Nur für das Geld?

Ein nahezu unerschöpfliches Thema: Psychologische Betrachtungsweise der Sexarbeit
rainman
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Beitrag von rainman »

Hallo Sami,

Dein letzter Satz im vorangehenden Beitrag ist goldrichtig. Als homo politicus, als der ich durch dieses Forum geistere, kann ich mich mit allen anderen Gründen, die vielfach ins Feld geführt werden, nicht recht anfreunden, obwohl sie durchaus existieren und ich einen davon oben sogar selbt genannt habe.
Aber genau wie beim Heizungsmonteur muss die schnöde Leistung gegen Geld unbedingt im Vordergrund stehen, die Tatsache, dass mit der Prostitution ein Lebensunterhalt bestritten wird und im Gegenzug Steuern bezahlt werden.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Gesellschaft (und darin vor allem der weibliche Teil) mit Argusaugen auf das Treiben der SW schaut, immer in der Angst, die Ehemänner könnten dadurch zumindest emotional abhanden kommen. Es ist ja für viele sogenannte solide Frauen und Männer ohnehin schwierig genug, die unterschiedlichen Produkte (ich nenne das mal so) - hier Liebesverhältnis, dort Dienstleistung - sauber auseinanderhalten zu können. Man denke an die eingebürgerte, aber vollkommen unpassende Bezeichnung "käufliche Liebe". Wenn dann noch das in beiden Fällen identische "Handwerkszeug" (=Sex) dazukommt, dann wird's vollkommen schwierig. Darum: Prostitution ist eine auf Erwerb gerichtete Dienstleistung, in der keine über das geschäftliche Interesse hinausgehende Beziehung angestrebt wird. Auf dieser Basis könnte vielleicht mal so etwas wie Toleranz entstehen.

Liebe Grüße und angenehme Nachtruhe allen, die jetzt nicht mehr arbeiten müssen.

rainman

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friederike
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RE: Nur für das Geld?

Beitrag von friederike »

Hallo rainman, "homo politicus",

ist es also so, dass Sexarbeit aus Spass an der Sache moralisch zweifelhaft ist?

Hier komme ich wieder auf die Analogie zum Arztberuf zurück. Das gleiche gilt vielleicht auch für Künstler, sagen wir Pianisten. Niemand wird sich, glaube ich, der Tortur ausliefern können, die der Beruf des Pianisten bedeutet, wenn er nicht tiefe Freude an Musikalität empfindet. Wer dies nicht hat, wird niemals ein schönes Konzert geben können, also: wer des möglicherweise hohen Einkommens wegen Pianist wird, wird nicht lange dabei bleiben können. Umgekehrt wird man jeden, der so hart arbeitet ohne angemessene Kompensation, als töricht empfinden.

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Geld leidvoll verdienen müssen

Beitrag von Aoife »

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rainman hat geschrieben:Aber genau wie beim Heizungsmonteur muss die schnöde Leistung gegen Geld unbedingt im Vordergrund stehen, die Tatsache, dass mit der Prostitution ein Lebensunterhalt bestritten wird und im Gegenzug Steuern bezahlt werden.
Stimmt schon. Und trotzdem: Wie annainga's Gedankenexperiment zeigt, würden einige von uns auch dann ihr Geld in der Prostitution verdienen wollen, wenn es finanziell gleichwertige Alternativen gibt. Insbesondere wenn man den Job schon kennt, was die Einstiegsmotivation angeht, so denke ich dass Sami da naturgemäß recht hat, weil der Beruf ja nicht bekannt ist und auch nicht wie in manchen anderen Berufen die interessanten und sozialen Aspekte beworben werden.

Und doch möchte ich noch einen Schritt über annainga's Experiment hinausgehen: Ich selbst habe zumindest die Erfahrung gemacht, dass sogar wenn keine realistischen Alternativen bestehen das nicht als Zwangslage empfunden werden muß, sondern dass die neben dem Hauptziel "Geldverdienen" naturgemäß auftretenden Nebeneffekte in ihrer Summe als ganz überwiegend positiv erlebt werden können. Und so scheint mir rainman's "Neideffekt" noch weit über den erwähnten geschlechterspezifischen Verlustaspekt hinauszugehen: Wir rühren IMHO an der puritanischen Grundmoral der industriellen Gesellschaft. Wer glaubt, ein anständiger Mensch müsse sein Brot im Schweisse seines Angesichts verzehren, Geld müsse man "verdienen", in offensichtlich anders gelagerten Fällen mit "easy come, easy go" und ähnlichen Weisheiten das *unverschämte* Glück der Anderen schlechtredet, der kann sein Weltbild nur retten, wenn er eine Putophobie entwickelt. Nicht in der Vermischung von Sexualität und Geld scheint mir das Problem zu liegen, in der Werbung beispielsweise funktioniert das ja auch problemlos, sondern in der Panik, die dadurch ausgelöst wird, wenn jemand Geld bekommt ohne dafür pflichtbewußt leiden zu müssen. So kann auch der im Eingangsposting erwähnte Arzt es nicht ertragen, wenn sein Einkommen mit einer interessanten Tätigkeit in Verbindung gebracht wird. Nur dafür, dass er sich im Interesse seiner Mitmenschen aufopfert, kann er es sich erlauben, ein wenig Geld zu nehmen. Auch die von Marc an anderer Stelle dargestellte Untersuchung, die besagt, dass fast jeder denkt dass bei bedingungslosem Grundeinkommen er selbst weiterarbeiten, alle anderen aber faulenzen würden, zeigt meines Erachtens nur eine Rationalisierung, weil die Menschen sich selbst ja irgendwie erklären müssen, warum sie dagegen sind. Der eigentliche Grund aber ist, dass ihre Konditionierung ihnen sagt dass "so etwas" einfach nicht sein darf.

Und so können auch die positiven Aspekte der Prostitution nicht wahrgenommen werden, das würde ja das von klein auf mühsam anerzogene Weltbild zum Einstürzen bringen. Also müssen Prostituierte drogenspchtig, zuhälterhörig. menschenhändlergezwungen oder rein triebgesteuert sein und das "nur" wegen dem Geld machen. Die Feststellung, dass viele Andere wirklich nur wegen dem Geld arbeiten (dein Heizungsmonteur, rainman?) kann hier nichts klären, denn wenn der Job selbstzerstörerisch ist, ist das ja "moralisch hochstehend".

Liebe Grüße, Aoife
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rainman
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Beitrag von rainman »

Friederike hat geschrieben:

"ist es also so, dass Sexarbeit aus Spaß an der Sache moralisch zweifelhaft ist?"

Oh nein! Der Gedanke sei ferne von mir! Im Gegenteil: Ich bewundere Deine Entscheidung und die Gründe dafür! Aber als politisch agierender Mensch helfen sie mir wenig bei dem Versuch, einen Außenstehenden von seiner Meinung über Prostitution abzubringen und meine anzunehmen. Erfolgversprechender scheint mir die Argumentation mit dem "kleinsten gemeinsamen Vielfachen" zu sein und das ist, wie Sami zutreffend geschrieben hat, die Existenzsicherung durch Geldverdienen.

annaingas Gedankenexperiment gefällt mir ebenfalls. Ich könnte mir vorstellen, auch damit erfolgreich argumentieren zu können.

Liebe Grüße, rainman

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RE: Nur für das Geld?

Beitrag von friederike »

Hallo rainman,

vielen Dank für Deine freundlichen Worte. Bist Du wirklich ein Profi-Politiker?

Offenbar sind wir beide Bunuel-Fans. Severine prostituiert sich nicht wegen des Geldes, sie ist schon reich. Sind ihre Motive wirklich nicht politisch und gesellschaftlich anerkennenswert?

Gut, ich muss auch zugeben: das Geheime, Verruchte, Ungeheure dieses Berufs hat auch seinen Wert und trägt zu dieser Anziehungskraft bei.

Grüsse,
Friederike

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Beitrag von ehemaliger_User »

rainman hat geschrieben:Prostitution ist eine auf Erwerb gerichtete Dienstleistung, in der keine über das geschäftliche Interesse hinausgehende Beziehung angestrebt wird.
Das trifft für die SexarbeiterInnen zu, aber nicht für die Kunden! Sehr viele wollen eine wie auch immer geartete Beziehung zu SexarbeiterInnen.
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Beitrag von Aoife »

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ehemaliger_User hat geschrieben:
rainman hat geschrieben:Prostitution ist eine auf Erwerb gerichtete Dienstleistung, in der keine über das geschäftliche Interesse hinausgehende Beziehung angestrebt wird.
Das trifft für die SexarbeiterInnen zu, aber nicht für die Kunden! Sehr viele wollen eine wie auch immer geartete Beziehung zu SexarbeiterInnen.
Trotzdem - im Vergleich mit Psychotherapeuten erscheinen SW als ehrlicher. Weil sie es zumindest nicht generell darauf anlegen, den Kunden emotional zu binden:

"While prostitutes may feel and act like psychotherapists (the reverse is likely to be true, too), one difference between the two is clear: Prostitutes generally pretend to care about their clients, but their clients know they're pretending. Psychotherapists pretend to care about their clients, but their clients don't know they're pretending! Moreover, clients' belief that their therapists really care, i.e., love them, is considered a sign of psychopathology, e.g., "transference."

Which is the more confusing, knowing that someone is pretending, or not knowing that someone is pretending not to be pretending?"

Aus: http://www.schaler.net/fifth/goodtherapy.html

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Beitrag von ehemaliger_User »

Aoife hat geschrieben: 
Trotzdem - im Vergleich mit Psychotherapeuten erscheinen SW als ehrlicher. Weil sie es zumindest nicht generell darauf anlegen, den Kunden emotional zu binden
Hab doch nichts anderes gesagt. Ein guter Psychotherapeut auch nicht, kenne beide Berufsgruppen als Kunde. Leider weiss das der Patient vorher nicht. Und bei den Therapeuten gibts genug Scharlatane und Nichtskönner, die müssen mit solchen Tricks arbeiten um zu überleben.

Und SW sind meist an der Stelle ehrlicher, da geb ich Dir vollkommen Recht. Muss mal mit meiner Krankenkasse reden ob sie den Besuch bei einer SW bezahlt weil erfolgversprechender...
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Beitrag von Aoife »

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ehemaliger_User hat geschrieben:Hab doch nichts anderes gesagt.
Ich habe auch nicht angenommen, dass du etwas anderes sagen wolltest :003

Sondern nur deinen Hinweis auf die mögliche emotionale Assymetrie zum Anlass genommen darauf hinzuweisen, dass die bisher in diesem tread hier diskutierte Gleichwertigkeit mit anderen freien Dienstleistungsberufen keineswegs die Endstation darstellen muß. Dr, Schaler ist selbst ein nicht gerade unbedeutender Psychotherapeut und sieht die Prostitution in manchen Aspekten als seiner eigenen Berufsgruppe überlegen an.

Liebe Grüße, Aoife
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RE: Nur für das Geld?

Beitrag von Gerd2 »

Hallo, Zusammen!

Gedankenspiel:

Prostituieren wir uns nicht eigentlich Alle?
Ob im Beruf, beim Hobby oder sogar im Privatleben?

Vielleicht sind es ja auch die, die sexwork verpönen, die sich am meisten prostituieren (z.B. "mein Haus, mein Auto, mein Caddy, etc")

Definition prostituieren:
von lateinisch: pro-stituere, aus pro und statuere
sich nach vorn stellen, zur schau stellen, preisgeben

Quelle: Wikipedia

Gruß
Gerd2

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Beitrag von Calenleya »

Hallo Gerd,

dein Gedankenexperiment fußt darauf, den Begriff "Prostitution" weiter zu fassen, als er allgemein verstanden wird, und unter der Prämisse hast du natürlich recht - alles, was wir für Geld (oder eine andere Gegenleistung) tun und nicht alleine um der Freude an der Sache willen, wäre Prostitution.

Wenn wir aber dabei bleiben, Prostitution einfach nur als einen von vielen möglichen Berufen zu sehen und den Begriff gar nicht mal weiter fassen, sieht es doch so aus, dass nur die Allerwenigsten das Glück haben, ihren Beruf in erster Linie deswegen ausüben zu können, weil er ihnen Spaß macht. Wie viele Leute stöhnen denn über ihren Job, und sie gehen trotzdem täglich hin - warum? Natürlich, wegen des Geldes.

Ich postuliere hier, dass der Prozentsatz von Menschen, die sich freiwillig prostituieren und das _auch_ aus Spaß an der Sache tun, sogar höher ist als der Prozentsatz an nicht-Prostituierten, die ihren Job nicht nur wegen des Geldes, sondern wegen der Freude daran ausüben.

- Cal -

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Beitrag von Aoife »

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Calenleya hat geschrieben:Ich postuliere hier, dass der Prozentsatz von Menschen, die sich freiwillig prostituieren und das _auch_ aus Spaß an der Sache tun, sogar höher ist als der Prozentsatz an nicht-Prostituierten, die ihren Job nicht nur wegen des Geldes, sondern wegen der Freude daran ausüben.
Mir fallen jetzt 2 Gründe ein, warum das auch theoretisch so sein muß:

1. Der durch Stigma, Doppelleben &c. erschwerte Zugang selektiert Frauen, die das wirklich wollen - natürlich nicht 100%, aber eben doch genug um den statistischen Anteil der Berufszufriedenen zu erhöhen.

2. Irgendwann ist die Grenze des Schauspielern-Könnens erreicht. Die dann offensichtlich werdende Lustlosigkeit führt aber nur bei manchen Berufen, darunter Prostitution, zu Einkommensverlusten, die ein Arbeiten "nur" für das Geld nicht mehr lohnenswert erscheinen lassen. In manchen anderen Jobs ist es durchaus möglich bei automatisch mit dem Dienstalter steigenden Bezügen die Zeit bis zur Pensionierung lustlos abzusitzen. Das erhöht (wiederum statistisch gesehen) den Anteil der Berufsunzufriedenen im Nichtprostitutionsbereich.

Fallen euch noch mehr Gründe ein?

Liebe Grüße, Aoife
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friederike
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RE: Nur für das Geld?

Beitrag von friederike »

Hallo Aoife,

die Prostitution ist meiner Meinung nach mehr einer künstlerische Tätigkeit zuzuordnen als eine eher ausführenden Tätigkeit. Das bedeutet, dass die persönliche Identifikation grösser ist, mit der Folge einer höheren Zufriedenheit bei denen, die den Bereich nicht wieder verlassen. Ausnahme natürlich: die Opfer von Gewalt.

LG
Friederike

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Re: RE: Nur für das Geld?

Beitrag von Aoife »

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friederike hat geschrieben:die Prostitution ist meiner Meinung nach mehr einer künstlerische Tätigkeit zuzuordnen als eine eher ausführenden Tätigkeit. Das bedeutet, dass die persönliche Identifikation grösser ist, mit der Folge einer höheren Zufriedenheit ...
Unbedingt - neben künstlerisch wäre auch therapeutisch noch erwähnenswert, auf jeden Fall von der Sache her freiberuflicher als (fast?) jeder andere freie Beruf, siehe auch unsere Grundsätze.

Die Tatsache, dass Behörden dies (im Irrglauben durch fehlinformierte Wähler demokratisch legitimiert zu sein) abstreiten, kann nur die steuerlichen Folgen und die Niederlassungsfreiheit, nicht jedoch die faktische Freiberuflichkeit beeinflussen.

Liebe Grüße, Aoife
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Arum
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Re: RE: Nur für das Geld?

Beitrag von Arum »

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friederike hat geschrieben:
die Prostitution ist meiner Meinung nach mehr einer künstlerische Tätigkeit zuzuordnen als eine eher ausführenden Tätigkeit.

Selber künstlerisch tätig, kann ich das schon nachvollziehen. Leider glaube ich aber, die Mehrzahl der heutigen Künstler und Autoren usw hört sowas nicht gerne.

So ist es schon recht beunruhigend wie wenig Solidarität ich spüre im Amsterdamer Wallen-Viertel, wo jetzt Kunstateliers- und Galeries ehemalige Rotlichträume übernehmen. Vor einiger Zeit berichtete NRC Handelsblad, dass die dortigen SW dadurch einem weit schlimmeren Konkurrenzkampf ausgesetzt sind als zuvor: weniger Zimmer, höhere Mietpreise, während andererseits die Raten den Kunden gegenüber sinken. Wie ich festgestellt habe, scheint es den Künstlern dort schnuppe zu sein. Die neue niederländische Regierung aber hat auch die Künstler im Visier genommen: Es soll in diesem Bereich unverhältnissmässig viel gespart werden. Und so treffen sich letztendlich SW und Kulturkreise auf unerwarteter Weise, ohne dass daraus jegliche Konsekwens gezogen wird...

Und das ist schon bemerkenswert, wo doch zu Anfang des 20. Jahrhunderts Künstler sich gerne mit der Prostitution einliessen, ihr sogar verherrlichten. Die Künste haben sich seitdem den bürgerlichen Moralvorstellungen aber immer weiter angepasst, sie fast einverleibt. Prostitution ist den meisten bestenfalls noch als das wohlbekannte Elendsthema interessant.

Man würde sich wünschen, mehr Künstler wären sich der Verwandtschaft iher Tätigkeit mit der der SW wieder bewusst. Denn, wie glamorös ma nche Künstler sich heutzutage auch darstellen lassen, letztendlich ist ihr Beruf bei breiten Schichten der Gesellschaft noch immer ebensosehr verpöhnt wie die Prostitution, so stellt sich wenigstens hierzulande bei Leserkommentaren im Netz immer mehr heraus.. Bin mir nicht ganz sicher, ob das so auch gilt für Deutschland, aber immerhin...
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

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Beitrag von rainman »

Friederike hat mich gefragt: Bist du wirklich ein Profi-Politiker?

O weh! Du stellst mir Fragen! Ich martere mein Gehirn! Ist die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland eine Profi-Politikerin? Mitnichten! Die ist Physikerin. Und unser (Noch-)Außenminister ist Rechtsanwalt. Es gibt ja auch das bekannte Bonmot: Der Plenarsaal ist mal voller und mal leerer, doch immer voller Lehrer. Und in Wien, wo unser Server steht, ist die Situation doch wohl nicht anders, oder? Wann ist ein Mensch also ein Profi-Politiker? Vielleicht wenn er für sein Hobby bezahlt wird!

Wenn du mich also fragst, ob ich jemals für mein Hobby bezahlt worden bin, dann muss ich sagen: Nein, niemals. Ich bin also ein "leidenschaftlicher Polit-Amateur". Doch Achtung! Auch Amateure können Fußball spielen;-).

Nach diesem Ausflug in persönliche Gefilde können wir den Weg zurück zu unserem Thema sehr gut über die Tatsache finden, dass wir beide Bunuel-Fans sind. Ich denke, dass es auch dir aufgefallen ist, dass der Künstler die Welt der Prostitution keinesfalls glorifiziert, sondern vielmehr in den düstersten Farben schildert (Kolleginnen von dir, die persönlich kennenzulernen ich die Ehre hatte, haben mir versichert, dass es so schlimm auch wieder nicht ist): der masochistische Professor, der ungeschlachte Sumo-Ringer, der nekrophile Graf mit seinem respektlosen Butler und - als Krönung des Ganzen - der gewalttätige Zuhälter. Und als nun Severine nach dem Date mit dem Sumo-Ringer völlig geschafft auf der Matratze liegt, kommt die Raumpflegerin herein und versucht, sie zu trösten. Darauf Severine:"Ach, davon verstehst du nichts".

Mir kommt es vor wie gestern, als ich diese Szene erstmalig im Kino gesehen habe und meine Frau neben mir fassungslos die Hände über dem Kopf zusammenschlug, weil die Heldin das offensichtlich noch genossen hat. Es hat mich zum Nachdenken über die Frage angeregt, was man der Öffentlichkeit an Informationen über das Prostitutionsgeschehen zumuten kann. Unter diesem Aspekt finde ich auch annaingas Gedankenexperiment so gelungen: das könnte man jedem zumuten!

Liebe Grüße, rainman

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friederike
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Beitrag von friederike »

Lieber rainman,

unter Bunuel-Fans: Dein Hinweis auf die "Darstellung des Prostitutionsgeschehens" trifft ins Schwarze. Das genau ist das Geniale an diesem Film, die präzise Beobachtung der Gesten und der Bewegungen der beiden Partner (Kunde und SW) im Akt der Prostitution - eine neue Erkenntnis für mich. Die Aussage, die Prostitution sei "so schlimm auch wieder nicht", stammt aus dem Film selbst (Madame Anais) - und der Film malt keineswegs düstere Farben, sondern stellt Sexualität und die Welt der Prostitution als eine unwiderstehliche Macht und und Anziehungskraft dar, der die Heldin sich nicht entziehen kann und will. Mit dem "Sumo-Ringer" findet die Heldin sexuelle Erfüllung: sie ist nun angekommen. Die Interpretation wird klarer, wenn man das Buch von Joseph Kessel daneben stellt (Bellevue-Verlag, München). Aber eines ist klar: die Figur der Belle de Jour ist nicht im Bordell, weil sie Geld braucht.

Natürlich ist eine Filmfigur nicht beweiskräftig für die diskutierte These. Aber die Figur ist keineswegs abwegig. Welche Realität dahintersteckt, ist gerade die Fragestellung.

Ein "Profipolitiker" ist für mich jemand, der im Rahmen der Arbeitsteilung das Handwerk der Politik professionell, also im Rahmen einer beruflichen Beschäftigung betreibt. In diesem Sinn ist Frau Merkel natürlich eine Profipolitikerin!

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Beitrag von rainman »

Hallo Friederike,

Complètement d'accord! ...auch, was Frau Merkel betrifft.
Gerne hätte ich mit dir über Bunuel weiter diskutiert, aber dann gerät dieser Thread wahrscheinlich schnell "off topic", wie man heute so auf Neudeutsch sagt. Vielleicht weiter bei anderer Gelegenheit!

Liebe Grüße

rainman

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Beitrag von friederike »

Gerne! Bunuel ist ein "weites Feld". Lass uns eine Gelegenheit finden.

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friederike hat geschrieben:Lass uns eine Gelegenheit finden.
Warum nicht hier:
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