Schmutzige Gespräche in der Sex-Hotline
Dreiste Typen, geile Sprüche
Marischa Sommer arbeitete ein halbes Jahr lang bei einer Flirthotline.
„Hallo ich bin der Joachim und isch bin mini-klee.“ Was ist das denn für ein Typ? Noch flüstert, er in tiefster Mundart in den Hörer. Joachim erklärt, er sei winzig, einen Meter sechszig bloß. Er möge große Frauen mit langen Haaren. Ob ihre auch bis über den Po gingen? Marischa senkt ihre Stimme. „Mhhh, so meega laang!“ Mit Übertreibungen und adjektivgeschwängerten Minuten macht sie hier sicher nichts verkehrt. „Un, bischt du ach so rischtisch schee groß?“
Marischa denkt kurz, dass er sie veräppelt, aber Joachim klingt ganz aufgeregt. Nachdem sie fünfzehn Minuten auf High Heels durch die Wohnung geklappert ist, sich die Haare ausgiebig shamponiert und ihn unter ihre laaange Mähne hat kriechen lassen, legen beiden zufrieden auf.
Joachim zählt zu Marischas „Stammkunden“. Eine Freundin brachte die 30-Jährige auf die Idee mit der „Flirthotline“. Marischa hatte ihr Journalistikstudium beendet, brauchte Geld. Aber eine Telefonhotline? Klar war sie zunächst skeptisch. Andererseits war sie alles andere als prüde. Und schließlich habe man flexible Arbeitszeiten. Am Ende siegt die Neugierde.
Marischa Sommer hat in diesem Buch aufgeschrieben, was sie in den Gesprächen alles hörte: "Talking Dirty",
Anfangs nimmt sie die Gespräche noch mit einem Augenzwinkern entgegen. „Man schlüpft in verschiedene Rollen, nur nicht mit dem Körper, sondern mit der Stimme“, sagt sie. Da gibt es den „Butler, der auf ihrem Gutshof lebt und gedemütigt werden will“, den „Hollywood-Fetischisten, der wissen will, wie zwei Stars es miteinander treiben. Dann ist sie eben mal für zehn Minuten Angelina Jolie, die Brad Pitt den „Hintern versohlt.“ „Steve hat es angemacht, wenn ich Salma Hayeks Brüste massiert habe. Er war ganz scharf auf einen Dreier mit Selma, Halle Berry und mir.“
Oft geht es um die schnelle Nummer. Es sind austauschbare Worte von der Stange. Ganz oben auf der „Hitliste“: Dominaphantasien. Einen der häufigsten Wünsche auf der Hotline: „Lass mich hören wie geil du bist!“ Diesen Wunsch, so Marischa, könne man mit einem simplen Trick erfüllen: „Ich habe eine Mandarine geschält, in einzelne Stückchen zerteilt und die dünne Haut ein bisschen mit dem Fingernagel aufgerissen. Dann habe ich auf das Fruchtfleisch geklopft als wären es meine Lippen.“
Auch das Stöhnen hat Marischa schnell drauf. „Meistens habe ich − ganz Klischee – Dinge gemacht, um mich abzulenken.“ Kartoffeln geschält, den Kühlschrank abgetaut oder den Hund geschrubbt. „Das ist anstrengend, dabei kann man perfekt stöhnen!“ „Nach meinem ersten Mal fühlte ich mich kurz ein bisschen leer“, gesteht Marischa. „Doch dann ging ich wieder zur Tagesordnung über.“
Domina-Phantasien stehen auf der Hitliste der Telefon-Sexkunden ganz weit oben.
Das oberste Ziel: den Kunden möglichst lange in der Leitung halten. „Gut ist man, wenn man einen geilen Mann in ein Gespräch verwickelt, in dem er vergisst, wie geil er ist,“ sagt Marischa schmunzelnd. Optimal sind 15 Minuten und länger. 20 Cent gibt es pro Life-Minute, macht einen Stundenlohn von etwa 12 Euro. Reich wird man dabei nicht. Das meiste Geld sacken die Hotline-Betreiber ein. „Die Männer zahlen im günstigsten Fall 99 Cent pro Minute. Das geht je nach Hotline hoch bis auf 2,99 Euro.“
Bis zu acht Stunden erfüllt Marischa täglich die Wünsche der Kerle, macht Männer zu Marionetten. „Sie hören sich an, wie verletzte Tiere, wimmern und betteln.“ Fast hat sie ein wenig Mitleid mit ihnen. Sie öffnen sich, degradieren sich. „Ich glaube, vielen ist es peinlich. Einige sind stolz, wenn sie kommen. Und ich bestätige sie.“
Marischa hört da zu, wo andere weghören. Man verdient an den Verzweifelten, den Einsamen, die sich nach ein wenig Aufmerksamkeit sehnen. „Das ist das Traurige, dass man mit Gesprächen Geld verdient, die oft nur allzu menschlich sind“, sagt sie nachdenklich.
Bezahlen für ein bißchen anomyme Zuwendung. Dabei geht es nicht immer nur um Sex. Marischa singt einen Mann in den Schlaf, der vor ein paar Tagen seine Frau verloren hat, spricht einem Suizidgefährdeten Mut zu. Sie wird hineingezogen in den Sog immer neuer Geschichten. Marischa hat kein Gesicht, nur eine Stimme − und ein offenes Ohr.
Anfangs empfindet sie noch Mitleid mit den Männern, nach ein paar Monaten wandeln sich die Gefühle in Hass, Wut – aber auch Verzweiflung. Sie merkt, dass die Gespräche nicht spurlos an ihr vorübergehen.
Nach und nach verzerrt sich auch ihr Männerbild und sie fängt an, die Blicke der Kerle auf der Straße falsch zu deuten. „Schaute mich ein Mann auch nur eine Sekunde zu lang an, wurde ich aggressiv“, erinnert sie sich. „Auch meine Sprache wurde derber.“
Irgendwann kann die junge Frau auch die vielen Worte nicht mehr wegwischen wie Tafelkreide mit einem feuchten Schwamm. Es bleiben immer ein paar Striche übrig. Gesprächs-Fetzen. Worte, von denen sie bis dahin gar nicht wusste, dass sie existierten.
Was sie besonders berührt: das, was sich hinter diesen Worten verbirgt. Ihr Arbeitsplatz ist ein ungeschützter Raum, in dem sich jeder frei bewegen kann. „Männer mit Vergewaltigungsphantasien, Pädophile. Diese Wünsche allein in einem Raum zu hören und zu ertragen, war hart“, erinnert sich Marischa. Solche Kunden fliegen bei Marischa sofort aus der Leitung. Die Worten hallen dennoch nach.
Nach einem halben Jahr beschließt sie: Es geht nicht mehr! Sie kündigt. Und dennoch hat Marischa einiges gelernt. „Bei mir hat sich die Grenze, was Sexualität sein kann, verändert. Ich verurteile niemanden, der unter einem Fetisch leidet, aber nicht darüber reden kann, weil die Gesellschaft das nicht zulässt. Diese Menschen gibt es – und es sind nicht wenige!“
Seit sie die Hotline verlassen hat, fühlt sich Marischa wieder frei. Und: Sie hat einen neuen Job: Marischa organisiert und bewirbt Veranstaltungen wie Konzerte und Theater. „Ich sitze wieder am Telefon – und verkaufe schöne Momente“, sagt sie schmunzelnd – und betont gleich „aber diesmal kulturellen Genuss ... “
http://www.berliner-kurier.de/news/pano ... 8729620/-/
Sex-Hotline "Dreiste Typen, geile Sprüche"
-
- Admina
- Beiträge: 7441
- Registriert: 07.09.2009, 04:52
- Wohnort: Frankfurt a. Main Hessen
- Ich bin: Keine Angabe
Sex-Hotline "Dreiste Typen, geile Sprüche"
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
*****
Fakten und Infos über Prostitution
*****
Fakten und Infos über Prostitution