TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
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Kasharius
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TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »


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MinaMaiskolben
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Re: TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von MinaMaiskolben »

Zusammengefasst:

Mist, dass Prostitution nicht mehr sittenwidrig ist.

Mist, dass auch die Daten der Prostituierten geschützt sind.

Mist, dass die Polizei nicht anlasslos in die Arbeitsräume kann.

Schade, dass Abolis nicht einfach jeder Mist geglaubt wird.

Und natürlich 90-95%! (wie üblich von irgendjemandem "geschätzt" und im nächsten Satz als Fakt verwendet)

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friederike
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Re: TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von friederike »

Ja, ich bin vollkommen Deiner Meinung. Ein widerliches Interview. Es belegt, dass die vorgebliche Sorge um die Prostituierten nur vorgeschoben ist und die wahre Motivation der Abolitionist*_Innen ein dumpfes Gefühl ist, Prostitution müsse etwas "Unanständiges" sein.

Auf der einen Seite beklagt Frau Dr. Bartels die fehlende Datenbasis, dann wirft man die Zahl von "400.000 Prostituierten" ohne Nennung von Grundlagen in den Raum und stellt dem die Zahl von 28.278 (2022) Prostituierten gegenüber, die sich nach ProstSchG angemeldet haben. Auf eine Diskussion, ob vielleicht die Zahl "400.000" unrichtig ist, wird natürlich verzichtet. Sämtliche Schilderungen und Angaben zum Sachverhalten sind offenbar frei erfunden, jedenfalls bringt das Interview keinerlei Belege, brauchbare Daten und so weiter, oder wenigstens nachprüfbare Verweise darauf.

Dafür "weiß" man aber, dass gewiss nur 5 - 10% der Frauen sich freiwillig prostituieren, alle anderen sind Zwangsprostituierte. Und über die Rechte dieser 5 - 10% der freiwilligen Prostituierten glaubt man aber frei und bedenkenlos hinweghobeln zu können. Ja, schlimmer noch: "Oftmals sind diejenigen, die als freiwillige Prostituierte durch die Medien wandern, Dominas, die andere Sexualität verkaufen, oder auch Frauen, die Gewinn machen, z.B. Bordellbesitzerinnen oder sogenannte Puffmütter." Ein klassisches Framing, wieder völlig beleglos und frei in die Landschaft gesetzt, um Andersdenkende von vorneherein unglaubwürdig zu machen.

Frau Dr. jur. Bartels merkt gar nicht, wie sie sich widerspricht. Sie beklagt die Polizei habe keine Handhaben zum Vorgehen gegen Menschenhändler, andererseits verweist sie auf Ermittlungserfolge, bei denen man Verurteilungen erreicht hat - aber sie bemängelt, dass dafür "akribische Ermittlungsarbeit" notwendig sei. Dafür wird aber doch die Polizei bezahlt, oder nicht? Will sie Verurteilungen auf Verdachtsmomente hin?

"Solange Prostitution legal ist, wird es äußerst schwierig sein, zwischen selbstbestimmter und unfreiwilliger Tätigkeit zu unterscheiden ....", "Ohne eine wie auch immer geartete Kriminalisierung kommen wir bei der Unterscheidung zwischen Zwangsprostitution und freiwilliger Prostitution nicht weiter": Wenn Prostitution, gleichgültig ob für Frauen oder Freier, "kriminalisiert" wird, gibt es ja wohl nichts mehr zu unterscheiden, denn das Nordische Modell unterscheidet ja sowieso nicht zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Prostitution. In den Vorlesungen über die Grundrechte hat Bartels offenkundig gefehlt, denn die Tatsache, dass Frauen und Freier Rechte haben, ist für sie allerhöchstens ein Störfaktor. Die Verfügung über ihre Menschenwürde steht allein der betroffenen Frau zu, da ist die Rechtsprechung eindeutig. Und die These kann nur als abenteuerlich bezeichnet werden, das Grundrecht auf freie Berufsausübung sei eingeschränkt insoweit, dass der gewählte Beruf "den Anspruch haben [muss], dass die eigene Würde nicht mit Füßen getreten wird", ansonsten, wenn dies nach Ansicht von Frau Dr. Bartels nicht der Fall ist, bestünde der Grundrechtsschutz nicht. Frau Dr. Bartels verletzt ihre Würde als ausgebildete Juristin und insoweit auch ihre Menschenwürde.

Es gibt bei den Abolitionist*_Innen die Konstruktion, jede Inanspruchnahme bezahlter sexueller Dienstleistungen sei sexuelle Gewalt gegen die Frau (die homosexuelle Prostitution unter Männern wird von diesen Personen stets unter den Tisch gekehrt) und deshalb kriminell oder wenigstens kriminalisierbar. Damit wird der Begriff der (stets verbietbaren) Gewalt umgebogen und missbraucht, denn im allgemeinen Verständnis kann keine "Gewalt" vorliegen, wenn das "Opfer" mit der beabsichtigen Handlung einverstanden ist. Aber wenigstens liegt hier ein (wenn auch grob untauglicher) Versuch vor, einen staatlichen Kontrollanspruch zu rechtfertigen, wenn zwei Menschen einvernehmlich miteinander sexuell verkehren wollen. Mit solchen Feinheiten hält sich Frau Dr. Bartels aber gar nicht erst auf.

Wer Duisburg kennt, weiß im übrigen, dass man gerade in der Duisburger Vulkanstraße sehr gut und ohne die von Frau Bartels imaginierten Missstände vollkommen menschenwürdig als Prostituierte arbeiten kann. Frau Dr. Bartels scheint das nicht bekannt zu sein. Ihr ist allerdings auch nicht bekannt, dass § 29 ProstSchG den Behörden ausdrücklich "zum Zwecke der Überwachung" ein Betretungsrecht während der Geschäftszeiten einräumt (unter Einschränkung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung), und ebenso, sollten (wie von ihr imaginiert) Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegen, auch außerhalb der Geschäftszeiten. Gerade dieser Punkt, die Ordnungsbehörden könnten ja keine Kontrollen durchführen, wurde seinerzeit (2016) ausdrücklich als Begründung für das ProstSchG angeführt. Frau Dr. Bartels lamentiert hier also, ohne sich über die rechtlichen Grundlagen ihrer Arbeit, also der Polizeiarbeit informiert zu haben. Für eine Ex-Polizeipräsidentin ein vernichtendes Bild.

Frau Dr. Bartels ist als Polizeipräsidentin seit 2021 pensioniert, nach diesem Auftritt hier würde man sagen: glücklicherweise. Auch vorher wurde sie schon heftig kritisiert: sie war auch im Zusammenhang mit den schweren Planungsfehlern der Duisburger Polizei bei der "Love Parade 2010" heftig und zu Recht angegangen worden, nachdem dieses Festival in einer Katastrophe mit vielen Toten geendet war.

P. S.: Es gibt natürlich ungeachtet des Obengesagten Verbesserungsmöglichkeiten für das ProstSchG. Ein Punkt, auf den im Gesetzgebungsverfahren von den Hurenverbänden vergeblich hingewiesen wurde, betrifft den Zeuginnenschutz. Das ProstSchG stellt für eine Prostituierte, die sich von ihrem Zuhälter trennen will, keine ausreichende Sicherheit bereit. Die Vorstellungskraft der Macher und Macherinnen dieses Gesetzes reichte nicht soweit, sich die Situation einer Prostituierten vorzustellen, die in dem Zwangsberatungsgespräch der Behördenmitarbeiterin eröffnet, einen Zuhälter zu haben. Ihr ist die Ausstellung der Meldebescheinigung zu verweigern, und damit wird sie weggeschickt. Das Gesetz verhält sich nebulös über "Maßnahmen", die von der Behörde zu veranlassen sind - wer wollte sich darauf verlassen?

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deernhh
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Re: TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von deernhh »

Danke für die Einstellung, lieber @Kasharius!

Und auch danke an unsere liebe @Mina Maiskolben für den ironischen Statement!

Und danke an unsere liebe @friederike für Deine klasse tolle Reputation zum Interview!
Du hast es super zerpflückt und es toll zur Sprache gebracht.
Hammer!!! Toll!!! Super!!! Perfekt!!!

Bin froh, dass Du bei uns im Forum bist!
Natürlich auch Zwerg, Mina Maiskolben, Eddy, Kasharius, certic, lust4fun, Lucille, Thorja ....
Aaach, einfach alle unsere tollen User*innen hier bei uns, kann alle nicht aufzählen, das würde ja den Rahmen sprengen ...

Liebe Grüße von deernhh

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Kasharius
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Re: TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von Kasharius »

Ach liebste @deernhh. :007

und @alle anderen. :023 :041

Kasharius grüßt

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friederike
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Re: TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von friederike »

:008 :008 :008 :008 :008 :008 :008 :008 :008 :008 :008 :008 :008

Ihr seid schon alle einfach klasse. Und zusammen sind wir alle einfach klasse ...

Boris Büche
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Re: TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von Boris Büche »


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friederike
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Re: TdF Interview zu Sexkauf-Verbot

Beitrag von friederike »

Seltsamerweise fehlen irgendwelche Repräsentanten der Stadt, der Bezirksregierung oder gar des Ministeriums. Es gab auch noch keinen Nachfolger oder Nachfolgerin, da es nicht gelungen war, sich rechtzeitig auf die betreffende Person zu einigen. Von der Möglichkeit, die Amtsinhaberin bis zur Nachfolgeregelung im Amt zu belassen, war kein Gebrauch gemacht worden.

Wie schon erwähnt, sah die Duisburger Polizei bei der Love Parade-Katastrophe 2010 alles andere als gut aus. Die Vorbereitung war schon ungenügend, die Einsatzleitung und Durchführung seitens der Polizei waren desaströs. Zur Erinnerung: bei der Love Parade 2010 kam es zu einer Massenpanik im Zugangsbereich, bei der über 20 junge Menschen erdrückt wurden und zu Tode kamen, über 650 Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer. Die Katastrophe wäre noch viel schlimmer gewesen, wenn tatsächlich so viele Besucher gekommen wären wie die Veranstalter erwartet hatten. Die Behörden hatten ein Gelände in der Nähe von Bahnanlagen vorgegeben, das viel zu klein und in jeder Hinsicht für eine solche Veranstaltung ungeeignet war. Größter Schwachpunkt waren die engen Zugangswege, die über längere Treppen und durch einen Tunnel führten; ich bin später an dem Gelände vorbeigefahren, man sieht von weitem: da geht so etwas nicht. Die Rollen und Verantwortlichkeiten konnten nie geklärt werden, auch nicht im späteren Strafverfahren gegen vier Mitarbeiter des Veranstalters und sechs Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Die Polizei blieb dabei unberücksichtigt. Die gesamte strafrechtliche Aufarbeitung blieb unbefriedigend. Der Oberbürgermeister, dem zwar keine organisatorische Aufgaben obgelegen hatten, musste die politische Verantwortung übernehmen. Er wurde durch einen Volksentscheid abgewählt.

Ein Beispiel für die schweren Fehler der Polizei, der die Sicherung der Ordnung obgelegen hatte: die Polizisten verständigten sich untereinander über öffentliche Mobiltelefone, nicht etwa über Polizeifunkgeräte. Als die Lage kritisch wurde, waren die lokalen Funkzellen sofort überlastet und der Verkehr brach zusammen, weil nun tausende Besucher anfingen zu telefonieren. Man hatte versäumt, die (technisch möglichen) Vorrangschaltungen für ein Netz-im-Netz zu aktivieren.

Ich denke, dass Frau Dr. Bartels bei ihrem Ausscheiden in Duisburg nicht mehr besonders populär war. Ich denke auch, dass sie sich als Aktivistin zurückhalten sollte. Zur fachlichen Kritik ihrer Statements habe ich ja schon etwas geschrieben.