Von 1884 bis 1992
Eckdaten zur Geschichte der Prostitution in Frankfurter Bahnhofsviertel
1884-88 Bau des Frankfurter Hauptbahnhofs
In der Folge entsteht das elegante Bahnhofsviertel
1911 Erste Sperrgebietsverordnung im BHV, in der die Prostitution räumlich in die gleichen Schranken gewiesen wurde wie 1987 (zu Beginn des Jahrhunderts gab es noch keine Bordelle wie heute sondern Straßen- und Hotelprostitution, d.h., den Frauen wurde das Werben von Kunden auf der Straße untersagt.
1924 Festnahme von 100 Frauen bei einer Razzia im BHV.
Ende der 30er Jahre
Mindestens zwei Häuser im BHV waren noch bis Ende der 30erJahre von Prostitution bewohnt, die ihre Kunden auf der Straße suchten,gegen sie wurde rücksichtslos vorgegangen.
Zu Beginn des zweiten Weltkrieges war das BHV äußerlich ein vornehmes Geschäftsviertel.
Die ca. 6 Bordelle in der Karmelitergasse wurden 1934 geräumt. Es gab verschiedene Bordelle auf die Stadt verteilt und spezielle Fremdenbordelle mit ausländischen Zwangsarbeiterinnen für ausländische Zwangsarbeiter.
Nach 1945 Frankfurt war voller Ostflüchtlinge, Pendlern aus dem Umland und ein wichtiger Stützpunkt des US Army.
Das BHV war Zentrum des illegalen Marktes und würde zu einem Zentrum der Prostitutuion. Die Gegend um die Breite Gasse wurde zum zweiten Prostitutionszentrum – dort arbeiteten die Frauen in den Kellerruinen der zerstörten Altstadt oder in selbstgebauten Hütten in denen sie auch lebten.
Ende der 40er Jahre
Die Stadtverordnungenversammlung fordert „Bahnhof als Visitenkarte“ für die Messestadt.
Ab 1949 Aufbau Frankfurts als Wirtschaftsmetropole. In den 50er Jahren wurde Prostitutuion zu einem Konsum-“güter“ des „Wirtschaftswunders“. Im BHV entstand eine Sex- und Vergnügungsindustrie.
12/1951 Der Magistrat legte eine „Bannmeile“ im BHV fest,innerhalb derer die Straßenprostitution. Verboten wurde.
07/1954 Eine Polizeiverordnung konkretisierte die Bannmeile für das gesamte BHV bis zur Hafenstraße.
Folge: Zunahme der Lokalprostitution im BHV und Verlagerung des Straßenstrichs in andere Stadtviertel.
10/1957 Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe erklärt alle Sperrgebietsverordnungen für nichtig.
09/1960 Änderung des Strafgesetzes: die Errichtung von Sperrgebieten wird ausdrücklich zugelassen.
02/1961 Eine neue Sperrgebietsverordnung tritt in Kraft:
Verboten wird die Straßenprostitution im BHV, am Alleenring und an den Ausfallstraßen. Ohne Beschränkung ist die Prostitution in der Gegend um Breite Gasse möglich, wo inzwischen Bordelle entstanden sind. Lokalprostitution, aber auch den Straßenstrich gab es im BHV trotz Sperrgebietsverordnung weiter. Die Frauen brauchten allerdings Zuhälter, die sie vor der Polizei schützten.
1964 Im BHV gab es 350 Bars, Gaststätten und Nachtlokale.
1965 In Frankfurt gab es 30 Bordelle, nur 5 lagen in den einschlägigen Vierteln.
1966/67 Die Westendspekulation erreicht die Ränder des BHV; die Wohnhäuser im BHV wurden zunehmend entmietet.
1968 gehörten 80% aller Lokale im BHV einer kleinen Gruppe, der gute Kontakte zu den Behörden spitzen nachgesagt wurde.
Da von der Stadt z.B. kaum Konzessionen entzogen wurden, förderten die politischen Verantwortlichen direkt und indirekt die Lokal-, Bordell- und Wohnungsprostitution im BHV.
1969 Bauunternehmer Schütz erhält die Genehmigung zur Einrichtung eines Eros-Centers in der Elbestraße (bis dahin eine ruhige Wohnstraße ); Die Polizei erhoffte sich die Konzentration der Frauen von Straßenstrich in diesem Haus – das Eroscenter wurde jedoch schnell zu einem Unruheherd, da dort Zuhälter ihre Auseinandersetzungen
austrugen.
1970 lag der Bodenpreis im BHV schon bei 6.000DM pro qm.
2/1973 Eine neue Sperrgebietsverordnung tritt in Kraft: die Prostitutution ist jetzt nicht mehr nur auf der Straße sondern im Sperrgebiet auch in den Häusern verboten.
Toleranzzonen sind ; das BHV und einige Straßen um die Breite Gasse.
Folge: Die Prostitution konzentriert sich im BHV, das Viertel verslumt, einige wenige Hausbesitzer haben das Monopol.
Die Stadt begünstigt die Entwicklung durch die Vergabe von Konzessionen für Lokale und durch die Duldung von Wohnraum-Zweckentfremdung.
Mitte der 70er Jahre
Der Umsatz im BHV stagniert, viele Bars werden in Speiselokale umgewandelt;
Deutsche Prostituierte wandern ins Umland ab.
1977 Die bis dahin ununterbrochen regierende SPD wird von der CDU unter Wallmann abgelöst.
Ende der 70er Jahre
Erstmals werden im großen Stil Zimmer an ausländische Frauen vermietet. Die Betreiber, die monatlich bis zu 40.000DM Pacht für ein Bordell zahlen müssen,wollen ihre Häuser auf jeden Fall voll belegt haben.
11/80 Der Verwaltungsgerichthof in Kassel erklärt die Sperrgebietsverordnung für nichtig.
Begründung: die Beschränkung der Prostitution auf 3-4% des Stadtgebietes verstoße gegen das gesetzlich festgelegte Kasernierungsverbot.
1981 Wallmann kündigt eine „harte Welle“ gegen die „Pestbeulen“ im BHV an. „Bahnhof“ als Visitenkarte“ wird wieder zum Schlagwort.
Folge u.a. : groß angelegte Razzien gegen ausländische Prostituierte.
3/1984 Der Magistrat verabschiedet die neue Sperrgebietsverordnung: Die Prostitution sollte auf den Gleisanlagen des Westhafens und in Teilen des
Industriegebietes am Osthafen erlaubt, im BHV aber absolut verboten sein.
8/1986 Die Stadtverordnetenversammlung verabschiedet die neue Sperrgebietsverordnung mit einer Änderung: die Breite Gasse wird zusätzlich zur Toleranzzone erklärt.
1/1987 Die Sperrgebietsverordnung tritt in Kraft.
3/1989 Die SPD und die Grünen gewinnen die Kommunalwahlen;
im Wahlkampf halten sie u.a. erklärt, die Wallmannsche Sperrgebietsverordnung wieder abzuschaffen.
8/1989 Bzgl. der Sperrgebietsverordnung hatte sich noch nichts getan.Der Ausländerinnen-Anteil im BHV war inzwischen jedoch wegen der Abwanderung der deutschen Frauen auf über 50% gestiegen; ca. 500 Frauen kamen aus Ghana und Kamerun, 250 Frauen Thailand, ca. 150 aus Ostblockländern und 110 aus Südamerika.
Am 17. August nahm die Polizei bei einer Gro0razzia 120 ausländische Prostituierte fest; 77 Kolumbianerinnen wurden am nächsten Tag mit einem gecharterten Flugzeug abgeschoben.Die HWG (Huren wehren sich gemeinsam Prostiuiertenselbsthilfeverein), die ökumenische Asiengruppe und Agisra, aber auch das Frauenreferat protestieren gegen die Razzia.
9/1989 Der sog. Beker-Skandal :
(http://www.focus.de/politik/deutschland ... 49021.html) wird öffentlich;1987 hatte die CDU-Stadtregierung mit den Nutzung des geplanten Großbordells in der Breite Gasse geschlossen, der eindeutig zu
Gunsten der Bekers formuliert war. Die Staatsanwartschaft ermittelt wegen Korruption und Verfilzung bis in die höchsten Amtsstuben.
9/1990 Oberbürgermeister Hauff beantrag beim zuständigen Regierungspräsidenten in Darmstadt eine Änderung der Sperrgebietsverordnung: die Breite Gasse soll Sperrgebiet werden, im BHV soll eine kleine Toleranzzone um die westliche
Elbestraße zugelassen werden.
2/1991Der Regierungspräsident erklärt die Breite Gasse zum absoluten Sperrgebiet, fällt aber keine Entscheidung über eine Toleranzzone im BHV.
12/1991 Erneute Großrazzia gegen ausländische Frauen im BHV; 125 Frauen werden festgenommen, die meisten ausgewiesen, 54 von ihnen direkt nach Kolumbien abgeschoben.
Der Ausländerinnen-Anteil in den Bordellen im BHV lag zum Jahreswechsel 1991/92 bei über 75%; die meisten Frauen kamen aus Südamerika und Südostasien, zunehmend kommen auch Frauen aus osteuropäischen Ländern.
Anfang 1992
Die Stadt schließt im BHV 7 Bordelle außerhalb der beantragten Mini-Toleranzzone;
die Frauen werden in der Regel vorher von der Schließung nicht informiert; das trifft die ausländischen Frauen, die häufig in den Bordellzimmern auch wohnen müssen,
besonders hart.
Es kommt zu Protesten von agisra und der HWG; zum wiederholten Male wird ein Sozialplan für die in der Prostitution arbeitenden Frauen gefordert.
6/1992 Der Regierungspräsident erklärt die Mini-Toleranzzone im BHV für rechtens.
Die Entscheidung tritt am 1. Juli 1992 in Kraft.
F A Z I T:
Die Konzentration der Prostitution (und die damit verbundene Wertsteigerung der Häuser) im BHV
ist das Ergebnis verschiedener Sperrgebietsverordnungen, die sich unterm Strich zugunsten einiger
weniger Bordellbesitzer auswirkten.
Die mit der Konzentration verbundene Mietsteigerung für die Frauen ist beachtlich:
1984 kostete ein Zimmer 120 Dm pro Tag, Ende 1991 zwischen 200 und 220 DM, nach der Schließung der Bordelle Anfang 1992 müssen die Frauen 260 DM pro Tag an Miete zahlen.
Die Konzentration der Prostitution im BHV, die hohen Gewinne, die alleine durch die Mieteinnahmen möglich sind, die unmittelbare Nachbarschaft der Bordelle zu Clubs und Spielsalons führen zu der immer wieder beklagten Konzentration der „Kriminalität“ im BHV.
Abgesehen von der Schließung einiger Spielsalons Anfang 1992 richteten sich alle Maßnahmen zur „Bekämpfung“ der Kriminalität jedoch gegen die (ausländischen) Frauen, als seien sie die Ursache
der Verhältnisse.
Die hohe Zahl der ausländischen Prostituierten ist u.a. Resultat der Sperrgebietsverordnung der Sperrgebietsverordnung, da die deutschen Frauen wegen der rechtlichen Unsicherheit in das Umland oder in andere Städte abgewandert sind.
Die Situation in Berlin, einer Stadt ohne Sperrgebietsverordnung, zeigt, daß das die Prostitution
wenn möglich keineswegs auf ein Viertel konzentriert. Die Sperrgebietsverordnung macht es in Frankfurt KleinunternehmerInnen unmöglich, außerhalb des Bhv ein Bordell zu betreiben, in dem die Mieten erträglicher, die Zimmer sauberer und die Umgebung angenehmer wäre als im BHV.
Erstellt von Dona Carmen e. V, Frankfurt
Eckdaten zur Geschichte der Prostitution im Frankfurter BHV
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Eckdaten zur Geschichte der Prostitution im Frankfurter BHV
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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RE: Eckdaten zur Geschichte der Prostitution im Frankfurter
Eine sehr aufschlussreiche Zusammenstellung!
Sie zeigt, wie die sittenstrengen Regulatorinnen und Regulatoren eine völlig verbockte Lage geschaffen haben. Vor allem der Vergleich mit dem liberalen Berlin macht deutlich, wie der Behördeneifer den Karren immer weiter in den Morast drückt. Die großen Kanonen schießen eben nicht rückstoßfrei.
Für alle Ordnungs- und Sauberkeitspolitiker sollte auch so ein warnender Zusatz gefordert werden: "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, oder wenigstens einen Menschen mit klaren Verstand."
Sie zeigt, wie die sittenstrengen Regulatorinnen und Regulatoren eine völlig verbockte Lage geschaffen haben. Vor allem der Vergleich mit dem liberalen Berlin macht deutlich, wie der Behördeneifer den Karren immer weiter in den Morast drückt. Die großen Kanonen schießen eben nicht rückstoßfrei.
Für alle Ordnungs- und Sauberkeitspolitiker sollte auch so ein warnender Zusatz gefordert werden: "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, oder wenigstens einen Menschen mit klaren Verstand."
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RE: Eckdaten zur Geschichte der Prostitution im Frankfurter
Vielen Dank für diese bemerkenswerte Dokumentation