Einblicke in die Gefühls- und Sexwelt eines Rollifahrers

Hier könnt Ihr Eure Erlebnisse und Eure Gedanken zum Thema "Sexarbeit mit behinderten Kunden" aber auch "behinderte SexarbeiterInnen" posten, oder Anregungen holen, wie man mit dem sicherlich sensiblen Themen umgehen kann bzw. soll.
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Walker
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Einblicke in die Gefühls- und Sexwelt eines Rollifahrers

Beitrag von Walker »

Ich möchte euch eine kleinen einblick in meine Welt der sexualität und gefühle geben.. auch wenn es nicht unmittelbar mit eurem Job zu tun hat. aber vielleicht hilft es ein wenig gehandikapte Menschen zu verstehn...

ich bin seit meinem motorradunfall an den rollstuhl gefesselt
Dadurch hat sich natürlich mein Leben sehr verändert. Lange Zeit stand erst einmal im Vordergrund, mein Leben neu zu ordnen.

Parallel dazu fing auch eine Auseinandersetzung mit meiner neuen körperlichen Situation an. Ich fühlte mich nicht mehr als Mann und nicht mehr begehrenswert. Als gehender war ich recht aktiv und erfolgreich bei der Frauenwelt.. Umgangssprachlich ein "Weiberer" und hatte nie Probleme Frauen kennenzulernen. Habe aber auch als gesunder schon die Angebote von Sexworkerinnen gerne in Anspruch genommen.. ich konnte nie genug bekommen...

Ich konnte mir keine Partnerschaft und keinen Sex mehr vorstellen. Wer sollte mich noch anfassen wollen?! Welche Frau würde mit einerm Krüppel zu tun haben wollen... In dieser Zeit suchte ich sehr nach Lektüre, die mir weiterhelfen sollte, doch ich fand sie nicht. Mir wurde klar, dass die nichtbehinderte Gesellschaft mich für meinen Mut und meine Kraft achteten, aber mir auch jegliche Regung in Richtung Partnerschaft und Sexualität absprachen.

Ich bekam es auch im engsten Freundeskreis zu spüren. Ich war in ihren Augen zum Neutrum geworden, zum Kumpel.

Ich hinterfragte mich sehr oft, ob es eine Projektion meiner Gedanken sei. Wahrscheinlich beides zu einem gewissen Teil. In jedem Fall war diese Haltung natürlich für mein Selbstwertgefühl auch nicht gerade förderlich.

Inzwischen ist viel Zeit vergangen. Ich kann mir eine Partnerschaft wieder vorstellen. Partnerschaft ist für mich eng mit Sexualiät gekoppelt. Denn für mich ist nur so eine erfüllte Sexualiät moeglich. Ich habe es auch anders versucht. Doch letztendlich dient es "nur" zur Triebbefriedigung welche ich natürlich brauche . Das ist mir auf Dauer zu wenig - ich brauche auch Zuneigung und Liebe nicht NUR Sex.

Auf verschiedene Wege lerne ich immer wieder Frauen kennen. Doch meist stellt sich sehr bald heraus, dass sie sich unterschätzt haben. Denn sie werden mit meiner Behinderung und den daraus resultierenden Problemen nicht fertig, bzw. möchten sich nicht näher damit befassen - was ich auch verstehen kann.

Dazu kommt, dass ich trotz behinderung selbstständig bin, und weiss was ich will. Es kann sein, dass ich meiner Umwelt manchmal zu stark erscheine. Das im Zusammenhang mit einer Behinderung scheint zu viel zu sein.

Früher gab ich oft viel meiner Persönlichkeit auf, um "geliebt" zu werden. Durch meine Biographie bin ich zum Glück sehr viel klüger geworden.

Trotzdem ist es schwer für mich, meinen Körper zu lieben, wenn einem das Gefühl ein ganz anderes Ideal eingibt. Aber ich denke, das ist eine lange Entwicklung dorthin und durchaus möglich.

Der Schlüssel zu guter Sexualität ist für mich in einem guten Gefühl für meinen Körper zu suchen. Anders ist das meines Erachtens nicht wirklich möglich. Doch das hat nun gar nichts mit einer Behinderung zu tun. Diese Einstellung täte "nichtbehinderten Menschen" auch ganz gut. Das Handicap macht vielleicht wahrhaftiger. Man muss sich viel näher einlassen. Sich über die Körperlichkeit hinwegsetzen.

Ich durfte diese Erfahrung vor einiger Zeit spüren. Ich lebte und erlebte nur den Augenblick. Und das machte mir meine innere Reife und die Möglichkeit bewusst. Wir leben doch als "Gesunde" meist eine ausgesprochen oberflächliche Sexualität die natürlich ihre berechtigung hat und ich leben sie auch.

Ich muss trotz allem immer meinen Körper und meine Bewegungen beim Sex kontrollieren so weit es geht. Das erschwert die Lage natürlich sehr. Aber es ist möglich und diese Möglichkeit sprach ich mir vor einiger Zeit noch ab, weil sie ausserhalb meines Vorstellungsfeldes war.

So das wars aus meinem Sexual und Gefühlsleben.. mir war danach und ich hoffe euch nicht gelangweilt zu haben

LG und auf die Liebe und den Sex
Rolli

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Lovara
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Beitrag von Lovara »

danke für den einblick, den du uns gegeben hast.

ich habe seit frühester kindheit immer wieder mit behinderten menschen, innerhalb meiner familie, zu tun. meine oma war blind und seit ca. 4jahren pflege ich meine mutter.
es is ned immer einfach.

als ich noch ein sehr sportlich aktiver junger knabe gewesen bin, is schon sehr lange her, trainierten wir einmal in strebersdorf auf der sportanlage der strebersdorfer schulbrüder.
mit uns, einer auswahl der wiener schulen, jaja so gut war ich einmal, waren auch einige behinderte anwesend.
auch diese trainierten damals auf dem gelände und so kahm es das sich ein rollstuhlfahrer zu uns gesellte und zum plaudern begann.

kurz gesagt er forderte uns zu einem wettlauf.
zuerst konnten wir uns das lächeln nicht verkneifen, als er uns aber um die ohren lief, besser gesagt fuhr, glaubten wir zu träumen.
wir haben damals noch öfters mit ihnen trainiert und sie zeigten uns wirklich unsere grenzen.
damals dachte ich es sei bewunderung die ich ihnen entgegenbrachte. heute weiß ich das es respekt war.
respekt gegenüber ihrer lebenseinstellung. respekt dafür das sie sich nicht aufgegeben haben und für ihre ziele die sie sich gesteckt haben, für mich übermenschliches, auf sich genommen haben.

ich will nicht sagen das ich mich in deine lage versetzen kann, geht ned, ich sehe es nur manchmal wie schwer vieles fällt, wenn ich mit dem rollstuhl meiner mutter, durch eine nicht behindertengerechte wohnung düse.
man kommt auf soviel sachen drauf, die für mich selbstverständlich sind, aber für einen behinderten unerreichbar.
lg LOVARA
es gibt nur wenige, die es ehrlich meinen

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Walker
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Beitrag von Walker »

ich habe gelernt das leben aus anderen winkeln zu betrachten.. und es ist wunderschön.. mein leben ist wunderschön.. mal von dem einen oder anderen problem abgesehen.. aber wer hat keine probleme..

natürlich sind jene auf sexueller ebene besonders schwierig da es sich ja um einen grundinstiknt handelt der sich nicht so einfach wegschalten läßt...

ich in dankbar das ich leben darf, und das ich mein leben in den griff bekommen hab. ich erfreue mich an dingen, die mir früher nicht mal aufgefallen wären.. ich sehe menschen anders, beurteile nicht mehr nur nach äußerlichkeiten.... statussymbole bedeuten mir nichts mehr..

und.. ich werde mich wieder aufs motorrad setzen.. ja ihr habt richtig gehört.. meine umgebaute beiwagenmaschine ist in arbeit ;)

mag für viele unverständlich klingen, da ich es ja einem motorrad verdanke das ich nicht mehr gehen kann.. trotzdem bedeutet es für mich freiheit und leben..

achja... zum thema sport... ich mach sehr viel.. und habs zu oberarmen gebracht von denen ich früher nur geträumt hab ;)... ihr seht man findet überall positives.. im moment bin ihc sehr positiv auch wenn ich weiß, dass wieder tage kommen werden wo es mir nicht gut geht..

so jetzt hör ich auf, will dieses forum nicht dazu vergewaltigen meinen gedankenmüll verarbeiten zu müssen ;) - ausserdem ist es ja weit weg vom thema dieses forums..

lg
Rolli

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Sonja
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Beitrag von Sonja »

Lieber rolli,
danke für deine Offenheit, deine Einstellung gefällt mir.
Würde dich gern mal kennenlernen! :002

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Walker
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Beitrag von Walker »

danke für die blumen sonja...

auch ich würd dich gern mal kennen lernen.. wer weiß vielleicht verschlägt es mich bald mal nach wien und es ergibt sich ein treffen :002

lg
Rolli

kali
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RE: Einblicke in die Gefühls- und Sexwelt eines Rollifahrers

Beitrag von kali »

lieber rolli,

bin neu in diesem Forum und habe gerade deinen Beitrag gelesen. Besonders schön fand ich folgende Sätze von dir:
Der Schlüssel zu guter Sexualität ist für mich in einem guten Gefühl für meinen Körper zu suchen. Anders ist das meines Erachtens nicht wirklich möglich. Doch das hat nun gar nichts mit einer Behinderung zu tun. Diese Einstellung täte "nichtbehinderten Menschen" auch ganz gut. Das Handicap macht vielleicht wahrhaftiger. Man muss sich viel näher einlassen. Sich über die Körperlichkeit hinwegsetzen.

Ich durfte diese Erfahrung vor einiger Zeit spüren. Ich lebte und erlebte nur den Augenblick. Und das machte mir meine innere Reife und die Möglichkeit bewusst. Wir leben doch als "Gesunde" meist eine ausgesprochen oberflächliche Sexualität die natürlich ihre berechtigung hat und ich leben sie auch.


Genauso empfinde ich das auch, die meisten Menschen sind total auf ihren Orgasmus fixiert und mit der Fixierung sind sie nie im Augenblick sondern immer in der Zukunft und ihnen entgeht dabei so viel an sinnlichen Erfahrungen, an Fühlen, Spüren, Erotik, und da macht es keinen Unterschied ob behindert oder nicht behindert. Ich finde das sehr schade, weil die sexuelle Energie dabei nicht wirklich frei fließt und die Empfindungen sehr eingeschränkt sind.

Fein dass du diese Erfahrung machen durftest.
Liebe Grüsse
Kali

thalon
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Beitrag von thalon »

Hallo Leute,

so, das ist nun mein allererster Beitrag hier im Forum. Danke, Rolli, und alle anderen für die interessanten Beiträge.

Ich bin selbst auch körperlich behindert (spinale Muskelatrophie, eine Art Muskelschwund) und als Mann bin ich natürlich ein sexuelles Wesen und lebe meine Körperlichkeit gerne aus und erlebe gerne alle Facetten der Sinnlichkeit. Natürlich ist Sexualität bei behinderten München anders, aber das macht es nicht weniger intensiv. Ich denke, ganz im Gegenteil. Ich setze mich sehr intensiv mit meinem Körper auseinander und erlebe diesem auch intensiv. Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich meinen Körper auch trotz seiner Einschränkungen mag und das ist die Hauptsache dabei, ein erfülltes Liebesleben zu haben.

Natürlich ist es nicht ganz so einfach, eine entsprechende Partnerin zu finden. Aber ich hatte auch schon 7 Jahre lang eine Beziehung und wir hatten natürlich auch Spaß im Bett miteinander;-) (wäre auch komisch, wenn nicht)

momentan bin ich allerdings wieder Single und nutze auch an und wann die Angebote der Sexualbegleitung. Allerdings gibt es hier in meinem Ort (Koblenz) keine derartigen Angebote und ich habe leider die Feststellung gemacht, dass "normale" Prostituierte oft Berührungsängste haben und/oder die Location nicht barrierefrei ist.

So bin ich dann zu diesem Forum gekommen.

Liebe Grüße
- Chris

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Zwerg
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Beitrag von Zwerg »

Hallo Chris!

Willkommen auf sexworker.at! Fühle Dich wohl bei uns

Christian

thalon
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Beitrag von thalon »

Danke, Christian;-)

vielleicht könnt ihr mir aber auch schon einen Tipp geben. Denn ich möchte Kontakte zu Sexworkerinnen in meiner Umgebung knüpfen, die Interesse an Sexualbegleitung haben. Wie könnte ich das am geschicktesten machen? Bin für jeden Hinweis dankbar:-)

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Zwerg
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Beitrag von Zwerg »

Ich bin zwar nicht der große Freund des Erotik Forums... aber auf http://www.erotikforum.at könntest Du vielleicht fündig werden. Ein kleiner Tipp: Oft ist es von Vorteil NICHT den gleichen Usernamen in allen Foren in welchen man postet zu verwenden - aber diese Entscheidung musst Du selbst treffen - ich will nur anregen, dass Du Dir vor eine Registrierung darüber Gedanken machst.

Christian

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ohLeonie
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Beitrag von ohLeonie »

@walker

Nun bin ich doch seinerzeit sehr häufig und intensiv hier im Forum unterwegs gewesen.

Und muß jetzt - eher durch Zufall, weil der Thread wieder aktualisiert wurde - den obigen Beitrag finden.

Ich muß gestehen, daß mir beim Durchlesen deiner Worte mehr als einmal eine Gänsehaut den Rücken herunter gelaufen ist, und möchte mich bei dir bedanken, daß du uns (bzw. in diesem Falle mir) solch einen ehrlichen Einblick in deine Gedanken- und Gefühlswelt gewährt hast.

Nun kann ich mir auch ein wenig mehr zu Rolli bzw. Walker vorstellen, was mir häufig schwer gefallen ist. Aber diese Feststellung hatten wir ja schon in einem anderen Thread...

Da ich selbst mittlerweile nur mehr als selten hier ins Forum schaue, weiß ich nicht, ob du derzeit häufiger vertreten bist, was du derzeit machst, wie es dir geht.

Aber ich wünsche dir von ganzem Herzen, daß es dir derzeit gut geht, du mit dir weiterhin und hoffentlich immer besser im Reinen bist und vielleicht ja sogar mittlerweile eine Partnerin gefunden hast, die dir das Wasser reichen kann...



Mit den allerbesten Grüßen
von leonie

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Walker
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Beitrag von Walker »

danke ohleonie mir gehts bestens ;)
bei mir hat sich ja gottlob alles zum guten gewendet und ich komme mit viel training sehr gut zurecht....

ich bin noch sehr oft hier, beruflich hat es mich im moment nach deutschland verschlagen.
wäre toll wenn wir dich wieder öfter hier begrüßen könnten und du wieder mehr schreibst

lg
walker

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annainga
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RE: Einblicke in die Gefühls- und Sexwelt eines Rollifahrers

Beitrag von annainga »

Das Schicksal ist doof
Von Feldenkirchen, Markus

Philippe Pozzo di Borgo, dessen Geschichte in "Ziemlich beste Freunde" verfilmt wurde, und Samuel Koch, der bei "Wetten, dass, ... ?" verunglückte, diskutieren ihre Einsamkeit und ihre Sehnsüchte und erzählen Behindertenwitze.

Am Vorabend die erste Begegnung der beiden in einem Münchner Hotel. Samuel Koch und Philippe Pozzo di Borgo haben sich zum Essen verabredet, nebenbei läuft das Fußballspiel Deutschland gegen Italien. Sie reden viel, lachen miteinander, haben sich eine Menge zu sagen - trotz des Altersunterschieds von 37 Jahren und trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft. Zwei Männer, denen das Schicksal den gleichen herben Schlag versetzt hat.

Philippe Pozzo di Borgo, 61, dessen Autobiografie die Vorlage für den Kinohit "Ziemlich beste Freunde" lieferte, entstammt dem alten französischen Adel und wurde, wie er sagt, "mit einem silbernen Löffel im Mund geboren". Als Sprössling der Herzöge Pozzo di Borgo und der Marquis von Vogüé wuchs er in Schlössern und Herrenhäusern auf. Er besuchte die besten Schulen Frankreichs und arbeitete zunächst als Manager bei Moët & Chandon, später als Geschäftsführer der ebenso berühmten Marke Pommery. Ein Champagner-Leben.

Koch, 24, war von klein auf ein Bewegungsfreak, begann mit sechs Jahren mit dem Leistungsturnen, später gab es kaum eine Sportart, die er ausließ, auch Bungee-Jumping probierte er aus. Kurz bevor Koch am 4. Dezember 2010 in der Sendung "Wetten, dass …?" mit dem Kopf gegen das Dach eines Autos prallte, hinter dessen Steuer sein Vater saß, hatte er den Plan für sein Leben gefunden.

einige stellen aus dem interview:

SPIEGEL: Was können Sie Samuel mit Ihrer fast 20-jährigen Erfahrung als Gelähmter noch vermitteln?
Pozzo di Borgo: Ach, ich glaube, Samuel muss ich gar nichts groß vermitteln. Viel lieber würden wir Ihnen etwas vermitteln, Ihnen und allen anderen Nichtbehinderten.
SPIEGEL: Nur zu.
Pozzo di Borgo: Ich finde, dass nicht nur wir Behinderte freundlich sein sollten. In Wahrheit sind alle Menschen voneinander abhängig, wir brauchen uns alle gegenseitig. Wenn die Nichtbehinderten ebenfalls freundlicher wären, zu uns, aber auch untereinander, dann wäre die Welt angenehmer. Freundlichkeit tut allen gut.

"In unserer Gesellschaft rangieren Werte wie Jugend und Leistungsfähigkeit, Sportlichkeit, Dynamik sehr, sehr hoch. Deshalb ist es für viele Menschen schwer zu ertragen, dass wir so verlangsamt sind, dass wir so wenig reagieren können. Die Leute haben Angst vor uns. Das Einzige, was uns bleibt, ist, sie zu verführen, mit dem Lächeln, das wir haben, mit unserem Humor. Wenn der Kontakt einmal hergestellt ist, dann ist der Weg frei. Berührt uns!"

"Der Humor ist auch ein Werkzeug. Wissen Sie, ich habe ständig Angst, dass man mich in meiner Ecke allein sitzen lässt. Da ich Sie mit meiner Körperkraft nicht mehr dazu bringen kann, mir zu helfen, bringe ich Sie eben zum Lachen - spätestens dann werden Sie sich um mich kümmern. Die Flucht in den Humor ist auch eine pragmatische Art, mit unserer Situation umzugehen. Und sie ist besser für alle Beteiligten."

Koch: Die meisten Leute können sich natürlich nicht vorstellen, wie man sich fühlt mit solch kaputten Gliedmaßen, die nur noch herumhängen, oder wie es ist, umzufallen wie ein haltloser Turm. Parabeln oder Metaphern können helfen, anderen zu vermitteln, wie eklig oder grausam die Lage sein kann.

Pozzo di Borgo: Das ist die wichtige Botschaft, die Samuel und ich haben. Man kann sich selbst aus der misslichsten Lage herausbefördern, wenn man sein Schicksal klar benennen kann, wenn man es also angenommen hat. Aber nur dann.

Koch: In Gesellschaft zu sein ist eine lebenserhaltende Maßnahme für uns. Deshalb ist es so wichtig, dass die Leute keine Angst vor uns haben, sondern gern auf uns zukommen. Umarmen und küssen zum Beispiel hält uns am Leben. Die Voraussetzung dafür müssen wir jedoch selbst schaffen. In der Klinik wurde mir gesagt, dass es nun drei Möglichkeiten der Entwicklung gebe. Erstens, dass man sich vollkommen gehenlässt, jede Lust verliert, nur noch das Elend sieht, sich isoliert und schließlich vereinsamt. Die zweite Variante sah so aus: Die Notwendigkeit, alles ständig kommunizieren zu müssen, könne leicht zu einem Diktieren führen, was einen irgendwann zum Tyrannen macht, wodurch man schlussendlich auch vereinsamt. Der dritte Weg klang am besten: Man muss sich so annehmen, wie man ist, und dadurch glücklich werden.

SPIEGEL: Wir leben in einer nervösen Zeit der ständigen Beschleunigung. Schließt dieses Tempo Sie, die Langsamen, aus?
Koch: Vielleicht bilden wir eher das Gegengewicht auf der Waage und dienen der Entschleunigung.

[...]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87347263.html

http://www.youtube.com/watch?v=Bhdd2yy5JZM

http://www.amazon.de/Samuel-Koch-Leben- ... 085&sr=8-1