Sexarbeit ist kein neutraler Begriff, ebenso wenig wie Prostitution.
Sexarbeit ist in meine Augen jede Körperlichkeit konsensualer sexuellen Handlungen gegen Entgelt.
Sexarbeit ist Arbeit, ist einer der Slogans, die sich pro sexwork Aktivisten auf die Fahnen schreiben.
Ja, es ist Arbeit, ein Job wie jeder andere und dennoch nicht. Niemand kommt beruflich dem Sexualpartner so nahe und wird so intim wie wir Sexarbeitende.
Es besteht aus Zeit, Empathie und Lust eingebettet in einer kapitalistischen Matrix.
Heteronormative Logik unterstellt uns den Faktor Lust nichts als Motiv für den Beruf zu sehen.
Die Gesellschaft und der Staat sprechen uns Lust am Beruf ab. Sexualität ist nicht regulierbar, schon gar nicht wenn sie konsensual ist. Emotion und Lust kann man nicht in eine Schublade stecken.
Der Hauptfokus liegt auf Registrierung, gesetzlicher Einschränkung und Zugriffsmöglichkeiten des Staates in Momenten, die nur den Sexualpartnern gehören müssen und dürfen.
Untersuchungen im Intimbereich spricht uns jedes Recht ab, in einer Gesellschaft, die sich als aufgeklärt betrachtet, Wissen über Verhütung und Geschlechtskrankheiten ab, welches aber bei jedem/jeder Nicht – Sexarbeiter /in vorausgesetzt und auch zugestanden wird.
Es impliziert somit, es wird uns eine verminderte Intelligenz in diesem Sektor unterstellt.
Gerade Anbieter sexueller Dienstleistungen, haben mehr Sex als der durchschnittliche Otto Normalverbraucher und haben dadurch einen stärkeren Zugang und ein meist breites gefächertes Wissen über Intimität, durch ihre Erfahrung und den Austausch.
Daher ist es absolut unlogisch hier vermindertes Wissen zu unterstellen.
Legal und entkriminalisiert ist nicht dasselbe.
Statt uns zu sagen, was wollt ihr denn, es ist ja legal, das muss genug sein für Euch, sollte man sich einmal darüber Gedanken machen, dass uns diese besagte Legalität in höchster Form kriminalisiert.
Jeder Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen ist in unserer Gesellschaft untragbar und verfassungsrechtlich absolut geschützt.
Wenn ich in Salzburg einen Kunden zu Hause besuche um intim zu werden, dann bin ich kriminell, ebenso wie in Kärnten, Vorarlberg und Tirol.
Summieren wir also: Auf einem Gebiet, dass fast 40 % des österreichischen Staatsgebietes umfasst bin ich kriminell, wenn ich in der Wohnung meines Sexualpartners mit diesem Sex habe (gegen Entgelt).
Auf einem Gebiet von fast 10% unseres Staates, darf ich, wenn ich schwanger bin, keinen Job mehr bekommen. Schwangere werden in jedem Arbeitsverhältnis vom Staat geschützt. In der Sexarbeit werden wir verstoßen, da man uns keinen legalen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen darf.
Auf fast 40% des Staatsgebietes, darf ich mir als Sexarbeiterin keinen Termin ausmachen für eine staatliche verordnete Untersuchung meines Intimbereiches. Also auf 40 % entscheidet jemand anderes, wann ich zum Arzt gehe, und jemand in meinen Vaginalbereich sieht/ eindringt.
Wo bleibt hier der Aufschrei?
Österreich versucht mit den Reglementierungen vor Prostitution zu schützen. Man versucht Kunden zu schützen, die Gesellschaft, den Staat, die Kirche in Niederösterreich schützt man sogar Bushaltestellen.
Der richtige Zugang ist aber, in der Prostitution zu schützen.
Das bedeutet, Sexarbeitende können ihren Lohn einfordern.
Es bedeutet Sexarbeitende werden vor Gewalt geschützt.
Es bedeutet der Staat schützt Sexarbeitende und vermittelt das Vertrauen auch geschützt zu sein. Eine polizeiliche Registrierung impliziert aber immer, mit dem Gesetz in Konflikt zu sein. Und defacto bringen uns die Regulierungsgesetze der Prostitution immer mit dem Gesetz in Konflikt.
Auch hier sieht man deutlich, man schützt nicht die schützenswerte Gruppe, man schützt alle anderen vor denen, die geschützt gehörten.
Würde man homosexuelle Menschen regulieren und Gesetze schaffen, um die Gesellschaft vor homosexuellen Menschen zu schützen, nicht aber die Gruppe der Homosexuellen und diese zeitgleich stigmatisieren, gäbe es einen Aufschrei.
Wo bleibt der Aufschrei für die Sexarbeiter / Innen?
Diese massiven Regulierungen führen ebenso dazu, dass wir gefährdeter sind. Der vorgebliche Schutz macht uns angreifbar.
Es führt dazu, dass Vergewaltigungen und Sexualdelikte nicht angezeigt werden. Der Kunde, der vergewaltigt, weiß dies und es gibt ihm mehr Sicherheit diese Tat zu begehen, und weniger Konsequenzen zu fürchten. Einer migrantischen Sexarbeiterin, die ohne Kontrollkarte in einem Bundesland, wo vorzugsweise Hausbesuche verboten sind, zu einem Kunden nach Hause fährt drohen mehrere Anzeigen, Strafen zwischen 1000 und 20.000 Euro, Abschiebung und bis zu zehn Jahren Einreiseverbot.
Wie hoch mag hier die Motivation sein, eine Vergewaltigung noch anzuzeigen, wo man zudem höchstwahrscheinlich vor der Verhandlung auch noch abgeschoben wird.
All diese Dinge weiß der Täter und es macht ihm die Tat viel einfacher.
Wo bleibt der Schutz? Es führt ebenfalls zu einer Täter-Opfer Umkehr. Sie war ja illegal, somit rechtfertigen viele die Tat.
Dieses Land hat darum gekämpft Vergewaltigung in der Ehe zu bestrafen, alle Menschen gleichzustellen und Offizialdelikte zu ahnden. Dies funktioniert in allen Lebensbereichen relativ gut.
Es gib eine Ausnahme, Sexarbeit.
Staatliche Regulation macht Sexarbeitende zu unwerteren Menschen.
Die Exekutive soll sich nicht um Prostitution, bzw. Sexarbeit kümmern, sondern um sogenannte *Zwangsprostitution*. Der Begriff der Zwangsprostitution ist schon einmal grundlegend falsch.
Jemand, der zur Prostitution gezwungen wird, wird vergewaltigt, genötigt und seiner Freiheit beraubt. Dies ist von Amtswegen her zu verfolgen. Stattdessen verfolgt man/ bzw. verfolgt man auch freiwillige Sexarbeit.
Prostitution bzw. Sexarbeit hat vollkommen aus freien Stücken zu passieren, da es um Sexualität und sexuelle Selbstbestimmung geht, neben den kommerziellen Aspekten.
Rechte, Vertrauen zu Exekutive und Legislative bildet starkes und verantwortungsbewusstes Handeln in der Sexarbeit und ausschließlich dies verhindert und vermindert Zwang und Gewalt.
Die Wahrnehmung der österreichischen Sexarbeitenden und migrantischen Sexarbeitenden ist ebenfalls unterschiedlich.
Unsere Verfassung sagt uns, jeder Mensch ist gleich.
Die Realität zeigt uns, Sexarbeitende sind ungleich und migrantische Sexarbeitende sind ungleicher.
Wir Sexarbeiter /Innen können und wollen Argumente, die uns sagen wollen, wir sollen doch froh sein, nicht ein Prostitutionsverbot in diesem Land zu haben, nicht zulassen.
Das bedeutet nur, ja es ist schlecht, aber es ginge ja noch schlechter.
In allen Bereichen sind wir bemüht, ständig Verbesserungen herbeizuführen, in einem freien und demokratischen Land, wie unseres es ist.
Es gibt eine Ausnahme, Sexarbeit.
Die Angst vor einem /er rechtsbewussten, selbstbestimmten starken Sexarbeiter /In muss wirklich sehr hoch sein, wenn man uns im Jahr 2022 in einen Käfig aus Gesetzen sperrt, um eine kleine Gruppe von Menschen, die durch diese Gesetze vermehrt Gewalt, sei es strukturelle oder körperliche, ausgesetzt ist, die eigentlich Schutz verdient.
Der Staat Österreich kommt seiner Sorgfaltspflicht für eine Minderheit, seiner Pflicht Diskriminierung zu unterbinden und eine vulnerable Gruppe vor Gewalt zu schützen nicht nach. Er unterstützt diese Verfehlungen in jeder Hinsicht.
Wie soll sich also das gesellschaftliche Bild ändern, wenn bereits der Staat versagt.
Legal bedeutet nicht gleich entkriminalisiert!
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Re: Legal bedeutet nicht gleich entkriminalisiert!
Chapeau!
Dein Text hat mir grad wieder sehr eindrücklich die vielfältigen Aspekte der Diskriminierung, der Sexarbeitende in Österreich ausgesetzt sind, sehr klar vor Augen geführt.
"Wie soll sich also das gesellschaftliche Bild ändern, wenn bereits der Staat versagt."
Spannende Frage!
Meines Erachtens wird wesentliche Veränderung nur dann gelingen, wenn das gesellschaftliche Bild von Sexwork ein weniger fixiertes, vorurteilsbehaftetes, klischeehaft eingeschränktes wird.
... wenn es gelingt, Sexwork in seiner Vielfalt anschaulich und verständlich zu machen.
Klar ist, dass man die Politik immer wieder auf hasenhirnige Regelungen (und deren Konsequenzen für Sexarbeiter*innen) und Verbesserungsmöglichkeiten hinweisen muss. Klar ist aber leider auch, dass das Thema Prostitution keines ist, wo sich die Mehrzahl der Politiker*innen besonders engagieren will. Zu groß scheint ihnen die Gefahr, sich die Finger zu verbrennen. Und daher ists einfach mehr als notwendig, die von Dir angesprochenen Themen verstärkt in eine öffentliche Diskussion zu bringen.
Es ist und bleibt das Bohren dicker Bretter!
Dein Text hat mir grad wieder sehr eindrücklich die vielfältigen Aspekte der Diskriminierung, der Sexarbeitende in Österreich ausgesetzt sind, sehr klar vor Augen geführt.
"Wie soll sich also das gesellschaftliche Bild ändern, wenn bereits der Staat versagt."
Spannende Frage!
Meines Erachtens wird wesentliche Veränderung nur dann gelingen, wenn das gesellschaftliche Bild von Sexwork ein weniger fixiertes, vorurteilsbehaftetes, klischeehaft eingeschränktes wird.
... wenn es gelingt, Sexwork in seiner Vielfalt anschaulich und verständlich zu machen.
Klar ist, dass man die Politik immer wieder auf hasenhirnige Regelungen (und deren Konsequenzen für Sexarbeiter*innen) und Verbesserungsmöglichkeiten hinweisen muss. Klar ist aber leider auch, dass das Thema Prostitution keines ist, wo sich die Mehrzahl der Politiker*innen besonders engagieren will. Zu groß scheint ihnen die Gefahr, sich die Finger zu verbrennen. Und daher ists einfach mehr als notwendig, die von Dir angesprochenen Themen verstärkt in eine öffentliche Diskussion zu bringen.
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Re: Legal bedeutet nicht gleich entkriminalisiert!
Sehr gut geschrieben, Nora!
Die Schizohaltung:
"man schützt nicht die schützenswerte Gruppe, man schützt alle anderen vor denen, die geschützt gehörten"
ist allerdings schnell erklärt, anhand des folgenden Satzes:
"Würde man homosexuelle Menschen regulieren und Gesetze schaffen, um die Gesellschaft vor homosexuellen Menschen zu schützen,
nicht aber die Gruppe der Homosexuellen und diese zeitgleich stigmatisieren, gäbe es einen Aufschrei."
Solche Gesetze gab es in D und Ö bis vor einer Weile, ich kenne sie noch, und nie war deren Intention der Schutz homosexueller Menschen.
Deren Stigmatisierung möglicherweise schon, zumindest wurde das billigend in Kauf genommen. Jedenfalls war man so ehrlich damals,
kein Wohlwollen vorzutäuschen, wo keins war.
Die Gesetze zur Sexarbeit sprechen wahr; es sind nur deren Verfechter, die lügen.
"Schutz" ist nichts weiter als NewSpeak - zum Wohle der eigenen Psyche, und für die Außenwirkung.
Warum diese Lügner lügen, ist eine interessante Frage; warum es so "uncool" ist, erkennbar FÜR
Unterdrückung einzutreten, wie früher. Oder sog. Ungeimpften gegenüber, grade eben noch.
Warum man (oder frau) das tarnen muss hinter einer "Schutz"argumentation.
OB sie lügen, ist keine Frage wert.
Bezeichnenderweise hört man von AbolistInnen nie eine Forderung nach Entkriminalisierung, nach Abschaffung z.B. von
Sperrgebietsregeln - was aus dem "Nordischen Modell", so wie beworben, ja zwingend folgen würde. Im Gegenteil tun sie so,
als gäbe es dergleichen Gesetze gar nicht, und dazu die potentiell schützenden gegen Zuhälterei auch nicht. Ihr Ziel ist,
objektiv erkennbar, völlige Entrechtung (was sie leugnen) und Ächtung (was sie immerhin zugeben).
"Diese massiven Regulierungen führen ebenso dazu, dass wir gefährdeter sind."
SOLLEN sie vielleicht genau diesen Effekt haben, ohne sich "die eigenen Hände schmutzig" zu machen?
Die Schizohaltung:
"man schützt nicht die schützenswerte Gruppe, man schützt alle anderen vor denen, die geschützt gehörten"
ist allerdings schnell erklärt, anhand des folgenden Satzes:
"Würde man homosexuelle Menschen regulieren und Gesetze schaffen, um die Gesellschaft vor homosexuellen Menschen zu schützen,
nicht aber die Gruppe der Homosexuellen und diese zeitgleich stigmatisieren, gäbe es einen Aufschrei."
Solche Gesetze gab es in D und Ö bis vor einer Weile, ich kenne sie noch, und nie war deren Intention der Schutz homosexueller Menschen.
Deren Stigmatisierung möglicherweise schon, zumindest wurde das billigend in Kauf genommen. Jedenfalls war man so ehrlich damals,
kein Wohlwollen vorzutäuschen, wo keins war.
Die Gesetze zur Sexarbeit sprechen wahr; es sind nur deren Verfechter, die lügen.
"Schutz" ist nichts weiter als NewSpeak - zum Wohle der eigenen Psyche, und für die Außenwirkung.
Warum diese Lügner lügen, ist eine interessante Frage; warum es so "uncool" ist, erkennbar FÜR
Unterdrückung einzutreten, wie früher. Oder sog. Ungeimpften gegenüber, grade eben noch.
Warum man (oder frau) das tarnen muss hinter einer "Schutz"argumentation.
OB sie lügen, ist keine Frage wert.
Bezeichnenderweise hört man von AbolistInnen nie eine Forderung nach Entkriminalisierung, nach Abschaffung z.B. von
Sperrgebietsregeln - was aus dem "Nordischen Modell", so wie beworben, ja zwingend folgen würde. Im Gegenteil tun sie so,
als gäbe es dergleichen Gesetze gar nicht, und dazu die potentiell schützenden gegen Zuhälterei auch nicht. Ihr Ziel ist,
objektiv erkennbar, völlige Entrechtung (was sie leugnen) und Ächtung (was sie immerhin zugeben).
"Diese massiven Regulierungen führen ebenso dazu, dass wir gefährdeter sind."
SOLLEN sie vielleicht genau diesen Effekt haben, ohne sich "die eigenen Hände schmutzig" zu machen?
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Re: Legal bedeutet nicht gleich entkriminalisiert!
Liebe Nora,
danke für diesen sehr gut geschriebenen und durchdachten Text zur Situation in Österreich!
In Deutschland standen diese Fragen vor sechs Jahren auf der Tagesordnung, als das "Prostituiertenschutzgesetz" (ProstSchG) vorbereitet und schließlich auch beschlossen wurde. Auch hier waren "Wohlmeinende" am Werk, die meinten, den Sexarbeiterinnen "Schutz" (tatsächlich ein Newspeak!) zukommen lassen zu müssen. Herausgekommen ist eine perverse Bürokratie und ein Portfolio seltsamer Regelungen und Vorschriften, das wenig zum Schutz der vorgeblichen Zielgruppe beigetragen und höchstens die Zugriffsmöglichkeiten des Finanzamts verbessert hat. In einigen Punkten hat sich das Leben und vor allem die Sicherheit der Sexarbeiterinnen verschlechtert (zu, Beispiel durch das Verbot, in den Arbeitszimmern zu übernachten). Die Schutzmaßnahmen, die wirklich wichtig gewesen wären und etwas bewirkt hätten, waren im Gesetz sorgfältig ausgespart worden, zum Beispiel die Verbesserung des Zeuginnenschutzes in dem Fall, dass eine Sexarbeiterin einen Zuhälter anzeigen will.
Immerhin, das muss man einräumen, scheint sich die Bürokratie nach einem chaotischen und für den Staat unwürdigen Start eingespielt zu haben. Meine Zwangsberatungsgespräche sind in der letzten Zeit erträglich abgelaufen, allerdings muss man veranschlagen, dass ich als erfahrene und geoutete Sexarbeiterin weit weniger empfindlich bin als Anfängerinnen es meistens sind. Die von uns befürchteten Durchbrüche der Vertraulichkeit scheinen ausgeblieben zu sein, jedenfalls hört man nichts von Vorfällen, wo vertrauliche Informationen aus den Ämtern heraus im Umfeld der Sexarbeiterinnen bekannt geworden wären. Und, ganz wichtig (und von mir erst spät erkannt): mit dem deutschen ProstSchG wurde immerhin erreicht, dass den Forderungen eines generellen Verbots der Prostitution und den Forderungen für die Übernahme des repressiven, menschenfeindlichen "Schwedischen Modells" einstweilen der Wind aus den Segeln genommen wurde.
Die von Dir aufgeworfene Beobachtung beschäftigt mich aber auch: wie ist es zu erklären, dass sich die Politik zu allen Zeiten mit solchem Eifer und mit solcher Liebe zum Detail mit der Regulierung der Prostitution befasst? Die Vorwände sind höchst unterschiedlich, es geht angeblich um die Volksgesundheit, um die Moral der weiblichen, aber auch der männlichen Bevölkerung, um Jugendschutz, und neuerdings, besonders pervers, um die weibliche Gleichberechtigung oder gar um die Würde der Frau als über allem schwebendes Gut, das ich beschädige, wenn ich mich prostituiere.
In der Debatte um das ProstSchG hatten wir die Symptome vor uns ausgebreitet liegen: parlamentarische Arbeitsgruppen und Ministerialbeamte saßen tagelang und nächtelang beisammen und stellten sich Abläufe und Arbeitsalltage in der Prostitution vor, sinnierten über Gleitcremes und Kondome, brachten Konzepte über Wohnwagen hervor und erfanden Worte wie "Prostitutionsfahrzeug", erkannten die Notwendigkeit getrennter Damentoiletten (damit waren sie natürlich hinter dem Zug der Zeit schon zurück, wo bleiben die Divers-Toiletten?), verhielten sich zu den Übernachtungsmöglichkeiten und forderten "private Rückzugsräume" und so weiter und so weiter. Sie stellten sich behördliche Beratungsgespräche vor, in denen Frauen, die für einen Zuhälter laufen, Vertrauen zum Behördenmitarbeiter (sic!) fassen und diesem ihr Herz ausschütten, worauf ihnen dieser die Ausstellung des Hurenpasses verweigert und sie zu ihrem Luden zurückschickt, damit sie diesem schonend beibringen können, dass sie das mit dem Pass nicht hingekriegt hätten.
Ich bin sicher, dass die meisten Beteiligten an solchen Gesprächsrunden unter dem Besprechungstisch gewichst haben. Woher kommt diese Leidenschaft, sich mit solcher Regelungswut abzugeben? Prostitution ist ein faszinierendes Thema, ja, es reizt nicht nur Sexarbeiterinnen und Kunden, viele Menschen finden die Gedankenwelt geil. Dieser Regelungstrieb der Politiker und Amtsmenschen geht aber weiter, und für mich handelt es sich um denselben Trieb, dem auch Pornokonsumenten erliegen, der ja auch zur Sucht führen kann. Was geht im Hirn von jemandem vor, der morgens nach dem Frühstück aufsteht seinen Aktenkoffer nimmt und ins Amtsgebäude geht, um beispielsweise einen Entwurf zur Gestaltung des Hurenpasses auszuarbeiten?
All diesen Regulierern in allen Ländern gemeinsam ist die unbedingte Rücksichtslosigkeit gegenüber Freiheitsrechten und Menschenrechten der Betroffenen, auf beiden Seiten in der Prostitution. Da beobachtet man Allmachtsgefühle und die Vorstellung der Schrankenlosigkeit, wie man sie in totalitären und autoritären Systemen findet, egal wo. Da ist zwischen Brüssel, Straßburg, Stockholm, Minsk, Moskau und Luhansk kein Unterschied.
danke für diesen sehr gut geschriebenen und durchdachten Text zur Situation in Österreich!
In Deutschland standen diese Fragen vor sechs Jahren auf der Tagesordnung, als das "Prostituiertenschutzgesetz" (ProstSchG) vorbereitet und schließlich auch beschlossen wurde. Auch hier waren "Wohlmeinende" am Werk, die meinten, den Sexarbeiterinnen "Schutz" (tatsächlich ein Newspeak!) zukommen lassen zu müssen. Herausgekommen ist eine perverse Bürokratie und ein Portfolio seltsamer Regelungen und Vorschriften, das wenig zum Schutz der vorgeblichen Zielgruppe beigetragen und höchstens die Zugriffsmöglichkeiten des Finanzamts verbessert hat. In einigen Punkten hat sich das Leben und vor allem die Sicherheit der Sexarbeiterinnen verschlechtert (zu, Beispiel durch das Verbot, in den Arbeitszimmern zu übernachten). Die Schutzmaßnahmen, die wirklich wichtig gewesen wären und etwas bewirkt hätten, waren im Gesetz sorgfältig ausgespart worden, zum Beispiel die Verbesserung des Zeuginnenschutzes in dem Fall, dass eine Sexarbeiterin einen Zuhälter anzeigen will.
Immerhin, das muss man einräumen, scheint sich die Bürokratie nach einem chaotischen und für den Staat unwürdigen Start eingespielt zu haben. Meine Zwangsberatungsgespräche sind in der letzten Zeit erträglich abgelaufen, allerdings muss man veranschlagen, dass ich als erfahrene und geoutete Sexarbeiterin weit weniger empfindlich bin als Anfängerinnen es meistens sind. Die von uns befürchteten Durchbrüche der Vertraulichkeit scheinen ausgeblieben zu sein, jedenfalls hört man nichts von Vorfällen, wo vertrauliche Informationen aus den Ämtern heraus im Umfeld der Sexarbeiterinnen bekannt geworden wären. Und, ganz wichtig (und von mir erst spät erkannt): mit dem deutschen ProstSchG wurde immerhin erreicht, dass den Forderungen eines generellen Verbots der Prostitution und den Forderungen für die Übernahme des repressiven, menschenfeindlichen "Schwedischen Modells" einstweilen der Wind aus den Segeln genommen wurde.
Die von Dir aufgeworfene Beobachtung beschäftigt mich aber auch: wie ist es zu erklären, dass sich die Politik zu allen Zeiten mit solchem Eifer und mit solcher Liebe zum Detail mit der Regulierung der Prostitution befasst? Die Vorwände sind höchst unterschiedlich, es geht angeblich um die Volksgesundheit, um die Moral der weiblichen, aber auch der männlichen Bevölkerung, um Jugendschutz, und neuerdings, besonders pervers, um die weibliche Gleichberechtigung oder gar um die Würde der Frau als über allem schwebendes Gut, das ich beschädige, wenn ich mich prostituiere.
In der Debatte um das ProstSchG hatten wir die Symptome vor uns ausgebreitet liegen: parlamentarische Arbeitsgruppen und Ministerialbeamte saßen tagelang und nächtelang beisammen und stellten sich Abläufe und Arbeitsalltage in der Prostitution vor, sinnierten über Gleitcremes und Kondome, brachten Konzepte über Wohnwagen hervor und erfanden Worte wie "Prostitutionsfahrzeug", erkannten die Notwendigkeit getrennter Damentoiletten (damit waren sie natürlich hinter dem Zug der Zeit schon zurück, wo bleiben die Divers-Toiletten?), verhielten sich zu den Übernachtungsmöglichkeiten und forderten "private Rückzugsräume" und so weiter und so weiter. Sie stellten sich behördliche Beratungsgespräche vor, in denen Frauen, die für einen Zuhälter laufen, Vertrauen zum Behördenmitarbeiter (sic!) fassen und diesem ihr Herz ausschütten, worauf ihnen dieser die Ausstellung des Hurenpasses verweigert und sie zu ihrem Luden zurückschickt, damit sie diesem schonend beibringen können, dass sie das mit dem Pass nicht hingekriegt hätten.
Ich bin sicher, dass die meisten Beteiligten an solchen Gesprächsrunden unter dem Besprechungstisch gewichst haben. Woher kommt diese Leidenschaft, sich mit solcher Regelungswut abzugeben? Prostitution ist ein faszinierendes Thema, ja, es reizt nicht nur Sexarbeiterinnen und Kunden, viele Menschen finden die Gedankenwelt geil. Dieser Regelungstrieb der Politiker und Amtsmenschen geht aber weiter, und für mich handelt es sich um denselben Trieb, dem auch Pornokonsumenten erliegen, der ja auch zur Sucht führen kann. Was geht im Hirn von jemandem vor, der morgens nach dem Frühstück aufsteht seinen Aktenkoffer nimmt und ins Amtsgebäude geht, um beispielsweise einen Entwurf zur Gestaltung des Hurenpasses auszuarbeiten?
All diesen Regulierern in allen Ländern gemeinsam ist die unbedingte Rücksichtslosigkeit gegenüber Freiheitsrechten und Menschenrechten der Betroffenen, auf beiden Seiten in der Prostitution. Da beobachtet man Allmachtsgefühle und die Vorstellung der Schrankenlosigkeit, wie man sie in totalitären und autoritären Systemen findet, egal wo. Da ist zwischen Brüssel, Straßburg, Stockholm, Minsk, Moskau und Luhansk kein Unterschied.
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Re: Legal bedeutet nicht gleich entkriminalisiert!
@friederike
"Die von uns befürchteten Durchbrüche der Vertraulichkeit scheinen ausgeblieben zu sein, jedenfalls hört man nichts von Vorfällen,
wo vertrauliche Informationen aus den Ämtern heraus im Umfeld der Sexarbeiterinnen bekannt geworden wären."
Das ist sehr schön! und spricht dafür, dass die Amtsmenschen nicht so schlecht sind, wie es die Regelungswütigen wohl annahmen.
Die Politik (und gesellschaftliche Rezeption von Politik) hat es zunehmend mit "Zeichen" und "Signalen", weniger mit begründetem
Handlungsbedarf, oder gelingen-könnender Umsetzung. Fakten stören nur, und je weniger Kenntnis um Fakten öffentlich vorhanden ist,
desto heller kann solch "Signal" erstrahlen . . .
"Die von uns befürchteten Durchbrüche der Vertraulichkeit scheinen ausgeblieben zu sein, jedenfalls hört man nichts von Vorfällen,
wo vertrauliche Informationen aus den Ämtern heraus im Umfeld der Sexarbeiterinnen bekannt geworden wären."
Das ist sehr schön! und spricht dafür, dass die Amtsmenschen nicht so schlecht sind, wie es die Regelungswütigen wohl annahmen.
Die Politik (und gesellschaftliche Rezeption von Politik) hat es zunehmend mit "Zeichen" und "Signalen", weniger mit begründetem
Handlungsbedarf, oder gelingen-könnender Umsetzung. Fakten stören nur, und je weniger Kenntnis um Fakten öffentlich vorhanden ist,
desto heller kann solch "Signal" erstrahlen . . .
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Legal bedeutet nicht gleich entkriminalisiert!
Legal, entkriminalisiert, reguliert. Erstes und zweites ist klar. Da gibt es nichts zu diskutieren. Über die Regulierung kann man streiten. Knackpunkt dürfte dabei aber der bewusste Ausschluss von Sexworkers und ihrer Vertretungen sein. Wo eine Sexarbeiterin es gewohnt ist alleine zu arbeiten, ist auch klar, die braucht eine andere und sicherlich weniger Regulierung, als jemand in einer Gemeinschaft. Da stört es dann eben schon, wenn eine SW trotz Syphilis arbeiten geht. Und wie damit umgegangen werden soll, entscheiden am besten die Betroffenen über ihre Vertretungen. Meine Meinung. Also, derjenige welcher den Hurenpass konzipieren musste, hätte erst einmal MP Schwesig fragen müssen, "haben Sie darüber auch mit den Sexworkers geredet?". Das hat er zumindest vergeblich getan.
Das mit dem Wixen finde ich gut. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das ein Ministerialbeamter seiner Sexarbeiterin intim gebeichtet hat. Männer sind arm dran. Und die Macht von Frauen über Männer wird oft verkannt. Wenn die Gesellschaft als Ganzes den Frauen die Macht über ihren eigenen Körper und Sex abspricht, wird schnell Machtmissbrauch daraus. Wer auf den Ressourcen sitzt, muss diese auch zur Verfügung stellen, ansonsten kann das Zusammenleben gestört werden. Auf den Punkt gebracht: eine Frau kann selbst wesentlich besser vögeln, als es ein Mann ihr jemals besorgen könnte. Damit wäre der Mann dann auch rechtlich aus dem Schneider, und wohl auch potenter.
Das mit dem Wixen finde ich gut. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das ein Ministerialbeamter seiner Sexarbeiterin intim gebeichtet hat. Männer sind arm dran. Und die Macht von Frauen über Männer wird oft verkannt. Wenn die Gesellschaft als Ganzes den Frauen die Macht über ihren eigenen Körper und Sex abspricht, wird schnell Machtmissbrauch daraus. Wer auf den Ressourcen sitzt, muss diese auch zur Verfügung stellen, ansonsten kann das Zusammenleben gestört werden. Auf den Punkt gebracht: eine Frau kann selbst wesentlich besser vögeln, als es ein Mann ihr jemals besorgen könnte. Damit wäre der Mann dann auch rechtlich aus dem Schneider, und wohl auch potenter.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.
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Legal bedeutet nicht gleich entkriminalisiert!
Ich möchte noch was sagen.
Zur Institutionalisierung der Prostitution (Entwurf eines Fachaufsatzes)
Was ist daran so schwer, Prostitution als Institution aufzufassen?
Im 19. Jahrhundert soll es Zuhältervereine gegeben haben. Auf dem Oktoberfest in München ging es noch in den 80er Jahren hoch her. Dann wurde Europas lukrativster Straßenstrich vor meiner "Haustüre" dicht gemacht (Ingolstädter Landstrasse). Seither gibt es nur noch Motorradclubs und Rockerclubs und ausländische Clans. Und es gibt nach wie vor die Sittenpolizei als Institution und die Fachberatungsstellen gegen Migration und Sexarbeit in der Prostitution und gegen Menschenhandel. Es gibt Doña Carmen e.V. als Gewissen der Nation, und die unglücklich agierenden Berufsverbände BSD und BesD, und das virtuelle Wohlfühl-Wohnzimmer "sexworker.at".
Fazit: Ein Gewusle und Gewurschtle, ein Flickenteppich an Aktionen und Aktivitäten und Meinungen sondersgleichen. Warum es nicht einmal gescheit machen?
Da sind die Osteuropäerinnen mit ihrer Unkenntnis an Staatsbürgerkunde, die sie im Milieu der postkommunistischen Korruption nie hatten erfahren können. Aber westliche Demokratien leben nun einmal von einer funktionierenden Zivilgesellschaft und von ihren Institutionen. Warum also keine Institution für die Prostitution?
Der Gesetzgeber hat sich eingemischt, und mit dem ProstSchG alles nur noch verschlimmbessert. Jetzt ist der Weg zur eigenen Institution noch weiter und steiniger geworden. Und die AbolitionistInnen hauen in die Kerbe.
Also warum keine Institutionalisierung der Prostitution?
Weil derzeit viele glauben, es über das Selbstbestimmungsrecht regeln zu können?
Natürlich gibt es das Selbstbestimmungsrecht eines jeden und einer jeden Einzelnen. Aber das greift doch zu kurz.
Was macht den Unterschied zwischen einem bzw einer Einzelnen und einer Institution?
Ich denke, den Unterschied macht die Legitimation. Als Institution gibt man sich Regeln, und vor allem ein Statut, das im Falle von Prostitution lauten könnte:
"Wir sind bereit, die sexuellen und erotischen Wünsche der Bevölkerung im Rahmen geltender Gesetze nach bestem Wollen und Können gegen Entgelt zu erfüllen."
Solch ein Statut wertet seine Mitglieder auf, und entzieht sie dem Generalverdacht, Flittchen oder mannstolle Weibspersonen, oder AnhängerInnen sonstiger sexueller Ausschweifungen und Abnormitäten zu sein.
Ein erster Schritt könnte meines Erachtens die Gründung mehrerer Regionalverbände sein, die sich unter einem nationalen sowie internationalen Dachverband zusammenschließen. Betonung liegt dabei auf Regionalverband, weil wenn dieser nicht mitgliederstark und lautstark in der Politik vertreten ist, dann hilft auch kein Dachverband weiter.
Fazit: Der Organisationsgrad muss steigen.
Ich kenne das Gewerbe ja nur aus der Weite. Aber auch so läßt sich unschwer erkennen, dass es sich hier um idealistische EinzelkämpferInnen handelt, egal wo man hinschaut: ob Betreiber oder Betreiberin, Unterstützer oder Unterstützerin, Sexarbeiter oder Sexarbeiterin. Ihnen eilt allen die Vorstellung des Naturrechts vom Sieger bzw der Siegerin (der bzw die es aus eigener Kraft geschafft hat) sowie dem Stärkeren bzw der Stärkeren voraus, und da ziehen halt auch so manche (zu viele?) den Kürzeren. Kann ja sein, daß dieses Leben im Naturrecht einem den letzten Hauch von Freiheit gibt, aber was hilft das, wenn man darin ständig den Kürzeren zieht? Ich denke auch, dass dieses Dilemma geklärt und aufgearbeitet werden muss. Die Hexe im Wald kommt nicht von ungefähr ins Märchen und als Bild der selbstbewussten autonom handelnden Frau in unsere Köpfe. Aber wer will schon für immer alleine in der Einöde leben, ohne dem Schutzversprechen des Staates und das der Institution Prostitution, der man als selbstbewusstes Mitglied angehört?
https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Institution
In der Soziologie bezeichnet I. Handlungsregulierungen, die von (relativer) Dauer, immer normativ (wertbezogen) und mit Sanktionen verbunden sind, Verhaltensregeln verbindlich machen und auf der Basis bestimmter Werte und Leitideen soziale Beziehungen regulieren. So wird die Relation von gesellschaftlichen Strukturen und Akteuren analysierbar, wie auch in Pierre Bourdieus (allerdings strukturalistischer) Habitustheorie (Habitus). I.en dienen zugl. der Darstellung von Geltungsansprüchen und leitenden Normen einer Ordnung. Robert M. MacIver/Charles H. Page, Talcott Parsons/Edward A. Shils, Helmut Schelsky und Niklas Luhmann präferierten den Prozessbegriff „Institutionalisierung“. M. Rainer Lepsius sah I.en als „Spannungsfeld zwischen Ideen und Verhaltensstrukturierung“ (2013: 14).
I.en-Theorien und -analysen befassen sich mit Aussagen über Gründung, Stabilisierung und Wandlungen sozialer Beziehungen. Für die europäische Tradition einer politischen Konstitution der Gesellschaft finden sich schon bei Platon und Aristoteles umfassende, normativ gestützte I.en-Beschreibungen und -begründungen. In der Frühen Neuzeit sind es v. a. die Vertragstheorien, welche das Problem der Gründung und Legitimität politischer I.en behandeln, etwa bei Thomas Hobbes mit seiner Konstruktion einer institutionellen Übertragung der freien Selbstbestimmung jedes Einzelnen auf einen Sicherheit garantierenden souveränen „Leviathan“. In der ökonomischen Konstitution der Gesellschaft wurden von Adam Smith die Systeme der Produktion und des Markttausches in die institutionellen Beziehungen der bürgerlichen Gesellschaft als Quelle der moral sentiments eingebettet. Diese, gesellschaftliche I.en einbeziehende, Politische Ökonomie ist als früheste Form einer gesellschaftlichen Systemtheorie anzusehen, die im Werk von Karl Marx ihre bedeutendste Kritik und zugl. Fortführung erfuhr.
Handlungsorientierte Ansätze [betonen], dass I.en sich aus menschlichen Interaktionen ergeben. Max Weber hat den Begriff I. zwar nur beiläufig benutzt, jedoch in § 5 der „Soziologischen Grundbegriffe“ prägnant formuliert, dass soziale Beziehungen durch die Orientierung von Handlungen (Handeln, Handlung) erst „an der Vorstellung vom Bestehen einer legitimen Ordnung“ (Weber 1972: 16) und deren dadurch begründete Geltung bindend werden. Die Genese des Institutionellen wird dargestellt an der „Veralltäglichung des Charisma“ (Weber 1972: 142) von Gründungsfiguren, wenn deren inspirierende „Gnadengabe“ (Weber 1972: 144) in ein Amtscharisma (Charisma) umgewandelt wird.
Was versteht man unter Institutionalisierung?
Bedeutungen:
[1] (aus einer zunächst freieren Form) in eine Regeln unterworfene, anerkannte, feste Form (Institution) bringen/überführen.
[2] von sich aus eine festere Form nach gewissen Regeln annehmen.
Beispiele:
[1] Nachdem wir in den ersten zwei Jahren so viel Erfolg hatten, haben wir dann das Festival institutionalisiert. Und nun gibt es unser Happening schon im sechsten Jahr!
[2] Ja, irgendwie haben sich diese Samstagnachmittagtreffen nach dem Training dann so institutionalisiert. Das war dann einfach so, und dann ist es eben so geblieben. Nun treffen wir uns halt immer Samstags.
https://www.univie.ac.at/sowi-online/es ... oz-19.html
„Eine Institution stellt ein soziales Regelsystem dar, das historisch aus menschlicher Praxis gewachsen ist, sich aber weitgehend verselbständigt hat.“ Es ist also ein Bündel an Normen und Werten, die soziale Wirklichkeit strukturieren und sozial konstruiert sind. Es sind „vielfältige Formen geregelten Zusammenwirkens“ (Gukenbiehl 2008: 147). Sie existieren bereits vor unserer Geburt, wir erlernen sie im Rahmen der Sozialisation und sie erscheinen uns dadurch objektiv bzw. handeln wir meist unbewusst danach. Beispiele: Ehe, Sprache, Begrüßung, Religion, Tausch, Kauf etc.
Zur Institutionalisierung der Prostitution (Entwurf eines Fachaufsatzes)
Was ist daran so schwer, Prostitution als Institution aufzufassen?
Im 19. Jahrhundert soll es Zuhältervereine gegeben haben. Auf dem Oktoberfest in München ging es noch in den 80er Jahren hoch her. Dann wurde Europas lukrativster Straßenstrich vor meiner "Haustüre" dicht gemacht (Ingolstädter Landstrasse). Seither gibt es nur noch Motorradclubs und Rockerclubs und ausländische Clans. Und es gibt nach wie vor die Sittenpolizei als Institution und die Fachberatungsstellen gegen Migration und Sexarbeit in der Prostitution und gegen Menschenhandel. Es gibt Doña Carmen e.V. als Gewissen der Nation, und die unglücklich agierenden Berufsverbände BSD und BesD, und das virtuelle Wohlfühl-Wohnzimmer "sexworker.at".
Fazit: Ein Gewusle und Gewurschtle, ein Flickenteppich an Aktionen und Aktivitäten und Meinungen sondersgleichen. Warum es nicht einmal gescheit machen?
Da sind die Osteuropäerinnen mit ihrer Unkenntnis an Staatsbürgerkunde, die sie im Milieu der postkommunistischen Korruption nie hatten erfahren können. Aber westliche Demokratien leben nun einmal von einer funktionierenden Zivilgesellschaft und von ihren Institutionen. Warum also keine Institution für die Prostitution?
Der Gesetzgeber hat sich eingemischt, und mit dem ProstSchG alles nur noch verschlimmbessert. Jetzt ist der Weg zur eigenen Institution noch weiter und steiniger geworden. Und die AbolitionistInnen hauen in die Kerbe.
Also warum keine Institutionalisierung der Prostitution?
Weil derzeit viele glauben, es über das Selbstbestimmungsrecht regeln zu können?
Natürlich gibt es das Selbstbestimmungsrecht eines jeden und einer jeden Einzelnen. Aber das greift doch zu kurz.
Was macht den Unterschied zwischen einem bzw einer Einzelnen und einer Institution?
Ich denke, den Unterschied macht die Legitimation. Als Institution gibt man sich Regeln, und vor allem ein Statut, das im Falle von Prostitution lauten könnte:
"Wir sind bereit, die sexuellen und erotischen Wünsche der Bevölkerung im Rahmen geltender Gesetze nach bestem Wollen und Können gegen Entgelt zu erfüllen."
Solch ein Statut wertet seine Mitglieder auf, und entzieht sie dem Generalverdacht, Flittchen oder mannstolle Weibspersonen, oder AnhängerInnen sonstiger sexueller Ausschweifungen und Abnormitäten zu sein.
Ein erster Schritt könnte meines Erachtens die Gründung mehrerer Regionalverbände sein, die sich unter einem nationalen sowie internationalen Dachverband zusammenschließen. Betonung liegt dabei auf Regionalverband, weil wenn dieser nicht mitgliederstark und lautstark in der Politik vertreten ist, dann hilft auch kein Dachverband weiter.
Fazit: Der Organisationsgrad muss steigen.
Ich kenne das Gewerbe ja nur aus der Weite. Aber auch so läßt sich unschwer erkennen, dass es sich hier um idealistische EinzelkämpferInnen handelt, egal wo man hinschaut: ob Betreiber oder Betreiberin, Unterstützer oder Unterstützerin, Sexarbeiter oder Sexarbeiterin. Ihnen eilt allen die Vorstellung des Naturrechts vom Sieger bzw der Siegerin (der bzw die es aus eigener Kraft geschafft hat) sowie dem Stärkeren bzw der Stärkeren voraus, und da ziehen halt auch so manche (zu viele?) den Kürzeren. Kann ja sein, daß dieses Leben im Naturrecht einem den letzten Hauch von Freiheit gibt, aber was hilft das, wenn man darin ständig den Kürzeren zieht? Ich denke auch, dass dieses Dilemma geklärt und aufgearbeitet werden muss. Die Hexe im Wald kommt nicht von ungefähr ins Märchen und als Bild der selbstbewussten autonom handelnden Frau in unsere Köpfe. Aber wer will schon für immer alleine in der Einöde leben, ohne dem Schutzversprechen des Staates und das der Institution Prostitution, der man als selbstbewusstes Mitglied angehört?
https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Institution
In der Soziologie bezeichnet I. Handlungsregulierungen, die von (relativer) Dauer, immer normativ (wertbezogen) und mit Sanktionen verbunden sind, Verhaltensregeln verbindlich machen und auf der Basis bestimmter Werte und Leitideen soziale Beziehungen regulieren. So wird die Relation von gesellschaftlichen Strukturen und Akteuren analysierbar, wie auch in Pierre Bourdieus (allerdings strukturalistischer) Habitustheorie (Habitus). I.en dienen zugl. der Darstellung von Geltungsansprüchen und leitenden Normen einer Ordnung. Robert M. MacIver/Charles H. Page, Talcott Parsons/Edward A. Shils, Helmut Schelsky und Niklas Luhmann präferierten den Prozessbegriff „Institutionalisierung“. M. Rainer Lepsius sah I.en als „Spannungsfeld zwischen Ideen und Verhaltensstrukturierung“ (2013: 14).
I.en-Theorien und -analysen befassen sich mit Aussagen über Gründung, Stabilisierung und Wandlungen sozialer Beziehungen. Für die europäische Tradition einer politischen Konstitution der Gesellschaft finden sich schon bei Platon und Aristoteles umfassende, normativ gestützte I.en-Beschreibungen und -begründungen. In der Frühen Neuzeit sind es v. a. die Vertragstheorien, welche das Problem der Gründung und Legitimität politischer I.en behandeln, etwa bei Thomas Hobbes mit seiner Konstruktion einer institutionellen Übertragung der freien Selbstbestimmung jedes Einzelnen auf einen Sicherheit garantierenden souveränen „Leviathan“. In der ökonomischen Konstitution der Gesellschaft wurden von Adam Smith die Systeme der Produktion und des Markttausches in die institutionellen Beziehungen der bürgerlichen Gesellschaft als Quelle der moral sentiments eingebettet. Diese, gesellschaftliche I.en einbeziehende, Politische Ökonomie ist als früheste Form einer gesellschaftlichen Systemtheorie anzusehen, die im Werk von Karl Marx ihre bedeutendste Kritik und zugl. Fortführung erfuhr.
Handlungsorientierte Ansätze [betonen], dass I.en sich aus menschlichen Interaktionen ergeben. Max Weber hat den Begriff I. zwar nur beiläufig benutzt, jedoch in § 5 der „Soziologischen Grundbegriffe“ prägnant formuliert, dass soziale Beziehungen durch die Orientierung von Handlungen (Handeln, Handlung) erst „an der Vorstellung vom Bestehen einer legitimen Ordnung“ (Weber 1972: 16) und deren dadurch begründete Geltung bindend werden. Die Genese des Institutionellen wird dargestellt an der „Veralltäglichung des Charisma“ (Weber 1972: 142) von Gründungsfiguren, wenn deren inspirierende „Gnadengabe“ (Weber 1972: 144) in ein Amtscharisma (Charisma) umgewandelt wird.
Was versteht man unter Institutionalisierung?
Bedeutungen:
[1] (aus einer zunächst freieren Form) in eine Regeln unterworfene, anerkannte, feste Form (Institution) bringen/überführen.
[2] von sich aus eine festere Form nach gewissen Regeln annehmen.
Beispiele:
[1] Nachdem wir in den ersten zwei Jahren so viel Erfolg hatten, haben wir dann das Festival institutionalisiert. Und nun gibt es unser Happening schon im sechsten Jahr!
[2] Ja, irgendwie haben sich diese Samstagnachmittagtreffen nach dem Training dann so institutionalisiert. Das war dann einfach so, und dann ist es eben so geblieben. Nun treffen wir uns halt immer Samstags.
https://www.univie.ac.at/sowi-online/es ... oz-19.html
„Eine Institution stellt ein soziales Regelsystem dar, das historisch aus menschlicher Praxis gewachsen ist, sich aber weitgehend verselbständigt hat.“ Es ist also ein Bündel an Normen und Werten, die soziale Wirklichkeit strukturieren und sozial konstruiert sind. Es sind „vielfältige Formen geregelten Zusammenwirkens“ (Gukenbiehl 2008: 147). Sie existieren bereits vor unserer Geburt, wir erlernen sie im Rahmen der Sozialisation und sie erscheinen uns dadurch objektiv bzw. handeln wir meist unbewusst danach. Beispiele: Ehe, Sprache, Begrüßung, Religion, Tausch, Kauf etc.
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.