Diakonie Deutschland zur Sexarbeit

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
Benutzeravatar
Kasharius
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 4103
Registriert: 08.07.2012, 23:16
Wohnort: Berlin
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Diakonie Deutschland zur Sexarbeit

Beitrag von Kasharius »

https://www.diakonie.de/informieren/inf ... ostitution

Erklärung und Positionen

Kasharius grüßt

Benutzeravatar
friederike
Goldstück
Goldstück
Beiträge: 2191
Registriert: 07.12.2010, 23:29
Wohnort: Saarlouis
Ich bin: SexarbeiterIn

Re: Diakonie Deutschland zur Sexarbeit

Beitrag von friederike »

Überraschend ruhig und sachlich! Vor allem, wenn man dieses Dokument mit dem fürchterlichen "Positionspapier" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vergleicht ...

Ein Beispiel: die Caritas spricht von Schätzungen der Anzahl der Prostituierten in Deutschland von 60.000 bis 200.000; die CDU/CSU behauptet, es seien "mindestens 250.000" und beruft sich dabei auf den Kriminalkommissar a. D. Sporer, dessen Kompetenz für solche Auswertungen sicherlich nicht ausreicht. Da derzeit laut Behörden nur 28.000 Prostituierte gem. ProstSchG registriert sind, erklärt die CDU/CSU das ProstSchG für gescheitert, weil ja nur knapp 10% der Prostituierten den Hurenpass erworben haben. Überdies sei die Zahl in 2019 schon bei 40.000 gelegen und seither zurückgegangen. Deshalb sei nun sofortiges Handeln geboten und könne die Evaluation des ProstSchG nicht abgewartet werden; man könne also die Sichtung und Auswertung der umfangreichen Datenmengen, die man mit dem ProstSchG gewinnen wollte, gar nicht vornehmen, bevor man schon das nächste Gesetz über die Prostitution innerhalb weniger Jahre macht. Die ganzen Anstrengungen und die ganze Arbeit mit den Beratungsgesprächen wäre also umsonst gewesen.

Eine kurze Internetrecherche beim Statistischen Bundesamt zeigt, dass der Rückgang der Meldezahlen eine Folge der Corona-Welle sind, in der die ganze Wirtschaft zum Stillstand kam und auch in der Sexarbeit die Beschäftigung zurückging - 2020 stand für viele die erste Verlängerung des Hurenpasses an, der sich dann viele nicht unterzogen, die ja ohnehin nicht hätten arbeiten können. Diesen Sachverhalt unterschlägt das "Positionspapier" der CDU/CSU.

Dass man sich nicht die Zeit für eine ordentliche Aufklärung der Fakten und Analyse nehmen will, zeigt hingegen, dass es hier ausschließlich um ideologische Positionen geht, und dass das ganze Gerede um Probleme, Problemlösungen usw. eine hohle Fassade ist.

Hinsichtlich des ProstSchG von 2016 muss ich einräumen, dass nach einer blamablen Startphase die Dinge doch in Gang gekommen sind und sich viele Bedenken und Befürchtungen nicht oder nur in gemäßigtem Umfang materialisiert haben. Die Autorinnen des ProstSchG haben angedeutet, dass sie mit diesem Gesetz das Prostitutionsverbot abwenden wollten. Wie sich nun zeigt, muss man ihnen anerkennen, einen Punkt gemacht zu haben. Gemeint ist insbesondere die Bundestagsabgeordnete Sylvia Patel (CDU), die nach dem Wahldesaster der CDU mit dem Kanzlerkandidaten Laschet ihren Parlamentssitz verloren hat.

Boris Büche
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 693
Registriert: 20.12.2014, 13:53
Wohnort: Berlin
Ich bin: Keine Angabe

Re: Diakonie Deutschland zur Sexarbeit

Beitrag von Boris Büche »

Kleine Korrektur: Sylvia Pa-n-tel

Zum Thema: In der Diakonie sind Praktiker*innen versammelt, drum die Nähe zur Realität!
Nicht neu, siehe "Gehört das verboten? - Nein, sagt die Vorstandsfrau von der Diakonie."
Zuletzt geändert von Boris Büche am 07.03.2024, 01:15, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
lust4fun
Gelehrte(r)
Gelehrte(r)
Beiträge: 376
Registriert: 22.11.2012, 22:27
Ich bin: Außenstehende(r)

Re: Diakonie Deutschland zur Sexarbeit

Beitrag von lust4fun »

Liebe friederike, danke für deine präzisen Beispiele und Gedanken. Deine Erinnerung an Prantel finde ich sehr hilfreich - ich habe die Auseinandersetzung zwischen Breymaier und Prantel im taz-Interview von 2020 nochmal gelesen (ist auch auf der Wikipediaseite verlinkt).

https://taz.de/Streitgespraech-Prostitution/!5735935/

Ich hatte beim Lesen eine sehr verblüffende Einsicht. Ich halte nun genau dieses Interview für einen ganz singulären Schlüsseltext in der Debatte. Warum?
Überspitzt gesagt: Mit soziologischen Beiträgen erreichen wir niemanden. Mit wissenschaftlichen Beiträgen interessieren wir niemanden. Mit empirischen Fakten überzeugen wir niemanden.
Das Atemberaubende im Text: Breymaier sagt genau dieses, ganz offen und ganz emotional-genervt. Soziologie, Wissenschaft, Empirie, Nachweise, Selbstauskünfte etc. interessieren sie nicht. Nur ein Beispiel: Gefragt, ob sie mit SW redet, antwortet sie: Nein ich rede nur mit Aussteigern…
Meine These:
Wer, aus welchen Grund auch immer, dieses Interview bis zum Ende liest und über ein Minimum an Anspruch auf eigenständiges Denken verfügt, sieht sich mit dem Gedanken konfrontiert: Wenn das, was Breymaier hier sagt, die Grundlage für ein neues Gesetz sein soll, dann geht das einfach nicht. Gesetze muss man mit einem Mindestmaß an Besonnenheit machen - und das zeigt ausgerechnet die konservative Prantel.
Also, verlinkt den Politiker:innen diesen Text. Besser als zum x-ten Mal der Versuch, selbst ein paar eigene Argumente zu erklären. Und zu Breymaier muss man dann gar nichts weiter sagen. Das erledigt sie selbst…

@Boris - Der Link von dir geht nicht richtig, wenn ich recht sehe?

Boris Büche
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 693
Registriert: 20.12.2014, 13:53
Wohnort: Berlin
Ich bin: Keine Angabe

Re: Diakonie Deutschland zur Sexarbeit

Beitrag von Boris Büche »

@lust4fun: Danke für Hinweis - Link geflickt!!

Benutzeravatar
friederike
Goldstück
Goldstück
Beiträge: 2191
Registriert: 07.12.2010, 23:29
Wohnort: Saarlouis
Ich bin: SexarbeiterIn

Re: Diakonie Deutschland zur Sexarbeit

Beitrag von friederike »

Sylvia Pantel, so ist es richtig geschrieben. In meinem Gedächtnis hatte ich fälschlich "Patel" festgesetzt. "Prantel" wäre auch nicht richtig gewesen; das klingt nach Dr. Herbert Prantl, prominenter Journalist bei der Süddeutschen Zeitung.

Zum anderen Thema: Es stellt sich immer mehr heraus, dass die wahre Motivation der CDUU/CSU und anderer Unterstützer des Nordischen Modells rein ideologisch ist, das heißt: entstanden aus diversen Theorien und Konstrukten, aus denen ein Weltbild hervorgeht, das Prostitution ganz einfach nicht mag und nicht will, und zwar weder im eigenen Umkreis und in eigener Betroffenheit, noch bei anderen, und da ganz besonders nicht. Die Ursachen und die Gründe, eine solche Einstellung zu wählen, mögen vielschichtig sein, aber im letzten Ende liegen sie im psychologischen Bereich, vielleicht sogar im tiefenpsychologischen Bereich.

Ein prominenter Fall ist Frau Prof. Judith Butler, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Berkeley, die man als Mutter der theoretischen Fassade des heutigen "Feminismus" ansehen kann. Sie bewegt sich in jener Blase des "Dekonstruktivismus", die Amerikaner nennen das "the French Theories", wo man sich ein Weltbild zusammenbraut, ohne jemals den Kontakt zur Realität überhaupt auch nur zu suchen.

Dieser Sachverhalt erklärt, dass man mit diesen Menschen nicht rational argumentieren kann. Mit naturwissenschaftlichen und empirischen Erkenntnissen kommt man bei diesen Menschen keinen Millimeter weiter. Daten- und Faktengrundlagen brauchen diese Menschen nicht, es sei denn zur Bestätigung der Meinung, die sie schon gefasst haben. Deswegen genügen ihnen die Machwerke, sogenannte "Studien", von Sporer, Mack, Farley.