Wie eine Prostituierte zur moralischen Instanz wurde

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Tanja_Regensburg
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Wie eine Prostituierte zur moralischen Instanz wurde

Beitrag von Tanja_Regensburg »

Ein Akt der Liebe



Aus dem SPIEGEL vom 24.03.2008

Wie eine Prostituierte zur moralischen Instanz wurde

Mario Kreutzberger liebt Überraschungen, jedenfalls im Prinzip. Beinahe sein ganzes Leben hat er damit verbracht, Überraschungen zu inszenieren; seinen Reichtum, seinen Ruhm verdankt er der Gabe, Menschen zu verblüffen.

"Sábados Gigantes" hieß seine erste Fernsehshow, "Riesige Samstage". 1962 war das, ein Mix aus Varieté, Stars und irren Einfällen. Kreutzberger war damals 22 Jahre alt, und weil das Konzept erfolgreich war, hat er es fortan nur noch leicht verändert. Schnell wurde er zum bekanntesten Gesicht im spanischsprachigen Fernsehen, beliebt in Lateinamerika, verehrt in seiner chilenischen Heimat. Ein Dinosaurier - mit der Frisur von Peter Frankenfeld und der Beständigkeit von Dieter Thomas Heck - der in mittlerweile 46 Fernsehjahren alles gesehen und alles erlebt hat.

Dachte er jedenfalls.

Einmal im Jahr lädt Kreutzberger zu der Wohltätigkeitsgala "Teletón" ein, einem 27stündigen Show-Marathon im Fernsehen, dessen Erlös behinderten Kindern zugutekommt. Kreutzberger hat die Sendung erfunden, er selbst führt, als "Don Francisco", durch das Programm; seit die Show zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, kamen mehr als 185 Millionen Euro zusammen.

Für den 21. Teletón hatte die Präsidentin Chiles ihr Kommen zugesagt und beinahe das gesamte Kabinett - der Teletón ist in Chile ein gesellschaftliches Ereignis.

Ein paar Tage vor der Sendung meldete sich eine Frau. Sie nannte sich Maria Carolina, und sie machte ein Angebot: Sie werde 27 Stunden arbeiten, verkündete sie, genauso lange, wie der Teletón dauere, und sie werde den Lohn spenden, ohne Abzüge.

Maria Carolina ist immer mal wieder in den Medien, einige Zeitungsleser kennen sie vielleicht sogar persönlich. Sie wohnt in Las Condes, einem vornehmen Stadtteil von Santiago, Chiles Hauptstadt, sie fährt einen teuren Geländewagen und verkehrt mit Männern, die Einfluss haben in Chile.

Maria Carolina hat eine eigene Website. Sie hat ein paar Fotos von sich auf die Seite gestellt: eine schöne, schlanke, junge Frau mit dunklen, langen Haaren und sehr blauen Augen. Über den Bildern steht eine Telefonnummer.

Maria Carolina, die Don Francisco den Lohn von 27 Stunden Arbeit versprach, ist Callgirl.

Für Kreutzberger, verheiratet, Vater dreier Kinder, begannen schwierige Tage. Chile ist ein katholisches Land. Prostitution ist erlaubt, gleichzeitig werden Prostituierte geächtet. Darf eine Wohltätigkeitssendung Geld annehmen, das von einer Prostituierten erarbeitet wurde? Kann ihr Verdienst eine gute Sache verderben? Und: Ist der Wert des Geldes abhängig davon, wie es verdient wurde?

Kreutzberger begann vorsichtig. "Natürlich kann jeder tun, was ihm gefällt", sagte er. "Aber wenn mir jemand erzählt, er werde etwas Unmoralisches tun, dann werde ich ihn nicht darin bestärken."

Die Spende, fügte er hinzu, entspreche "nicht seinen moralischen Standards", er fürchtete Proteste des Publikums, ein wenig bangte er wohl auch um den Ruf seiner Sendung, um die Leistung seines Lebens.

Teletón nehme Geld "aus viel fragwürdigeren Quellen" an, antwortete Maria Carolina.

So wurde aus der ungewöhnlichen Idee ein Duell: Mario Kreutzberger, 67, gegen Maria Carolina, 89-62-94.

Und Maria Carolina setzte nach, ließ ausrichten, sie arbeite gern als Prostituierte, der Job mache ihr Spaß, sie komme herum. Außerdem lerne sie interessante Leute kennen und steige in schönen Hotels ab, auch im Ausland sei sie schon gewesen.

Sie wurde zu Talkshows eingeladen, Radiosender baten um Interviews. Die Chilenen lernten eine pragmatische junge Frau kennen, mit einem Talent zur Selbstvermarktung und mit einem Haufen Ideen. Sie verkauft Nacktfotos von sich als Kalender zum Herunterladen, einsamen Frauen bot sie Unterricht an zum Thema "Wie verführe ich einen Mann?".

Maria Carolina, die Frau, die den Teletón bedrohte, bekam auf einmal ein Gesicht, eine Biografie.

Sie selbst habe einmal ein Kind verloren, sagte sie, bei einem Autounfall, ihr Sohn wurde nur drei Monate alt.

Bei dem Unfall sei auch ihr Ehemann gestorben, 23 Jahre älter als sie, der ihr Schulden hinterlassen habe. "Prostitution war das Einfachste, was ich gefunden habe", sagte Maria Carolina. Kreutzberger, an seine Rolle als Wohltäter und Spendensammler gewöhnt, erschien auf einmal klein und hartherzig.

Kritiker von Maria Carolina unternahmen einen letzten Versuch. Es gehe der jungen Frau nur um PR, behaupteten sie, sie wolle das Wohltätigkeitshonorar einbehalten.

Sofort veröffentlichte Maria Carolina den Einzahlungsbeleg auf ihrer Website: 2,7 Millionen Pesos.

Ein einziger Kunde, angeblich ein reicher Minenbesitzer aus Kanada, habe die 27 Stunden im Voraus bezahlt, sagte sie, aber die Gegenleistung sei noch nicht erbracht. Er habe sie jedoch für ein paar Tage in ein Hotel im Süden Chiles eingeladen.

Das Geld war gar nicht schmutzig, niemand wusste mit Sicherheit, ob Maria Carolina die Gegenleistung je würde erbringen müssen. Es war ein großer Schachzug, der letzte in diesem Duell.

Kurz vor Beginn der Sendung gab Mario Kreutzberger auf. Er nahm das Geld an. JENS GLÜSING

www.mariacarolina.cl
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Marc of Frankfurt
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Geldgesteuerte Moral

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Alle Achtung.

(140 Euro/h)

Das was früher schmutziges Geld war ist heute schwarzes! D.h. die moralische Pflicht hat sich vom Gelderwerb aufs Geldversteuern erweitert.

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