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Stuttgarter Nachrichten 30.03.2011
Stuttgart - Im Prozess gegen die Betreiber der Flatrate-Bordelle namens Pussy-Club sagt eine Nebenklägerin aus. Die 21-Jährige sagt, sie habe Angst um ihre Familie.
Die junge Rumänin, bereits Mutter eines drei- und eines fünfjährigen Kindes, ist keine leichte Zeugin. Sie kann kaum lesen oder schreiben, ihre Antworten sind mehr als einmal wirr, immer wieder versteht sie die Fragen nicht, die ihr der Vorsitzende Richter der 10. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart über die Dolmetscherin stellt. Ein Teil ihrer Aussage ist aber unmissverständlich: "Der Mann, der mich nach Deutschland gebracht hat, wohnt in Rumänien in derselben Straße wie meine Familie. Ich will nicht, dass meine Geschwister getötet werden." Dann beantwortet die Frau aus Hermannstadt aber doch weitere Fragen.
Vor Gericht stehen neun Männer und eine Frau, denen Menschenhandel, Zuhälterei, Vorenthalten von Arbeitsentgelt und Sozialversicherungsbetrug in Höhe von 2,75 Millionen Euro vorgeworfen werden. Zwei der Angeklagten sollen die Chefs der Pussy-Clubs in Fellbach, Berlin, Wuppertal und Heidelberg gewesen sein.
Zu Hause in Hermannstadt sei sie in einer Disco von einem Wachmann angesprochen worden, ob sie Arbeit in Deutschland wolle, sagt die junge Zeugin. Sie habe abgelehnt, sei dann aber gegen ihren Willen über Ungarn nach Deutschland verschleppt worden. Dort habe sie in einem Club anschaffen müssen. Sie sei blutiggeschlagen worden, mehrere Zähne seien ihr abgebrochen. Nach zwei Monaten habe man sie dann an einen Pussy-Club, offenbar in Berlin-Schönefeld, verkauft. Ende Juli 2009 machten die Behörden Razzien in allen Pussy-Clubs, die Flatrate-Puffs wurden geschlossen.
Im ersten Prozess gegen mehrere Mitarbeiter und gegen die angebliche Geschäftsführerin der Clubs - die Frau war nur vorgeschoben - war den Angeklagten kein Menschenhandel nachzuweisen. Die Urteile lauteten auf Sozialversicherungsbetrug. Im aktuellen Prozess will sich der Staatsanwalt damit nicht zufriedengeben.
Das Problem: Mit Zeuginnen wie dieser wird der Ankläger wenig Beweiskraft entwickeln können. Die 21-Jährige hat der Polizei vier verschiedene Versionen ihrer Erlebnisse erzählt - alle gelogen. "Weil ich Angst hatte", sagt sie. Zudem arbeitete sie bereits in ihrer Heimat als Gelegenheitshure. "Ich brauchte das Geld wegen meiner Kinder." Auch kann sie kaum etwas über die Angeklagten sagen. Lediglich einen Mann auf der Anklagebank identifiziert sie. Der habe ihr allerdings nichts getan. An Daten erinnert sie sich überhaupt nicht. Die Männer, die sie nach Deutschland gebracht hatten, stehen jedenfalls in Stuttgart nicht vor Gericht.
Der Prozess wird in Stammheim mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt.
Die Südwestpresse Ulm schreibt:
Angst vor dem Zuhälter
ULRIKE SCHLEICHER | 19.05.2011
Stuttgart. Der Prozess um die Betreiber der Flatrate-Bordell und deren Handlanger wegen schweren Menschenhandels kommt langsam, aber gut voran. Denn trotz Angst aufgrund von Drohungen sagen die Frauen aus.
"Setz dich ins Auto, wir müssen reden", sagt der schmächtige Mann, den die heute 25-Jährige aus dem Bordell in Berlin-Schöneberg kennt. Die junge Frau tut, was er sagt und erfährt, dass er sie und ihren kleinen Sohn zwei Tage beobachtet hat, jeden Schritt. Und: "Ich soll dir von Marius (Name geändert) sagen, er entschuldigt sich für das, was dir passiert ist. Es wäre also schön, wenn du vor Gericht ein gutes Wort für ihn einlegen würdest. Wenn er frei kommt, zahlt er dir 3500 Euro." Wenn nicht, dann kämen demnächst allerdings ein paar Jungs bei ihrer Familie vorbei, fährt er fort. Ihr Herz klopft bis zum Hals. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Dann sagt sie, sie überlege es sich bis zum nächsten Tag. Er fährt weg.
Was die junge Frau den Anwesenden der 10. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts schildert, hört sich an wie eine Szene aus einem Fernseh-Krimi. Tatsächlich ist es aber die bittere Wahrheit. Die Rumänin ist eine der Zeuginnen in dem Prozess gegen Mitglieder einer Bande, die unter anderem wegen schweren Menschenhandels angeklagt sind. Jahrelang haben sie Frauen aus Rumänien eingeschleust und sie in Bordelle gebracht. Etablissements, die wegen ihrer menschenverachtenden Offerten "Sex so lange, so oft und wie du willst" als Flatrate-Bordell unter dem Namen "Pussy-Club" firmierten. Unter anderem in Berlin-Schöneberg, aber auch in Heidelberg und in Fellbach (Rems-Murr-Kreis).
Der Prozess hat Mitte März begonnen, und er zieht sich hin. Nicht nur, weil neun Männer auf der Anklagebank sitzen - alle gebürtige Rumänen. Auch, weil mehr als 20 Zeuginnen gehört werden. Dies mit Hilfe eines Dolmetschers, der jedes Wort übersetzt. Trotzdem sind die Rechtsanwälte Jens Rabe (Waiblingen) und Michaela Spandau (Stuttgart) zufrieden. Die beiden vertreten jeweils zwei Frauen, die als Nebenklägerinnen auftreten. "Bisher sind bis auf eine alle Zeuginnen gekommen und haben ausgesagt", fasst Rabe zusammen.
Das sei angesichts des Bedrohungspotentials, das von Handlangern der Angeklagten ausgehe, beachtlich. "Dass die Bedrohung keine graue Theorie ist, zeigt der Fall dieser Zeugin", sagt Rabe.
Nur, dass die junge Frau anders als von ihrem Peiniger erwartet auf die Drohung reagierte: Sie ging zur nächsten Polizeistation in Rumänien und schilderte den Vorfall. Die Beamten dort nahmen Kontakt zu den deutschen Ermittlungsbehörden auf. Daraufhin wurde der 30-Jährige per internationalem Haftbefehl gesucht, gefasst und wartet jetzt auf seine Auslieferung.Der Mann saß bis vor zwei Wochen noch selbst auf der Anklagebank in Stuttgart. Als "kleiner Fisch" jedoch. Einer von denen, die für die beiden Hauptangeklagten die Drecksarbeit erledigten: Geld eintreiben, Frauen kontrollieren. Weil er ein Geständnis abgelegt hatte, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon.
Richter Claus Belling geht bei der Befragung der 25-Jährigen behutsam vor. Trotzdem merkt man der jungen Frau an, wie schwer es ihr fällt, sich an die Zeit im Flatrate-Bordell zurück zu erinnern. Ein sieben Wochen lang andauernder Alptraum. "30 bis 40 Kunden am Tag", habe sie bedient. Eine Stunde Pause. Bei Verweigerung waren Strafzahlungen fällig. Drohungen waren an der Tagesordnung. Nicht einmal die Krankheit ließen die Zuhälter gelten: "Davon stirbst du nicht." Es war ein Ausschlag - auch andere Frauen hatten ihn - der vom Unterleib an den Beinen entlangging, das rohe Fleisch war zu sehen. "Die Schmerzen waren unendlich." Heute wird sie wegen Zellveränderungen am Muttermund behandelt: Folgen eines unbehandelten Pilzes.
Die 25-Jährige lässt sich bei der Befragung im Gerichtssaal nicht beirren. Ihre Antworten sind klar und decken sich fast rundum mit den Polizeiprotokollen von vor rund zwei Jahren. Zwar hat auch sie psychologische Betreuung in Anspruch genommen, aber die traumatischen Erlebnisse haben sie nicht gebrochen."Sie ist eine Ausnahme", stellt Rechtsanwältin Spandau klar.
Die beiden Hauptangeklagten, 34 und 36 Jahre alt, schweigen bislang. Durch die belastenden Aussagen der Zeuginnen wird eine Verurteilung jedoch immer wahrscheinlicher. Laut Anwalt Rabe drohen ihnen wegen Sozialversicherungsbetrugs und schweren Menschenhandels mehr als fünf Jahre Haft