Menschenhandel: 500 Euro für Opfer

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
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Zwerg
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Menschenhandel: 500 Euro für Opfer

Beitrag von Zwerg »

Menschenhandel: 500 Euro für Opfer

14.04.2011 | 18:35 | DUYGU ÖZKAN (Die Presse)

Laut einer neuen Erhebung werden Opfer von Menschenhandel „in keinem Verhältnis zum Erlebten“ entschädigt. Zu Verfahren kommt es sehr selten. Für die Studie wurden 76 Fälle untersucht.

Wien. Eine Frau wird nach Österreich gehandelt und vier Jahre lang als Prostituierte ausgebeutet. Als Privatbeteiligte in einem Strafverfahren wollte sie vom Täter eine Entschädigung – 8000 Euro wurden ihr schließlich auch ausbezahlt. Es ist bisher der höchste Betrag, der einer Betroffenen von Menschenhandel in Österreich tatsächlich ausbezahlt wurde. Das ist eines der Ergebnisse der Studie „Entschädigung für Betroffene des Menschenhandels“, die Mittwochabend vorgestellt wurde.

Für die Studie haben die insgesamt vier Autorinnen 76 Fälle untersucht. Das Ergebnis: 65 Personen wurden Opfer von Ausbeutung in der Prostitution, in weiteren Fällen wurden die Betroffenen zum Betteln gezwungen oder als Arbeitskraft in Haushalten ausgebeutet. Drei waren Männer. Weiteres Fazit: Die rechtlichen Möglichkeiten zur Entschädigung gibt es, sie werden aber kaum ausgenutzt – aus mehreren Gründen.

„Das Wichtigste in diesem Kontext ist, dass die Opfer identifiziert und erkannt werden müssen“, sagt Evelyn Probst, Ko-Autorin der Studie und Koordinatorin der Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (Lefö). Es komme oft vor, dass sich Frauen an Bekannte oder Freunde wenden, diese aber antworten: „Schlimm, aber da kann man nichts machen.“

Hälfte der Betroffenen EU-Bürger

Anspruch auf Entschädigung haben zudem nur jene, die zum Zeitpunkt der Tat legal in Österreich sind. In rund 50 Prozent der in der Studie behandelten Fälle handelt es sich um EU-Bürger. Die Empfehlung der Autorinnen lautet daher: Auch Nicht-EU-Bürger sollten Zugang zu Entschädigungszahlungen haben.

Zu einem Zuspruch von Entschädigung ist es bisher nur in Strafverfahren gekommen. Allerdings: „Die Analyse ergab, dass die Zusprüche in keinem Verhältnis zum Erlebten stehen“, heißt es in der Studie. So lagen zwölf Zusprüche zwischen 500 und 1000 Euro. Im Anschluss an das Strafverfahren könnte das Opfer ein zivilrechtliches Verfahren anstreben, wenn ihm seiner Ansicht nach zu wenig Geld zugesprochen worden ist. Das Problem bei Zivilverfahren sei allerdings, dass es lange dauere und das Risiko der Kosten bei den Betroffenen liege, so Probst.

Eine weitere Empfehlung der Autorinnen betrifft die Behörden: Werden die Täter ausfindig gemacht, solle ihr Vermögen schnell beschlagnahmt werden. Oft verschwinde das reichlich vorhandene Geld rechtzeitig (Autorin Barbara Steiner: „Menschenhandel ist ein lukratives Geschäft“).

Seriöse Zahlen, wie viele von Menschenhandel Betroffene in Österreich leben, gibt es nicht. Lefö hat vergangenes Jahr 242 Betroffene unterstützt, laut Probst „nur ein kleiner Prozentsatz“.

Planitzer/Probst/Steiner/Unterlechner: Entschädigung für Betroffene des Menschenhandels in Österreich. ÖGB Verlag, 19,80 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2011)

http://diepresse.com/home/panorama/oest ... fuer-Opfer

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fraences
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Beitrag von fraences »

Das es Entschädigungszahlung gibt für Menschenhandelsopfer ist schon mal ein" Gänsefüßchen " in der richtige Richtung.
Wobei die Höhe der Zahlung ja vollkommen lächerlich ist.
Frage: Wird der Täter zu Zahlung verurteilt oder wird es vom Staat bezahlt, bzw. vom beschlagten Gelder aus dem Verfahren ausgezahlt?
Als Vergleich dazu möchte ich eine Geschichte erwähnen, wo eine Kollegin aus Düsseldorf ihrern Lebenspartner auf Schadensersatz verklagt hat mit der Begründung er sei ihr Zuhälter.Sie hatte einige Jahre mit ihm zusammen gelebt .Er hat in dieser Zeit kein eigenes Einkommen.
Dazu muß man berücksichtigen das Sie nicht von ihm zu Prostitution gezwungen wurde, sondern freiwillig auch schon vor der Beziehung als Prostitutierte gearbeitet hat.
Dies war Anfang der 90er Jahre.
Das Düsseldorf Landgericht hat ihr 100.000 DM Schadenersatz zugesprochen.


Lieben Gruß, Fraences
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Robby
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Beitrag von Robby »

@zwerg
8000 € für 4 jahre
142€ monatsgehalt 14 x jahr soviel verdienen ausgebeutete
arbeiter in asien
@fraences
umgerechnet 50.000 € für wieviele jahre ?meherere?
fazit:verbrechen zahlt sich aus !!!!!!!!!!

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fraences
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Beitrag von fraences »

@Robby
kann es nicht mehr genau sagen , es werden so ungefähr 3-4Jahre gewesen sein.

Dazu ist noch zu sagen , das die SW von allen erstmal belächelt wurde, das sie überhaupt gewagt hat diesen Prozeß einzuleiten.
Denn das ist nach alten Milieugesetze ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich wollte nur damit zeigen, wie weit hinter Mond die Politik und Justiz mit der momantane Menschenhandelssitutation umgeht.

Die ersten Fälle , die mir im Ruhrgebiet (auch 90er Jahre) bekannt sind.
Liefen wie folgt ab:
Polizeirazzia im Bordell-Festnahmen der Täter und illegalen Prostituierten-
Täter kamen gegen eine lächerliche Kautionszahlung (ca 10.000-100.000 DM frei-
Illegale Prostiuierten wurden vernommen , dann in Abschiebehaft gesteckt und nach einigen Monaten abgeschoben.(In Neuss wurde extra eine komplette JVA dafür eingerichtet) Gerichtsprozeß konnte nicht ordnungsgemäß geführt werden, weil die Belastungszeugen abgeschoben und somit nicht auffindbar waren.

Später hat man dann die Regelung eingeführt , das die Frauen solange in Deutschland Bleiberecht bekamen, bis zu Gerichtsverhandlung, sofern sie aussagwillig waren.
m
Problem hierbei ist, das es kaum professionelle Betreuungsunterbringsmöglichkeiten im Lande gibt.
Zweitens die Hintermänner in ihrem Heimatland auf ihren Rückkehr warten, und sie nicht besonders liebenswürdig empfangen.

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Beitrag von Robby »

@fraences
macht ca 892 € monatsgehalt für eine lebensgefährliche tätigkeit aids war damals schon bekannt!
die kaution ist auch lächerlich!
der opferschutz ist auch unter jeder kritik-und deutschland ist (laut tabelle) der beste staat der welt
welche strafen bekamen die menschenhändler?
robby

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Aoife
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Beitrag von Aoife »

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fraences hat geschrieben:Ich wollte nur damit zeigen, wie weit hinter Mond die Politik und Justiz mit der momantane Menschenhandelssitutation umgeht.
Es wäre schön, wenn es "nur" so wäre.

Allein es fehlt mir der Glaube, dass ein Mensch mit solcher gesellschaftlicher Stellung wie ein Politiker oder Richter tatsächlich so dumm sein kann.

Realistisch bleibt wohl nur die Möglichkeit anzunehmen, dass eine Verhinderung von Menschenhandel nicht beabsichtigt ist. Dass diese Thema nur vorgeschoben wird, um prostitutionsfeindliche Politik zu betreiben. Motive hierfür liegen auf der Hand, zum einen war Göran Lindberg mit Sicherheit nicht der einzige offizielle Prostitutionsgegner, der diese Politik betrieben hat um heimlich sein eigenes Zuhältergeschäft (oder das eines Verwandten oder Freunds) zu fördern, zum anderen ist uns ja bekannt, dass ein einflußreicher Teil der europäischen Prostitutionsgegner mit $$ aus dem bible belt ferngesteuert ist.

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von fraences »

@liebe Aoife, da stimme ich Dir voll zu, auch mir fehlt der Glaube, das Politiker und Richter so dumm sein können.
Letztendlich werden wir selbständig und freiwillige SW von den behördlichen Reglementierungsmaßnahmen zum Schutze der Opfer von Menschenhandel, ungerecht behandelt. So werden wir zu einem Opferkreis durch verschärfte Strafgesetze gemacht.
Wenn neue Sperrgebietsverordnungen die zu Zwangskasernierung führen, Zwangsuntersuchungen, Zwangsregistrierung ,ständige Polizeirazzien, Stigmatisierungen,Kriminalisierung usw.
die Möglichkeitgenommen wird, trotz Steuerzahlung, Transparent zu sein.
Stelle mir die Frage, wie wird es weiter gehen.
Wie bekommt man die Trennung zwischen Zwangsprostitution und freiwillige Prostitution in deren Köpfen hinein?
Und ist es nicht eine Verschleierung falsche und fehlende Weltpolitik in Zeitalter der Globalisierung.
Liebe Grüße
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Beitrag von Aoife »

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fraences hat geschrieben:Wie bekommt man die Trennung zwischen Zwangsprostitution und freiwillige Prostitution in deren Köpfen hinein?
Wenn wir davon ausgehen, dass *sie* garnicht so dumm sein können, dann ist der Versuch, etwas in ihre Köpfe hineinzubringen, das sie schon lange und sehr genau wissen sowie zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen, reine Zeitverschwendung.

Letztlich kann IMHO nur eine Aufklärung breiter Bevölkerungskreise helfen. Wenn genügend Menschen wissen, dass es eine wissenschaftlich gesicherte Tatsache ist, dass jede Kriminalisierung der Prostitution ausschließlich der Schmiergeldbeschaffung dient, esrt dann kann sich langsam die Erkenntnis durchsetzen, dass die politischen Bestrebungen Prostitution zu kriminalisieren nichts anderes als indirekte Zuhälterei sind.

Das politische Klima und unsere Lebensbedingungen werden sich erst ändern, wenn ein Beamter, ein Politiker, der von der Notwendigkeit einer Prostitutionskontrolle oder von einem Weiterbestehen der Sittenwidrigkeit spricht, bei den Menschen die gleiche Abscheu auslöst wie ein direkter ausbeuterischer Zuhälter, weil jeder weiß, dass er genau das ist.

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von fraences »

Folgende Passagen zitiert aus dem Buch:"Der Reiz des Verbrechens und der Halbwelt" von Valentin Landmann

Hilflosigkeit des Geschädigten
"Den Letzten beißen die Hunde." Dieses Sprichwort formuliert ein Grundproblem: Hilflosigkeit und Schutzlosigkeit eines Opfers sind ein klarer Anreiz.Je schwächer jemand ist oder wirkt, desto mehr reizt er zum Zubeißen. Im Extremfall wird er totgebissen-auch diese Erfahrung hat ihre feste Formel gefunden:"Das Rudel beißt den Kranken tot."
Von Mitleid hält unser atavistisches Effizienzprogramm nicht eben viel.Und auch wenn sich Ethik,Moral und Gesetz alle Mühe geben, dies zu ändern, bleibt gezeigte Hilflosigkeit gefährlich-wir alle wissen oder spüren das und achten darauf, keine Schwäche zu zeigen.Schwäche steht nicht bloß für fehlende physische Kraft.Sie kann die verschiedenen Formen annehmen:Dummheit, Unwissenheit,Unsicherheit,wirtschaftliche Schwäche, Ratlosigkeit oder Gier.
Da kann es nicht überraschen, dass Hilflosigkeit des Opfers auch einen Anreiz für Delinquenz bildet. Die Frau, die verbotenerweise als Prostituierte arbeitet, lädt ebenso dazu ein, ausgenommen zu werden, wie der Ausländer, der Probleme mit seinen Papieren hat, oder jeder, der sich in einem Geschäftsbereich bewegt, in dem er sich nicht auskennt.
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RE: Menschenhandel: 500 Euro für Opfer

Beitrag von fraences »

Grünen-Gesetzentwurf zur Situation der Opfer von Menschenhandel abgelehnt

Union und FDP argumentierten, dass für die angemahnten Gesetzesänderungen keine „zwingende Notwendigkeit“ beziehungsweise „kein Anlass“ bestehe. Deutschland habe im Juni die Europaratskonvention ratifiziert und damit erhebliche Verbesserungen für die Opfer von Menschenhandel erreicht. Zudem werde die Umsetzung der Konvention in den Unterzeichnerstaaten durch eine 15-köpfige Expertengruppe (GRETA) überprüft. Deren Bericht zur Situation in Deutschland sollt erst abgewartet werden. Die CDU/CSU-Fraktion übte hingegen die Regelungen des Prostitutionsgesetzes, das in der rot-grünen Regierungszeit vor rund zehn Jahren in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz bevorteile die Täter bei der Organisation von Zwangsprostitution in Deutschland.

Hier weiter lesen:

http://www.bundestag.de/presse/hib/2013 ... 61/03.html
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Beitrag von ehemaliger_User »

Früher nannte man es nicht Menschenhandel, sondern Fluchthilfe:

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal ... ad3e8.html
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Jupiter
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RE: Menschenhandel:

Beitrag von Jupiter »

Durch einen Wohnungsbrand wurde der ganze Umfang des Menschenhandels unter dem Titel "Werkverträge" bei der Meyer-Werft in Papenburg bekannt:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/w ... -1.1724314

Gruß Jupiter

Die Meyer Werft in Papenburg baut hochmoderne Kreuzfahrtschiffe. Wie viele der Luxusdampfer der Reederei Aida mit dem typischen roten Kussmund am Bug. Auf die 1795 gegründete Familienfirma aus Norddeutschland ist man in der Werft-Industrie sehr stolz. Ein deutscher Betrieb baut Traumschiffe für die Welt.

Einem Albtraum kommt aber gleich, was jetzt aus dem Emsland bekannt wird. Angeblich arbeiten viele Osteuropäer auf der Werft zu Dumpinglöhnen, ausgebeutet von einem externen Dienstleister oder dessen Subunternehmer, unwürdig untergebracht auf engem Raum. Es sind Zustände, wie man sie vor allem aus der Fleischindustrie kennt.

Und die Werft in Papenburg ist womöglich kein Einzelfall. Auf den deutschen Docks schrumpft die Zahl der Stammarbeiter seit Jahren. Laut einer Studie der IG Metall Küste arbeitete 2012 schon mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer per Werkvertrag (24,4 Prozent) oder als Leiharbeitnehmer (12,3 Prozent).

Ein tödlicher Brand könnte zum Weckruf für den Schiffbau werden. Am Sonntag wollte ein Fahrer der Meyer Werft eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Arbeiter zur Schicht abholen. Bei Ankunft brannte die Unterkunft, ein Einfamilienhaus, lichterloh. Für zwei Rumänen, 45 und 32, kam jede Hilfe zu spät, sie verbrannten in dem Klinkerbau.
"Untragbare Zustände"

Im Haus hätten "untragbare Zustände" geherrscht, erzählt Arzt Volker Eissing, der zum Unglücksort gerufen wurde. Bis zu 13 Betten hätten dicht an dicht im Wohnzimmer gestanden. Es habe keine Schränke gegeben, das Hab und Gut sei unter die Betten gestopft gewesen. "Die Männer waren auf engstem Raum zusammen gepfercht."

Der Mediziner aus Papenburg hat oft Werftarbeiter aus Rumänien und Bulgarien in seiner Praxis. Was er berichtet, ist haarsträubend. Die Männer würden erzählen, dass sie nicht mehr als drei Euro netto pro Stunde verdienten, behauptet Eissing. "Das frage ich, um zu wissen, ob ich überhaupt eine Rechnung stellen soll." Häufig seien die Männer nicht krankenversichert. Wenn er den Ausweis sehen wolle, heiße es oft: Den hat der Chef.

Es ist ein bitterer Alltag, den Eissing beschreibt, doch bei der Meyer Werft wollen sie davon nichts wissen. Er sei schockiert, sagt Werften-Geschäftsführer Lambert Kruse. "Dass es dort katastrophale Zustände gegeben haben soll, ist mir unbekannt." Kruse verweist darauf, dass die Männer bei der Firma SDS aus Emden beschäftigt sind. Die 120 Osteuropäer, überwiegend aus Rumänien und Bulgarien, arbeiten als Schweißer und Schiffbauer per Werkvertrag auf der Werft. Alles Billigarbeiter? Kruse widerspricht. Grundsätzlich, so sagt er, erhielten Personaldienstleister wie SDS einen Bruttolohn zwischen 20 und 35 Euro pro Stunde. Acht bis zehn Euro netto kämen davon bei den Arbeitern an. Auch die zwei toten Rumänen hätten laut Lohnauszügen von SDS einen Nettolohn von 1800 Euro im Monat erhalten, sagt Kruse.

Das beteuert auch Günther Kunz, Anwalt des Dienstleisters SDS. Regelmäßig lasse sich SDS-Geschäftsführer Senol Sahinler nachweisen, "dass das Geld auch bei den Leuten ankommt". Allerdings seien die Männer bei einem rumänischen Unternehmen angestellt, räumt Kunz ein. SDS sei bloß dessen Subunternehmer. Der Dienstleister aus Emden kümmere sich um Unterkünfte, er betreibe fünf Häuser in Papenburg. Es sei falsch, dass die Arbeiter nicht krankenversichert seien, sagt Kunz. "SDS lässt sich vor Einreise den Sozialversicherungsnachweis vorlegen." Auch die Reisepässe würden nicht eingesammelt. "Die Firma hat nur Kopien."
Problematische Werkverträge

Doch wie viel Geld erhalten die Arbeiter tatsächlich von ihrem rumänischen Arbeitgeber? In Papenburg kann das niemand so recht beantworten, und angesichts der Toten fordern Gewerkschaften jetzt strengere Kontrollen. Landkreise und Kommunen müssten sich intensiver um die Bedingungen von Leiharbeit und um die Unterbringung kümmern, sagt der Regionsvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Markus Paschke, in Leer. Auch die Meyer Werft trage eine soziale Verantwortung, mahnt Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste. "Sie sollte Dienstleister und Subunternehmer zu sozialen Standards verpflichten."

SDS hatte auf Nachfrage eingeräumt, dass bis zu 30 Arbeiter in dem Einfamilienhaus untergebracht waren, dieses sei aber sehr geräumig. Während des Brandes waren laut Polizei nur zwölf Männer anwesend. Der Brand sei in einer ehemaligen Sauna ausgebrochen, heißt es. Die Ursache ist nach wie vor ungeklärt.

Kritik kommt auch von Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies. Die Geschäftsführung der Werft stehe in der Verantwortung, "aufzuklären, ob es Missstände gibt, wenn ja, diese zu beseitigen und die Zusammenarbeit mit solchen Subunternehmen aufzukündigen". Den Fokus problematischer Werkverträge sieht der SPD-Politiker allerdings in der Fleischindustrie. "Dennoch dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass sich diese Probleme auch in anderen Branchen finden."

Schärfer formuliert es das Bistum Osnabrück. "Der Sumpf mafiöser Subunternehmer muss ausgetrocknet werden", sagt Agnes Holterhues, Vorsitzende des Katholikenrats. Dem Missbrauch von Werkverträgen müsse Einhalt geboten werden.

Werkverträge sind auf Werften zu einem gewissen Maße üblich und nötig. Um ein großes Schiff zu bauen, werden etliche Handwerker benötigt, etwa Küchenbauer oder Hersteller von Klimaanlagen. Die entsprechenden Fachkräfte werden nur für eine bestimmte Stundenzahl und Leistung per Werkvertrag beschäftigt. Zudem ist der Arbeitsanfall sehr unregelmäßig. Je nachdem, ob gerade ein Schiff gebaut wird oder ob die Hallen leer stehen. Spitzen werden mithilfe von Leiharbeit abgefedert.

Bei der Meyer Werft arbeiten derzeit 290 Leiharbeiter und etwa 1500 Werksverträgler, die meisten kommen aus dem Umland. Zur Stammbelegschaft gehören gut 3100 Menschen. Laut IG Metall betrug die Werkvertragsquote für die Werft im vergangenen Jahr 44,9 Prozent - sie war damit eine der höchsten unter den deutschen Schiffbauern.

Angesichts der Tragödie will man bei der Werft nachbessern. Inhaber Bernhard Meyer - Unternehmer in siebter Generation - hat sich jetzt persönlich geäußert. Man werde prüfen, ob es unter den Lieferanten "schwarze Schafe" gebe, die Sozialstandards unterliefen, sagt er. "Lohndumping lehnen wir kategorisch ab."
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

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Beitrag von Veraguas »

ehemaliger_User: Früher nannte man es nicht Menschenhandel, sondern Fluchthilfe.
Menschenrechte mal so - mal so:
Cap Anamur. Früher, vor der vietnamesischen Küste nannte man es retten. Gab es höchste Ehrungen. Heute im Mittelmeer nennt man es schleusen, gibt es Anklage und langjährigen Prozess.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 53762.html