Selbstbestimmte Sexarbeiterin? Für einige immer noch undenkbar

Ein nahezu unerschöpfliches Thema: Psychologische Betrachtungsweise der Sexarbeit
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deernhh
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Selbstbestimmte Sexarbeiterin? Für einige immer noch undenkbar

Beitrag von deernhh »

Sexarbeit

Die selbstbestimmte Hure ist noch immer undenkbar

Prostituierte sind bemitleidenswert und Freier sind zu verachten? Eine Sexarbeiterin wehrt sich gegen diese Logik. Nicht der Sex sei gefährlich, sondern das Stigma.

Ein Gastbeitrag von Kristina Marlen

28. Januar 2020, 17:53 Uhr6 Kommentare

Sexarbeit: Sex gegen Geld ist nicht wirklich aufregender, verruchter, schrecklicher, abgründiger oder schöner als – eben Sex.

Sex gegen Geld ist nicht wirklich aufregender, verruchter, schrecklicher, abgründiger oder schöner als – eben Sex. © David Hornback/​plainpicture

Yvonne, 34, meldet sich bei mir, weil sie endlich Sicherheit darüber haben will, ob sie auf Frauen steht. Außerdem will sie ihre devote Seite entdecken. Sie wünscht sich, gefesselt zu werden, aber sie fragt auch, ob wir uns auch küssen können und ob sie mich oral befriedigen darf. Ich fessele sie, und sie stellt schnell fest, dass sie es zu fest nicht mag. Wohl aber, wenn ich ihr auf den Po schlage und ihr dabei zurufe, was für ein prachtvolles Hinterteil sie hat. Wir haben eine intensive Zeit. Es reicht ihr, um festzustellen: Ich habe eine weitere Variante meiner Sexualität gefunden – aber meinen Freund liebe ich immer noch. Und: Ich mag Dirty Talk, das bringe ich jetzt mal ins heimische Schafzimmer.

Stefan, 36, ist ein absolute beginner – er hatte noch nie Sex. Er führt ansonsten ein normales Leben. Aber jegliches Spiel um erotische Kontakte war ihm schon als Jugendlicher ein Rätsel. In ein Bordell zu gehen, traut er sich nicht. Er wüsste nicht, was er mit der Frau machen soll. Stefan darf mich berühren, ich gebe ihm Feedback. Manchmal mit Atmung, Stimme und Bewegung, und er sieht und spürt, wie ich in den Genuss oder in die Erregung gehe. Er lässt langsam zu, dass ihn das auch erregt. Stefan sagt, er würde demnächst auch gern Geschlechtsverkehr ausprobieren. Er traut es sich jetzt zu.

Jens, 47, Consultant, hat einen Wollsockenfetisch. Er liebt Geruch und Textur, er liebt das Gefühl auf der Haut, und er liebt den Anblick. Am liebsten an den Füßen einer großen Frau, die ihn damit zärtlich tritt. Jens hat Familie und eine Ehefrau, die er sehr liebt. Aber das mit den Wollsocken sei nicht ihr Ding. Wenn ich ihn mit Wollsocken fessle, ihn damit kneble, jauchzt er. Wir lachen viel, er hat mehrere Orgasmen und ist froh, dass er bei mir so sein kann, "ohne sich völlig schräg zu fühlen".
Soraya möchte einmal nicht dominant sein
Soraya, 38, möchte einfach loslassen. Als Chefärztin liegt viel Verantwortung auf ihr. In ihrer Beziehung ist sie auch eher der dominante Part. Ich fessle Soraya in immer wieder neuen Positionen und verbinde ihr die Augen, bis sie nichts kann, außer sich auf ihren Körper zu konzentrieren. Sie ist allein mit sich und ihrer Atmung und fällt in einen Raum des Friedens. Das eine Mal hat sie dort einen Orgasmus, das andere Mal verweilt sie dort nur in tiefer Stille, denn manchmal halte ich ihr zusätzlich die Ohren zu.

All dies sind Begebenheiten aus meinem Alltag als Sexarbeiterin. Ich könnte die Liste lange fortführen. Sie wäre manchmal pornografischer, manchmal emotional berührend. Sexarbeit, das ist die selbstgewählte Bezeichnung für das, was im Gesetz "Prostitution" heißt. Unter Prostitution fallen alle Menschen, die gegen Entgelt oder geldwerten Vorteil sexuelle Handlungen anbieten.

Wenn von Prostitution die Rede ist, denken viele an eine hilflose Frau, die gezwungen ist, sexuelle Handlungen gegen ihren Willen auszuführen: (Weibliche) Prostituierte sind bemitleidenswert, und (männliche) Freier sind zu verachten. Weil diese Logik von Prostitutionsgegner*innen ständig wiederholt wird, regen Politiker*innen immer wieder ein "Sexkaufverbot" nach dem sogenannten Schwedischen oder auch Nordischen Modell an: Der Kauf sexueller Dienstleistungen würde damit verboten, Sexarbeiter*innen sollen von der Bildfläche verschwinden, und das vermeintlich zu ihrem Schutz: Laut Befürworter*innen eines Sexkaufverbots bleiben Prostituierte dabei "straffrei".

Tatsächlich würden Sexarbeiter*innen durch die Einführung des Schwedischen Modells jedoch arbeitslos und stigmatisiert. Unterstützung für sie – das gilt für Bordellbetriebe genauso wie für Arbeitsgemeinschaften – könnte unter Strafe gestellt werden. Es wäre auch riskant, an Sexarbeiter*innen Wohnraum zu vermieten: Falls sie dort arbeiten, können die Vermieter*innen belangt werden. Lebenspartner*innen oder erwachsene Kinder im gemeinsamen Haushalt könnten wegen Zuhälterei angeklagt werden. Sexarbeiter*innen kann das Sorgerecht für ihre minderjährigen Kinder entzogen werden.

In Schweden sind Prostituierte seit mittlerweile 22 Jahren gezwungen, illegal, erpressbar und an unsicheren Orten zu arbeiten. Sie sind von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und engagierte, selbstverwaltete Vertretungen wie "fuckforbundet" werden nicht unterstützt – ihre wird sogar Arbeit erschwert. Ihnen wurde zum Beispiel untersagt, ein Konto zu eröffnen, um internationale Fördergelder zu empfangen. Auch in Deutschland haben Selbstorganisationen wie der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen Probleme sich zu finanzieren, weil es keine staatliche Unterstützung gibt.

Huren zu beschuldigen, ist natürlich viel einfacher
Sexarbeiter*innen, die sich nicht entsprechend des Opfernarrativs verhalten, werden in Deutschland angefeindet und für unglaubwürdig erklärt: Sie trügen Schuld am Elend der Zwangsprostitution. Welch perfide Logik – als wäre nicht ein sozial- und migrationspolitisches Versagen schuld an Armut und Ungleichheit in Europa und der Welt. Huren zu beschuldigen, ist natürlich viel einfacher.

SPD-Politiker*innen, die sich nun für ein Sexkaufverbot aussprechen, sollten sich vor Augen halten, wem sie dabei politisch Vorschub leisten: Denn dieses Verbot untersagt auch Arbeitsmigration zum Zwecke der Prostitution. Es trifft also vor allem den großen Anteil nicht deutscher Sexarbeiter*innen. Im Kern ist das Gesetz migrationsfeindlich.

Die Gesellschaft kann sich die selbstbestimmte Hure bis heute nicht denken. In diesem Ressentiment versteckt sich, neben dem Bild der Frau als Opfer, eine tiefe Sexualfeindlichkeit. Vielen scheint es unvorstellbar, dass Sexarbeiter*innen eine erotische oder sexuelle Situation herstellen können, bei der sich nicht nur unsere Klient*innen, sondern auch wir selbst wohlfühlen. Das Schlüsselwort: Einvernehmlichkeit. So gesehen unterscheidet sich privater Sex nicht wesentlich von bezahltem.

Wie? Ja, richtig gelesen. Sex gegen Geld ist nicht wirklich aufregender, verruchter, schrecklicher, abgründiger oder schöner als – eben Sex. Diese Hypothese schmerzt das bürgerliche Selbstverständnis am meisten. Wir leben immer noch in einer Kultur des Tabus und der Zensur von Sexualität. Menschen besetzen das Thema mit Scham, Schuld und Angst. Angst auch, weil Intimität bedeutet, Grenzen zu öffnen und gleichzeitig zu wahren. Wer hat das schon wirklich gelernt? Es ist, als würden all diese Ängste auf käuflichen Sex projiziert.

Sexuelle Ängste sind Teil meiner Arbeit
Ich möchte diese Ängste nicht verurteilen. Es ist ja Teil meiner täglichen Arbeit, Menschen sensibel mit ihren sexuellen Ängsten zu begleiten. Problematisch ist es nur, wenn die eigene Angst zur Ideologie erstarrt – denn das ist der Ursprung eben jener sexualrepressiven Welle, die uns gerade zurückspült. Sex ist ein Tabu, und alle Menschen, die mit expliziten Inhalten arbeiten, spüren den konservativen Rollback.

Wenn ich von meiner Arbeit erzähle, sagen viele: "Das ist doch keine Prostitution. Da passiert ja kein richtiger Sex. Du bist eher wie eine Therapeutin. Außerdem kannst du dich ja ausdrücken." Also noch mal: "Richtiger" Sex passiert also nur dann, wenn ein Penis in eine Vagina gleitet. Und wenn die betroffene Frau sich dabei nicht wehren und artikulieren kann?

Warum kann sich eine Gesellschaft nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die einvernehmlich sexuelle Handlungen gegen Geld tauschen und dabei psychisch und physisch unversehrt sind? Warum muss es die Ausnahme sein, wenn eine Frau sexuellen Raum gestaltet und kein Opfer ist?
Sexuelle Kommunikation ist nicht einfach
Wenn es um private Sexualität geht, finden viele, dass Liebe bedingungslos sein und Sex sich "natürlich" ergeben soll. Das Wort "Verhandlung" finden wir dabei unpassend – dabei wäre es so hilfreich. Woher kommen unsere Bilder dieser "Natürlichkeit" zwischen Mann und Frau? Aus der Bravo? Von YouTube? Aus der Kirche? Was insbesondere Menschen mit weiblicher Sozialisation unter den Vorzeichen von "Liebe" und "Leidenschaft" tun, ohne dabei auf ihre Grenzen zu achten oder auf das, was sie sich selbst wünschen, ist haarsträubend. Da ich mich auf die Arbeit mit Frauen spezialisiert habe, kann ich das einschätzen.
Ich persönlich halte die Lügen und Mythen, die per Fernsehfilm oder Hollywood-Kino in unser Unbewusstes gefräst werden, für gefährlicher als Pornografie. Fragen Sie mal bitte sich selbst und auch Ihre Freund*innen: Warum hast du das letzte Mal Sex gehabt? Aus Leidenschaft? Aus Pflichtgefühl? Nächste Frage: War's gut?

Menschen, die keine Lust mehr auf Sex in ihrer Partnerschaft haben, haben nicht generell keine Lust mehr auf Sex. Sie haben aufgehört, zu experimentieren und aufeinander einzugehen – weil sexuelle Kommunikation nicht einfach ist. Eben deshalb wenden sich Menschen an uns Profis. Bei uns probieren sie Dinge aus, die sie sonst nicht wagen.

Sex ist magic. Sexualität kann therapeutisch wirken, eben weil sie mit Gefühlen, mit Körpergedächtnis, mit Trauma und Erlösung verknüpft ist, mit Autonomie und Hingabe, bis hin zur Fähigkeit, im Orgasmus loszulassen. Menschen dabei zu begleiten, in ihre sexuelle Kraft zu kommen: Das ist tiefenpsychologische Arbeit, das ist körperlich anstrengendes Handwerk, das ist Sozialarbeit, das erfordert Empathie und Kommunikation. Sexarbeiter*innen sind Multitalente! Wir stolpern nicht hilflos in unsere Jobs. Wir haben erprobt und entschieden, was wir bereit sind zu geben. Und für welchen Preis.

Sexualisierte Gewalt kann man nicht mit repressiver Politik bekämpfen
Es gibt Probleme mit sexualisierter Gewalt in der Sexarbeit, und es gibt Probleme mit sexualisierter Gewalt in Ehen, Familien, Partnerschaften, dem öffentlichen Raum. Die Ursachen dafür sind vielfältig, aber zugrunde liegt häufig eine tiefsitzende Misogynie. Wer glaubt, sexualisierter Gewalt mit einer repressiven Sexualpolitik entgegnen zu können, irrt. Die meisten Formen von restriktiver Sexualmoral haben patriarchalen Ursprung und bedrohen die Freiheit weiblicher Sexualität. Ein Sexkaufverbot ist in Wahrheit ein Angriff auf alle Frauen, die anders mit ihrer Sexualität umgehen, als es das bürgerliche Modell vorsieht. Ihr wollt uns nicht retten, ihr wollt ganz einfach, dass wir verschwinden. Aber wir fordern Rechte und Anerkennung.

Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Segment wir arbeiten – die Arbeitsplätze in der Sexarbeit sind vielfältig. Wir haben unterschiedliche Fähigkeiten, persönliche Grenzen und Arbeitsweisen. Für manche ist es lebenslange Berufung, für manche eine pragmatische Entscheidung auf Zeit. Nicht für alle ist der Beruf geeignet. Wer aussteigen will, muss unterstützt werden – mittels kostenloser und freiwilliger Beratung, finanziellen und sozialen Maßnahmen. Manche sind in Zwangslagen oder werden zur Sexarbeit gezwungen – das ist bereits jetzt illegal und braucht keine zusätzlichen Gesetze.

Yvonne, Stefan, Jens und Soraya begegnen mir mit Respekt. Nach dem Schwedischen Modell wären sie Straftäter. Mit dem Gesetz wäre ich in meiner wirtschaftlichen und professionellen Existenz bedroht. Ich wäre auch körperlich gefährdet, denn zu mir kämen nicht mehr Yvonne, Stefan, Jens und Soraya, sondern Kunden, die bereit sind, eine Straftat zu begehen. Ich würde mich im rechtsfreien Raum bewegen. Ich könnte nicht für meine Arbeit werben, um meine Angebote und meine Grenzen in aller Klarheit zu kommunizieren. Ich müsste allein arbeiten, ohne Kontakt zu Kolleg*innen. Ich hätte auch keinen rechtlichen oder polizeilichen Schutz im Falle eines Übergriffs.

Nicht der Sex ist gefährlich, sondern das Stigma. Die Angst vor dem gefährlichen Sex, das ist nur die Angst, den sexuellen Raum nicht gestalten zu können. Sexarbeiter*innen gestalten aber. Sie haben Rückgrat und zeigen Gesicht, wenn es um sexuelle Verhandlungen geht. Wir haben keine Angst vor dem sexuellen Raum. Wir betreten ihn, wir kennen uns darin aus. Es ist eure Angst.

Sprecht mit uns, nicht über uns.

https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-0 ... ionsgesetz
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Re: Selbstbestimmte Sexarbeiterin? Für einige immer noch undenkbar

Beitrag von Zwerg »

Die selbstbestimmte Hure ist noch immer undenkbar
Prostituierte sind bemitleidenswert und Freier sind zu verachten? Eine Sexarbeiterin wehrt sich gegen diese Logik. Nicht der Sex sei gefährlich, sondern das Stigma.
Ein Gastbeitrag von Kristina Marlen

Yvonne, 34, meldet sich bei mir, weil sie endlich Sicherheit darüber haben will, ob sie auf Frauen steht. Außerdem will sie ihre devote Seite entdecken. Sie wünscht sich, gefesselt zu werden, aber sie fragt auch, ob wir uns auch küssen können und ob sie mich oral befriedigen darf. Ich fessele sie, und sie stellt schnell fest, dass sie es zu fest nicht mag. Wohl aber, wenn ich ihr auf den Po schlage und ihr dabei zurufe, was für ein prachtvolles Hinterteil sie hat. Wir haben eine intensive Zeit. Es reicht ihr, um festzustellen: Ich habe eine weitere Variante meiner Sexualität gefunden – aber meinen Freund liebe ich immer noch. Und: Ich mag Dirty Talk, das bringe ich jetzt mal ins heimische Schafzimmer.

Stefan, 36, ist ein absolute beginner – er hatte noch nie Sex. Er führt ansonsten ein normales Leben. Aber jegliches Spiel um erotische Kontakte war ihm schon als Jugendlicher ein Rätsel. In ein Bordell zu gehen, traut er sich nicht. Er wüsste nicht, was er mit der Frau machen soll. Stefan darf mich berühren, ich gebe ihm Feedback. Manchmal mit Atmung, Stimme und Bewegung, und er sieht und spürt, wie ich in den Genuss oder in die Erregung gehe. Er lässt langsam zu, dass ihn das auch erregt. Stefan sagt, er würde demnächst auch gern Geschlechtsverkehr ausprobieren. Er traut es sich jetzt zu.

Jens, 47, Consultant, hat einen Wollsockenfetisch. Er liebt Geruch und Textur, er liebt das Gefühl auf der Haut, und er liebt den Anblick. Am liebsten an den Füßen einer großen Frau, die ihn damit zärtlich tritt. Jens hat Familie und eine Ehefrau, die er sehr liebt. Aber das mit den Wollsocken sei nicht ihr Ding. Wenn ich ihn mit Wollsocken fessle, ihn damit kneble, jauchzt er. Wir lachen viel, er hat mehrere Orgasmen und ist froh, dass er bei mir so sein kann, "ohne sich völlig schräg zu fühlen".
Soraya möchte einmal nicht dominant sein

Soraya, 38, möchte einfach loslassen. Als Chefärztin liegt viel Verantwortung auf ihr. In ihrer Beziehung ist sie auch eher der dominante Part. Ich fessle Soraya in immer wieder neuen Positionen und verbinde ihr die Augen, bis sie nichts kann, außer sich auf ihren Körper zu konzentrieren. Sie ist allein mit sich und ihrer Atmung und fällt in einen Raum des Friedens. Das eine Mal hat sie dort einen Orgasmus, das andere Mal verweilt sie dort nur in tiefer Stille, denn manchmal halte ich ihr zusätzlich die Ohren zu.

All dies sind Begebenheiten aus meinem Alltag als Sexarbeiterin. Ich könnte die Liste lange fortführen. Sie wäre manchmal pornografischer, manchmal emotional berührend. Sexarbeit, das ist die selbstgewählte Bezeichnung für das, was im Gesetz "Prostitution" heißt. Unter Prostitution fallen alle Menschen, die gegen Entgelt oder geldwerten Vorteil sexuelle Handlungen anbieten.

Wenn von Prostitution die Rede ist, denken viele an eine hilflose Frau, die gezwungen ist, sexuelle Handlungen gegen ihren Willen auszuführen: (Weibliche) Prostituierte sind bemitleidenswert, und (männliche) Freier sind zu verachten. Weil diese Logik von Prostitutionsgegner*innen ständig wiederholt wird, regen Politiker*innen immer wieder ein "Sexkaufverbot" nach dem sogenannten Schwedischen oder auch Nordischen Modell an: Der Kauf sexueller Dienstleistungen würde damit verboten, Sexarbeiter*innen sollen von der Bildfläche verschwinden, und das vermeintlich zu ihrem Schutz: Laut Befürworter*innen eines Sexkaufverbots bleiben Prostituierte dabei "straffrei".

Tatsächlich würden Sexarbeiter*innen durch die Einführung des Schwedischen Modells jedoch arbeitslos und stigmatisiert. Unterstützung für sie – das gilt für Bordellbetriebe genauso wie für Arbeitsgemeinschaften – könnte unter Strafe gestellt werden. Es wäre auch riskant, an Sexarbeiter*innen Wohnraum zu vermieten: Falls sie dort arbeiten, können die Vermieter*innen belangt werden. Lebenspartner*innen oder erwachsene Kinder im gemeinsamen Haushalt könnten wegen Zuhälterei angeklagt werden. Sexarbeiter*innen kann das Sorgerecht für ihre minderjährigen Kinder entzogen werden.

In Schweden sind Prostituierte seit mittlerweile 22 Jahren gezwungen, illegal, erpressbar und an unsicheren Orten zu arbeiten. Sie sind von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und engagierte, selbstverwaltete Vertretungen wie "fuckforbundet" werden nicht unterstützt – ihre wird sogar Arbeit erschwert. Ihnen wurde zum Beispiel untersagt, ein Konto zu eröffnen, um internationale Fördergelder zu empfangen. Auch in Deutschland haben Selbstorganisationen wie der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen Probleme sich zu finanzieren, weil es keine staatliche Unterstützung gibt.
Huren zu beschuldigen, ist natürlich viel einfacher

Sexarbeiter*innen, die sich nicht entsprechend des Opfernarrativs verhalten, werden in Deutschland angefeindet und für unglaubwürdig erklärt: Sie trügen Schuld am Elend der Zwangsprostitution. Welch perfide Logik – als wäre nicht ein sozial- und migrationspolitisches Versagen schuld an Armut und Ungleichheit in Europa und der Welt. Huren zu beschuldigen, ist natürlich viel einfacher.

SPD-Politiker*innen, die sich nun für ein Sexkaufverbot aussprechen, sollten sich vor Augen halten, wem sie dabei politisch Vorschub leisten: Denn dieses Verbot untersagt auch Arbeitsmigration zum Zwecke der Prostitution. Es trifft also vor allem den großen Anteil nicht deutscher Sexarbeiter*innen. Im Kern ist das Gesetz migrationsfeindlich.

Die Gesellschaft kann sich die selbstbestimmte Hure bis heute nicht denken. In diesem Ressentiment versteckt sich, neben dem Bild der Frau als Opfer, eine tiefe Sexualfeindlichkeit. Vielen scheint es unvorstellbar, dass Sexarbeiter*innen eine erotische oder sexuelle Situation herstellen können, bei der sich nicht nur unsere Klient*innen, sondern auch wir selbst wohlfühlen. Das Schlüsselwort: Einvernehmlichkeit. So gesehen unterscheidet sich privater Sex nicht wesentlich von bezahltem.

Wie? Ja, richtig gelesen. Sex gegen Geld ist nicht wirklich aufregender, verruchter, schrecklicher, abgründiger oder schöner als – eben Sex. Diese Hypothese schmerzt das bürgerliche Selbstverständnis am meisten. Wir leben immer noch in einer Kultur des Tabus und der Zensur von Sexualität. Menschen besetzen das Thema mit Scham, Schuld und Angst. Angst auch, weil Intimität bedeutet, Grenzen zu öffnen und gleichzeitig zu wahren. Wer hat das schon wirklich gelernt? Es ist, als würden all diese Ängste auf käuflichen Sex projiziert.
Sexuelle Ängste sind Teil meiner Arbeit

Ich möchte diese Ängste nicht verurteilen. Es ist ja Teil meiner täglichen Arbeit, Menschen sensibel mit ihren sexuellen Ängsten zu begleiten. Problematisch ist es nur, wenn die eigene Angst zur Ideologie erstarrt – denn das ist der Ursprung eben jener sexualrepressiven Welle, die uns gerade zurückspült. Sex ist ein Tabu, und alle Menschen, die mit expliziten Inhalten arbeiten, spüren den konservativen Rollback.

Wenn ich von meiner Arbeit erzähle, sagen viele: "Das ist doch keine Prostitution. Da passiert ja kein richtiger Sex. Du bist eher wie eine Therapeutin. Außerdem kannst du dich ja ausdrücken." Also noch mal: "Richtiger" Sex passiert also nur dann, wenn ein Penis in eine Vagina gleitet. Und wenn die betroffene Frau sich dabei nicht wehren und artikulieren kann?

Warum kann sich eine Gesellschaft nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die einvernehmlich sexuelle Handlungen gegen Geld tauschen und dabei psychisch und physisch unversehrt sind? Warum muss es die Ausnahme sein, wenn eine Frau sexuellen Raum gestaltet und kein Opfer ist?
Sexuelle Kommunikation ist nicht einfach

Wenn es um private Sexualität geht, finden viele, dass Liebe bedingungslos sein und Sex sich "natürlich" ergeben soll. Das Wort "Verhandlung" finden wir dabei unpassend – dabei wäre es so hilfreich. Woher kommen unsere Bilder dieser "Natürlichkeit" zwischen Mann und Frau? Aus der Bravo? Von YouTube? Aus der Kirche? Was insbesondere Menschen mit weiblicher Sozialisation unter den Vorzeichen von "Liebe" und "Leidenschaft" tun, ohne dabei auf ihre Grenzen zu achten oder auf das, was sie sich selbst wünschen, ist haarsträubend. Da ich mich auf die Arbeit mit Frauen spezialisiert habe, kann ich das einschätzen.
Ich persönlich halte die Lügen und Mythen, die per Fernsehfilm oder Hollywood-Kino in unser Unbewusstes gefräst werden, für gefährlicher als Pornografie. Fragen Sie mal bitte sich selbst und auch Ihre Freund*innen: Warum hast du das letzte Mal Sex gehabt? Aus Leidenschaft? Aus Pflichtgefühl? Nächste Frage: War's gut?

Menschen, die keine Lust mehr auf Sex in ihrer Partnerschaft haben, haben nicht generell keine Lust mehr auf Sex. Sie haben aufgehört, zu experimentieren und aufeinander einzugehen – weil sexuelle Kommunikation nicht einfach ist. Eben deshalb wenden sich Menschen an uns Profis. Bei uns probieren sie Dinge aus, die sie sonst nicht wagen.

Sex ist magic. Sexualität kann therapeutisch wirken, eben weil sie mit Gefühlen, mit Körpergedächtnis, mit Trauma und Erlösung verknüpft ist, mit Autonomie und Hingabe, bis hin zur Fähigkeit, im Orgasmus loszulassen. Menschen dabei zu begleiten, in ihre sexuelle Kraft zu kommen: Das ist tiefenpsychologische Arbeit, das ist körperlich anstrengendes Handwerk, das ist Sozialarbeit, das erfordert Empathie und Kommunikation. Sexarbeiter*innen sind Multitalente! Wir stolpern nicht hilflos in unsere Jobs. Wir haben erprobt und entschieden, was wir bereit sind zu geben. Und für welchen Preis.


Sexualisierte Gewalt kann man nicht mit repressiver Politik bekämpfen

Es gibt Probleme mit sexualisierter Gewalt in der Sexarbeit, und es gibt Probleme mit sexualisierter Gewalt in Ehen, Familien, Partnerschaften, dem öffentlichen Raum. Die Ursachen dafür sind vielfältig, aber zugrunde liegt häufig eine tiefsitzende Misogynie. Wer glaubt, sexualisierter Gewalt mit einer repressiven Sexualpolitik entgegnen zu können, irrt. Die meisten Formen von restriktiver Sexualmoral haben patriarchalen Ursprung und bedrohen die Freiheit weiblicher Sexualität. Ein Sexkaufverbot ist in Wahrheit ein Angriff auf alle Frauen, die anders mit ihrer Sexualität umgehen, als es das bürgerliche Modell vorsieht. Ihr wollt uns nicht retten, ihr wollt ganz einfach, dass wir verschwinden. Aber wir fordern Rechte und Anerkennung.

Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Segment wir arbeiten – die Arbeitsplätze in der Sexarbeit sind vielfältig. Wir haben unterschiedliche Fähigkeiten, persönliche Grenzen und Arbeitsweisen. Für manche ist es lebenslange Berufung, für manche eine pragmatische Entscheidung auf Zeit. Nicht für alle ist der Beruf geeignet. Wer aussteigen will, muss unterstützt werden – mittels kostenloser und freiwilliger Beratung, finanziellen und sozialen Maßnahmen. Manche sind in Zwangslagen oder werden zur Sexarbeit gezwungen – das ist bereits jetzt illegal und braucht keine zusätzlichen Gesetze.

Yvonne, Stefan, Jens und Soraya begegnen mir mit Respekt. Nach dem Schwedischen Modell wären sie Straftäter. Mit dem Gesetz wäre ich in meiner wirtschaftlichen und professionellen Existenz bedroht. Ich wäre auch körperlich gefährdet, denn zu mir kämen nicht mehr Yvonne, Stefan, Jens und Soraya, sondern Kunden, die bereit sind, eine Straftat zu begehen. Ich würde mich im rechtsfreien Raum bewegen. Ich könnte nicht für meine Arbeit werben, um meine Angebote und meine Grenzen in aller Klarheit zu kommunizieren. Ich müsste allein arbeiten, ohne Kontakt zu Kolleg*innen. Ich hätte auch keinen rechtlichen oder polizeilichen Schutz im Falle eines Übergriffs.

Nicht der Sex ist gefährlich, sondern das Stigma. Die Angst vor dem gefährlichen Sex, das ist nur die Angst, den sexuellen Raum nicht gestalten zu können. Sexarbeiter*innen gestalten aber. Sie haben Rückgrat und zeigen Gesicht, wenn es um sexuelle Verhandlungen geht. Wir haben keine Angst vor dem sexuellen Raum. Wir betreten ihn, wir kennen uns darin aus. Es ist eure Angst.

Sprecht mit uns, nicht über uns.

https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-0 ... ettansicht

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Selbstbestimmte Sexarbeiterin? Für einige immer noch undenkbar

Beitrag von floggy »

Zitat: "Sprecht mit uns, nicht über uns."

Ist irgendwie schwierig. Warum das so ist? Weil es eine Vielfalt an Meinungen und (ideologischen) Richtungen gibt?

Da kommt mir beispielsweise ein Buch bei amazon, kann man ja auch gleich reinschauen, in die Quere, und weil's eine praktizierende Therapeutin (im Buch stellt sich heraus, dass sie alles mögiche macht - Eheberatung, Traumatherapie, Psychotherapie) geschrieben hat, beiße ich an, denn das ist ja nun wirklich interessant, denke ich. Drewermann ignoriere ich mal, bin aber trotzdem neugierig. Und dann: Sie hat alles gemacht: Escort, Tanzen, Deuten, Unterwerfen. Ich echtes Multitalent. Aber das Buch ist so Scheiße geschrieben, dass ich jetzt anfangen wollte, es als Lehrbuch für Kunden in mein Regal zu stellen, um gegen jeden künftigen Unsinn argumentativ gewappnet zu sein.

Also wenn eine Autorin schon Schreiber heißt, und als Anna Johannes liebt (sorry, das ist mir einfach zu biblisch). Gleich am Anfang erfährt man, dass dem Verwandten Musiklehrer, Nachhilfelehrer und Religionslehrer folgten. Unglaublich nicht wahr?

Ich liebe solche Geschichten, wenn ich sie ab Seite 5 schon nicht mehr ernst nehmen kann. Christen haben eine wundervolle Vorstellung von Geistern und Dämonen, und Teufeln. Da ist echt was los. Da wird einem so richtig bange um's Herz.

Dann sage ich mir aber wieder, das ist Zeitverschwendung. Einzig und alleine Gesetzesänderungen bringen was. Was die Menschen denken und glauben, ist Privatsache. Aber was der Staat seinen Bürgern zumutet, da muss man sichtbar sein.

Es ist so, wie Frau Biermann sagte: "Die Verachtung erst gar nicht ignorieren." Ich denke, das hilft den Frauen und den Kunden. Die Gesellschaft verachtet uns. Sollen sie doch, wenn sie nicht anders können.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.

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Selbstbestimmte Sexarbeiterin? Für einige immer noch undenkbar

Beitrag von floggy »

Schade dass niemand geschrieben. Schreibe trotzdem, auch wenn ich dann als einziger schreibe. Ist ja irgendwie mein Thema. Ich bin ja ein Verbrecher in spe, ein Gesetzesbrecher in spe. Wir spielen heute schon "Sexkaufverbot". Der neueste Hit im Sexgewerbe. Vor zwei Jahren war Zwangsprostitution der Hit. Plötzlich gab es nur noch eingebildete Geisteskranke, und in die Ecke gedrängte Vergewaltigungsopfer.

Der Dreh- und Angelpunkt ist so alt wie mein Trauma: Was ist wahr? Was ist echt? Was ist wirklich? Die Frau die mich zum Schäferstündchen einlädt? Will sie es wirklich? Will sie mich wirklich? Nein, sie will mein Geld. Und das ist gut so. Sie will n u r mein Geld. Mich läßt sie, wie ich bin. Ich bin okay. An mir gibt es nichts zu mäkeln. Gut so. Kritik turnt ab. Ich aber will fliegen. Leicht sein. Mit Leichtigkeit die Hürden schaffen. Freudig der Lust am Sein, der Lust am Körper, entgegen.

Ich will den Körper spüren. Die weiblichen Hügel auf- und ablaufen, schnaufend, erregt, begeistert, immer wieder, lustvoll, verhalten, hineinhorchend. Ich habe ein Recht, gemocht zu werden. Es kann nicht sein, dass niemand mich mag. Es muss jemanden geben? Das muss es doch geben? Wo zum Teufel bin ich hier hingeraten?

Retraumatisierung. Sie streichelt ihr Smartphone. Aber sie ist noch da. Sie wollte nur testen. Hinterher die Belohnung. Ich darf sie nach dem Duschen eincremen. Wir haben in diesem Augenblick eine Beziehung. Wir sind aufeinander bezogen. Für diesen einen Augenblick des Eincremens.

Haben wir schon gefickt? Ich meine, habe ich schon ihre Körpergrenzen überschritten? Anders gefragt: Habe ich mich schon retraumatisiert? Man sieht, ich lerne schnell.

Also was ich eigentlich mit diesem Beitrag sagen will ist das, ich finde es legitim, SW bekommen Konkurrenz von der Psychotherapieszene. Zur Zeit lese ich sehr aufmerksam Franz Ruppert (2019), ist aus München, Liebe Lust & Trauma. Er findet, dass die ganze Gesellschaft überwiegend traumatisiert ist. Er findet es nicht gut, wenn man Porno sieht oder SW konsultiert. Er findet aber seine Anliegen-Arbeit gut. Tja, jeder Kunde hat ein Anliegen, nicht wahr. Mancher formuliert es gar nicht, manch einer sehr selbstbewußt. SW kennen sich da aus. Nun vermute ich, dass die Antworten auf die vorgebrachten Anliegen unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob ich zu Herrn Ruppert gehe, oder zu meinem Schäferstündchen. Da wird sich wohl in Zunkunft zeigen, wie sich Männer (und Frauen - Kundinnen) entscheiden werden. Wahrscheinlich gehen sie zuerst zu einem SW, dann zu Herrn Ruppert, und dann zu Beiden, bis sie zufällig oder auch nicht, ihrem Traumprinzen über den Weg laufen, der sie retten wird.

Also, die Sozialdemokratie hat sich auf die Fahnen geschrieben: Kein Geld mehr für SW. Alles Geld den Therapeuten. Aber was machen die Krankenkassen? Die kooperieren mit der Psychiatrie. In so eine Falle bin ich erst gelaufen. Nach meinem Herzinfarkt. Atherosklerose, weil ich ein Stress- und Frustesser bin, denn bei Stress und Frust da kann ich so richtig in mich reinschaufeln. Also keine große Sache für eine angehende Therapeutin. Gefundenes Zubrot. Meine ganze Kindheitsgeschichte erzählt, viel Papier ausgefüllt. Wann geht es jetzt endlich los? Ich schon ganz weich innerlich, und verliebt in meine Therapeutin. Sie ist so nett zu mir, das tut mir so gut. Ich bringe Kuschelsocken mit, weil es Winter ist - Ausrede. Ich sage ihr, dass ich sie nett finde. Dass ich vorher schon öfter mal auf ihre Brüste geschaut habe, hat sie mir verziehen, auch wenn ich einmal Panik geschoben habe, jetzt wird sie mich strafen. Nein, die Strafe - sprich Retraumatisierung kam nachdem ich ihr gesagt hatte, dass ich sie nett finde. Ab in den Kindergarten. Das heißt in Psychotherapiesprache heutzutage GSK, nicht Kita, sondern Gruppentraining sozialer Kompetenzen. Ich Panik geschoben, weil ich meine Retraumatisierung schon hochsteigen sah. Trotzdem gegangen, aus Liebe zu meiner Therapeutin. Dann Retraumatisierung beim Spielen vor laufender Kamera. Und erneut. Und keine Möglichkeit, über meine Gefühle in dieser Zeit des Kindergartens mit meiner Psychotherapiemami zu reden. Dann ein kühler Anruf während der Arbeitszeit wegen Terminvereinbarung. Retraumatisierung erneut. Im Traum der kommenden Nacht ist sie dann im Morgengrauen gestorben. Nein, sie war schon tot vor dem Anruf. Ich werde zwar verdächtigt sie umgebracht zu haben, aber sie war schon tot bevor wir den Termin vereinbarten. Stoff für einen Tatort zur besten Sendezeit. Retraumatisierung, nachdem ich den Traum erzählt hatte, wir aber nicht darüber gesprochen haben. Aber als Erklärung bekomme ich, dass sie das immer so macht, weil es ihre Zeit ist. Dann der Schnappschuß meiner Therapeutin, mitten ins Herz. Wie ich ihr das zumuten kann, wie sie sich wohl fühle? Als ich erkannte, dass ich von einer Krokodilmami gepflegt werde, war auch diese Retraumatisierung abgeschlossen. Ich war mit mir im Reinen. Ich wollte ihr sogar ein Puppenspiel Krokodil zum Abschied schenken. Erst aber kam die Zeit der großen Depression. Auch die habe ich überstanden, ohne Aggressivität, und ohne Zwangsjacke, und ohne Suizidgedanken. Nach 18 Monaten hat sie Schluß gemacht, auch das eine harte Nuss für mich, weil ich immer noch so an ihr hing, und wollte, dass unsere Beziehung gut ausgeht. Ach ja, ich habe abgelehnt, als sie mit mir an einer Beziehungsaufnahme zu Frauen außerhalb des geschützten Therapieraumes arbeiten wollte. Und alles ist gut. Ich fühle mich jetzt, nach sechs Monaten, so frei, dass ich glaube, mein Ziel, ich will Singen, Tanzen, Spielen, Glücklichsein, erreicht zu haben. Ich wurde nur retraumatisiert, eine Retraumatisierung nach der anderen. Ich habe keine Liebe erfahren, außer der therapeutischen Zuwendung, und dem Ernstgenommenwerden. Wir haben durchgezogen, was wir vereinbart hatten: Ich will unabhängig von allem fremden Über-Ich werden. Ich will Ich sein können, und für Mich glücklich sein.

Bieten Sexworker nicht ähnliches?

Ich habe meine Therapeutin auch benutzt. Sie hat sich sogar gewehrt, und zurückgeschlagen.

Liebe Sozialdemokratie in Deutschland. Es wird nicht funktionieren. Das Leben ist zu lange, als dass man ohne Sex auskommt. Es gibt zu viele Menschen die traumatisiert sind, und zu keiner oder wenig Liebe fähig sind. Ihr müßt die Konkurrenz der Sexarbeit schon akzeptieren. Ihr könnt nicht für Euch das Monopol der Psychiatrie in Anspruch nehmen. Wir leben (noch) in einem freien Land. Euer Gesetzesvorhaben wird Mord und Totschlag bringen. Selbsttötungen und Fremdtötungen. Ihr müßt von allen guten Geistern verlassen sein. Habt ihr Euch schon mal gefragt, oder einen Therapeuten gefragt, ob ihr vielleicht traumatisiert seid?
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Re: Selbstbestimmte Sexarbeiterin? Für einige immer noch undenkbar

Beitrag von Harsch »

Die grossen Mysterien der Liebe und des Sex bleiben immer ein Abenteuer - letztlich das spannendste des Lebens.

Hier muss jedes Verbot, jede Form von privater Gewalt und jede Form von Staatsgewalt sehr schädlich sein.

Die Öffentlichkeit masst sich regulatorische Regeln an, die für alle gelten sollen. Hier kann maximal nur der Mainstream sich wiederfinden. Dieser Mainstream ist jedoch auf dem Gebiet der Sexualität selbst zutiefst verunsichert. Das haben wir Jahrhunderten sexueller Unterdrückung zu verdanken.

Der Respekt vor der Individualität des Menschen und seinen persönlichen Neigungen gebietet auf dem Gebiet des sehr intimen Sex Zurückhaltung und das Unterlassen einer auf Vorurteilen basierten Unterdrückung mit Hilfe der Staatsgewalt.

Die Staatsgewalt sollte sich darauf beschränken die grundlegenden Menschenrechte für Alle zu garantieren. Dazu gehört auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung!
Nichts passiert aus Zufall. Du schaffst die Realität in der Du lebst und bist dafür voll verantwortlich!

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Kasharius
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Re: Selbstbestimmte Sexarbeiterin? Für einige immer noch undenkbar

Beitrag von Kasharius »

ach lieber @Harsch,

ich hätte es (fast) ;) nicht besser formulieren können.

Danke

Kasharius grüßt Dich