Deutsches Sexualstrafrecht
Übersexualisierung und Doppelmoral
Das Sexualstrafrecht ist in Deutschland immer weiter ausgedehnt worden. Fachleute sehen darin Widersprüche: Einerseits steige die moralische Entrüstung, andererseits ergötze sich die Gesellschaft an einer übersexualisierten Konsum- und Freizeitwelt.
Das deutsche Sexualstrafrecht ist eine Art Dauerbaustelle. Die Strafbarkeit ist im Lauf der Zeit liberalisiert, aber auch weiter ausgedehnt worden – nicht zuletzt durch europäische Vorgaben und vorgeblich zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Kinder unter 14 Jahren sind nach Ansicht des Gesetzgebers besonders schutzbedürftig: Wer sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft. Strafbar macht sich auch, wer etwa auf ein Kind „durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder „durch entsprechende Reden einwirkt“. Ist der „Täter“ selbst jünger als 14 Jahre, so kann er mangels Strafmündigkeit nicht bestraft werden.
Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen oder an Jugendlichen sind demgegenüber grundsätzlich nicht strafbar. Anders verhält es sich, wenn jemand, der älter als 18 Jahre ist, eine Person unter 18 „dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt“. Auch wird bestraft, wer einen Jugendlichen dadurch missbraucht, dass er an ihm oder ihr „gegen Entgelt sexuelle Handlungen“ vornimmt. Aber was ist eine Zwangslage? Der Richter am Bundesgerichtshof und Kommentator des Strafgesetzbuchs Thomas Fischer schreibt, dass hierzu auch „persönliche Bedrängnisse und psychische Beeinträchtigungen“ zählen könnten. Aber: „Eine ,Zwangslage‘ ergibt sich nicht aus der Annahme einer 15-jährigen, ihre Nase sei zu groß, oder aus dem ,zwingenden‘ Bedürfnis, Topmodel zu werden.“ Und sexuelle Handlungen „gegen Entgelt“? Das können auch Einladungen sein. Es reicht aus, dass der Vermögensvorteil für die Handlung mitursächlich war.
Bekämpfung von Prostitution
Bundesrichter Thomas Fischer hält die moralische Entrüstung der Gesellschaft von einer Doppelmoral geprägt
Hier mussten früher nur Achtzehnjährige mit einer Bestrafung rechnen. Seit drei Jahren machen sich auch Jugendliche strafbar. In der Gesetzesbegründung wies die große Koalition unter der damaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) darauf hin, „es könne mehr Aufwand bei den Strafverfolgungsbehörden entstehen, dessen Umfang zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht genau abzuschätzen ist“.
Damals stellte die Regierung klar: „Kein Jugendlicher muss befürchten, bestraft zu werden, wenn er einen anderen ins Kino einlädt und hofft, dass es zum Austausch von Zärtlichkeiten oder sexuellen Berührungen kommt.“ Man wolle lediglich Kinder und Jugendliche vor dem Abgleiten in die Prostitution bewahren. Es sei „absurd, wenn behauptet wird, dass ein geschenktes Kaugummi oder ein Kinobesuch sexuelle Beziehungen zwischen Jugendlichen strafbar machen“. Tatsächlich ist „sozialadäquates Verhalten“ nicht strafbar. Es fällt gleichsam von vornherein aus dem Schutzzweck der Norm.
Sexualstrafrecht: Koalition nimmt Verschärfung zurück
Sexualstrafrecht: Werden jugendliche Zärtlichkeiten kriminalisiert?
Die Regelung setzt auf ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung von Prostitution, also sexuellen Handlungen als Gegenleistung für Geld oder einen sonstigen Vorteil. Fachleute warnten freilich schon früh vor einer Kriminalisierung der Sexualität Jugendlicher. Die Regierung berief sich auf ihre „europarechtliche Pflicht, die Vorgaben eines Rahmenbeschlusses der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen“. Dieser Beschluss dient der Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie. Hingewiesen wird auf die im EU-Vertrag vorgesehene „schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel“.
Vorbereitung eines Mordes straflos
In den Fällen, in denen ein über 21 Jahre alter Täter eine unter Sechzehnjährige missbraucht, wird die Tat grundsätzlich nur auf Antrag des Opfers verfolgt – es sei denn, die Staatsanwaltschaft hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten für geboten. Zudem kann auch in den übrigen Fällen, wenn das Opfer also schon 16 Jahre alt ist, das Gericht von einer Strafe absehen, wenn „das Unrecht der Tat gering ist“. Kritisiert wurde schon bei der letzten Reform, dass etwa die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen sehr weit ausgedehnt werde – wenn es etwa um die Kontaktaufnahme zu Kindern in Chatrooms im Internet geht. Dagegen ist sogar die reine Vorbereitung eines Mordes durch einen Einzelnen straflos.
Führt das erweiterte Sexualstrafrecht zu einer zu weitgehenden Kriminalisierung? Der meinungsstarke Bundesrichter Fischer sieht hier gewisse Widersprüche: „Angesichts der Übersexualisierung der Konsum- und Freizeitwelt und einer von Interessen Erwachsener geprägten Präsentation jugendlicher Sexualität in Werbung und Massenmedien ist die moralische Entrüstung einer Gesellschaft, die den ,Missbraucher‘ abstraft und sich zugleich an 15-jährigen Vamps auf dem Laufsteg ergötzt, von Doppelmoral geprägt und daher unglaubhaft.“
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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