Sexarbeiterinnen in der Corona Armut Interviews

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Zwerg
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Sexarbeiterinnen in der Corona Armut Interviews

Beitrag von Zwerg »

Ein paar Worte zum Thema Sexarbeit und Corona

https://www.warda.at/magazin/1037-sexar ... nem-helfer

SexarbeiterInnen in der Corona-Armut – Interviews mit einem Sexworker und einem Helfer
von Kristin Natalie Urbanek am 14. April 2020

Neben Clubs, Bars und Restaurants sind aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus auch sexuelle Dienstleistungen mit massiven finanziellen Herausforderungen konfrontiert - klar, denn Bordelle blieben von den temporären Schließungen nicht verschont. Wir haben uns mit einem Sexworker und einem Helfer der Branche gesprochen.

Die Folge dieser sozialen und auch wirtschaftlichen Isolation ist eine gefährliche und oft ausweglose Situation für SexarbeiterInnen. Viele haben keine andere Wahl als illegal per Anzeige im Netz ums Überleben zu kämpfen oder auf der Straße dem ältesten Gewerbe der Welt nachzugehen. Mit dem Einkommen fällt für die Betroffenen oft auch das Dach über dem Kopf weg - ganz abgesehen von Migranten, die wegen den geschlossenen Grenzen nun nicht zurück in ihre Heimat können und der Armut schutzlos ausgeliefert sind. Sind Sexworker also die Vergessenen der Krise?

SexarbeiterInnen müssen sich als Neue Selbstständige versichern und bei der Polizei melden, um in Österreich legal tätig zu sein und Unterstützung aus dem Härtefallfonds beantragen zu können. So die Theorie. Wie das in der Praxis aussieht, ist oft eine vollkommen andere Angelegenheit. Eine starke Stimme für die oft Unsichtbaren unserer Gesellschaft ist Christian Knappik von sexworker.at.

Wir haben um einen Blick hinter den Vorhang gebeten:

Gemeldete SexarbeiterInnen können als Neue Selbstständige einen Antrag stellen und damit auf den Härtefall-Fonds zugreifen - funktioniert das? Reicht das? Und gibt es hier weiteren Unterstützungsbedarf?

"Für einige funktioniert der Härtefonds. Jedoch gibt es auch in einigen westlichen Bundesländern eine relativ große Gruppe von SexarbeiterInnen, welche durch windige Steuermodelle – von BetreiberInnen entworfen und von den Finanzämtern akzeptiert – nicht nur bisher übervorteilt wurden, sondern auch jetzt nicht in den Genuss des Härtefallfonds kommen können, da ihnen die Voraussetzungen fehlen, obwohl sie bisher Steuern und Abgaben bezahlt haben.

Die Höhe der Auszahlungen aus dem Härtefonds fangen nur einen Bruchteil des entstandenen Schadens auf. Dies wird auch auf andere Selbstständige zutreffen."

Im Zuge der Corona-Krise haben viele Sexarbeitende nicht nur ihren Arbeitsplatz verloren, sondern auch ihre Wohnmöglichkeit. Gibt es Alternativangebote für Betroffene?


"Keine Offiziellen."

Gibt es private Anfragen im Sinne von "Muss ja keiner wissen"? Was raten Sie den Betroffen in solchen Fällen?


"Auch hier wird es SexarbeiterInnen genauso ergehen, wie etwa FußpflegerInnen, FriseurInnen usw. Wir klären über die verbundenen Risiken auf."

Wie sieht es mit Alternativen wie Telefonsex oder dergleichen aus? Ist das eine Möglichkeit?

Nur für eine ganz kleine Gruppe. Es fehlt nicht nur die Ausrüstung, sondern auch die Umsetzungsmöglichkeit."

Sie selbst bieten für SexarbeiterInnen rund um die Uhr Auskunft und Hilfe an - mit welchen Themen werden Sie derzeit konfrontiert?

"Mehr als sonst mit Fragen des täglichen Überlebenskampfes. In vielen Fällen reicht das Geld nicht. Die häufigste Frage ist „Wann – wie lange?“

Wie geht der Staat aus ihrer Sicht mit diesem Thema um? Fühlen sich die Betroffenen ausreichend unterstützt und falls nicht - wie würde eine ordentliche Unterstützung aussehen?

"Der Staat ist überfordert. Ich weiß nicht, ob man daraus einen Vorwurf konstruieren kann.

Wichtig ist, dass man zeitnahe – und zwar unbedingt vor der offiziellen Erlaubnis, wieder Sexarbeit auszuüben – die Gesundheitsämter wieder öffnet! Es wäre verheerend, wenn man Sexarbeit ausüben dürfte, jedoch die amtlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil ein Stempel fehlt. Dieser weitere Ruck in Richtung „unsichtbare Sexarbeit“ käme einer Kriminalisierung gleich. Wenn das Verständnis für ein Versagen des Staates fehlt, kann das leicht geschehen"

Wann wird es ihrer Einschätzung nach wieder möglich sein, Sexarbeit legal und sicher verrichten zu können? Hier geht es ja auch um notwendige Behördenwege, Gesundheitschecks oder das Kundenvertrauen, das unter solchen Umständen vielleicht leidet.

"Die Frage wann legal und sicher Sexarbeit ausgeübt werden kann, sind eigentlich zwei Fragen. Selbstbestimmte Sexarbeit – und hier meinen wir Sexarbeit ohne Jemand der mitverdient (also ohne BetreiberIn) – ist in den meisten Bundesländern durchwegs verboten. Man bekommt keine Genehmigung Sexarbeit auszuüben, ohne dass man von einem Betreiber angemeldet wird. Das wollen viele SexarbeiterInnen nicht. Dadurch erklärt sich auch die hohe Dunkelziffer von „nicht angemeldeten SexarbeiterInnen“. Wohlgemerkt: Dies heißt nicht automatisch, dass diese Frauen und Männer keine Steuern und Sozialabgaben bezahlen! Sie machen dies unter einem anderen Mascherl.

Sicher? Dazu müsste auch die rechtliche Position der SexarbeiterInnen bedenken. Je mehr, aus unserer Sicht sinnlose, Auflagen und Kontrollmechanismen von staatlicher Seite erfolgen, desto eher weichen SexarbeiterInnen in den unsichtbaren Bereich aus. Sie verwenden in Ihrer Frage das Wort Gesundheitscheck. Ein Beispiel von sinnloser Sanktionierung gegen SexarbeiterInnen, da bei diesen Zwangsuntersuchungen weder Befunde ausgestellt werden, noch Behandlungen erfolgen, falls etwas nicht passen sollte.

Wir in Österreich sind übrigens europaweit die Einzigen, welche Zwangsuntersuchungen an SexarbeiterInnen noch durchführen. Vor zwei Jahren hat zum Beispiel Ungarn derartige Untersuchungen eingestellt – mit dem Hinweis auf die damit verbundene Menschenrechtsverletzung. In der europäischen Menschenrechtskonvention ist explizit der Schutz der Privat- und Intimsphäre hervorgehoben. Für SexarbeiterInnen scheint das aber nicht zu gelten