Wir stehen jetzt 4 Wochen vor der Bundestagswahl. In vier Wochen fallen die Würfel, wie ernst es mit dem Sexkaufverbot in Deutschland wird. Man könnte auch sagen: Der Souverän entscheidet. Gleichzeitig wird in der Presse immer wieder darauf hingewiesen, dass noch nichts entschieden ist, da es einen außergewöhnlich hohen Anteil unentschlossener Wähler gibt.
An anderer Stelle habe ich hier im Forum schon erwähnt, dass es in Deutschland mindestens 1,3 Millionen unmittelbar (d.h. binnen Jahresfrist) vom Sexkaufverbot Betroffene gibt, längerfristig gesehen deutlich mehr. Und bei dieser Wahl können unter Umständen Zehntelprozente darüber entscheiden, ob es zum Sexkaufverbot kommt oder nicht bzw. bestimmte im Zusammenhang mit dem Sexkaufverbot relevante Parteien in den Bundestag kommen oder nicht. Auf der einen Seite die FDP, für die ein Sexkaufverbot mit ihrer liberalen Haltung unvereinbar wäre – Dr. Gräfin von Galen war als Sachverständige der FDP in die Anhörung des Familienausschusses geschickt worden. Auf der anderen Seite das BSW, das – jedenfalls nach Erkenntnissen des BesD – wie die CDU/CSU für ein Sexkaufverbot ist, vgl. hier:
https://www.berufsverband-sexarbeit.de/ ... he-modell/
Dies als Beispiele dafür, dass es bei dieser Bundestagswahl um Zehntelprozente gehen kann, die über das Schicksal der Sexarbeit in Deutschland entscheiden.
Dona Carmen verbreitet eine gewisse Zuversicht, weil das Wort „Sexkaufverbot“ in keinem der Wahlprogramme auftaucht:
https://www.donacarmen.de/wp-content/up ... GRAMME.pdf
„Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird“.
Allerdings geht Dona Carmen nicht auf das BSW ein, während dem BesD laut obigem Link (mit drei Ausrufezeichen unterstützt) ja offenbar Erkenntnisse vorliegen, dass das BSW ein Sexkaufverbot unterstützt.
Und dass die CDU/CSU das Sexkaufverbot in ihrem Wahlprogramm verklausuliert präsentiert hinter dem „Drei-Säulen-Modell“ versteckt, ist nicht wirklich überraschend, da inzwischen auch der CDU/CSU durchgesickert sein dürfte, dass die Mehrheit der Bevölkerung (> 80 %) gegen ein Sexkaufverbot ist:
https://www.researchgate.net/publicatio ... -Befragung
Im Wahlprogramm wird dann vorsichtig formuliert: „Das „Dreisäulenmodell“ kann dabei als Orientierung dienen.“ Welcher durchschnittliche Leser weiß, was sich hinter dem „Dreisäulenmodell“ verbirgt? Wer das Positionspapier der CDU/CSU vom 7.11.2023 liest, erfährt mehr. Sowas liest sich besser, als von „Verboten“, „Überwachung“ oder „Spezial-Polizei“ im Wahlprogramm zu sprechen. Ein Wahlprogramm ist ähnlich einem Werbe-Prospekt. Da formuliert man „sanft“ und mehrdeutig und knallt nicht mit Wörtern herum, die den Leser erschrecken könnten. Und wird Frau Bär irgendwann wirklich von ihrem harten Kurs abweichen und aufhören, immer wieder und erneut und immer stärker Druck zu machen? Man denke an ihre letzten öffentlichen Auftritt zu diesem Thema: gewiss nicht!
Wie aktiv agieren also in dieser Situation die unmittelbar Betroffenen – also:
--- Freierforen, denen Schließung oder totale Überwachung droht;
--- Paysex-Portale, auf denen die Kunden/Kundinnen zwar nach wie vor werben können und dürfen (das Anbieten der Dienstleistungen ist ja nicht verboten), aber dann mit Observierung durch Zivilpolizisten rechnen müssen, um der Kunden habhaft zu werden;
--- die großen Sauna-/FKK-Clubs, die mit Einführung des Sexkaufverbots direkt schließen müssen?
Ich habe mal stichprobenweise eine Bestandsaufnahme vier Wochen vor der Wahl gemacht.
Freierforen:
Platz 1:
Freiercafe – ein unübersehbarer Banner, der mit der Werbung mitläuft und es ist gar nicht möglich, die Seite zu besuchen, ohne den Banner zu sehen. Er appeliert an die Verantwortung des Freiers in seiner Funktion als Wähler und schafft damit einen direkten und sehr deutlichen Bezug zur Bundestagswahl.
„Nur die allerdümmsten Kälber wählen Ihren Schlächter selber … Aufwachen schlau machen, schlau wählen …“
Platz 2 und 3 teilen sich Rheinforum und BW7-Forum:
Das Rheinforum spricht einen eingeloggten Besucher direkt an und verlinkt zur Petition „redet mit uns“. Recherchiert man in den Foren, wird an der rechten Seite neben anderer Werbung nochmals auf die Petition „redet-mit-uns“ verwiesen, zusätzlich auf die Initiative „Kundschaft pro Sexarbeit“
Das BW7-Forum verweist ganz oben auf der Seite, rechts und links, einmal auf die Petition, andererseits auf die Seite „nordisches Modell“, wo ein Mann, auf einem Stuhl im Gefängnis sitzend, ebenfalls auf den Ernst der Lage hinweist und den Betrachter veranlasst, sich mit dem Thema näher zu beschäftigen. Auch hier gibt es einen gewissen Bezug zur Bundestagswahl, indem direkt darauf hingewiesen wird: „CDU/CSU gegen Sexkauf“, aber weit weniger drastisch als im Freiercafe.
Fehlanzeige bei: Sachsenforum, Bordellcommunity, Römerforum, OWL-Forum, FFM-Forum, lustscout/LSH, AO Huren.
Es mag weitere Freierforen geben – ich kenne sie aber nicht. KI-basierte Suchen zu weiteren Freierforen ergaben keine brauchbaren Ergebnisse.
Es mag sein, dass dort angemeldete Mitglieder „mehr“ zu sehen bekommen. Im Rheinforum und BW7-Forum werden jedoch auch „Gäste“ bereits in o.g. Weise auf das Nordische Modell hingewiesen.
Paysex-Portale:
Hier wurden die Top10 aus „erotikblitz.com“ zugrundegelegt.
Platz 1:
Rotelaterne: hier erscheint ein direkter Aufruf zur Zeichnung der Petition „redet-mit-uns“, der die ganze Seite füllt und an dem keiner, der die Seite betrifft, vorbei kommt.
Platz 2:
Rotlicht.de: auch hier wird auf der ersten Seite auf die BSD-Petition hingewiesen, wenn auch nicht so massiv wie bei Platz 1
Fehlanzeige: kaufmich, ladies, modelle-hamburg, berlinintim, 6relax, 6profis, sexnord.net, erobella.
Wie gesagt, diese Auswahl habe ich mir nicht selbst ausgedacht, sie ergibt sich aus der o.g. Quelle. Es mag sein, dass man auf das Nordische Modell trifft, wenn man „tiefer“ in die Websites eintaucht; es geht hier aber um Hinweise, die Besucher direkt ansprechen, sich mit dem Thema – und idealerweise seiner Verantwortung als Wähler – auseinanderzusetzen.
Homepages von großen FKK-/Sauna-Clubs:
Ich habe eine Stichprobe von 15 Homepages von Clubs angeschaut, deren Namen mir geläufig sind; 14 x Westdeutschland, 1 x Berlin.
Keine einzige Seite verlinkt auf die Petition oder erwähnt – direkt beim Öffnen und gut sichtbar – die große Gefahr für die Zukunft des Clubs. Es ist so, als gäbe es das Nordische Modell, Frau Bär als seine wichtigste Protagonistin, als gäbe es diese ganze Diskussion, diese ganze Gefährdungslage nicht.
Fazit:
anstelle Freierforen, Paysex-Portale und Homepages großer betreibergeführter Prostitutionsbetriebe zur Aufklärung vor allem der Freier und zum Kampf gegen das Sexkaufverbot zu nutzen, herrscht weitgehend Fehlanzeige. Die Petition „redet mit uns“ steht immer noch bei unter 4000 Zeichnungen (Stand 25.1.) – bei mindestens 1,3 Millionen akut vom Sexkaufverbot Betroffenen! Kein Wunder, wenn dafür so wenig Werbung gemacht wird.
Optimismus, Resignation oder Amnesie? Ansonsten fällt mir hier ein Begriff aus der Corona-Zeit ein: Schlafschafe.
Oder man will sich von allem „Politischen“ fernhalten, neutral bleiben? Political correctness per excellence bis zum Tag des Schließens?
Wird man das auch noch so „politisch neutral“ sehen wollen, wenn erst die Polizei vor der Tür steht und die Ein- und Ausgänge bewacht? Die Kunden gefangennnimmt? Telekommunikationsüberwachung betreibt? (so Polizeipräsiedent Dierselhuis bei der Anhörung im Familienausschuss des Bundestages). Die Freierforen zwangs-geschlossen werden oder freiwillig schließen müssen, weil ihnen die Werbeeinnahmen z.B. von Clubs fehlen? Die Vorratsdatenspeicherung die Zugriffe auf Nachfrage-Kunden von Paysex-Portalen erlaubt (die Anbieter-Kunden/Kundinnen der Portale dürfen ja weiter anbieten, das bleibt ja erlaubt, die sind schließlich alle Opfer und Opfer kann und will man nicht bestrafen).
Gesamtfazit: Freieraufklärung zum Sexkaufverbot – weitgehend Fehlanzeige bei einigen rühmlichen Ausnahmen.
An die Verantwortung des Freiers als Wähler (also „Widerstand mit dem Wahlzettel“) wird nur in seltensten Fällen appelliert – das Freiercafe nimmt hier eine rühmliche Ausnahmestellung ein.
Und auch den Betreibern fällt offenbar gar nichts ein, die Freier zu warnen und (auch für die Bundestagswahl) zu sensibilisieren:
Keines der Länder, die bisher das Nordische Modell eingeführt haben, hatte vor Einführung des Gesetzes „erlaubte“ Bordelle/Clubs usw.; und noch viel extremer: keines dieser Länder hatte vor Einführung des Sexkaufverbots amtlich registrierte und zertifizierte, behördlich unter qualitativen und rechtlichen Kriterien überwachte Prostitutionsbetriebe mit überprüfter Zuverlässigkeit der Betreiber und deren Stellvertreter!
Die Ausgangssituation des Sexkaufverbots in Deutschland unterscheidet sich damit grundlegend von allen anderen Ländern, die bisher ein Sexkaufverbot einführten. Es wäre ein Alleinstellungsmerkmal für Deutschland, Prostituierte aus bisher amtlich genehmigten, anhand qualitativer und gesetzlich vorgegebener Kriterien zertifizierten und laufend überwachten Prostitutionsbetrieben herauszuwerfen und sie der Unsicherheit eines unsichtbaren Marktes im „Untergrund“ zu überlassen – so etwas hat es bisher ebenso in keinem Land der Welt gegeben, wie genau umgekehrt im Nachbarland Belgien eine Legalisierung und soziale Absicherung von Sexarbeit erfolgte, wie sie die Welt bisher auch nie zuvor gesehen hat. Zwei Nachbarländer mit sehr ähnlicher sozialer (Herkunfts-)Struktur der SW – und zwei ganz unterschiedlichen, jeweils weltweit einmaligen Lösungsansätzen von Alleinstellungscharakter!
Eddy
Deutschland vier Wochen vor der Bundestagswahl - eine Bestandsaufnahme
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Re: Deutschland vier Wochen vor der Bundestagswahl - eine Bestandsaufnahme
"BSW: Dafür !!!"
Unklar, wie Johanna Weber zu dieser Aussage kommt. Hat sie möglicherweise die
Rest-Linkspartei mit der Abspaltung verwechselt? Google-Suche ergibt nur eine aus-
stehende Auskunft zu dieser Frage. Die mir bekannten NM-Fans links von der SPD
sind meines Wissens nicht in der Wagenknecht-Fraktion.
Unklar, wie Johanna Weber zu dieser Aussage kommt. Hat sie möglicherweise die
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Re: Deutschland vier Wochen vor der Bundestagswahl - eine Bestandsaufnahme
"Keines der Länder, die bisher das Nordische Modell eingeführt haben,
hatte vor Einführung des Gesetzes „erlaubte“ Bordelle/Clubs usw. . . ."
Sondern alle diese Länder starteten von einer Position, in der Sexarbeit mindestens "sittenwidrig" und
diskriminiert, wenn nicht zur Kriminalität gehörig betrachtet wurde. Diesen WESENTLICHEN Unter-
schied räumt das Wunschdenken der Abolis nicht aus dem Weg.
hatte vor Einführung des Gesetzes „erlaubte“ Bordelle/Clubs usw. . . ."
Sondern alle diese Länder starteten von einer Position, in der Sexarbeit mindestens "sittenwidrig" und
diskriminiert, wenn nicht zur Kriminalität gehörig betrachtet wurde. Diesen WESENTLICHEN Unter-
schied räumt das Wunschdenken der Abolis nicht aus dem Weg.
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Re: Deutschland vier Wochen vor der Bundestagswahl - eine Bestandsaufnahme
@Eddy: Danke für die Recherche!