Fun Garden-Urteil 9. gr. Strafkammer des LG Klewe 7.5.2013

Wo melde ich meinen Beruf an, mit welcher Steuerlast muss ich rechnen, womit ist zu rechnen, wenn ich die Anmeldung verabsäume, ... Fragen über Fragen. Hier sollen sie Antworten finden.
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Marc of Frankfurt
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Was ist selbständige Sexarbeit?

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Auch das unternehmerische Risiko war nicht vorhanden – sie mussten lediglich den Eintritt und die Übernachtung zahlen.

Wenn eine Sexarbeiterin folgende sexarbeit-typische Leistungen erbringen muß:
- Eintrittkosten im Voraus entrichten
- Übernachtungskosten
- Anwesenheits-Zeit investieren (= Opportunitätskosten)
- auf die eigene Gesundheit acht geben (Kondome bereit halten, regelm. eigenen STI Test organisieren...)
- eigenes Outfit (Puff-Klamotten) und Make-Up
- den ganzen Tag in High-Heels im Show-Performance-Modus agieren (teilweise nackt und unbezahlt)
- den Wettbewerb mit vielen intl. Kolleginnen aushalten bzw. bestehen
- gekonntes Sexworker-Lächeln auflegen
- zunächst manigfaltige unbezahlte Konversationen betreiben (indirektes oder direktes Kobern)
- beste Kenntnisse in "Body Language" haben und anwenden
- Fremdsprachenkenntnisse und internationale Erotik transportieren können
- sich d.h. den eigenen Körper in bestem Zustand und knackig präsentieren (Fitness, körperlich-seelische Gesundheit, SWBO Prävention...)
- Organisation des Reiseplanes, der Visas und gültigen Pässe, Unterbringung der eigenen Kinder...
- Arbeit als Sexworker aufnehmen und es sich zuzutrauen in einer stigmatisierten Branche öffentlich vor die Kundschaft zu treten
- die eigenen Bilder als Sexworker im Internt präsentieren oder dafür freigeben...
- ...


dann soll all das keine unternehmerische Sexarbeittätigkeit sein?

Wenn Sexworkern dann (wg. angeblich nicht ausreichenden Deutschkenntnissen, wg. fehlender weil vom Gewerbeamt nicht persönlich verlangter Unterschrift, wg. fehlendem selbst angemieteten Raum und wg. fehlender für die eigene Person geschalteter Werbeanzeigen) "unternehmerisches Handeln" abgesprochen wird, dann ist das hochgradig paternalistisch, frauenfeindlich und rassistisch den internationalen Sexworkern gegenüber, ihnen ihre Kompetenzen und Rechte absprechend. So zu urteilen und zu berichten ist eine Abwertung und Mißachtung von Sexarbeit durch Schreibtischtäter.

Wenn alles in dieser To-Do-Liste nichts zählt und angeblich nichts Wert sein soll, kann es sich nur um offene Prostitutionsfeindlichkeit handeln (Misoharlotry, Whorephobia).

Mit solchen Urteilen werden neue Hürden aufgebaut, die die Sexworker schwächen und verletzlich machen, statt sie zu stärken.

Gestärkt werden Sexworker, wenn das Urteil festgestellt hätte, dass ein Sexworker-Betriebsrat fehlt... dass es keine Mitarbeiterfortbildungen wie etwa Deutschkurse und Versicherungsberatung gab...

Es sind erst solche Urteile, die Sexworker zur Ware und zum Objekt machen und ihnen ihre freie unternehmersiche Entscheidung und unveräußerlichen Rechte absprechen. Das was die Prostitutionsgegner nicht müde werden der Prostitution vorzuwerfen (Körper verkaufen = zur Ware degradiert sein), das wird erst durch solche Vorurteile über den Weg von Rechtsurteilen, Gesetze und Medienberichterstattung in die Prostitutionsrealität eingebaut was diese dann strukturell so prekär macht, dass einem der Ruf nach Verboten als einzige Lösung erscheint...


Ein Teufelskreis, der entsteht weil man nicht mit Sexworkern spricht und sie nicht verstehen will.

Und auch dafür gibts schon eine Ausrede: „Die Klarheit der Zeugenaussagen geht bei Übersetzungen oft verloren“.


No bad whores - just bad laws !!!

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Arum
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Re: Was ist selbständige Sexarbeit?

Beitrag von Arum »

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Marc of Frankfurt hat geschrieben:[
Und auch dafür gibts schon eine Ausrede: „Die Klarheit der Zeugenaussagen geht bei Übersetzungen oft verloren“.
Ja, da verfügt die deutsche Justiz eben über schlechte Übersetzer, beziehungsweise Dolmetscher. Selber schuld, würde ich sagen.
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

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fraences
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RE: Fun Garden-Urteil 9. gr. Strafkammer des LG Klewe 7.5.20

Beitrag von fraences »

„Fun-Garden“-Prozess: Urteil ist rechtskräftig
Emmerich.
In ganz Deutschland gibt es Bordelle, in denen die Prostituierten als „selbstständige Unternehmerinnen“ ihre Dienstleistungen anbieten — obwohl sie feste Dienstzeiten haben und die Möglichkeiten, ihren Beruf selbstbestimmt auszuüben, sich in engen Grenzen halten. Doch dieses Geschäftsmodell steht jetzt auf der Kippe.[/B] Der Grund: Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verwarf in einem Beschluss die Revisionen, die Esed D., der ehemalige Betreiber der Emmericher Bordelle „Fun Garden“ und „Villa Auberge“, und seine Lebensgefährtin Olga G. gegen seine Verurteilung vor dem Landgericht Kleve hatten einlegen lassen. Das Urteil ist also rechtskräftig – zweifelsohne ein großer Erfolg für die Justizbehörden im Kampf gegen die menschenverachtenden Auswüchse im Rotlichtmilieu. „Die Revisionen der Angeklagten sind im Wesentlichen verworfen worden, Schuldspruch und Strafausspruch haben Bestand“, so Johannes Hoppmann, Sprecher der Klever Staatsanwaltschaft.
Esed D. und Olga G. hatten mit ihren Bordellbetrieben Millionen umgesetzt. Bei einer Razzia in dem Betrieb fielen der Staatsanwaltschaft allerdings Unterlagen in die Hände, die einerseits eine doppelte Buchführung belegten und andererseits erhebliche Zweifel daran nährten, dass die Frauen im „Fun Garden“ tatsächlich selbstbestimmt arbeiteten. Staatsanwalt Hendrik Timmer fertigte daraus eine Anklage, der das Landgericht nach einem monatelangen Mammutprozesse in weiten Teilen folgte: Esed D. wurde wegen schweren Menschenhandels, Einschleusen von Ausländern, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung und Vorenthaltens von Arbeitsentgelten zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine Lebensgefährtin erhielt eine Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Entscheidend an dem Urteil war die Tatsache, dass die Prostituierten nicht als selbstständige Unternehmerinnen, sondern als abhängig Beschäftigte mit den daraus resultierenden Sozialversicherungspflichten eingeschätzt wurden – gegen diese Wertung richtete sich die Revision[/b]. Damit kamen die Verteidiger von Esed D. und Olga G. vor dem BGH nicht durch, sodass die Klever Entscheidung Bestand hat.


http://www.derwesten.de/region/niederrh ... 1375714850
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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xx_ER
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Beitrag von xx_ER »

Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser (Nietzsche)