Sibylle Berg die Zweite:
Ein paar Antworten
> Sibylle Berg: "Zwanzig Freier in einer Nacht biedienen" - Das heißt Sexdienstleistung für mehr oder weniger kleines Geld und ist daher etwas anderes, als das was Escorts beim Hotelbesuch als Dienstleistung bieten und keinstenfalls vergleichbar mit einer 'Hochzeitsnacht'. Es wird viel inszeniert, teilw. Falle gebaut und alles geht relativ schnell (Quicky). Wären da nicht die Wartezeiten, wo man vergeblich nach Kundschaft Ausschau hält und sich dennoch draußen aufhalten muß, könnte man die 20 Kunden innerhalb von wenigen Stunden bedienen. Im Pornokino in der Innenstadt (Langstrasse) wäre so was möglich, aber da werden Sexworker von Stadt und Polizei vertrieben. Demnächst wird es in Zürich einen Safer-Straßenstrich geben mit Wartehäuschen und Waschgelegenheit...
> Sibylle Berg: "Haben sie Lust?" - Um die Lust der Sexworker geht es nicht! Das ist ein Mißverständnis, was bei der sexualisierten Dienstleistungs-Arbeit, der Prostitution oft in der Öffentlichkeit herumgeistert.
Worauf wir Lust haben, ist ein Einkommen zu erzielen, was evt. einfacher und schneller funktioniert als wir es bei anderen Gelegenheiten können, wo man anerkannte Zeugnisse, Sprachkenntnisse, die richtige Nationalität, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Ehestand, Konfession etc. vorweisen muß und viele daher diskriminiert dh. ausgegrenzt sind...
> Sibylle Berg: "Haben sie Lust?" - Lust auf Arbeit haben eher nur privilegierte Kreise mit den gesellschaftlich anerkannten und gut honorierten Berufen. Viele Sexworker kommen gar nicht in die Verlegenheit sich nach Lust-Berufen oder Arbeitsstätten umzusehen. Vielmehr suchen wir nach maximaler Flexibilität, Freiheit, Effizienz und Rendite gemessen an unseren begrenzten Möglichkeiten und Chancen. Das Migrationswagnis ins wohlhabende Ausland und in die teilweise profitable Sexarbeit versprechen genau das. Dazu hören wir uns genau um, was Leute berichten können, die diese Wege schon gegangen sind. Viele wagen, einige gewinnen aber leider verlieren auch viele. Auch beim American Dream wurden nur abzählbar wenige Tellerwäscher zu Millionären.
> Sibylle Berg: "Vielleicht gibt es ja Frauen, die freiwillig mit Fremden für Geld verkehren." - Ja die gibt es tatsächlich!!! Danke dass sie Sexworker (weiblich, männlich, cis und transgender) so wenig kennen, bzw. einzuschätzen vermögen, dass sie uns das nur scheibchenweise zuzugestehen wagen.
> Sibylle Berg: "Dabei ging es um etwas recht Vernünftiges." - Das möchten wir Sexworker immer noch selbst entscheiden dürfen. Dasselbe gilt für Migrant_innen und unsere Kunden. Wenn es denn sooo vernünftig wäre, dann wäre das angebliche sog. Prostitutionsproblem in unserer aufgeklärten, post-demokratischen Welt längst überwunden oder überflüssig.
> Sibylle Berg: "nachzudenken, was Prostitution mit unserem Bild vom Menschen macht." - Das ist ein guter Ansatz. Aber dazu gehört Dialog und Gespräch mit uns Sexworkern. Ideologisch-feministische Pamphlete zur Abschaffung von Prostitution und mithin unseren Einkunftsmöglichkeiten sind da eher Denkblokaden.
Die Käuflichkeit, was Sexworker-Körper angeblich zur Ware macht, ist kein Problem der Prostitution. Dort wird es nur sexualisiert sichtbar und durch Spiegelneurone emotional erlebbar. Aber es ist ein Thema der Universalität und Ubiquität des Kapitalismus und hegemonialen Geldsystems. Hier muß das Nachdenken beginnen, wenn man die globalisierte Migration in die Prostitution auch nur ansatzweise verstehen will.
> Sibylle Berg: "Ich habe nicht über männliche Prostitution geschrieben (Notiz an mich: machen)" - Da können wir dann direkt in einen Dialog treten und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten und die vielen Teilbereiche erforschen um dem Verständnis der Sexarbeit näher zu kommen. Schon als Frau kann man sich dem Thema explorativ selbst nähern, wenn man zeitweise die Kundinnen-Rolle einnimmt. In Deutschland gibt es ein paar darauf spezialisierte Webseiten, oder man schaut sich in den typischen Reisedestinationen um wie Kenia, Dom.Rep... Auch eine Reise in schriftliche Quellen leistet hier große Dienste.
> Sibylle Berg: "das älteste Gewerbe der Welt, wie Idioten es immer nennen" - die müssen wirklich naiv sein, wenn sie das Jagd-Business, das Kriegshandwerk, die Hebammen und Hexen... gepflissentlich übersehen (Schowies?). Nichtsdestotrotz ist Prostitution uralt und hat eine mündliche Überlieferung bis in die Bordelle und Straßenstrichgebiete von heute. Entstanden ist die Branche vmtl. mit den großen Städten der ersten Hochkulturen, wo sowohl Bevölkerungswachstum und Anonymität als auch Wohlstand und Gelderfindung erreicht waren. Im Gilgamesh-Epos ist die Kultivierung des wilden Mannes durch die Hure bezeugt und im
Kama Sutra wurde unser Geheimwissen erstmals kodifiziert. Eine
Sexworker-Befreiungstheologie existiert inzwischen auch.
> Sibylle Berg: "respektvollen Blick auf Frauen" - Nicht nur die Kurtisanen unter uns sondern viele weiblichen Sexworker, auch solche vom Straßenstrich berichten, dass gerade in der Prostitution der Respekt des Kunden-Mannes, der um die Gunst der Frau mit Geldgeschenken freit, im Durchschntt eher gehoben und respektvoll ist. Das gilt wenn man nicht in ausbeuterischen Rahmenbedingungen oder üblen Betrieben gefangen ist und viele Sexworker haben die Kraft und Freiheit sich die ihnen am meisten zusagenden Arbeitsverhältnisse zu suchen. All das ist möglich falls sie nicht von anbeginn an durch Gewalt oder Betrug bis hinein in die Herkunftsfamilie oder Gruppenclan verkauft und versklavt wurden und damit den Status Sex-Arbeiter d.h. Prostituierte oder Unternehmer_in gar nicht mehr haben.
> Sibylle Berg: "die mit mehr Macht, über die Körper einer anderen verfügt." - Auch das ist kein ausschließlich prostitutionstypisches Problem. Wenn wir durch die Macht unserer Kaufkraft ganze Bevölkerungsgruppen in der 3. Welt in erbärmlichste, menschenfeindliche Fabriken locken/zwingen, so ist die indirekt ausgeübte Gewalt bisweilen so schrecklich und der Grund, dass Leute das Risiko der Migration in den Westen in die Sexarbeit dem vorziehen.
Hinzu kommt dass die Machtbalance bei der Prostitution auf der Seite der Sexarbeiter_in liegt, insbesondere sobald der Mann sein Geld als Vorleistung der Sexarbeiterin seiner Wahl übergeben hat und solange er unbefriedigt sich einen gelungenen sexuellen Kontakt wünscht und für eine ihn beglückende Zweisamkeit kooperiert.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Wir Sexworker kennen alle möglichen Orientierungen, Fetische und sog. "Perversitäten". Aber perverse Gewalttaten gehören nicht dazu. Deshalb fordern wir Schutz und Anerkennung unserer Dienstleistungskunst und wertvollen sozialen Befriedigungsarbeit. Das ist in Schweden kaum mehr gewährleistet. Ein Land wo einer der höchsten internationalen Repräsentanten des Prostitution-Kauf-Verbots, ein leitender Polizist später enttarnt wurde Minderjährige für SM-Sex zu bezahlen und sogar zu vergewaltigt zu haben.
> Sibylle Berg: "Eine Sexarbeiterorganisation fühlte sich beleidigt, schön für ihre Mitglieder, dass sie einen Zugang zum Computer haben und einen deutschen Text lesen können." - Schön über eine zweite Zeitungskolumne erfahren zu können, dass unsere Message angekommen ist. Uns aber als Computernutzer gleichsam als nicht repräsentativ zu beglückwünschen, für das eigene Bild der ausgebeuteten Sexsklavin, das spricht Bände über den großen Graben, den es noch aufzuklären gilt.
> Sibylle Berg: "Viele Frauen, die als Prostituierte arbeiten, können das nicht. In Zürich zum Beispiel kommen sie vornehmlich aus Ungarn, oder es sind Rumäninnen" - Als wenn die Herkunft-Ortsangabe entgültig klar entscheiden könnte wer die modernen Medien kompetent nutzen kann. Die Studie aus Zürich zeigt gerade, dass die zweitgrößte Gruppe auf dem Straßenstrich aus der Weltstadt Budapest kommt und von allen Sexworkergruppen die Mehrheit eine abgeschlossene Schulausbildung haben. In ihrer Wahrnehmung scheinen wohl die sensationalistischen Opferberichte in den Medien und von den Hilfsorganisationen (die beide daraus einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen) und die seit Jahren auf die Öffentlichkeit niederprasseln eine prägende-wirklichkeitsverzerrende Wirkung entfaltet zu haben.
> Sibylle Berg: "Prima, wenn einige erfolgreiche Unternehmerinnen sich eigene Bordelle aufgebaut haben, an denen sie gut verdienen, in denen wunderbare Arbeitsbedingungen herrschen." - Die Unternehmerinnen die es geschafft haben, werden das zu schätzen wissen ebenso wie die dortigen Mitarbeiter_innen und z.B. alle dem ProstG seit 2002 dankbar sein. Aber damit es noch mehr erfolgreiche Sexworker gibt, beziehungsweise, dass jede Sexarbeiterin erfolgreich eine Unternehmerin ihrer Selbst sein kann, so wie eine Kosmetikerin oder Rechtsanwältin, braucht es sichere gesetzliche Rahmenbedingungen und wesentlich verbesserte Infrastruktur für Sexworker (Künstlersozialkasse, Sexworker-Genossenschaftsbank wie in Indien, Berufskrankheitenanerkennung, Antidiskriminierungsgesetz, SW-Erwachsenen-Fortbildung, Sexwoker-Altenheim wie in Mexiko...).
> Sibylle Berg: "damit sich irgendwann nur die Menschen körperlich vermieten, die es wirklich wollen." - Das sollte eine selbstverständliche Tautologie sein. Dazu muß der Armuts-Wohlstands-Gradient abgebaut werden, sowohl international zwischen den Regionen, aber auch national zwischen den Klassen und Geschlechtern (23% in D, 8% in CH?). Wenn sie da ansetzen, sind wir Sexworker sofort ihre Verbündeten.
> Sibylle Berg: "das sind höchstens 10% derer, die es momentan [freiwillig] tun." - reine Spekulation. Wie soll man das wissen, wenn wir noch nichtmal in einer anerkannten, zählbaren Branche wissen, wieviele z.B. der ehemaligen Schleckerfrauen gerne den lebensgefährlichen, aufopferungsvollen Job allein in einer Filiale nachgegangen sind?
> Sibylle Berg: "fand die Idee, Freier zu bestrafen, um bei ihnen ein Bewusstsein für ihr Handeln zu schaffen, nicht gut." - das finden die meisten Sexworker nicht gut, weil es unsere Kundschaft kriminalisiert, in unseren Markt diktatorisch-absolutistisch eingreift, unsere Einkunftsmöglichkeiten so verschlechtert, dass wir kaum noch sichere Kunden auswählen können und nur noch im Untergrund arbeiten können, wo eine Kriminalisierung nicht scheuende Profiteure sich uns aufdrängen werden... Bitte nehmen sie sich die Zeit und lesen sie die Studien und Nachrichten aus Schweden, die wir im Sexworker Forum dokumentiert und verlinkt haben:
Das Schwedische "Modell" der Prostitutionsverbote ist ein gescheitertes Experiment des sozialen Engineerings" sagt Prof. Ann Jordan, Anti-Menschenhandel-Forschungsinstitut Washington.
> Sibylle Berg: "nachzudenken, was ich auf der Welt verändern würde, wenn es in meiner Macht stünde." - Zu bestimmen wie die Verhältnisse von anderen Menschen in der internationalen Pendlermigration und seit Urzeiten etabierten Prostitution geändert werden, liegt sicher nicht in ihrer Macht. Was sie zweifelsohne ändern können, ist ihre persönliche Einstellung zu uns Sexarbeiter_innen und unseren Kund_innen, damit sie endlich mal welche persönlich kennenlernen. Damit sich mal endlich welche trauen sich ihnen privat zu offenbaren. Es gibt Sexworker und Paysexkunden höchstwahrscheinlich in ihrer Familie, Nachbarschaft, bei ihren Arbeits- und Geschäftskontakten und überall in den Orten wo sie wohnen und leben.
> Sibylle Berg: "Vergewaltigungen" - Ob solche Zahlen kausal mit Prostitution korrelieren ist genauso fraglich wie die Zahl von Sexdienstleistungen und ob sich diese Zahl verändert unter Prostitutionsverbot. Siehe die Prohibitionserfahrungen in USA oder die ewigen Drogendiskurse. Siehe die schlechte Studie des Ministeriums aus Schweden.
> Sibylle Berg: "denen es Freude macht, mit Fremden für Geld zu verkehren." - Es gibt auch Frauen denen es freude macht mit Fremden ohne Geld zu verkehren. Evt. müssen sie sowohl ihre Beziehung zu Sex, zu Fremden und zu Geld und den jeweiligen Kombinantionen davon überdenken, bevor sie uns Sexworker verstehen lernen können.
> Sibylle Berg: "noch viel mehr gewöhnen sich nie daran, weil sie es nie wollten." - Denen sollte unsere vereinte Hilfe zuteilwerden:
www.sexworker.at/exit
> Sibylle Berg: "(Notiz an mich: Drogen frei verkäuflich machen)" - Wie können sie das verantworten? Die Suchtprobleme mit den heute frei erhältlichen Drogen sind ja schon unerträglich (Alkohltote und -amputationen...). Oder aber ist Sex nicht auch nur eine Droge, die frei verkäuflich sein sollte. Warum soll eine kompetente Frau nicht der Dealer von endogenen Drogen sein dürfen, die der Mann und Kunde selbst mitbringt?
> Sibylle Berg: "toller Begriff, den ich von den Sexworkern gelernt habe: Love-Box" - Na da hat sich unsere Aufklärungs-Arbeit doch gelohnt, wenn ein Fachbegriff die Köpfe gewechselt hat. Noch besser ist: "Safer-Sex-Box" als strukturelle Sicherheit bei out-door Sexwork & Paysex.
> Sibylle Berg: "Zähne putzen, den Nächsten suchen" - Das sollte man gerade nicht machen! Wenn man Sex mit Oralsex hat, sollte man nicht die Zähne putzen, sondern Gurgeln und Mundspülen, um Mikroläsionen im Bereich des Zahnfleischs zu verhindern, die ein mögliches Eintrittstor für STI darstellen. Aber das ist Fachwissen, was wohl eher professionellen Sexworkern zukommt und auf dem Straßenstrich von älteren an jüngere weitergegeben wird. Wir haben übrigens insgesamt statistisch in den wohlhabenden Ländern einen höheren Gesundheitsstatus bzgl. STI als die Allgemeinbevölkerung (also diejenigen die eingleisig Sex ohne parallele Geld-Weitergabe haben;-).
> Sibylle Berg: "gleichberechtigten Welt" - Die Freiheit Nein zu sagen beinhaltet auch die Freiheit ja zu sagen und Sex zu verkaufen. Frauen werden nicht wirklich frei und gleichberechtigt sein können, solange Sexworker bzw. ihre Lebensweisen unterdrückt und diskriminiert werden. Solange Frauen sich die Verwertung ihrer wertvollsten Ressource beschneiden lassen durch Patriarchen oder weibliche Mitbewerberinnen im System dieses Machtgefälles.
Wir fordern Respekt und Entkriminalisierung. Sprecht mit uns, aber schreibt nicht einseitige Zeitungskolumnen über Sexwork aus einer Perspektive der Unerfahrenheit, wo aber Sexworker vermutlich kaum auf gleicher Augenhöhe (Medienhöhe) werden antworten können.
Soviel fürs erste. Euch fallen sicher noch andere Aspekte ein, die dringend mal wieder aufgeschrieben werden müssen in der feministischen Prostitutionsdebatte.
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