Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt

Hier könnt Ihr Eure Erlebnisse und Eure Gedanken zum Thema "Sexarbeit mit behinderten Kunden" aber auch "behinderte SexarbeiterInnen" posten, oder Anregungen holen, wie man mit dem sicherlich sensiblen Themen umgehen kann bzw. soll.
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Kasharius
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Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt

Beitrag von Kasharius »

Sexualisierte Gewalt zieht sich zunehmend und sichtbar durch alle Lebensbereiche und Kulturen. Vor diesem Hintergrund hat die Landeskommission Berlin gegen Gewalt auf ihrer 70. Sitzung am 18. Juni 2012 beschlossen, ein ressort- und institutionenübergreifendes Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt einzurichten. Die Federführung für dieses bundesweit erste Netzwerk wurde der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales übertragen.

Vorrangiges Ziel ist es, eine bessere gesundheitliche und psychosoziale Versorgung der Betroffenen sicherzustellen.

Auf den folgenden Seiten erhalten Sie einen Überblick über die Besetzung der jeweiligen Ad-Hoc-Arbeitsgruppen, die ab Oktober 2012 bedarfsgerecht eingesetzt und zeitlich befristet arbeiten werden. Die in den jeweiligen Ad-Hoc-Arbeitsgruppen erzielten Ergebnisse sollen in die Erstellung eines integrierten Maßnahmenplans einfließen.

Ziel ist es, den von der Landeskommission Berlin gegen Gewalt bereits ermittelten Handlungsbedarf im Zusammenhang mit dem Themenkomplex sexuelle Gewalt unter besonderer Berücksichtigung der Empfehlungen des Runden Tisches der Bundesregierung fachlich zu diskutieren und begründet aufzuzeigen, wie der ermittelte Handlungsbedarf realisiert werden kann. Die erzielten Ergebnisse sollen bereits in der nächsten Plenumssitzung präsentiert werden.

Um den Umgang mit Fällen sexueller Gewalt zu verbessern und Betroffenen schnellen Zugang zu geeigneten Therapien zu ermöglichen, hat der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs gemeinsam mit seinem Fachbeirat einen Forderungskatalog erarbeitet und im ersten Hearing „Gesundheit von Betroffenen – Bessere Versorgung und Behandlung“ am 18. Oktober 2012 an die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsgremien und -personen weiter gegeben.

Die jeweiligen Ad-Hoc-Arbeitsgruppen können auch selbst Initiativen ergreifen und das Plenum über wichtige Anliegen unterrichten.

Termine werden durch die Ad-Hoc-Arbeitsgruppen in enger Abstimmung mit der jeweiligen Leitung
der Ad-Hoc-Arbeitsgruppen eigenverantwortlich festgelegt und auf den jeweiligen Seiten veröffentlicht.

Die Mitglieder der einzelnen Ad-Hoc-Arbeitsgruppen rekrutieren sich im Wesentlichen aus dem Plenum.

Wenn Sie Interesse haben, in einer Ad-Hoc-Arbeitsgruppe mitzuwirken,
dann nehmen Sie Kontakt zu uns auf.
Leitung

Matthias Vernaldi (Bündnis f. selbstbest. Leben behind. Menschen)
im Tandem mit Detlef Kolbow (SenGesSoz)

Beteiligte (Name/Organisation)

Beate Ender Mobilität für Behinderte
Sabine Fries Gehörlosenverband Berlin e.V.
Thomas Geißler Gehörlosenverband Berlin e.V.
Stefan Kretzschmar Diakonisches Werk
Iris Hölling Wildwasser
Christine Hoferer Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt
Sigrid Richter-Unger KiZ
Dagmar Riedel-Breidenstein Strohhalm
Martina Schröder (punktuell) Berliner Netzwerk Frauengesundheit
Karin Wieners (punktuell) S.I.G.N.A.L.

Termine

22.10.2012 um 16:00 Uhr
05.12.2012 um 16:15 Uhr
http://www.berlin.de/sen/gesundheit/ges ... en/ag3.php

Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt
Ad-Hoc AG 3 – Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen
1. Sitzung am 22. Oktober 2012
Anwesend: s. Teilnehmerliste
TOP 1 Begrüßung und Vorstellung der Teilnehmer
Nach Begrüßung der Anwesenden und einer kurzen Vorstellungsrunde der Teilnehmer
wurde von den Beteiligten nochmals auf Notwendigkeit der Ad-Hoc-AG 3 hingewiesen, da
das Problem der sexuellen Gewalt ein sehr spezielles ist, das eine ausführliche Bearbeitung
durch Betroffene erfordert. Dies ist im Rahmen der anderen Ad-Hoc-AGs nicht zu leisten. Es
herrschte jedoch Konsens darüber, dass ein Austausch mit anderen Ad-Hoc-AGs wichtig ist.
Zudem sollen Personen in die AG integriert werden, die über Erfahrung mit Einrichtungen
verfügen. Einzig Frau Gregorschewski hat angekündigt, in die Ad-Hoc-AG 2 zu wechseln.
TOP 2 Planung der anstehenden Aufgaben und Arbeitsschritte inkl. Zeitschiene
Herr Vernaldi merkt an, dass Frau Winkler von ProFamilia zukünftig an den AG-Sitzungen
teilnehmen sollte, da sie in der Sexualberatung von Menschen mit geistiger Behinderung
tätig ist. Dagegen erheben sich keinerlei Einwände.
Frau Ender berichtet, dass Menschen in Einrichtungen „ausgeliefert“ sind und dass auch
Übergriffe unter den Bewohnern selber stattfinden. Umso höher die Abhängigkeit, umso
wahrscheinlicher ist Missbrauch, daher sollten Möglichkeiten gefunden werden, die
Abhängigkeit zu senken.
Frau Fries und Herr Geißler berichten über die Probleme im Zusammenhang mit sexueller
Gewalt in der Gehörlosengemeinde und fordern, dass Sexualunterricht auch in
Gebärdensprache stattfinden sollten. Zudem sind mehr Informationen innerhalb der
Gehörlosengemeinde notwendig, da auch der Missbrauch untereinander ein Problem
darstellt. In mehreren Sprachen vorliegende Information sollten auch in Gebärdensprache
verfügbar sein (Beispiel Hotline Kinderschutz).
Als oberstes Ziel ist die Entwicklung einer Rechtsnorm zum Themenkomplex sexuelle
Gewalt angedacht.

TOP 3 Terminabstimmung
Die nächste Sitzung wird am Mi, 5.12.2012 um 16:15 Uhr in der Senatsverwaltung für
Gesundheit und Soziales zum Thema „Einrichtungen“ stattfinden. Es ist angedacht, Frau
Winkler von ProFamilia einzuladen, da sie bereits ein Papier zu diesem Thema erstellt hat.
Herr Vernaldi schlägt vor, die Sitzung zu verschieben, sollte Frau Winkler eine Teilnahme an
diesem Tag nicht möglich sein.
Protokoll: Christine A. Hoferer


http://www.berlin.de/imperia/md/content ... 012_bf.pdf

Wer aus dem SW-Bereich Interesse hat, sollte da unbedingt mitmachen - finde ich!

Kasharius grüßt

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Jupiter
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RE: Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt

Beitrag von Jupiter »

Ich finde es sehr traurig, dass hier der Focus ausdrücklich auf "sexuelle Gewalt" eingeschränkt wird.

Ich bin grundsätzlich gegen jegliche Anwendung von Gewalt. Dabei geht es ja gerade um einen Gesetzentwurf, welcher es möglich machen soll, eine Therapie gegen den Willen des Betroffenen (also per Gewalt) durchzuführen.

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@Jupiter

...aber gerade diese AG und die Teilnahme von Matthias Vernaldi und Beate Ender - beide sind mir persönlich bekannt - bieten die Gewähr dafür, daß auch über sexuelle Selbstbestimmung in Einrichtungen als Mittel gegen dort auch zu beklagende Übergriffe diskutiert wird.

Matthias Vernaldi, Stephanie Klee und ich bereiten ja auch eine Fachtagung Ende Juni hier in Berlin zum Thema Sexualität in Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe vor.

Kasharius grüßt und wünscht Dir und allen einen schönen Dritten Advent

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Aoife
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Beitrag von Aoife »

Ich sehe die gute Absicht - würde mich aber deutlich wohler fühlen, wenn schon der Name, der ja wohl Programm ist, "für sexuelle Selbstbestimmung" anstelle von "gegen sexuelle Gewalt" lauten würde.

Gerade die Diskussion um die von manchen Kräftern erwünschte Kriminalisierung der Prostitution zeigt doch, wie gerne auch nur in junk science existierende "Gewalt" dafür herhalten muss die Mißachtung der Selbstbestimmung plausibel erscheinen zu lassen.

Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
Misspellings are *very special effects* of me keyboard

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Beitrag von Jupiter »

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Kasharius hat geschrieben:Matthias Vernaldi, Stephanie Klee und ich bereiten ja auch eine Fachtagung Ende Juni hier in Berlin zum Thema Sexualität in Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe vor.
O.K. dann hoffe ich, dass ihr den augenblicklichen Gesetzentwurf noch stoppen könnt (Behandlung in der Behindertenhilfe gegen den Willen des Betroffenen).

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

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RE: Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt

Beitrag von Kasharius »

@Jupiter,

na ob unser Arm soweit reicht...?! Aber wir tun unser bestes.

Hier mal die Stellungnahme der Monitoringsstelle zur UN-Behindertenrechtskonvention bezüglich des von Dir erwähnten Gesetzentwurfes; ich nehme an Du meinst den...:


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1
Stellungnahme
der Monitoring-Stelle
zur UN-Behindertenrechtskonvention
anlässlich der Öffentlichen Anhörung am Montag, den 10. Dezember 2012,
im Rahmen der 105. Sitzung des Rechtsausschusses


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention (Monitoring-Stelle) begrüßt die
parlamentarische Entscheidung des Rechtsausschusses zusammen mit dem
Gesundheitsausschuss, auf der Grundlage des Gesetzentwurfes der Fraktionen CDU / CSU
und FDP „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in
eine ärztliche Zwangsmaßnahme“ (BT-Drucksache 17/11513 vom 19.11.2012) am 10.
Dezember 2012 von 11:00-14:00 Uhr eine Öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag
durchzuführen.
Wir halten die intensive parlamentarische Diskussion über die Gewährleistung von
Menschenrechten im Zusammenhang der psychiatrischen Versorgung in Deutschland für
zwingend erforderlich und nehmen daher auf dem Schriftwege an dieser Stelle wie folgt
Stellung:
Die Monitoring-Stelle empfiehlt, hinsichtlich des oben genannten Gesetzentwurfes in
der veränderten Fassung gemäß dem „Änderungsantrag der Fraktionen der CDU /
CSU und der FDP – Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen
Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme“ (Rechtsausschuss,
Ausschussdrucksache Nr. 17(6)222 vom 7. Dezember 2012) dem Plenum zu
empfehlen, den Gesetzesentwurf abzulehnen und zu entscheiden, dem Thema
Menschenrechte und Psychiatrie durch einen intensiven parlamentarischer Prozess
mehr politische Aufmerksamkeit zu geben. Im selben Zuge sollte die
Bundesregierung aufgefordert werden, einen transparenten und partizipativen
Arbeitsprozess über die Fortentwicklung des Systems der psychiatrischen
Versorgung in Deutschland (Psychiatrie-Reform) zu organisieren.
Partizipationsverpflichtung nicht erfüllt
· Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNBehindertenrechtskonvention,
UN-BRK) verpflichtet dazu, Menschen mit
Behinderungen und die sie vertretenen Verbände und Organisationen in die
Ausarbeitung von Gesetzen und politischen Konzepten mit einzubeziehen (Artikel 4
Absatz 3 UN-BRK). Dies gilt insbesondere bei menschenrechtlich intensiven
Regelungen und gesellschaftspolitisch hoch umstrittenen Regelungsbereichen. Eine


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2
durch die Bundesregierung transparent organisierte fachliche Diskussion auf der
Basis rechtzeitiger Information unter Einschluss der entscheidenden Akteure,
einschließlich der Gruppe der Psychiatrie-Erfahrenen, den Nutzerinnen und Nutzern
der Psychiatrie und ihrer Angehörigen, hat vor Einleitung des
Gesetzgebungsverfahrens nicht stattgefunden. Die heutige Anhörung ist nicht
hinreichend, um für den vorliegenden Regelungsbereich die
Partizipationsverpflichtung der UN-BRK zu erfüllen.
Zweifel an der Menschenrechtskonformitäweifel Menschenrechtskonformität
· Es bestehen schwerwiegende Bedenken, ob der Gesetzesvorschlag, auch in der
veränderten Fassung vom 7. Dezember 2012, mit den Vorgaben der UNBehindertenrechtskonvention
in Einklang steht. Die Regelung zielt darauf, sich über
den natürlichen Willen der betroffenen Person hinwegsetzen zu können und an die
Stelle der persönlichen Entscheidung die Entscheidung Dritter zu setzen – eine so
genannte ersetzende Entscheidungsfindung („substituted decision-making“). Im
Lichte der aktuellen menschenrechtlichen Diskussion, wie sie auch in Studien des
UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (UN Doc. A/HRC/10/48 vom 26. Januar
2009) und in der Auslegungspraxis des UN-Fachausschusses für die Rechte von
Menschen mit Behinderungen im Zusammenhang der gesundheitlichen Versorgung
von Menschen mit Behinderungen Ausdruck findet, ist der Ansatz, wonach eine
psychiatrische Behandlung ohne freie und informierte Zustimmung der betroffenen
Person, allein legitimiert über die Entscheidung Dritter vorgenommen werden soll,
menschenrechtlich in Frage gestellt.
Vorrang einer Prüfung und Fortentwicklung der psychiatrischen Versorgungsstrukturen
· Bevor über die Wiedereinführung der Zwangsbehandlung im Lichte der
internationalen Entwicklungen nachgedacht werden kann, sollte vorrangig eine
Prüfung und Fortentwicklung des Systems der psychiatrischen Versorgung auf der
Basis der Menschenrechte rasch und entschlossen vorgenommen werden. Selbst
wenn man die eben dargestellten Zweifel an der menschenrechtlichen Zulässigkeit
der vorgeschlagenen Regelung bei Seite lässt, ist für die bessere Gewährleistung der
Rechte von Menschen in psychosozialen Krisen auf Grundlage der Freiwilligkeit und
assistierten Autonomie wenig erreicht, wenn lediglich eine veränderte
Rechtsgrundlage an die Stelle der alten gesetzt wird, und das System der
psychiatrischen Versorgung in die alten Muster zurückfällt. Die Frage isoliert und
unabhängig von den Rahmenbedingungen zu betrachten, welcher Umgang mit
Menschen in psychosozialen Krisen gesellschaftlich gefunden werden sollte, wie mit
der Gesetzesinitiative beabsichtigt, würde den menschenrechtlichen
Herausforderungen keinesfalls gerecht.

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3
Hintergrund
1. Deutschland hat die internationalen Menschenrechte in ihrer hervorgehobenen
Stellung im Grundgesetz anerkannt (Artikel 1 Absatz 2 GG); es ist damit verpflichtet,
die in menschenrechtlichen Übereinkommen der Vereinten Nationen verbrieften
Rechte in ihrer normativen Ausdifferenziertheit zu achten, zu schützen und zu
gewährleisten. Die durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention; UN-BRK) und die aktuellen
Wissensbestände über die Praxis des Systems der psychiatrischen Versorgung (im
Folgenden „Psychiatrie“ oder „psychiatrische Versorgung“) machen eine neue
gesellschaftliche Verständigung darüber erforderlich, dass die Menschenrechte zu
den Grundlagen der Psychiatrie in Deutschland gehören. Die psychiatrische
Versorgung muss auf der Basis der Menschenrechtsträgerschaft der Patienteninnen
und Patienten weiterentwickelt werden, wobei der Grundsatz der Freiwilligkeit und der
assistierten Autonomie handlungsleitend sein müssen. Anlass zu dieser Forderung
gibt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 2 BvR 882/09
vom 23. März 2011).

2. Zu den Menschen mit Behinderungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention
gehören Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose, mit psychischen Störungen
oder auch einer psychosozialen Behinderung. Sie haben bis heute mit einer enormen
gesellschaftlichen Stigmatisierung zu kämpfen. Im Vergleich zu den anderen sehr gut
organisierten, hoch angesehenen, finanzstarken, professionell vernetzten
gesellschaftlichen Kräften (wie den berufsbezogene Fachgesellschaften,
Wirtschaftsunternehmen, Dienstleistungsträger, Versicherungen etc.), die teilweise
einen privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern in Anspruch
nehmen, stehen die schwach aufgestellten Selbsthilfe- und
Betroffenenorganisationen (einschließlich der Angehörigen) einer relativen
Übermacht gegenüber. Ein Teil der betroffenen Personengruppe verliert nach dem
Bundeswahlgesetz sein Wahlrecht (siehe § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWahlG;
entsprechende Ausschlüsse existieren in den Ländergesetzen) und ist damit sogar
als Wählergruppe von einem zentralen Vorgang der politischen Mitbestimmung
ausgeschlossen. In psychischen Krisensituationen befinden sich betroffene
Einzelpersonen in menschenrechtlich äußerst vulnerablen Situationen. Schon allein
diese Gesichtspunkte machen eine eingehende (und immer wieder neu zu führende)
politische Auseinandersetzung über die Gewährleistung von den Menschenrechten in
der Psychiatrie notwendig.
3. Im Zusammenhang der psychiatrischen Versorgung ist eine Reihe von
Menschenrechten im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention angesprochen,
etwa das „Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht“ (Artikel 12 UN-BRK);
„Zugang zu Recht“ (Artikel 13 UN-BRK); „Freiheit und Sicherheit“ (Artikel 14 UNBRK);
„Freiheit vor Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Strafe“ (Artikel 15 UN-BRK); „Unversehrtheit der Person“ (Artikel
17); „Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“ (Artikel 19
UN-BRK); „Zugang zu Informationen“ (Artikel 21 UN-BRK) und das „Recht auf
Gesundheit“ (Artikel 25 UN-BRK). Hinzu treten das Diskriminierungsverbot auf Grund
von Behinderung (Artikel 5 UN-BRK), einschließlich „angemessener Vorkehrungen“
(Artikel 2 UN-BRK) sowie die menschenrechtlichen Prinzipien der assistierten

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Selbstbestimmung, der Partizipation und Inklusion (Artikel 3 UN-BRK). Die in der UNBRK
propagierte Selbstbestimmung und Unterstützung (Assistenz) zu einer
rechtlichen Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen, ist ein individuelles
Recht; es muss in der Praxis aufgegriffen und verwirklicht werden. Die völkerrechtlich
verbindliche Eingrenzung von Macht durch diese menschenrechtlichen
Verpflichtungen gilt primär für den Staat und die Politik; die staatliche Verpflichtung
zur Kontrolle gesellschaftlicher, nichtstaatlicher Akteure leitet sich aus der
menschenrechtlichen Schutzpflicht ab. Die Menschenrechte begründen für die
anderen gesellschaftlichen, nichtstaatlichen Akteure eine menschenrechtliche
Verantwortung.

4. Der international zur Auslegung der UN-BRK berufene Ausschuss, der UNFachausschuss
für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRKAusschuss),
lässt in seiner Auslegungspraxis der zum Thema psychiatrische
Versorgung einschlägigen menschenrechtlichen Bestimmungen die klare Tendenz
erkennen, dass das Kriterium der Freiwilligkeit ohne Einschränkung zu beachten ist
(siehe dazu im Anhang die deutsche Übersetzung der einschlägigen Passagen der
Schlussbemerkungen in Bezug auf die Berichte Tunesiens, Spaniens, Perus,
Argentiniens, Ungarn und Chinas). Mit den abschließenden Bemerkungen
(„Concluding Observations“) schließt der Fachausschuss Prüfungsverfahren der
Staatenberichte ab. In der Zusammenschau dieser Darlegungen wird bislang nicht
erkennbar, dass der UN-BRK-Ausschuss eine Ausnahme von der Freiwilligkeit der
Behandlung erlaubt oder eine einschränkende Differenzierung, etwa in der Gestalt
der „krankheitsbedingten Nichteinsichtsfähigkeit“, zulässt. Das menschenrechtliche
Kriterium Freiwilligkeit ist sowohl im Einzelfall als auch als Systementwicklungsziel zu
beachten. Darüber hinaus stellt seine Auslegung die betreuungsrechtlichen
Regelungen in Bezug auf die Zwangsbehandlung zusätzlich in Frage, weil eine
Entscheidung Dritter, beziehungsweise die Mitwirkung an einer Entscheidung – die
ersetzende Entscheidungsfindung („substituted decision-making“) – jedenfalls in hoch
sensiblen menschenrechtlichen Bereichen, menschenrechtlich bedenklich ist.
Angemerkt sei, dass in Bezug auf das deutsche Betreuungsrecht (in Blick auf die
Abkehr vom Vormundschaftsrecht eine große Errungenschaft) die Diskussion geführt
werden muss, ob das Betreuungsverhältnis nicht schon auf Grund seiner Zielrichtung
allein frei von Zwangsbefugnissen gehalten werden sollte, um zu erreichen, dass die
Betreuenden auch in den Situationen der psychosozialen Krisen ihrer Betreuten die
Schlüsselrolle als Rechtsgewährsperson erfüllen können und nicht gezwungen
werden, auf die Seite derer zu wechseln, die in die Rechte eingreifen.

5. Für Deutschland gibt es derzeit keine belastbaren Zahlen darüber, wie viele
Menschen in Deutschland ohne freie und informierte Zustimmung behandelt wurden
(vgl. Antwort der Bundesregierung; Drucksache 17/10712 vom 17.09.2012). Die
Anzahl insbesondere der ärztlichen Zwangsbehandlungen (pharmakologische
Behandlung, Fixierung und Isolierung) pro Jahr ist unbekannt; es gibt lediglich
Schätzungen. Ein Überblick über die bundesweite Anzahl der gerichtlichen
Entscheidungen, mit denen sich Betroffene zur Wehr setzen, fehlt. In Bezug auf
zwangsweise Unterbringung auf der Grundlage von Bundes- und Landesrecht
überraschen nicht nur die hohen Zahlen von zirka 135.000 Unterbringungen in 2011,
sondern auch die extrem starken Abweichungen zwischen den einzelnen
Bundesländern (vgl. Antwort der Bundesregierung; Drucksache 17/10712 vom

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17.09.2012). Diese Informationen und der Umstand, dass weder eine Dokumentation
über die Anzahl der Grundrechtseingriffe durch ärztliche Zwangsbehandlung existiert,
noch dass seit Inkrafttreten des UN-BRK für Deutschland im Jahr 2009 hinreichende
wissenschaftliche Untersuchungen dazu in Auftrag gegeben worden sind oder
wirksame Schritte zur Vermeidung und Reduktion unternommen worden sind,
indiziert, dass strukturelle menschenrechtliche Defizite – allein im Blick auf die
Datenlage und der allgemeinen Kontrolle jenseits des gerichtlichen Rechtsschutzes –
im Bereich der psychiatrischen Versorgung existieren. Die UN-BRK verpflichtet die
Staaten in Artikel 31 ausdrücklich dazu, die relevanten Daten und Informationen zu
sammeln.

6. Die UN-Behindertenrechtskonvention geht davon aus, dass alle Menschen mit
Behinderungen „Rechts- und Handlungsfähigkeit“ genießen (Artikel 12 Absatz 2 UNBRK).
In Verbindung mit dem Recht auf Gesundheit (Artikel 25 UN-BRK) bedeutet
dies das Recht, in Fragen individueller gesundheitlicher Angelegenheiten in allen
Fällen eine „freie und informierte Entscheidung“ über die eigenen gesundheitlichen
Belange treffen zu dürfen, insbesondere darüber, ob und wenn ja, welche Therapie
angewendet wird. Die im deutschen Verfassungsrecht anerkannte Figur der „Freiheit
zur Krankheit“ ist genau in diesem Kontext zu verorten; die menschenrechtlichen
Regelungen gehen wohl darüber hinaus. Weder der Wortlaut des Artikels 12 UN-BRK
über die gleiche rechtliche Handlungsfähigkeit noch die Auslegungspraxis des UNBRK-
Ausschusses lassen derzeit den Schluss zu, dass die rechtliche
Handlungsfähigkeit auf Grund einer Behinderung eingeschränkt werden darf. Im
Rahmen der internationalen Verhandlungen zur Schaffung der UN-BRK hat man sich
bewusst dagegen entschieden, ein entsprechendes Kriterium zur Einschränkung
beziehungsweise zur Bestimmung der Einschränkbarkeit aufzunehmen. Das Konzept
der „krankheitsbedingten Nichteinsichtsfähigkeit“ findet also im Wortlaut der UNBehindertenrechtskonventionen
selbst keinen Halt. Darüber hinaus ist sie fachlich
hochgradig instabil, weil handhabbare Kriterien bislang nicht zu finden sind, zwischen
Einsichtsfähigkeit und Nichteinsichtsfähigkeit zu unterscheiden und gleichzeitig die
Unsicherheiten und Grauzonen auszuschließen und eine einheitliche Praxis zu
gewährleisten. Vielmehr besteht nach Artikel 12 UN-BRK die Verpflichtung, die
Unterstützung („support“) für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, sie in
die Situation zu bringen, selbst frei und informiert zu entscheiden – die unterstützende
Entscheidungsfindung („supported decision-making“). Diese anspruchsvolle Form der
Unterstützung im Sinne von Assistenz darf weder über die gesetzliche Vertretung,
geschweige denn über die zwangsweise durchgesetzte Entscheidung, die Dritte für
eine betroffene Person getroffen haben, ersetzt werden.

7. In Anbetracht des oben beschriebenen Interpretationsansatzes durch den UN-BRKAusschuss
wird die Anwendung von Zwang im Zusammenhang mit der Behandlung
von Menschen mit Behinderungen immer ein Legitimationsproblem haben. Denn die
zwangsweise Unterbringung und zwangsweise Behandlung von Menschen mit
Behinderungen stellt eine Reihe von menschenrechtlich verbrieften
Rechtsgewährleistungen in Frage (siehe oben). Insbesondere wenn diesen
Menschen auf Grund ihrer Behinderung oder in der Kombination mit einem
behinderungsrelevanten Merkmal eine stärkere Einschränkung ihrer Rechte
zugemutet wird als Nichtbehinderten, lässt dies eine Ungleichbehandlung erkennen,
die nach Maßgabe des Diskriminierungsverbots (Artikel 5 UN-BRK) schwerlich

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6
gerechtfertigt werden kann. Leitend in diesem Zusammenhang sind das
Diskriminierungsverbot in Verbindung mit den Bestimmungen zum „Recht auf
Unversehrtheit der Person“ (Artikel 17 UN-BRK) und zum Recht auf „Freiheit und
Sicherheit der Person“ (Artikel 14 UN-BRK), wonach „das Vorliegen einer
Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt“.

8. Selbst wenn der Deutsche Bundestag sich dazu entscheiden sollte, die gesetzlichen
Grundlagen für die Ausübung von Zwang im Zusammenhang der psychiatrischen
Versorgung im verengten Zuschnitt durch das Bundesverfassungsgericht neu zu
fassen (und in ihrem Zuständigkeitsbereich auch die Länder), muss damit gerechnet
werden, dass die Auslegung der UN-Behindertenrechtskonvention durch den UNBRK-
Ausschuss in der in seiner Tendenz eindeutigen Richtung bestehen bleibt,
Zwang im Bereich des gesundheitlichen und psychiatrischen Versorgung
grundlegend abzulehnen. Auf diese zum Regelungsvorschlag der Bundesregierung
gegenläufigen Entwicklungen und erstarkende internationale Rechtsauffassung wird
ausdrücklich hingewiesen. Für die effektive Rechtsgewährleistung wäre es fatal, auf
eine menschenrechtlich angreifbare Regelung zu setzen statt eine erforderliche
Fortentwicklung der psychiatrischen Versorgung zu organisieren.

9. Denkt man die Vorgaben des BVerfG zur zentralen Bedeutung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu Ende, kann eine Lösung nicht in der
Verabschiedung einer neuen gesetzlichen Regelung zum jetzigen Zeitpunkt liegen.
Denn Fragen der Verhältnismäßigkeit stellen sich nicht erst bei der Anwendung von
Zwang in einem konkreten Einzelfall zum Zeitpunkt einer Eskalationssituation im
derzeitigen System der psychiatrischen Versorgung, sondern bereits bei der
Ausgestaltung der Rahmenbedingungen in diesem System. Es sind daher zunächst
Weichenstellungen für die Fortentwicklung des Systems Psychiatrie erforderlich.
Versäumt es der Staat, heute alles in seiner Macht stehende zu tun, um in den
nächsten Jahren die Mittel und Praktiken der Psychiatrie dergestalt zu entwickeln,
dass akute Krisen anders als mit Zwangsmitteln beziehungsweise mit dem mildesten
Mitteln beantwortet werden, kann er sich nicht mehr auf Zwang als „ultima ratio“
berufen. Ein Beispiel für ein milderes Mittel im Vergleich zu den zum Teil
eingriffsintensiven Praktiken in Deutschland stellt die Praxis des Festhaltens durch
Klinikpersonal (anstelle von Fixierungen) dar, mit dem in England positive
Erfahrungen gemacht wurden. Ganz allgemein stellt sich die Frage, wie sich die zum
Teil eklatanten zahlenmäßigen Unterschiede zwischen den Bundesländern im
Bereich der Zwangsunterbringung und -behandlung erklären lassen. Die Potentiale
für die Umsetzung der Verhältnismäßigkeit sind zum Teil noch nicht erkannt und
müssen beforscht werden, zum Teil sind sie aber auch nur nicht systematisch
entwickelt, wie die Stärkung der ambulanten Strukturen, gemeindepsychiatrische
Dienste, der Integrierten Versorgung etc. Es gilt, den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit auf allen Ebenen (Konzepten, Ausbildung, Praxis, Struktur,
Kostenrecht, in der von Wirtschaftsinteressen unabhängige Forschung etc.) zu
stärken und eine entsprechende Praxis zu etablieren.

10. Seitdem in Folge der oben genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
auf die Anwendung von Zwangsbehandlungen in der Praxis verzichtet wird, können in
Deutschland Erfahrungen mit einer Praxis frei von Zwang gesammelt werden. Es
haben sich vereinzelte Stimmen aus dem Bereich der klinischen Praxis zu Wort

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7
gemeldet, die davon berichten, dass der Verzicht auf Zwangsmaßnahmen zu
positiven Veränderungen in der Behandlungspraxis und der gesamten Atmosphäre
von Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung führt. Solche Erfahrungen sind
gebündelt zu untersuchen und wissenschaftlich auszuwerten. Diese historische
Chance, Psychiatrie auf der Basis der Freiwilligkeit weiterzuentwickeln, sollte
unbedingt ergriffen werden. Insbesondere die einschlägigen Fachwissenschaften sind
in diesem Zusammenhang aufgerufen, endlich andere Konzepte zu entwickeln und
flächendeckend in die Praxis zu bringen, wie mit Menschen in psychosozialen Krisen,
insbesondere in Zuständen starker Erregung anders als mit einer zwangsweisen
pharmakologischen Behandlung umgegangen werden kann. Hier liegen
Versäumnisse und Potentiale eng zusammen.

11. Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, dass eine Psychiatriereform unabdingbar ist.
Die politische und gesellschaftliche Aufgabe besteht nunmehr darin, die Psychiatrie in
ihren Bestandteilen am Maßstab der Rechte von Menschen mit Behinderungen zu
prüfen und die Ausrichtung auf Freiwilligkeit und dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit in Bezug auf alle Ebenen zu etablieren. Dabei sind die Rechte
von Menschen mit Behinderungen konsequent zum Ausgangspunkt systemischer
Überlegungen zu machen. Die Politik sollte in der angemessenen Form ihren Beitrag
dazu leisten, die dafür notwendige politische Aufmerksamkeit und Unterstützung
dafür zu erreichen; denkbar etwa ist eine vom Deutschen Bundestag eingesetzte
Enquete-Kommission mit einer entsprechenden Ausrichtung auf die Reform der
psychiatrischen Versorgung oder andere entsprechend förderliche Initiativen.

12. Diese erforderlichen Systemveränderungen können ohne die Mitwirkung der
Menschen mit Behinderungen, insbesondere (ehemalige) Nutzerinnen und Nutzer der
Psychiatrie, nicht überzeugend geleistet werden. Es ist eine menschenrechtliche
Verpflichtung, den Betroffenen und den sie vertretenden Verbänden
Partizipationsrechte zu verschaffen, ihre Kapazitäten zu verstärken und ihre
Mitwirkungsmöglichkeiten zu fördern. Ihre Bedeutung für alle Handlungsebenen
(Gesetzgebung, Praxis, Forschung etc.) ist stärker zu würdigen und ihrer Stimme ist
weitaus mehr Gewicht als bisher beizumessen.
Die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, eingerichtet im unabhängigen
Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin, hat gemäß der UNBehindertenrechtskonvention
den Auftrag, die Rechte von Menschen mit Behinderungen im
Sinne der Konvention zu fördern und zu schützen sowie die Umsetzung der Konvention in
Deutschland zu überwachen.

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8
Anhang
Schlussbemerkungen des CRPD-Ausschusses (2012) bezüglich des
Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen (im Folgenden „UN-BRK“ oder „Übereinkommen“)
CRPD (2012): Schlussbemerkungen: Argentinien; UN Doc. CRPD/C/CHN/CO/1 vom
27.9.2012, Ziff. 19-26.
Gleiche Anerkennung vor dem Recht (Artikel 12)

19. Der Ausschuss ist tief besorgt über die Unstimmigkeiten, die sowohl in den bereits geltenden
Rechtsvorschriften als auch in den Gesetzentwürfen zu beobachten sind, die derzeit von dem
Vertragsstaat geprüft werden und die nach wie vor auf einem Modell der ersetzenden
Entscheidungsfindung basieren, das sich über die Wünsche der Betroffenen hinwegsetzt und damit
Artikel 12 des Übereinkommens klar zuwiderläuft. Der Ausschuss ist außerdem besorgt über das
Zögern mancher Justizbeamter, die Vorschriften zur Begrenzung des Ermessensspielraums der
Gerichte bei der Einschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit von Menschen mit
Behinderungen auch anzuwenden.

20. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, eine sofortige Überprüfung aller
derzeit geltenden Rechtsvorschriften einzuleiten, die auf einem Modell der ersetzenden
Entscheidungsfindung beruhen, das Menschen mit Behinderungen ihre Rechts- und
Handlungsfähigkeit entzieht. Gleichzeitig fordert der Ausschuss den Vertragsstaat auf,
Rechtsvorschriften und politische Maßnahmen zu beschließen, die das System der ersetzenden
Entscheidungsfindung durch ein Modell der unterstützenden Entscheidungsfindung ersetzen, das die
Autonomie, die Wünsche und die Präferenzen der Betroffenen berücksichtigt. Des Weiteren empfiehlt
der Ausschuss, Schulungsseminare für Richter über das Menschenrechtsmodell von Behinderung
durchzuführen, um sie dazu zu ermutigen, anstelle der Genehmigung von Vormundschaft oder
rechtlicher Betreuung das Konzept der unterstützenden Entscheidungsfindung anzuwenden.

21. Der Ausschuss bekundet seine Besorgnis über die Unstimmigkeiten zwischen dem Vorschlag
für die Änderung und Standardisierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Handelsgesetzbuchs
und dem Übereinkommen, weil das Konzept der gerichtlichen Entmündigung beibehalten würde und
es ganz im Ermessen der Richter läge, einen rechtlichen Betreuer einzusetzen oder darüber zu
entscheiden, welche Instrumente Menschen mit Behinderungen zur Unterstützung ihrer
Entscheidungsfindung benötigen.

22. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass das
Konzept der gerichtlichen Entmündigung nicht in den Vorschlag für die Änderung und
Standardisierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Handelsgesetzbuchs aufgenommen wird,
und zu gewährleisten, dass Organisationen, die Menschen mit Behinderungen vertreten, in effektiver
Weise an dem Überprüfungsprozess mitwirken können.
Freiheit und Sicherheit der Person (Artikel 14)

23. Der Ausschuss stellt mit Besorgnis fest, dass die unfreiwillige langfristige Einweisung in eine
Einrichtung in dem Vertragsstaat nach wie vor üblich ist, obwohl Strategien zur Deinstitutionalisierung
beschlossen wurden und obwohl dem Nationalen Gesetz über die geistigen Gesundheit (Gesetz Nr.
26.657) das Menschenrechtsmodell von Behinderung zugrunde liegt.

24. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, die von ihm beschlossene
Strategie der Deinstitutionalisierung wirksam umzusetzen und Pläne zur psychischen Gesundheit auf
der Grundlage des Menschenrechtsmodells von Behinderung auszuarbeiten und umzusetzen,
verbunden mit wirksamen Maßnahmen zur Förderung der Deinstitutionalisierung von Menschen mit
Behinderungen.

25. Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass in Fällen, in denen eine Person mit einer
psychosozialen oder geistigen Behinderung in einem Strafprozess als strafrechtlich nicht
zurechnungsfähig erkannt wird, die Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht eingehalten

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werden und der betreffenden Person unverzüglich ihre Freiheit entzogen wird, ohne dass überhaupt
nachgewiesen wurde, dass sie etwas mit dem fraglichen Ereignis zu tun hatte.

26. Der Ausschuss ersucht den Vertragsstaat, seine Strafgesetze auf Bundes- und Provinzebene
so zu ändern, dass über die Anwendung von Sicherheitsmaßnahmen gegenüber Personen, die als
strafrechtlich nicht zurechnungsfähig erkannt wurden, erst dann entschieden wird, wenn ein
ordnungsgemäßes Verfahren eingehalten wurde, das das Recht auf Verteidigung und das Recht auf
Unterstützung durch einen Anwalt gewährleistet, einschließlich aller zur Ausübung dieser Rechte
gegebenenfalls erforderlichen Verfahrensanpassungen.
CRPD (2012): Schlussbemerkungen: China; UN Doc. CRPD/C/CHN/CO/1 vom
27.9.2012, Ziff. 21-24.
Gleiche Anerkennung vor dem Recht (Artikel 12)

21. Der Ausschuss ist besorgt über das System zur Anordnung einer gesetzlichen Vormundschaft,
das nicht mit Artikel 12 des Übereinkommens übereinstimmt. Er stellt das völlige Fehlen von
Regelungen für eine unterstützende Entscheidungsfindung fest, die das Recht von Menschen mit
Behinderungen, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie das Recht auf Achtung ihrer Autonomie,
ihres Willens und ihrer Präferenzen anerkennen.

22. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, Maßnahmen zu beschließen, um
die Rechtsvorschriften, Politiken und Praktiken aufzuheben, die die Anordnung von Vormundschaft
und rechtlicher Betreuung für Erwachsene zulassen, und Gesetzgebungsmaßnahmen zu ergreifen,
um anstelle des Systems der ersetzenden Entscheidungsfindung Regelungen für eine unterstützende
Entscheidungsfindung einzuführen, die die Autonomie, den Willen und die Präferenzen der
Betroffenen bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit nach Artikel 12 des
Übereinkommens achten. Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss dem Vertragsstaat, im Benehmen
mit Organisationen von Menschen mit Behinderungen eine Blaupause für ein System der
unterstützenden Entscheidungsfindung zu erarbeiten, ein entsprechendes Gesetz zu erlassen und
dieses umzusetzen. Es sollte folgende Punkte umfassen:

a. Anerkennung der Rechts- und Handlungsfähigkeit aller Menschen und ihres Rechts, diese
auszuüben;

b. Vorkehrungen für die Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit und, falls erforderlich,
Zugang zu diesbezüglicher Unterstützung;

c. Vorschriften, die sicherstellen, dass diese Unterstützung die Autonomie, den Willen und die
Präferenzen der Betroffenen achtet, sowie Einrichtung von Rückmeldungsmechanismen, um
sicherzustellen, dass die Unterstützung den Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung trägt;

d. Regelungen für die Förderung und Einführung der unterstützenden Entscheidungsfindung.
Freiheit und Sicherheit der Person (Artikel 14)


23. Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass die Entziehung der Freiheit aufgrund von
Behinderung in dem Vertragsstaat gestattet ist, und dass die unfreiwillige Einweisung in eine
öffentliche Einrichtung als Instrument zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesehen wird.
In diesem Zusammenhang findet es der Ausschuss beunruhigend, dass viele Menschen mit
tatsächlichen oder wahrgenommenen Beeinträchtigungen aus unterschiedlichen Gründen, zum
Beispiel weil sie Petitionen eingereicht haben, unfreiwillig in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen
werden. Des Weiteren ist der Ausschuss besorgt darüber, dass viele Menschen, die tatsächlich mit
geistigen und psychosozialen Beeinträchtigungen leben und ein hohes Maß an Unterstützung
benötigen, nicht über ausreichende Ressourcen für eine medizinische und soziale Betreuung verfügen
und daher auf Dauer auf ihre Wohnung beschränkt bleiben.

24. Der Ausschuss empfiehlt die Abschaffung der Praxis der unfreiwilligen Einweisung in eine
zivile Einrichtung aufgrund einer tatsächlichen oder wahrgenommenen Beeinträchtigung. Des
Weiteren fordert der Ausschuss den Vertragsstaat auf, für Menschen mit geistigen und psychosozialen
Behinderungen, die ein hohes Maß an Unterstützung benötigen, mehr finanzielle Mittel

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bereitzustellen, um zu gewährleisten, dass sie, sofern erforderlich, soziale Unterstützung und
medizinische Behandlung außer Haus erhalten.
Recht auf Gesundheit (Artikel 25)

37. Der Ausschuss ist besorgt über das derzeit in dem Vertragsstaat geltende System der
unfreiwilligen Einweisung in eine Einrichtung. Er nimmt Kenntnis von dem Entwurf eines Gesetzes zur
psychischen Gesundheit und den die psychische Gesundheit betreffenden Verordnungen von sechs
großen Städten in dem Vertragsstaat, die den Willen der einzelnen Menschen mit Behinderungen
nicht achten.

38. Der Ausschuss rät dem Vertragsstaat, durch entsprechende Maßnahmen sicherzustellen,
dass alle für Menschen mit Behinderungen erbrachten Gesundheitsversorgungs- und sonstigen
Dienste, einschließlich aller psychiatrischen Versorgungsdienste, sich auf die freie Einwilligung der
betreffenden Person nach vorheriger Aufklärung stützen, und dass Rechtsvorschriften, die eine
unfreiwillige Behandlung und Unterbringung gestatten, unter anderem aufgrund von Entscheidungen
durch Dritte, wie etwa Angehörige oder Vormünder aufgehoben werden. Er empfiehlt dem
Vertragsstaat, ein breites Spektrum gemeindenaher Dienstleistungen und Unterstützungsmaßnahmen
auszuarbeiten, die den von Menschen mit Behinderungen geäußerten Bedürfnissen Rechnung tragen
und die Autonomie, die Entscheidungen, die Würde und die Privatsphäre der Betroffenen achten,
einschließlich der Unterstützung durch andere Behinderte und weiterer Alternativen zu dem
medizinischen Modell der psychischen Gesundheit.
CRPD (2012): Schlussbemerkungen: Ungarn; UN Doc. CRPD/C/HUN/CO/1 vom
27.09.2012, Ziff. 25-28.

Gleiche Anerkennung vor dem Recht (Artikel 12)

25. Der Ausschuss nimmt Kenntnis von den Anstrengungen, die der Vertragsstaat unternimmt, um
seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit den Bestimmungen von Artikel 12 des Übereinkommens
in Einklang zu bringen. Er begrüßt die Pläne, bei der Erarbeitung des Entwurfs eines neuen
Bürgerlichen Gesetzbuchs eine unterstützende Entscheidungsfindung einzuführen. Der Ausschuss ist
jedoch nach wie vor besorgt darüber, dass ein modifiziertes System der ersetzenden
Entscheidungsfindung beibehalten werden könnte. Er ist außerdem besorgt darüber, dass das
Verfahren für die Ausarbeitung eines neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht dazu genutzt wurde,
einen detaillierten und tragfähigen Rahmen für die unterstützende Entscheidungsfindung bei der
Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit nach Artikel 12 des Übereinkommens festzulegen.

26. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, das derzeitige Verfahren zur Überprüfung seines
Bürgerlichen Gesetzbuchs in wirksamer Weise zu nutzen, um durch unverzügliche Schritte zur
Abschaffung der Vormundschaft von der ersetzenden zur unterstützenden Entscheidungsfindung
überzugehen, die die Autonomie, den Willen und die Präferenzen der Betroffenen achtet und mit
Artikel 12 des Übereinkommens voll übereinstimmt, namentlich im Hinblick auf das Recht des
Einzelnen, aus eigener Fähigkeit die Einwilligung zu einer medizinischen Behandlung nach vorheriger
Aufklärung zu erteilen oder zurückzuziehen, Zugang zur Justiz zu haben, zu wählen, zu heiraten, zu
arbeiten und sich für einen Wohnort zu entscheiden. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat
außerdem, im Benehmen und in Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen und den sie
vertretenden Organisationen Ausbildung auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bereitzustellen,
um alle Akteure, einschließlich der Beamten, Richter und Sozialarbeiter, im Hinblick auf die
Anerkennung der Rechts- und Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen und auf
Mechanismen für die unterstützende Entscheidungsfindung zu schulen.
Freiheit und Sicherheit der Person (Artikel 14)

27. Der Ausschuss stellt mit Anerkennung fest, dass der Vertragsstaat sich zu Maßnahmen
verpflichtet hat, die angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen bereitstellen,
denen die Freiheit entzogen wurde. Er stellt außerdem mit Anerkennung fest, dass „die persönliche
Freiheit dadurch sichergestellt wird, dass die Dienste freiwillig in Anspruch genommen werden“

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(CRPD/C/HUN/1, Ziff. 87). Der Ausschuss ist jedoch besorgt über die Situation der unter
Vormundschaft stehenden Personen, wenn eine Entscheidung über die stationäre Pflege von dem
Vormund und nicht von dem Betroffenen selbst getroffen wird, und wenn der Vormund befugt ist, im
Namen des Mündels die Zustimmung zu einer psychosozialen Versorgung zu erteilen. Der Ausschuss
bedauert ferner, dass Behinderung in manchen Fällen ein Grund für Freiheitsentzug sein kann.

28. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, die gesetzlichen Bestimmungen zu überprüfen, die
eine Freiheitsentziehung aufgrund von Behinderung, einschließlich seelischer, psychosozialer oder
geistiger Behinderung, gestatten, und Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass
Gesundheitsversorgungsdienste, einschließlich aller psychiatrischen Versorgungsdienste, auf der
Grundlage der freien Einwilligung der betreffenden Person nach vorheriger Aufklärung erbracht
werden.
CRPD (2012): Schlussbemerkungen: Peru; UN Doc. CRPD/C/PER/CO/1 vom
10.04.2012; Ziff. 22-29.
Gleiche Anerkennung vor dem Recht (Artikel 12)

22. Der Ausschuss ist besorgt über Berichte, wonach eine Reihe von Menschen mit
Behinderungen, insbesondere solche, die in ländlichen Gebieten und in Langzeitpflegeeinrichtungen
leben, keine Personalausweise und in manchen Fällen nicht einmal Namen haben.

23. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, umgehend Programme
einzuleiten, um Menschen mit Behinderungen, namentlich in ländlichen Gebieten und in
Langzeitpflegeeinrichtungen, mit Identitätsdokumenten auszustatten und vollständige und zutreffende
Daten über Menschen mit Behinderungen zu erheben, die in Einrichtungen leben und derzeit über
keine Ausweispapiere verfügen und/oder ihr Recht auf einen Namen nicht wahrnehmen können.

24. Der Ausschuss stellt mit Besorgnis fest, dass die Gesetze des Vertragsstaats (Artikel 7 der
Verfassung und Artikel 564 und 565 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) nicht mit Artikel 12 des
Übereinkommens übereinstimmen, weil sie eine ersetzende Entscheidungsfindung und nicht eine
unterstützende Entscheidungsfindung vorschreiben, und weil sie die Aussetzung der bürgerlichen
Rechte von Menschen mit Behinderungen im Falle einer gerichtlichen Entmündigung zulassen. Der
Ausschuss ist außerdem besorgt über den Mangel an Informationen hinsichtlich der Zahl der unter
Vormundschaft und rechtlichen Betreuung stehenden Personen sowie über den Mangel an
Rechtsbehelfen und Schutzvorschriften wie etwa einer unabhängigen Überprüfung und dem Recht auf
Berufung, die herangezogen werden können, um solche Entscheidungen rückgängig zu machen.

25. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, die Praxis der gerichtlichen Entmündigung
abzuschaffen und die Gesetze zu überprüfen, die eine Vormundschaft und rechtliche Betreuung
zulassen, um ihre volle Übereinstimmung mit Artikel 12 des Übereinkommens sicherzustellen, und
Maßnahmen zu ergreifen, um Systeme der ersetzenden Entscheidungsfindung durch solche der
unterstützenden Entscheidungsfindung zu ersetzen, die die Autonomie, den Willen und die
Präferenzen der Menschen achten.

26. Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass im Bürgerlichen Gesetzbuch des Vertragsstaats den
„Taubstummen, Taubblinden und Blindstummen sowie den geistig behinderten und den unter
psychischer Beeinträchtigung leidenden Menschen“ die Möglichkeit verwehrt wird, ihr Recht auf das
Eingehen einer Ehe auszuüben.

27. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat nachdrücklich auf, das Bürgerliche Gesetzbuch zu
ändern, um allen Menschen mit Behinderungen die Ausübung der bürgerlichen Rechte, insbesondere
des Rechts, eine Ehe einzugehen, in angemessener Weise zu gewährleisten.
Freiheit und Sicherheit der Person (Artikel 14)

28. Der Ausschuss stellt mit Besorgnis fest, dass Artikel 11 des Allgemeinen
Gesundheitsgesetzes Nr. 26842 die unfreiwillige Unterbringung von Menschen mit „psychischen
Gesundheitsproblemen“ gestattet; die Definition dieses Begriffs umfasst sowohl Menschen mit
psychosozialen Behinderungen als auch Menschen mit einer „wahrgenommenen Behinderung“
(Drogen- oder Alkoholabhängige).

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29. Der Ausschuss fordert den Vertragsstaat auf, das Gesetz Nr. 29737, durch das Artikel 11 des
Allgemeinen Gesundheitsgesetzes geändert wird, aufzuheben, um Freiheitsentziehung aufgrund von
Behinderung, einschließlich psychosozialer, geistiger oder wahrgenommener Behinderung, zu
verbieten.
CRPD (2011): Schlussbemerkungen: Spanien; UN Doc. CRPD/C/SPA/CO/1 vom
10.10.2011, Ziff. 33-36.
Gleiche Anerkennung vor dem Recht (Artikel 12)

33. Der Ausschuss stellt fest, dass das Gesetz Nr. 26/2011 einen Zeitraum von einem Jahr nach
seinem Inkrafttreten einräumt, um einen Gesetzentwurf zur Regelung des Geltungsbereichs und der
Auslegung von Artikel 12 des Übereinkommens vorzulegen. Der Ausschuss ist ferner besorgt
darüber, dass keine Maßnahmen getroffen wurden, um die ersetzende Entscheidungsfindung durch
eine unterstützende Entscheidungsfindung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit zu
ersetzen.

34. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, die Gesetze, die Vormundschaft und rechtlichen
Betreuung gestatten, zu überprüfen, und Maßnahmen zu ergreifen, um Rechtsvorschriften und
Politiken zu erarbeiten, die die Systeme der ersetzenden Entscheidungsfindung durch solche der
unterstützenden Entscheidungsfindung ersetzen, bei denen die Autonomie, der Wille und die
Präferenzen der Betroffenen geachtet werden. Er empfiehlt ferner, zu dieser Frage eine Ausbildung für
alle zuständigen Amtsträger und sonstigen Beteiligten bereitzustellen.
Freiheit und Sicherheit der Person (Artikel 14)

35. Der Ausschuss nimmt Kenntnis von den Rechtsvorschriften, die die Einweisung von
Menschen mit Behinderungen, einschließlich Menschen mit geistigen und psychosozialen
Behinderungen („Geisteskrankheit“) in eine Einrichtung zulassen. Er ist besorgt über Berichte, wonach
ein Trend besteht, Dringlichkeitsmaßnahmen zur Einweisung in eine Einrichtung zu ergreifen, die für
die Betroffenen lediglich nachträgliche Sicherungen vorsehen. Er ist ebenfalls besorgt über Berichte
von Missbrauch an Menschen mit Behinderungen, die in Pflegeheimen oder psychiatrischen
Krankenhäusern untergebracht sind.

36. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, seine Gesetze, die Freiheitsentziehung aufgrund
von Behinderung, einschließlich psychischer, psychosozialer oder geistiger Behinderungen, zulassen,
zu überprüfen, Bestimmungen aufzuheben, die eine unfreiwillige Unterbringung im Zusammenhang
mit einer offensichtlichen oder diagnostizierten Behinderung genehmigen, und Maßnahmen zu treffen,
um sicherzustellen, dass Gesundheitsversorgungsdienste, einschließlich aller psychiatrischen
Versorgungsdienste, auf der Grundlage der Einwilligung der Betroffenen nach vorheriger Aufklärung
erbracht werden.
CRPD (2011): Schlussbemerkungen: Tunesien; UN Doc. CRPD/C/TUN/CO/1 vom
29.04.2011, Ziff. 22-25; 28-29.
Gleiche Anerkennung vor dem Recht (Artikel 12)

22. Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass keine Maßnahmen ergriffen wurden, um die ersetzende
Entscheidungsfindung durch eine unterstützende Entscheidungsfindung bei der Ausübung der Rechtsund
Handlungsfähigkeit zu ersetzen.

23. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, die Gesetze, die Vormundschaft und rechtliche
Betreuung gestatten, zu überprüfen, und Maßnahmen zu ergreifen, um Rechtsvorschriften und
Politiken zu erarbeiten, die die Systeme der ersetzenden Entscheidungsfindung durch solche der
unterstützenden Entscheidungsfindung ersetzen. Er empfiehlt ferner, zu dieser Frage eine Ausbildung
für alle zuständigen Amtsträger und sonstigen Beteiligten bereitzustellen.
Freiheit und Sicherheit der Person (Artikel 14)

24. Im Hinblick auf Artikel 14 des Übereinkommens ist der Ausschuss besorgt darüber, dass nach
der gegenwärtigen Gesetzgebung eine Behinderung, einschließlich einer geistigen oder
psychosozialen Behinderung, Grundlage für eine Freiheitsentziehung sein kann.

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25. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, Rechtsvorschriften aufzuheben, die eine
Freiheitsentziehung aufgrund einer Behinderung, einschließlich einer psychosozialen oder geistigen
Behinderung, zulassen. Der Ausschuss empfiehlt ferner, dass bis zum Erlass neuer Gesetze alle Fälle
von Menschen mit Behinderungen, die unter Entziehung ihrer Freiheit in Krankenhäusern und
spezialisierten Einrichtungen untergebracht sind, überprüft werden, und dass diese Überprüfung die
Möglichkeit der Berufung einschließt.
Unversehrtheit der Person (Artikel 17)

28. Der Ausschuss ist besorgt über die mangelnde Klarheit bezüglich des Geltungsbereichs der
Rechtsvorschriften, die Menschen mit Behinderungen davor schützen sollen, ohne ihre freie
Einwilligung nach vorheriger Aufklärung einer Behandlung unterzogen zu werden, einschließlich einer
Zwangsbehandlung in psychiatrischen Versorgungsdiensten.

29. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, gesetzlich festzulegen, dass Operationen und
Behandlungen nicht ohne die Einwilligung des Patienten nach vorheriger Aufklärung durchgeführt
werden dürfen, und sicherzustellen, dass die innerstaatlichen Rechtsvorschriften insbesondere die
Rechte von Frauen nach Artikel 23 und 25 des Übereinkommens achten.


Kasharius grüßt :006

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Beitrag von Kasharius »

...ich hoffe die Community verzeiht diesen Diskurs um Themen die jetzt nichts direkt mit dem Thema SW zu tun haben. Ich habe aber dieses Forum immer als eines verstanden welches insoweit auch "über den Tellerrand hinaus" schaut. Außerdem lassen sich aus dieser Stellungnahme ja auch anderee Argumente gegen Zwangsmaßnahmen generell ableiten. Stichwort: Zwangsuntersuchungen von SW vs. Menschenrechte....

Kasharius grüßt nochmal

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Beitrag von Aoife »

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Kasharius hat geschrieben:...ich hoffe die Community verzeiht diesen Diskurs um Themen die jetzt nichts direkt mit dem Thema SW zu tun haben.
Direkt mit dem Thema SW hat nur sehr wenig zu tun - die Hauptaufgabe ist die Auseinandersetzung mit grundsätzlich unnötigen, durch unter Vorwänden begangene Menschenrechtsverletzungen staatlich geschaffenen Problemen.

Ich selbst bin überzeugt, dass diese Problematik sich durch sämtliche Gesellschaftsbereiche zieht, und die durch Stigmatisierung ebenso wie Behinderte besonders exponierten SW nur zu denen gehören, die als erste die Notwendigkeit erkennen sich zu wehren.

Von daher mag dieser Diskurs vielleicht SW-fremd sein, aber mit Sicherheit ist er nicht ohne Bezug zu unseren Problemen.

Vielen Dank Kasharius!

Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
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RE: Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt

Beitrag von Jupiter »

Danke Kasharius für die vollständige Einstellung.

Ja Aoife ich habe dies Thema angeschnitten, weil ich auch Verbindungen sehe.
Es ist ja leider dies Rechtsradikale Gedankengut, welches die Menschen, die nicht nach den vorherrschenden Meinungsbild funktionieren, als krank zu bezeichnen. Das Nazi-Regime lässt grüßen.

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

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Beitrag von Kasharius »

Ich wäre mit Nazi-Vergleichen aufgrund der Einmaligkeit von Inhalt und Ausmaß der Verbrechen immer Vorsichtig aber bedenklich sind diese Entwicklungen schon. Ich nenne hier weitere Stichworte: Präimplantationsdiagnostik, Blutschnelltest zur Erkennung von Down-Syndrom und Ausschluss des Wahlrechtsrechts von Menschen die unter (vollständiger) Betreuung stehen.


Kasharius grüßt schaudernd...

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RE: Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt

Beitrag von Kasharius »

Noch zum o.g. Thema Nazizeit:

19.12.2012 - 10:10
Europäische Konferenz über NS-Verbrechen an behinderten Menschen.

Berlin (kobinet) Über die NS-„Euthanasie“-Verbrechen in europäischer Perspektive wird vom 28. bis 30. Januar 2013 in Berlin beraten. Die Referenten der Konferenz im Kleisthaus, dem Amtssitz des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, kommen aus Deutschland, Polen und Tschechien.

"Wir freuen uns auf die bunte Mischung an Teilnehmern, Wissenschaftlern aus vielen Ländern der EU, Vertretern aus den Verbänden der Behindertenhilfe und der Politik, Angehörigen von Opfern der NS-"Euthanasie", interessierte Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Behinderung", so Stefan Schenck von gedenkort-T4.eu in einer Pressemitteilung. Das Programm in Deutsch und Englisch sowie weitere Informationen stehen auf der Webseite der Konferenz. sch

http://www.kobinet-nachrichten.org/cipp ... et,g_a_s_t

Ich bitte die Admins mich ausdrücklich zu mahnen, sollte ich es mit dem Einstellen sachfremder Themen ohne SW-Bezug übertreiben...!

Kasharius grüßt