Orte der Unzucht?
In vielen Städten gibt es Straßen, die den Namen „Rosenstraße“ tragen. Warum die Straßen so heißen, wird meistens nicht schlüssig begründet. Die Forschung zeigt: Im Mittelalter waren sie oftmals Orte der Prostitution.
Rosenstraßen kommen in unzähligen Städten im deutschen Sprachraum vor. Insgesamt kann man bei nur oberflächlicher Suche schon mehr als 100 Städte und Marktorte finden, in denen es eine solche Straße gab, meist schon seit dem Mittelalter. Sie lassen sich von Danzig, Lübeck, Soest, Bayreuth, Stuttgart und Brünn bis Basel oder Wien nachweisen, ganz zu schweigen von kleineren Orten. Bei dieser Häufigkeit der Benennung handelt es sich kaum um eine lokale Besonderheit, auch wenn sicherlich Nachahmung und Moden bei der Namensgebung eine Rolle gespielt haben dürften. Neben dem Namen ist auch die Lage der Straßen in vielen Städten ähnlich: Meist befinden sie sich in der Nähe des Stadtrands, sind aber bei der Engräumigkeit der mittelalterlichen Stadt oft auch nicht allzu weit vom Zentrum, dem Marktplatz, entfernt.
In der älteren Forschung werden Rosenstraßen, ähnlich wie die „Rosengärten“ vor den Städten, mit Roßweiden oder -tränken, zu denen sie angeblich führten, erklärt. Andere sehen in ihnen dagegen Hinweise auf heidnische Kultstätten oder auf alte Begräbnis-orte. Überzeugende Beispiele und Belege werden für kaum eine dieser Vermutungen geliefert. Zieht man die zahlreichen Einzeluntersuchungen zu den Straßennamen verschiedener Städte heran, kommt man der Bedeutung der Rosenstraßen auch nicht näher: Rosenstraßen oder -gassen werden zwar aufgelistet, im Gegensatz zu anderen Namen wird die Herkunft und Bedeutung aber meist nicht näher behandelt.
Das Wort „Rose“ besitzt viele unterschiedliche symbolische Bedeutungen: Es steht für die Frau an sich oder die Geliebte, für die Freuden der körperlichen, aber auch der geistigen Liebe, für jungfräuliche Unschuld und die Jungfrau Maria oder für das Schweigen und für Geheimnisse, schließlich auch für die Vergänglichkeit. Mehrfach ist in der Forschung zudem auf die Rose als Symbol für das weibliche Geschlechtsorgan hingewiesen worden.
Von der Rose als Symbol für die Frau oder die Geliebte ist der Schritt nicht weit zu den käuflichen Frauen, „gemeine Frauen“, „schöne Fräulein“ oder „Hübscherinnen“ im Mittelalter genannt. Ein sehr deutliches Beispiel für die Gleichsetzung von Rose und Freudenmädchen liefert ein Gedicht des Humanisten Conrad Celtis. Darin warnt der an der Syphilis erkrankte Protagonist seinen Freund Graccus vor der Ansteckungsgefahr durch die käufliche Liebe. Zu Anfang des Gedichts heißt es noch milde: „Als Rosina sich mir neulich zu ihren Umarmungen durch einen zuverlässigen Boten verdingte, dem Dichter die Frühjahrsmüdigkeit zu vertreiben … da glaubte ich eine prangende Rose zu umarmen …“ Dieser lieblichen Phan-tasie läßt der Dichter aber sogleich die ungeschönte Realität folgen: Die vermeintliche Rose stellt sich als nichts anderes heraus als eine „welke, stinkende, erzhäßliche Hure“.
Trifft nun auf die Rosenstraßen zu, was ein Werk vom Anfang des 20. Jahrhunderts behauptet: „‚Rosengarten‘, ‚Rosenplan‘, ‚Rosengasse‘, ‚Rosenwinkel‘ [sind] Stadtgegenden mittelalterlicher und teilweise auch noch moderner Städte, in denen Freudenmädchen oder öffentliche Dirnen wohnen“? Nach intensivem Suchen – denn das Treiben auf den mittelalterlichen Straßen bleibt oft im dunkeln – finden sich etliche Beispiele, die diese These erhärten. Die Lüneburger Rosenstraße, die ganz in der Nähe des Marktes liegt, wurde neben der im 15. Jahrhundert gebrauchten alternativen Bezeichnung „Mühlenstraße“ 1571 auch „vicus rosarium alias in fornificulorum platea“ genannt, das heißt: „Rosengasse oder anders auch Dirnenstraße“. Dennoch wird ihr Name noch in den 1930er Jahren von einer in der Nähe gelegenen Pferdetränke her erklärt. Ein weiteres Indiz für die Nutzung der Rosenstraße sind die Straßennamen der Umgebung: So zweigt von der Lüneburger Rosenstraße die heutige Koltmannstraße ab, die im Mittelalter aber „Tittentasterschenstraten“ hieß, ein Straßenname, der in Lübeck und anderen norddeutschen Orten wie Wismar für das dort angesiedelte „horizontale Gewerbe“ stand.
Das Rosental in der Messestadt Frankfurt am Main erstreckte sich mit der Rosengasse im Zentrum von der Katharinenpforte entlang dem kleinen und großen Hirschgraben bis zur ehemaligen Schüppengasse im Süden. Zum er-stenmal wird das bebaute Rosental 1307 erwähnt, schon 1396 wird hier ein Privatfrauenhaus genannt, das heißt, ein privat betriebenes Bordell. Wie in anderen Städten versuchte auch der Frankfurter Rat seit Ende des 14. Jahrhunderts, die Prostitution im Stadtgebiet einzugrenzen und sie zu konzentrieren, in diesem Fall ganz in das Rosental zu verlegen. Man wählte also den Ort, an dem bereits vorher private Prostitution betrieben worden war. 1468 wurde endgültig allen Dirnen befohlen, ins Rosental um die Rosengasse zu ziehen. Das letzte öffentliche Frauenhaus in Frankfurt wurde zwar 1560 aufgehoben, aber dennoch blühte die Prostitution auch in den folgenden Jahrhunderten. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren in der heute durch den Bundesrechnungshof überbauten Rosengasse Prostituierte ansässig.
Auch in Berlin wurde in der Rosenstraße Prostitution betrieben. Im 16. Jahrhundert und noch bis 1624 wird im Totenregister der Marienkirche eine Hurengasse genannt, die um 1650 in „Rosenstraße“ umbenannt wurde. In dieser Straße lag im 15. Jahrhundert das privilegierte, das heißt vom Rat legalisierte, Frauenhaus der Stadt.
Im Lauf des Mittelalters bemühten sich die Stadtobrigkeiten, die heimliche Prostitution einzudämmen und das Gewerbe unter städtische Aufsicht zu stellen. Dabei kam es zum Teil zur Verdrängung aus dem Stadtzentrum – und damit zum Konflikt mit den sich anbietenden Frauen, die, wie andere Händler auch, die belebten Straßen suchten, um erfolgreich zu sein.
Neben den eindeutig mit der Prostitution in Zusammenhang stehenden Rosenstraßen gibt es diese Benennung eher im euphemistischen oder ironischen Sinn vor allem dort, wo Schmutz oder „unehrliche Berufe“ vorzufinden waren. So hieß das Nürnberger Rosental im Mittelalter „Elende Gasse“, in Freiberg in Sachsen war das Rosental ursprünglich eine Bettelgasse, während in Straßburg am Holzmarkt ein Haus zur Rose dem Schnellgalgen gegenüber lag. In Kiel waren möglicherweise die in der Straße abgeladenen Abfälle der Schlachter namengebend für die Benennung der dortigen Rosenstraße, der Rosengang in Eckernförde hieß zuvor ebenso wie die Husumer Rosenstraße „Schietstraße“, die enge Naumburger „Dreckgasse“ wird 1709 als „quasi Rosengäßchen“ bezeichnet, und die in der Nähe des Walls gelegene Rosengasse in Erfurt hieß um 1510 alternativ Diebsgasse. In diesen Straßen sind oft auch Henkerswohnungen nachzuweisen. Allerdings sind gerade in deren Nähe vielfach Prostituierte anzutreffen, so daß nicht immer leicht zu entscheiden ist, woher der Name wirklich rührte.
Schließlich gibt es Rosenstraßen auch in der Umgebung von Frauenklöstern: In der Nähe der Würzburger Rosenstraße, die inmitten von Gärten in der Vorstadt Sand lag, befand sich seit 1227 ein Magdalenen/Reuerinnen-Kloster, auf dessen Nonnen und ihre geistliche Liebe der Name ebenfalls gemünzt sein könnte. Allerdings waren es gerade Klöster dieses Ordens, die „gefallenen“ Mädchen halfen. Sie lagen zudem – wie das Weißfrauen/Reuerinnen-Kloster in Frankfurt oder das Reuerinnenkloster in Metz – oft in der Nähe von „Rotlichtvierteln“.
Schließt man einmal für die Benennung der Straßen Rosengärten, Gasthaus- oder andere Häusernamen aus, so ergibt sich eine auffallende Verbindung zu Prostitution und unehrlichen Berufen. Stets müssen für die Deutung des Namens jeder einzelnen Rosenstraße die Namensgeschichte, die Lage der Straße, benachbarte Straßen und deren Sozialtopographie mit einbezogen werden, bevor man einigermaßen sicher die Gründe für die Straßenbenennung angeben kann.
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Sexarbeit spiegelt sich in Straßennamen wider
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