Übervolle Bordelle wegen EM? Warum das ein Mythos ist

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deernhh
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Übervolle Bordelle wegen EM? Warum das ein Mythos ist

Beitrag von deernhh »

Übervolle Bordelle wegen EM? Warum das ein Mythos ist

Stand:13.06.2024, 11:54 Uhr

Von: Felicitas Breschendorf

Leni Breymaier (SPD) und Dorothee Bär (CSU) warnen vor einer Überforderung der Bordelle während der Fußball-EM in Deutschland. Doch dahinter steckt ein Mythos.

Während der EM könnten mehr Männer Sexarbeit in Anspruch nehmen, warnt Leni Breymaier (SPD). So viele, dass „die Nachfrage nicht durch Freiwillige gedeckt werden kann und es deshalb noch mehr Zwangsprostitution geben wird.“ Das erklärte sie der Rheinischen Post. Breymaier ist Gründerin des „Parlamentskreis Prostitution und Pornografie“, der in dieser Woche über die Fußball-EM diskutiert.

Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union (CDU/CSU) Dorothee Bär, die Sexarbeit einschränken möchte, vermutet in der Rheinischen Post, dass „Frauen dafür zu Tausenden aus den ärmsten Ländern an die Austragungsorte in Deutschland gebracht“ werden. Zuhälter und Menschenhändler würden sich daran „eine goldene Nase“ verdienen. „Für diese Frauen wird die EM die Hölle sein, ähnlich wie die WM 2006“. Aber stimmt das wirklich?

Sexarbeiter erklärt, warum Männer bei Fußballspielen eher weniger in Bordelle gehen
WM, 2006: Mehrere Zeitungen berichten, dass 40.000 Zwangsprostituierte aus Osteuropa nach Deutschland kommen, um den Bedarf bei den Fans zu decken. Später stellte sich das als Gerücht heraus, wie der Deutschlandfunk aufdeckte. Vor und während der Weltmeisterschaft konnte das Bundeskriminalamt keinen Anstieg der Zwangsprostitution und des Menschenhandels feststellen.

Trotzdem scheinen Politikerinnen diesen Mythos nun auf die bevorstehende EM zu übertragen. „Es wird der Eindruck erzeugt, dass Heerscharen von Gruppen besoffener Männer dann die Bordelle stürmen. Aber das haben wir bei der WM nicht erlebt und das wird auch dieses Mal nicht so sein“, sagt Kolja Nolte, Sprecher des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. Er arbeitet selbst als Dominus in der BDSM-Szene und spricht durch seine Verbandsarbeit mit vielen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern.

Große Männer-Gruppen seien der Erfahrung nach nicht die typische Kundschaft in den Bordellen. Den Grund erklärt Nolte so: „Wenn sich eine Gruppe Männer zur EM trifft, dann beschließen sie Fußball zu schauen und etwas zu trinken. Es braucht doch eine gewisse gemeinsame Intimität, um zu beschließen als Gruppe in den Puff zu gehen. Das kommt vor, aber nicht in der Zahl, wie es suggeriert wird.“ Bei Messen dagegen, wo Männer am Ende oft alleine im Hotelzimmer sitzen, sei der Anstieg an Sexarbeit viel höher.

Eine Sexarbeiterin wartet auf ihrem Zimmer in einem Bordell auf Kundschaft. © Andreas Arnold/ dpa

Sexarbeiter-Verband rechnet bei der Fußball-EM „nicht mit einem Anstieg von Kriminalität“
Zwar rechnet der Verband während der EM mit „einem erhöhten Aufkommen in der Sexarbeit, aber nicht mit einer Überforderung der Infrastruktur und erst recht nicht mit einem Anstieg von Kriminalität“. Es sei nicht davon auszugehen, dass Männer gezwungen sein werden, sich Zwangsprostituierte zu suchen. In der legalen Sexarbeit sei genügend Angebot da, um den Bedarf während der EM zu decken.

In Deutschland arbeiten viel mehr legale Sexarbeiterinnen, als Zwangsprostituierte: 2022 gab es laut Bundeslagebild rund 200 Fälle von Zwangsprostitution. Zum Jahresende waren nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 28.280 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter bei Behörden gemeldet.

Für legale Sexarbeiterinnen sei die Zunahme an Kunden durch die EM kein Nachteil. „Ehrlich gesagt: Wenn die Sexarbeiterinnen eine erhöhte Nachfrage haben, dann freuen sie sich“, sagt Nolte BuzzFeed News Deutschland. Bär und Breymaier halten daran fest, dass sie Frauen nur schützen wollen. Hinter ihrer Warnung zur EM steckt vermutlich die Forderung nach einem Sexkaufverbot – die Union hat ein solches Gesetz schon länger auf der Agenda. Der BesD lehnt das Sexkaufverbot ab, weil es Sexarbeiterinnen schaden könne.

https://www.merkur.de/deutschland/baer- ... 26593.html