Eure Meinung zu Treue und Ehrlichkeit

Ein nahezu unerschöpfliches Thema: Psychologische Betrachtungsweise der Sexarbeit
flatgirl
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RE: Eure Meinung zu Treue und Ehrlichkeit

Beitrag von flatgirl »

Hallo Studentin,

bei der Ausübung meines Jobs als SW sind für mich Attribute wie "Treue" und "Ehrlichkeit" vollkommen uninteressant und entbehrlich, bzw. fehl am Platze.

Was aber gewiss nicht heissen soll, dass ich eine von den Abgebrühten bin ;)

Für mich sind bei meiner Arbeit hingegen Attribute wie Professionalität und Qualität von Bedeutung.

Das Privatleben meiner Kundschaft interessiert mich nicht, und mein Privatleben geht auch die Kunden nichts an.Das wäre in jeder anderen Berufsbranche ebenso.

Was ich persönlich von Treue und Ehrlichkeit in meinem Privatleben halte, ist meine Privatsache und gehört gewiss nicht in ein Internetforum ;)


LG, Lisa

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Aoife
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RE: Eure Meinung zu Treue und Ehrlichkeit

Beitrag von Aoife »

Ich finde es interessant an den Antworten hier zu sehen, dass in der Prostitution Professionalität offensichtlich ganz selbstverständlich gelebt wird, wärend sie (um Karl Krauss in abgewandelter Form zu zitieren) in den anerkannten Professionen zumeist so hoch gehalten wird, dass sie mit bloßem Auge gar nicht mehr zu erkennen ist.

Deine Fragestellung, @Studentin, spiegelt offensichtlich die Phantasien unprofessioneller Außenstehender wieder und ist daher der Sachlage nicht wirklich angemessen. Ich bitte dich diese Bemerkung ebenso wenig persönlich zu nehmen wie wir deine Fragen.

Liebe Grüße, Aoife
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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Sexwork hat klar erkennbar seine eigene Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit:
Es wird z.B. explizit über menschliche sexuelle Bedürfnisse, Praktiken, Dienstleistung und Preise geredet.

Kein falsches Vorspielen von Liebe, um Sex oder Treue zu induzieren...



Dass die Gretchenfrage der Moral und nach der Ehrlichkeit so im Vordergrund für Aussenstehende steht, liegt einerseits an der Unterschiedlichkeit beider Welten (Inkompatibilität?). Es ist darüberhinaus der Versuch die eigene Moral auf das ganze menschliche Terrain und weltliche Vielfalt auszudehnen (hegemoniale Moral, Kontingenzreduktion...). Bei der Generalisierung von Werten beginnen die Probleme...



Sammlung Stigmaforschung:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=919

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Ariane
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Aporie

Beitrag von Ariane »

Das Zusammenspiel Sexwork und Ehe wird derzeit auch andernorts diskutiert, auch im Hinblick auf die systemstabilisierende Kraft von Sexarbeit auf die Institution Ehe. Aus dem Debattenbeitrag von Jess Edwards: "sex work perpetuates the family as a norm" and “gives rise to alienated relationships between men and women where sex and sexuality is distorted and degraded”. Dazu Thierry Schaffhauser, dem ich mich nur anschliessen kann: "I find it quite offensive to be judged in my sexuality. I don’t find anything degrading in sex between two consenting adults. I don’t think that sex between a sex worker and a client is necessarily worse than other relationships." Selbstbestimmte Sexarbeit ist Teil der eigenen Sexualität, und genau dies wird Sexworkern nicht nur von Edwards abgesprochen. Sexarbeit wird von unprofessionellen Aussenstehenden, aber auch von vielen Konsumenten selbst üblicherweise als eine abgespaltene, entfremdete Sexualität vorgestellt und die Ursachen, dass wir Sexarbeit ausüben, üblicherweise mediziniert und pathologisiert, viktimisiert. Hier bedarf es dringend einen Perspektivenwechsel, der nicht nur von rechten Feministinnen kaum zu erwarten ist.


Interessant auch der Punkt der Objektivation bei Schaffhauser zu lesen: Jess Edwards says, “the sale of sex as a commodity feeds into the general objectification of women in wider society”. What does she means by objectification? Does she mean that all workers become objects under capitalism and women under patriarchy because we all need to “sell ourselves” to survive? Or does she continue to specify sex workers as different? Sex workers, like other workers and women, are not without intelligence. Our work doesn’t consist in being passive objects waiting to be penetrated. Many skills are required to do sex work and portraying us as objects is what actually objectifies us."
Als Objektivationen werden üblicherweise die semantischen Symbol- und Zeichenwelten verstanden, die die gesellschaftliche Welt konstruiert und beschreibt, wie wir über was denken. Wie dies funktioniert, kann man u.a. bei Berger/Luckmann nachlesen: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, oder bei Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung

Objektivierung und Objectivation kann auch als "Verdinglichung" verstanden werden, weshalb in der gängigen Vorstellung Sexworkern auch jede Selbstbestimmung abgesprochen wird; also der Zuschreibung als willenlosen "Sexobjekts" geht diese Objektivierung erst (performativ) voraus, wozu man permanent genötigt ist, Stellung zu beziehen, meistens fruchtlos, da gewisse Erkenntnisschranken verhindern, selbstbestimmte Sexarbeiter als handelnde und bewusste Subjekte zu sehen denn als (ausgebeutete) willenlose Objekte.
Es ist doch alles recht willkürlich und Ergebnis einer verschobenen Wahrnehmung, in welche Ecke man als SW nun geschoben wird; als handelnde Subjekte gedacht, sind wir angeblich eine Gefahr für (dys-)funktionale Beziehungen, als entmündigte "Objekte" der Bedürfnisbefriedigung "Opfer", die vor sich selbst geschützt werden müssen und diffamiert als Erfüllungsgehilfinnen respektloser Männer, die uns jede Subjektivität absprechen? Alles Quatsch; würde sich herausstellen, wenn man denn mit uns ernsthaft reden würde.

Üblicherweise werden von allen Seiten ständig Vorwände herangezogen, um Sexarbeit für alles mögliche verantwortlich zu machen und zu diffamieren.


Zur Diskussion:
Mit einem Kommentar von Thierry Schaffhauser, Sexworker, Gewerkschafter und politischer Aktivist der Sexwork Rights Movement, auf den Beitrag von Jess Edwards.

Gareth Dale and Xanthe Whittaker
http://www.isj.org.uk/index.php4?id=707&issue=129

Jess Edwards in response to Dale & Whittaker:
http://www.isj.org.uk/?id=688

Thierry Schaffhauser in response to Edwards http://www.isj.org.uk/?id=696
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Amazonas
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RE: Eure Meinung zu Treue und Ehrlichkeit

Beitrag von Amazonas »

Ich habe die Fragen der "Studentin" nicht als provozierend oder unangemessen empfunden.
Sie fragt offen und ehrlich nach euren Motiven. Sie selbst scheint sehr liberale Ansichten zu haben - geradlinig und klar. Und ich gebe ihr Recht: Besser eine Ehefrau weiß, wozwischen sie sich entscheiden kann, als dass sie in der Heimlichkeit zum Opfer gemacht wird.
Wer einem anderen entscheidende Informationen wissentlich vorenthält, um eine Entscheidungsmöglichkeit seinerseits zu verhindern, macht ihn ohnmächtig und damit zum Opfer.

Lieben Gruß
Petra

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Marc of Frankfurt
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per Definitionsmacht zum Opfer gemacht?

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Zumindest wäre es eine gewisse paternalistische Entmündigung.

Frage zuvor ist aber, ob jeder Partner und das mutmaßliche Opfer auch starkt genug ist die Konsequenzen zu tragen, die z.B. eine offener gelebte Beziehung mit sich brächte...

www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=90626#90626

Amazonas
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RE: Eure Meinung zu Treue und Ehrlichkeit

Beitrag von Amazonas »

Zumindest erhielte er die Möglichkeit, das selbst zu entscheiden und sich ggf. zu trennen.
Schon im Vorfeld wissen zu wollen, was der Andere auszuhalten in der Lage ist bzw. wie er sich entscheiden würde, und daraus abzuleiten, ob man die Wahrheit sagt oder nicht, halte ich in der Tat für Entmündigung. Sicherlich schwingt darin auch die Angst vor den Konsequenzen des Partners mit. Man(n) möchte beides: Die bequeme Beziehung und den Kick.

Lieben Gruß
Petra

ichwilldochnurspiele
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Beitrag von ichwilldochnurspiele »

ich lege privat in meiner beziehung sehr hohen wert auf treue. weil ich es jeden Tag selbst erlebe wie andere Frauen betrogen werden. ... mit mir
ich bin als sexworker selbst von meinem partner betrogen worden, er ist zu kolleginen gegangen was für mich der anlass war die beziehung zu beenden. da ich keine offene beziehung haben möchte. er war mit meinem job einverstanden und hat mir treue usw geschworen... und trotzdem ist er fremdgegangen
ich habe jetzt keine vertrauen mehr. und an treue glaube ich nicht mehr. ich könnte selbst nicht glücklich werden wenn ich wüsste mein partner braucht andere frauen.. ich reiche ihm nicht.. nein... ich bleibe jetzt lieber alleine

mayats
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Beitrag von mayats »

it's 20 years I live with my b/f....honesty is the way to be collaborative and for sleeping well...:-)...kiss.
Zuletzt geändert von mayats am 30.05.2011, 17:08, insgesamt 1-mal geändert.

mayats
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Beitrag von mayats »

ooooo