Prostituierte wollen Zuhälter aussperren

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Prostituierte wollen Zuhälter aussperren

Beitrag von fraences »

Geschäft mit käuflicher Liebe
Prostituierte wollen Zuhälter aussperren


Von Eckard Gehm



Das älteste Gewerbe der Welt modernisiert sich - doch noch immer werden Frauen ausgebeutet. Jetzt kündigt sich eine Revolution in dem Milliarden-Geschäft an.

Kiel. Im Milliarden-Geschäft mit der Prostitution kündigt sich eine Revolution an. An ihrer Spitze steht eine zierliche Frau mit kurzem Haar und blauen Augen. Johanna Weber (45), studierte Pädagogin und Domina. Die Ziele der Berlinerin sind ehrgeizig: Die Zukunft im ältesten Gewerbe der Welt soll einmal den selbstbestimmten Sexarbeiterinnen gehören. Ausbeuter sollen nicht mehr mitverdienen.

Über hundert Gleichgesinnte hat Johanna Weber bereits um sich gescharrt und am Donnerstag will sie im Norden andere Sexarbeiterinnen für ihre Idee begeistern. Sie ist Gast auf der Fachtagung "Prostitution in Schleswig-Holstein" in Kiel-Altenholz. Dort werden Referenten auch über die andere Seite der käuflichen Liebe sprechen, die dunkle Seite, befeuert vom Strom der Frauen aus Osteuropa.
"Ich wollte frei sein und selbst entscheiden, wie viel ich arbeite"

"Es ist Zeit, das Bild unserer Berufsgruppe zu ändern", sagt Johanna Weber. "Noch immer wird unser Gewerbe mit Zwangsprostitution gleichgesetzt, was die Wirklichkeit verzerrt. Viele Frauen wählen diesen Beruf freiwillig und vielen Sexarbeiterinnen geht es gut." Johanna Weber zählt sich dazu. Vor fünf Jahren hat sie ihren Job gekündigt, ist seitdem hauptberuflich Prostituierte. "Zärtliche Dominanz mit Intelligenz", ist ihre Selbstbeschreibung. "Ich wollte frei sein und selbst entscheiden, wie viel ich arbeite", erklärt sie. "Außerdem war ich schon immer ein erotischer Mensch, der Spaß am Sex hat."

Weber betont, dass es möglich sei, ohne Zuhälter Geld zu verdienen und engagiert sich für den Umbruch. Im April hat sie die Internetseite "sexworker-deutschland.de" ins Leben gerufen. Dort heißt es: "Wir sind keine Opfer! Wir nennen uns Sexworker, und diese Dienstleistung bieten wir gut und gerne an."
"Der Nachschub an Frauen ist schier unerschöpflich"

Es gibt Frauen, die diese Aussage nicht teilen dürften. Sie gehören, wenn man so will, zur Unterschicht der Lustbranche. Silke Dörner (56) trifft sie regelmäßig. Die Kieler Kriminalhauptkommissarin arbeitet in der Ermittlungsgruppe Milieu. "Der überwiegende Teil der Prostituierten kommt momentan aus Rumänien und Bulgarien", sagt sie. "Vielfach gehören sie zur Minderheit der Sinti und Roma, können oft nicht einmal lesen und schreiben." In Kleinbussen werden sie nach Schleswig-Holstein gebracht, manchmal kommen sie auch mit Überlandbussen am Kieler ZOB an. "Steigen die Frauen aus, haben sie bereits Schulden bei denjenigen, die ihre Fahrt bezahlt haben", erklärt die Kommissarin. "Die fehlenden Sprachkenntnisse und das fremde Land machen sie zu schwachen Frauen, die auch in der Folge immer weiter abkassiert werden."

Zur Prostitution gezwungen werden sie allerdings nicht. "Der Nachschub an Frauen ist schier unerschöpflich, weil die Zustände in den Heimatländern unvorstellbar schlecht sind. Oft leben 20 Angehörige in einem Zimmer - oder die Heimat der Familie ist eine Müllkippe." Antrieb ist also die ökonomische Not. Den Frauen sei auch klar, auf welche Weise sie in Deutschland Geld verdienen sollen, betont Dörner. Aber nicht, was sie erwarte.

Billig-Akt im Teestuben-Klo

Die Organisatoren der Reise schicken die Frauen ins Kieler Rotlichtviertel, in die Wirtschafterbüros der Laufhäuser. Das sind Bordelle, in denen Prostituierte ein Zimmer mieten und bei geöffneter Tür auf Freier warten. "Die Laufhäuser fordern eine extrem hohe Zimmermiete von 110 bis 115 Euro pro Tag", erklärt Dörner. "Eine Prostituierte braucht allein schon vier Freier, um das zu bezahlen." Nur 30 Euro kostet der Sex momentan. Manchmal auch nur einen Bruchteil davon. "In Kiel Gaarden gibt es ein Phänomen, das wir Caféhaus-Prostitution nennen. In kleinen Cafés oder Teestuben werden die Modalitäten besprochen, auf der Toilette wird der Akt dann vollzogen. Hier wissen wir, dass Frauen sich sogar mit einer Schachtel Zigaretten haben bezahlen lassen."

Gleichzeitig machen die Beamten der Ermittlungsgruppe Milieu eine paradoxe Beobachtung: "Die Frauen haben trotz allem nicht das Gefühl, ausgebeutet zu werden", berichtet Dörner. "Sie sehen sich nicht als Opfer, weil es ihnen nach ihrem Empfinden hier besser geht als in ihrer Heimat." Entsprechend gering ist die Zahl der Anzeigen wegen ausbeuterischer Zuhälterei. Gerade einmal zwei waren es laut polizeilicher Kriminalstatistik 2012. "Und es gab in der Vergangenheit nur wenige Verfahren, die zu Haftstrafen führten", weiß Dörner. "Die Frauen sind meist nicht aussagebereit, weil ihnen das Vertrauen zur Polizei fehlt." Oft aber drängten auch ihre Familien, weiter in der Prostitution zu arbeiten. "Sie erwarten, dass Geld kommt." So wird das Leben ertragen - und was an kargem Gewinn bleibt, geht per Western Union in die Heimat.
Gütesiegel für Bordelle?

Um die Lage der Frauen zu verbessern, suchen die Milieu-Ermittler das persönliche Gespräch, verteilen Flyer in zwölf Sprachen, die Prostituierte über ihre Rechte informieren. Darin abgedruckt ist auch die Adresse der Beratungsstelle Contra, die von Land und Nordkirche finanziert wird. Contra hat die Fachtagung organisiert. "Wir wollen klären, was wir zur Verbesserung der Situation von Prostituierten brauchen", sagt Mitarbeiterin Surja Stülpe (30). "Der Menschenhandel geht zwar zurück, da die Frauen vielfach eben nicht mehr zur Prostitution gezwungen werden müssen. Trotzdem geraten sie in tiefe ökonomische Abhängigkeiten."

Welche Lösung hat Revolutionärin Johanna Weber für dieses Problem? Sie gibt zunächst zu: "In unserer Branche finden sich mehr schwarze Schafe als anderswo. Und deutsche Frauen haben es natürlich leichter. Eine Domina wie ich vermarktet sich selbst, mietet Räume tage- oder wochenweise. Viele Kolleginnen machen das genauso, werben über das Internet und treffen sich mit ihren Freiern in Modelwohnungen." Hilfe für ausländische Prostituierte könnte ihrer Meinung nach ein Gütesiegel für Bordelle sein. "Wir planen das als mittelfristige Idee. Die Frauen könnten daran ablesen, ob ein fairer Geschäftsmann ihnen gute Arbeitsbedingungen bietet. Und auch die Freier hätten eine Orientierung."
Immer mehr Freier bevorzugen die Anonymität

Kriminalhauptkommissarin Dörner zweifelt an der Umsetzbarkeit. "Wer soll das Siegel vergeben?", fragt sie. Sinnvoller wäre eine Konzessionierung von Bordellbetrieben. In Deutschland kann derzeit jeder ein Bordell eröffnen - auch vorbestrafte Menschenhändler, Vergewaltiger oder Gewalttäter. Anders als etwa beim Betrieb einer Gaststätte ist keinerlei Genehmigung notwendig. Bräuchten Bordelle eine Erlaubnis, um zu eröffnen, könnten die Behörden die Zuverlässigkeit des Betreibers prüfen, schriftliche Verträge mit Prostituierten einfordern sowie ein Zugangsrecht für Beratungsstellen vorsehen. Verstöße würden mit Bußgeldern geahndet.

Aber möglicherweise endet in absehbarer Zeit die Ära der Etablissements im Rotlichtviertel. Der Strom von osteuropäischen Frauen wird laut Polizei zwar weiter zunehmen. "Doch wir bemerken bereits, dass immer mehr Freier die Anonymität bevorzugen. Sie wollen nicht mehr ins Bordell, sondern suchen sich Kontakte über das Internet, treffen die Prostituierten dann in Modelwohnungen."

www.shz.de/artikel/artikel/prostituiert ... erren.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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RE: Prostituierte wollen Zuhälter aussperren

Beitrag von fraences »

Prostitution im Norden
Klischees und Wirklichkeit


Ungelöste Probleme: Sozialarbeiter, Dozenten Kirchenvertreter und Kriminalisten diskutierten in Altenholz über „Prostitution in Schleswig-Holstein“. Ein soziales Reizthema, das immer noch aus der Öffentlichkeit gehalten wird.
Am Donnerstag findet in Altenholz eine Fachtagung der Nordkirche zum Thema «Prostitution in Schleswig-Holstein» statt.

Kiel. Fernab vom Rotlichtviertel in Kiel mit seinen auffälligen Leuchtreklamen suchten Fachleute und Sozialarbeiter die Wirklichkeit — jenseits aller Klischees über das sogenannte älteste Gewerbe der Welt. contra, eine Einrichtung des Frauenwerks der Nordkirche, hatte am Donnerstag zu einer ersten Tagung über „Prostitution in Schleswig-Holstein“ eingeladen. „Sex und sexualisierte Weiblichkeit sind alltäglich und akzeptiert, trotzdem werden Prostituierte in der Öffentlichkeit marginalisiert“, sagte Susanne Sengstock, Stellvertretende Leiterin des Frauenwerks, auf der Tagung in der Fachhochschule in Altenholz (Kreis Rendsburg-Eckernförde).

Ziel war es, Fachkräfte, Politik und Verwaltung an einen Tisch zu bringen. Zudem sollten junge Polizeianwärter für die Vielschichtigkeit des Themas sensibilisiert werden, sagte Surya Stülpe von contra. „Es gibt nicht die eine Situation, in der sich alle Prostituierten befinden“, betonte Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD).

Ina Hunecke, Dozentin an der Fachhochschule Altenholz konkretisierte: „Im Bereich der Sexarbeit gibt es drei große Gruppen, die oft in einen Topf geworfen werden.“ Zum einen gebe es diejenigen, die Prostitution freiwillig ausübten und gerne in diesem Beruf tätig seien. Diese Frauen bezeichneten sich auch lieber als Sexarbeiterinnen, um sich vom negativ behafteten Begriff „Prostituierte“ zu distanzieren, sagte die promovierte Juristin und Fachautorin. Drogenabhängige, Minderjährige und psychisch Kranke bildeten eine Sondergruppe. Frauen, die unfreiwillig in die Prostitution gerieten oder aus ihren Heimatländern verschleppt wurden, sind eine dritte Kategorie.

Den Frauen, die das Gewerbe anzieht, fehle es vor allem an Beratung, berichtete Kriminalhauptkommissarin Silke Dörner aus der Praxis. Um die Situation zu verbessern, hat contra eigens einen Flyer gestaltet, der auf Möglichkeiten zum Selbstschutz hinweist. Dörner leitet die Ermittlungsgruppe „Milieu“ in Kiel und sucht oft den direkten Kontakt zu Prostituierten. Sie und ihre Kollegen führen in Kieler Bordellen regelmäßig Kontrollen durch.

Unter den rund 250 Prostituierten in der Landeshauptstadt sind nach Angaben von Dörner vor allem osteuropäische Frauen, aber auch Thailänderinnen und Südamerikanerinnen, die vor allem in Bordellen arbeiten. Deutsche Frauen dagegen treffe man dort eher selten. Sie empfingen ihre Freier lieber in gemieteten Model-Wohnungen, die sich oft mehrere Sexarbeiterinnen teilten, sagte Dörner. Deswegen richte sich der Flyer vor allem an Frauen mit Migrationshintergrund, die oft nichts über ihre Rechte wissen und kaum Deutsch sprechen. Die Broschüre ist in Zusammenarbeit mit Dolmetschern entstanden und umfasst zwölf Sprachen, darunter auch Tschechisch und Rumänisch.

Einen Überblick über die „Caféhaus-Prostitution“ hätten Behörden und Polizei aber noch nicht, sagte Dörner. Gemeint sind türkische Caféhäuser, die es vor allem im Stadtteil Gaarden gibt; fast ausschließlich Männer sind dort Gäste. Prostituierte kommen in die Cafés, einigen sich mit den Freiern über den Preis für Sex, der auf der Toilette vollzogen wird, wie Dörner berichtete. In diesen Fällen sei es oft schwer, mit den Prostituierten in Kontakt zu kommen.

Die hohen Erwartungen an das von der damaligen rot-grünen Bundesregierung verabschiedete Prostitutionsgesetz von 2002 haben sich nicht voll erfüllt. Das machten Referenten auf der Tagung deutlich. Das Gesetz hob vor elf Jahren die Sittenwidrigkeit von Prostitution auf und machte eine freiwillige Arbeit in dem Gewerbe damit legal. Ein entsprechendes Gewerberecht hinke aber noch hinterher, mahnte Surya Stülpe. Auch die Situation in den Bordellen müsse besser überprüft werden. Oft seien die Mieten für die Zimmer viel zu hoch, und die Frauen seien nicht gut vor Übergriffen geschützt, sagte Dörner.

www.kn-online.de/Schleswig-Holstein/Aus ... rklichkeit
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