(K)ein Beruf wie jeder andere
Melanie arbeitet als Prostituierte - freiwillig und gerne
BOCHUM Melanie (Name geändert) arbeitet als Prostituierte. Nicht weil sie muss, sondern weil sie es will. Für sie ist es ein Beruf wie jeder andere. Einer, der mal Spaß macht und mal nicht. Einer, der mal gut läuft und mal nicht. Dennoch: In den Augen der Gesellschaft ist er das eben nicht: ein Beruf wie jeder andere. Melanie wird in die Schmuddelecke gestellt – von Politikern, Bankangestellten, Versicherungen, Medien.
Mitunter werben die Prostituierten mit Leuchtreklamen im Fenster. Andere, wie Melanie, besuchen ihre Kunden zuhause oder im Büro - besuchen lassen sie sich nicht.
Melanie ist stolz auf sich, auf ihren Beruf. Die Frage, ob sie sich schämt, für die Arbeit, mit der sie ihr Geld verdient, findet sie unverschämt. „Das sollte man lieber einen Politiker fragen, der den Straßenstrich schließt und sich anschließend nicht darum kümmert, ob Arbeitsplätze vernichtet sind und Sexarbeiterinnen nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.“
Gesellschaftliche Nachteile
Fragen könne man das auch einen Bankangestellten, der Prostituierten Konten verweigert. Einen Versicherungsangestellten, der ihnen die Lebensversicherung verweigert. Einen Krankenkassenangestellten, der sie nur überteuert aufnimmt. Oder einen Verantwortlichen beim Bauamt, der die Unterschrift für ein Bordell verweigert.
Melanie selbst arbeitet seit zehn Jahren in der Prostitution. Schon als Jugendliche las sie Bücher über Sexualität und Psychologie. Aufgewachsen in der Nähe eines Straßenstrichs war sie mit dem Anblick der Frauen vertraut, registrierte aber auch die gesellschaftlichen Nachteile.
Erst viel später entschied sie, selbst Teil des Milieus zu werden. „Ich wollte gern wissen, ob ich diesen Job machen könnte.“ Finanzielle Probleme in einer anderen selbstständigen Tätigkeit gaben schließlich den Auslöser zu sagen: „Ok, dann versuche ich mal, ob ich als Sexarbeiterin tätig sein kann.“ Die jüngste Kollegin, die sie kennt, sei 22, die älteste 72, sie selbst ist 45. Besonders ihre älteren Kolleginnen seien Vorbilder für sie, „weil sie es geschafft haben, Sexarbeit interessant und ansprechend zu machen, sodass sie auch im höheren Alter noch Lust haben, anzuschaffen“.
500 bis 5000 Euro Verdienst möglich
Gearbeitet hat sie in Clubs, Bordellen und Laufhäusern, wo sie ein Zimmer mietete und dort ihre Dienste anbot. Heute macht sie fast nur noch Hausbesuche. Je nach Zeitaufwand und Investition könne man in der Branche 500 bis 5000 Euro im Monat. „Für mich ist jede Sexarbeiterin erfolgreich, die es schafft, mit einem Einsatz von 40 bis 50 Wochenstunden ihren Lebensunterhalt und entsprechende Versicherungen über Jahre hinweg zu bezahlen.“ Zu schaffen sei das mit Erfahrung, Regelmäßigkeit, Einsatz und Zuverlässigkeit.
Ein bisschen hängt das aber wohl auch von den Arbeitsbedingungen ab, Kollegialität spielt eine große Rolle. In den Wohnungsbordellen, in denen Melanie gearbeitet hat, stellten sich die Frauen nacheinander bei den Kunden vor, besprachen mit ihm ihren Service. Am Ende wählte er aus. In einer Nachtbar, ein anderer ihrer ehemaligen Arbeitsplätze, habe sich der Kunde in einem Couch-Bereich mit den Frauen unterhalten können. Alles lief nach einem bestimmten Plan ab.
Organisieren macht Spaß
„Wir haben immer versucht, ihm die Dame schmackhaft zu machen, die am wenigsten verdient hatte.“ Dort fühlte Melanie sich wohl, arbeitete gern. Das war nicht überall so. In einem anderen Bordell sei es harsch zugegangen. Die Sexarbeiterinnen dort hätten sich als Konkurrentinnen gesehen – nicht als Team.
Inzwischen macht Melanie fast nur noch Hausbesuche. Dass sie es dabei besser hat als Kolleginnen auf dem Straßenstrich, glaubt sie nicht. „Der Straßenstrich hat den Vorteil, dass man keine Miete und wenig Nebenkosten hat und nicht viel organisieren muss.“ Genau das mache ihr aber Spaß. Ausprobieren will sie das Gewerbe am Straßenrand aber auf jeden Fall auch noch. Außerdem hätte sie gern eine eigene Nummer für Telefonsex.
Selbstbestimmung
Wenn sie einen Kunden trifft, sind drei Dinge nicht verhandelbar: Preis, Service und Respekt. Will ein Kunde etwa eine Stellung ausprobieren, die Melanie nicht gefällt, wird sie nicht gemacht. „Er kann gern höflich fragen, aber bestimmen was passiert, tue ich.“ Probleme gäbe es jedoch selten, schließlich klärt sie die Wünsche ihrer Kunden schon am Telefon.
Spricht sie mit anderen über ihren Beruf, hört sie oft, dass sie das doch nicht mache könne, dass es eklig sei. Dass das manchmal so ist, gibt Melanie offen zu. Zum Beispiel, wenn sie das benutze Kondom entsorgen muss. Aber: „In vielen Berufen gibt es Dinge, die man machen muss, die eklig sind.“ Etwa dreckige Abflüsse reinigen, benutztes Geschirr abwaschen, Urinbeutel wechseln oder Tierställe ausmisten. Von Schweiß und Mundgeruch könne man nicht krank werden. Das Wichtigste für sie ist, „für den Sex Kondome zu nehmen. Etwas ohne zu machen, das fände ich eklig“.
Alter und Aussehen eines Kunden spielen für sie keine große Rolle, wohl aber, ob er in einer Beziehung ist oder Single. „Im Grunde ist es falsch, eigene Wertvorstellungen auf einen Kunden zu übertragen.“ Dennoch seien ihr Single-Kunden lieber als verheiratete Kunden. Dass Männer ihre Frau mit einer Prostituierten betrügen, sei oft ein Resultat aus unerfüllten Wünschen oder Ängsten, diese Wünsche dem Partner gegenüber zu äußern.
Sex mit verheirateten Kunden
„Mir gefällt das überhaupt nicht. Ich finde es traurig für beide Parteien. Für den einen, dass er offene Bedürfnisse hat, für den anderen, dass er belogen wird.“ Dennoch nimmt sie diese Kunden an. Einer betrogenen Ehefrau, deren Mann ins Bordell ging, sagte sie einmal: „Einen verheirateten Mann abzuweisen wäre so, als würde ich in einer Konditorei Kuchen und Torte verkaufen – aber nur an normalgewichtige Menschen.“
Ob Melanie selbst einen Mann hat oder Kinder, will sie nicht verraten. Auch hier sei es aber wie in allen anderen Berufen: „Viele sind verheiratet, viele haben einen Partner, einige sind Single, einige haben mehrere Partner, genauso ist es mit Kindern.“ In den meisten Fällen wüssten die Familien Bescheid. Und auch Kinder könnten schon sehr früh verstehen, „dass Mama einen Beruf hat, in dem sie Menschen massiert und zuhört und dafür sorgt, dass sie sich hinterher gut und entspannt fühlen“.
"Wie ein ganz normaler Mensch"
Auf Unverständnis stoßen Melanie und ihre Kolleginnen im privaten Umfeld eher weniger. Sie selbst fühlt sich akzeptiert. Ein Problem ist für sie die Gesellschaft mit ihren festgefahrenen Vorurteilen, die von vielen Journalisten immer wieder befeuert würden. Erst kürzlich habe sie in der Einleitung eines Artikels über eine Kollegin wie schon so oft gelesen, dass diese gar nicht ausgesehen habe, wie man sich eine Prostituierte vorstelle. „Ich würde gern mal lesen: Sie sah aus, wie ich sie mir vorstellte – wie ein ganz normaler Mensch.“
Nach Auskunft von Mechthild Eickel, Vorsitzende von Madonna, der Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen, arbeiten in Bochum rund 500 Prostituierte, 250 Arbeitsplätze seien in Bordellen. Sie betont: „Die, die wir hier sehen, sind freiwillig da.“ Madonna wurde 1991 von (ehemaligen) Sexarbeiterinnen, und Frauen aus anderen Berufen gegründet. Weitere Informationen, Beratung und Treffpunkt bei Madonna, Alleestraße 5, oder unter Tel. (0234) 68 57 50.
http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/b ... 32,1848012
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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- Admina
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Die Bestrebung ein selbstverantwortliches Leben zu führen, damit als Hintergrund eine gefestigte,eigene Persönlichkeit lassen den Artikel schweben.
Ganz herzlichen Dank für dieses Dokumentation, das es sich bei Sexworkern keinesfalls lediglich um "Opfer handelt".
Liebe Grüße, Fraences
Ganz herzlichen Dank für dieses Dokumentation, das es sich bei Sexworkern keinesfalls lediglich um "Opfer handelt".
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Re: K)ein Beruf wie jeder andere
Sehr interessanter Bericht, musste an der Stelle mit den verheirateten Ehemännern schmunzeln, weil es so wahr ist.
Und du hast an sehr vielen Stellen recht, besonders an:"...ein ganz normaler Mensch"
Und du hast an sehr vielen Stellen recht, besonders an:"...ein ganz normaler Mensch"