeit habe ich immerhin die Möglichkeit, meine Zeit frei einzuteilen und mich in Krisenzeiten um mich selbst zu kümmern.

Ich habe noch nie behauptet, dass mich der Job empowert – und ein luxuriöses Leben ermöglicht er mir auch nicht. Es gibt Tage und Wochen, an denen ich mir wünsche, ich müsste nicht schon wieder jemanden anlächeln, den ich gar nicht sympathisch finde. Oder mich schminken und stylen, obwohl ich lieber mit zerzausten Haaren und bequemen Jogginghosen unterwegs wäre. Ich wünsche mir, ich müsste nicht zu einem Kunden nach Hause kommen, der meine Rate runtergehandelt hat und mir bedrohlich vorkommt.

Aber die meisten Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter stehen unter dem Druck, Geld verdienen zu müssen. Manche sind in gewalttätigen Beziehungen und werden gezwungen, für ihre Partnerinnen oder Partner zu arbeiten. Einige arbeiten Schulden ab oder versuchen, ihre Familien in anderen Ländern zu unterstützen. Andere wiederum möchten ihr Studium finanzieren, ein Haus bauen oder einfach ein schickes Auto fahren. Viele müssen ihre Arbeit vor dem Umfeld verheimlichen.

Wovon wir alle profitieren würden, sind gute Beratungsangebote und eine Gesundheitsversorgung, die uns nicht diskriminiert.

Ich war kürzlich bei einer Beratungsstelle, in der man sich anonym und kostenlos auf Geschlechtskrankheiten testen lassen kann. Es war meine erste gynäkologische Untersuchung seit sieben Jahren. So lange hatte ich es auch bei Krankheitssymptomen vermieden, zum Arzt zu gehen. Es war auch die erste Untersuchung meines Lebens, bei der ich mich wohlfühlte. Die Ärztin war kompetent, respektvoll und sachkundig. Sie konnte meinen Arbeitsalltag im Bordell einschätzen und meinen Körper als trans Mann. Als ich die Praxis verließ, weinte ich vor Erleichterung.

Ein solches, niedrigschwelliges Angebot gibt mir die Möglichkeit, mich um meine Gesundheit und Sicherheit zu kümmern. Anders als ein erzwungenes Gespräch mit einer Sozialarbeiterin, bei dem ich nicht ehrlich sein kann, da vielleicht mein "Hurenpass" auf dem Spiel steht.

Wovon profitieren wir noch? Von Frauenhäusern, von offenen Grenzen, damit Migration uns nicht erpressbar macht, von sicheren Arbeitsplätzen und Akzeptanz. Das alles würde ein Verbot uns nehmen. Es würde uns auch die Möglichkeit nehmen, von unserer Arbeit zu erzählen, selbstbewusst für uns einzustehen – und solche Forderungen zu stellen.

https://www.bento.de/politik/sexarbeit- ... 2ddde77517

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Kasharius
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Re: ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

Beitrag von Kasharius »

Ein toller Beitrag!

Kasharius grüßt

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deernhh
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Re: ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

Beitrag von deernhh »

Eine Schweizer Hure redet über ihr Leben in der Prostitution

«Ich bin stolz, eine Hure zu sein»

13.09.19, 19:04 15.09.19, 12:42

Lino Haltinner

Mit über 20 Jahren Erfahrung im Eskortbereich berichtet Sandie von ihrem Schicksal in dieser Branche. Sie hat Prostitution in Deutschland, Griechenland und der Schweiz ausgeübt und gibt somit Einblick in eine Lebensgeschichte, die berührt. Trotz der zahlreichen Schicksalsschläge kann sie von sich behaupten, eine stolze Hure zu sein, die sich von nichts unterkriegen lässt.

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video: watson/lino haltinner
Um das Video von ihr sehen zu können, bitte auf den Link klicken.

Ihr offener Umgang und ihre Bereitschaft, über das Thema zu berichten, beeindrucken, denn Prostitution, Eskort oder generell das Sexgewerbe sind in der Schweiz noch immer Tabuthemen.

https://www.watson.ch/schweiz/leben/717 ... ostitution

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deernhh
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Re: ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

Beitrag von deernhh »

14:43 Uhr
Kolumne „Darüber reden"
Sätze, die eine Sexarbeiterin nie wieder hören will

Worte können verletzen – oder helfen. Hier berichtet eine Sexarbeiterin, wie sie im privaten Umfeld angesprochen werden möchte.

GRAFIK: TSP
Mademoiselle Ruby, 39, ist deutschlandweit als Sexarbeiterin aktiv. Von Freunden und Verwandten hat sie dazu über die Jahre viele Kommentare zu hören bekommen – mit sehr unterschiedlicher Wirkung.

„Du hattest alle Möglichkeiten.“

Lange habe ich meinen Beruf fast komplett geheim gehalten. Bis mich eine Bekannte nach einem Streit gegen meinen Willen outete. Ich verlor meinen Tagesjob auf einem Pferdehof, Menschen sprachen mich an und wollten wissen, was die Nacht mit mir kosten würde. Als meine Autoreifen zerstochen wurden, musste ich umziehen. Das hat mich verändert. Ich will selbst mitbestimmten können, wie mich meine Mitmenschen sehen, mit anderen ins Gespräch kommen, nicht mehr lügen müssen.

Vorausgesetzt, die jeweilige Person zeigt Offenheit. Als ich meiner Mutter von meinem Beruf erzählte, meinte die: „Aber du hattest alle Möglichkeiten, warum das?“ Andere wollen wissen, „wie das passieren konnte“. Ich bin kein Opfer, ich liebe meinen Job. Dissens kann ich aushalten. Niemand muss mir zur Liebe für die komplette Entkriminalisierung der Sexarbeit sein. Man sollte allerdings bereit sein, die eigenen Klischees zu überdenken und Neugier nicht nur vortäuschen. Ich merke das, wenn sich jemand im Kopf einen runterholen will.

„Zeig meiner Freundin mal, was mir gefällt. Und bitte kostenlos.“

Vielen fällt es auch schwer, zwischen mir als Person und meinem Beruf zu trennen. Ehemalige Affären bringen ihre aktuellen Partner zu mir: „Zeig meinem Freund oder meiner Freundin mal, was mir gefällt. Und das bitte kostenlos.“ Ich bin nicht eure Frau Doktor Sommer. Dates fragen mich, ob sie nicht mal an meinem Arbeitsplatz mit mir schlafen können. Eine Freundin wollte nicht zu einer Einweihungsparty kommen. „Ich hatte Angst, du planst eine Sexparty“, hat sie mir dann offenbart. Heute kann ich darüber lachen, damals hat mich das verletzt. Bin ich für diese Leute ein sexgeiles Monster?

Sicherheitshalber warne ich andere mittlerweile häufig vor, wenn ich über derbere Details aus dem Beruf reden will. Dann sage ich: „Vorsicht, jetzt wird es explizit“. Das ist nervig für mich, erspart aber möglicherweise viele Rechtfertigungen. Erfahrungsgemäß kann eine Äußerung die Stimmung in einer Gruppe komplett kippen lassen. Menschen fangen an zu schweigen, wirken betroffen.

„Mein Kind ist in der Sexarbeit.“

Es ist bereits Arbeit, überhaupt einen Raum zu schaffen, in dem man über Sexarbeit reden kann. Dafür muss ich mich ständig anpassen. Manchmal versuche ich eher komische Geschichten aus meinem Alltag zu erzählen. Dann können die anderen sagen: „Das ist ja schräg.“ Schräg ist gut, schräg bricht runter.

Allgemein herrscht eine unheimlich große Sprachlosigkeit. Sexarbeitende haben Freunde und Familie. Die werden genauso stigmatisiert und wissen nicht, wie sie über das Thema reden sollen. Meine Mutter muss wahrscheinlich gut überlegen, was sie antwortet, wenn jemand nach dem Beruf ihrer Tochter fragt. Es ist nicht einfach, dann mit Stolz zu sagen: „Mein Kind ist in der Sexarbeit.“

https://www.tagesspiegel.de/berlin/kolu ... 58588.html

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Kasharius
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Re: ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

Beitrag von Kasharius »

Toller Bericht. Danke fürs Einstellen liebe @deernhh

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deernhh
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Re: ihr könnt mir meinen Job nicht verbieten

Beitrag von deernhh »

@Kasharius

Danke.
Ja, das fand ich auch.
Das zeigt mal wieder so schön, dass Sexarbeiter*innen sich permanent "verstecken" müssen, um nicht geoutet zu werden, eben weil es in der Gesellschaft noch nicht (oder vielleicht auch nie) angekommen ist, dass Sexwork ganz total normale Arbeit ist, der man(n) / frau sich nicht zu schämen braucht. Schließlich werden ja Steuern gezahlt, man liegt niemandem auf der Tasche und bezieht keinen HartzIV.

Und wenn man sich jemandem anvertraut, dass sie/er im Sexwork arbeitet, dann besteht leider immer die Gefahr (siehe Bericht oben), dass die/der Bekannte unbeabsichtigt und/oder beabsichtigt, eben die Sexarbeitende oder den Sexarbeitenden in ihrem/seinem Umfeld zu outen.

Den Bericht oben fand ich auch schön, weil es aufzeigt, dass SW total normale Menschen sind, sich aber ständig leider für den Job rechtfertigen müssen.

Die Stigmatisierung der Familie und Freunde ist ebenso schlimm. Und weil das die SW wissen, outen sie sich erst recht gar nicht mehr. Folge: Es ist niemand so richtig da, mit dem oder der man(n) / frau über den Job reden kann.

Und deshalb finde ich es gut, dass es dieses Forum gibt!

Liebe Grüße von mir