Starke selbstbestimmte Sexarbeit, Entfaltung der Persönlichkeit bei der Sexarbeit, freie Arbeitsplatzwahl und sexuelle Selbstbestimmung sind in unserem Land nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Es ist absolut richtig, dass sich in den letzten 20 Jahren viele Dinge verbessert haben, aber die Intensität von Diskriminierung ist nicht messbar. Auch ein bisschen Diskriminierung bleibt Diskriminierung.
Die Gesetzgebung hinkt hinter der Realität hinterher.
Selbstbestimmt bedeutet, ich entscheide und bestimme über meine Leistung und mein Honorar, meinen Arbeitsplatz und meine Arbeitszeit.
Wenn ich zum Beispiel in Salzburg arbeite, habe ich die Wahl zwischen etwas mehr als ein Dutzend kasernierten Arbeitsplätzen, mit Öffnungszeiten, Regeln und Repression.
Es dient zu unserem Schutz, sagt Vater Staat. Der Schutz ist in kasernierter Form, gestempelt für ein frei sein von Seuchen, polizeilich registriert in eine zu mächtige Position von Betreibern gedrängt zu sein.
Es ist das Gegenteil von Selbstbestimmung, in Abhängigkeit von Bordellbetrieben zu arbeiten.
Dies ist bitte nicht falsch zu verstehen, Bordelle bieten Arbeitsplätze, die auch dringend gebraucht werden und ihre Daseinsberechtigung haben, aber der Staat gibt ihnen zu viel Macht. Er verlangt einem reinen Vermietungsbetrieb ab, Kontrolle auszuüben über Stempel, Registrierungen und teilweise Steuerangelegenheiten. Und der Vermieter /die Vermieterin wird bestraft, wenn er /sie es nicht tut, vom Staat.
Grundsätzlich betrifft dieses Problem alle Bundesländer, in manchen mehr und manchen weniger.
Frei Arbeitsplatzwahl, es ist in Österreich leider nicht selbstverständlich.
Abhängig von der Ländergesetzgebung ist diese mehr oder weniger eingeschränkt. Manche Bundesländer gestatten einen Straßenstrich oder Hausbesuche, manche nicht.
Man kann nur wählen zwischen einem regulierten Kontingent. Je regulierter der Platz, desto unfreier ist die Wahl.
Hier gäbe es einen Weg, auch private Wohn/Arbeitsbereiche für Sexarbeit zu öffnen. Dies könnte ganz klassisch in der Bauordnung verankert werden, in gewerblich genutzten Bereichen oder *nicht störenden* Bereichen. Wohnungsprostitution muss sich nicht im Gemeindebau abspielen, es gibt genug Bereiche, die nicht zu Wohnzwecken deklariert sind.
Der Berufszugang beginnt in Wien auf einer Polizeistation.
Wir haben keine Straftat begangen, nein, wir wollen einer Arbeit nachgehen.
Ich kenne keinen Beruf, den ich bei der Polizei anmelden muss, außer ich möchte der Polizei beitreten. Ein normaler Zugang wäre über die Anmeldung beim Finanzamt und der SVS.
Hier wird unter dem Deckmantel des Schutzes Sexarbeitender ein Anderssein und an den Rand der Gesellschaft stellen kommuniziert.
Die abgestempelte Gruppe, ja wir sind im wahrsten Sinne des Wortes abgestempelt, sechswöchentlich.
Abgesehen davon, dass Österreich das einzige Land weltweit ist, in dem es eine Kontrollkarte für Sexarbeitende gibt, was genau ist daran zeitgemäß oder ein Schutz?
Wenn man also die Frage stellt, was vor Geschlechtskrankheiten schützt - ein sechswöchiger Check auf ein Freisein von Geschlechtskrankheiten nach Katalog?
Ein Kondom schützt davor, aber kein grüner Pappkarton mit Stempeln darauf.
Aufklärung schützt vor Geschlechtskrankheiten, ein bewusster Umgang mit dem eigenen Körper und das Selbstbewusstsein dies auch von seinem Gegenüber zu fordern bei geschlechtlicher Interaktion.
Der Staat sagt, man verliert den Kontakt zu den Sexarbeitenden, ohne regelmäßige Zwangsuntersuchung.
Ein erzwungener Kontakt führt nicht zu einer Öffnung Sexarbeitender bei Ausbeutung oder Unterdrückung.
Ein breites Beratungsangebot, eine Anlaufstelle, Aufklärung und Streetwork öffnet Möglichkeiten Ausbeutung aufzudecken und zu minimieren.
Zwang führt zu Unterdrückung und nicht zur Gegensteuerung dieser.
In Pandemiezeiten wurde rigoros bewiesen, wie wenig zuordenbar die Gruppe Sexarbeitender war.
Sind wir persönliche Dienstleister, oder doch Freizeitbetriebszugehörige oder am Ende Gesundheitspersonal?
Es hat sich nun durchgesetzt, dass wir in die Gruppe der Friseure und Tätowierer gehören und selbst dies hat lange gedauert.
Beim Eröffnen eines Kontos besteht grundsätzlich Geldwäscheverdacht und auf unsere Rechnungen müssen wir eigentlich unsere Daten schreiben, Name, Adresse und Geburtsdatum, sowie Steuernummer.
Ein Beruf, der von seiner Anonymität und Unbeschwertheit und Bürokratielosigkeit lebt, wird also mit Klarnamen, Meldeadresse und massiver Bürokratie belastet.
Der Staat möchte uns schützen und erwartet im selben Atemzug die Bekanntgabe unserer höchstpersönlichen Daten jedem gegenüber, der die Dienstleistung in Anspruch nimmt, um den Beruf also Gesetzeskonform auszuüben.
Hierbei wird übersehen, dass genau diese Aspekte uns in Gefahr bringen.
Sosehr Sexarbeitende eine Gelichstellung fordern, hier muss der Staat, dessen Aufgabe es ist zu schützen, eine Ausnahmeregelung finden, um die Daten Sexarbeitender zu schützen.
Auch hier gibt es einfachere Lösungen zur Rechnungserstellung über QR Codes oder Ähnlichem.
Im Land der Ausnahmen, welches sich der österreichischen Lösung sich rühmt ist es also nicht möglich eine Ausnahmeregelung zu finden, um eine vulnerable Gruppe zu schützen.
Wir sind also ein Land, welches Sexarbeitende schützen möchte und stattdessen diskriminiert und Berufszugang und Berufsausübung unter massiven Repressalien reglementiert. Die Lösungen liegen doch so nah. Allein der Wille der Politik zur Veränderung fehlt.
Armes Österreich.
Fail: Prostitutionsgesetz und heuchlerische Doppelmoral unserer Zeit
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Re: Fail: Prostitutionsgesetz und heuchlerische Doppelmoral unserer Zeit
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Respekt für diesen Text, perfekt auf den Punkt gebracht!
Wo ich mir aber nicht sicher bin, ist dieser Satz
Ich fürchte, dass dieser Staat / diese in weiten Teilen nach wie vor paternalisitsche Gesellschaft vorrangig reglementieren und kontrollieren will und Sexarbeit bestenfalls als "notwendiges Übel", aber als nix anderes sieht. So gesehen hat dieser Staat zwar ein Interesse daran, dass Sexarbeit "reibungslos" und vor allem unauffällig, ja bestenfalls unsichtbar passiert; selbstbestimmte und selbstbewusste Sexarbeit steht aber leider nur ganz weit unten auf der Agenda.
Liebe Grüße vom Silberrücken
Respekt für diesen Text, perfekt auf den Punkt gebracht!
Wo ich mir aber nicht sicher bin, ist dieser Satz
Ich glaub nicht (mehr), dass es darum geht, Sexarbeitende zu schützen.
Ich fürchte, dass dieser Staat / diese in weiten Teilen nach wie vor paternalisitsche Gesellschaft vorrangig reglementieren und kontrollieren will und Sexarbeit bestenfalls als "notwendiges Übel", aber als nix anderes sieht. So gesehen hat dieser Staat zwar ein Interesse daran, dass Sexarbeit "reibungslos" und vor allem unauffällig, ja bestenfalls unsichtbar passiert; selbstbestimmte und selbstbewusste Sexarbeit steht aber leider nur ganz weit unten auf der Agenda.
Liebe Grüße vom Silberrücken
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Re: Fail: Prostitutionsgesetz und heuchlerische Doppelmoral unserer Zeit
ist das nicht prinzipiell eine Eigenschaft der österreichischen Bürokratur? Dass sich das ideal auf Sexwork anwenden lässt , ist dann naheliegend aber nicht auf diese beschränkt.Silberrücken hat geschrieben: ↑11.12.2021, 07:18
Ich fürchte, dass dieser Staat / diese in weiten Teilen nach wie vor paternalisitsche Gesellschaft vorrangig reglementieren und kontrollieren will
LG