HPV-Impfung für Sexarbeiterinnen ? (Link)

Hier soll eine kleine Datenbank entstehen, die sich vornehmlich mit über den Geschlechtsverkehr übertragbaren Krankheiten und dem Schutz vor ihnen beschäftigt
Eddy
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HPV-Impfung für Sexarbeiterinnen ? (Link)

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RE: HPV-Impfung für Sexarbeiterinnen ? (Link)

Beitrag von Eddy »

Es gibt neues in Sachen HPV-Impfung. Die hochrangige Cochrane-Organisation hat vor wenigen Wochen einen Bericht zum Schutzeffekt der HPV-Impfung gegenüber Krebsvorläuferstadien von Gebärmutterhalskrebs bei Impfung jenseits des empfohlenen Impfalters (9 bis 14 Jahre) herausgegeben (ARBYN M et al.). Die frei zugängliche Kurzfassung gibt die Ergebnisse allerdings sehr verkürzt wieder und unterschlägt der Kürze wegen viele wichtige Erkenntnisse, die die Langversion liefert. Strenggenommen sind die Erkenntnisse zwar nicht wirklich neu, sie werden in der Langversion aber sehr detailliert aufgearbeitet, und wegen des sehr hohen Ansehens der Cochrane-Publikationen als Inbegriff evidenzbasierter Forschung und Medizin bleibt zu hoffen, dass die Arbeit von ARBYN et al. auch bei Entscheidungsträgern Berücksichtigung findet.

Der Review beschäftigt sich zwar nicht mit der Frage der Impfung von aktiven oder angehenden SW; die Ergebnisse erlauben es aber, Schlussfolgerungen zur Frage der HPV-Impfung von bisher ungeimpften SW (bzw. Frauen, die Sexarbeit planen) zu ziehen.

Insgesamt flossen 10 Studien ein, die Aussagen zum Schutz vor Vorläuferstadien von Gebärmutterhalskrebs trafen, davon 8 Studien für die Altersgruppe 15 bis 26 Jahre und 2 Studien für die Altersgruppe 24 bis 45 Jahre (bezogen auf das Alter zum Zeitpunkt der ersten Impfdosis).

Der Cochrane-Review bestätigte die bereits altbekannte Tatsache, dass der Impfnutzen mit steigendem Impfalter bzw. Anzahl der Sexpartner bis zur Impfung abnimmt. Allerdings wurde sehr deutlich, dass sowohl Alter wie Anzahl der Sexpartner nur einen mittelbaren Einfluss auf den Impfnutzen haben.

Der Nutzen der Impfung (d.h. Schutz vor zukünftigen Krebsvorläuferstadien am Gebärmutterhals, die durch impfpräventible HPV-Typen ausgelöst werden).hängt ganz entscheidend davon ab, dass zum Zeitpunkt der Impfung keine Infektion mit diesen HPV-Typen am Gebärmutterhals vorliegt, was nur durch einen HPV-Test an Abstrichmaterial vom Gebärmutterhals festgestellt werden kann. Liegt keine solche Infektion vor, ist der Impfnutzen auch bei Frauen zwischen 24 und 45 Jahren noch sehr hoch, allerdings nur, wenn sich Frauen in dieser Altersgruppe alle drei Impfdosen geben ließen. Der Schutzeffekt liegt dann noch bei 84 - 86 % vor hochgradigen Cervixdysplasien (ab CIN2 und höher), das sind nur wenige Prozentpunkte weniger als bei Frauen, die zwischen 15 und 26 Jahren geimpft wurden, und der Unterschied im Impfnutzen zwischen diesen beiden Altersgruppen ist unter der Voraussetzung „drei Impfdosen“ (bei 24- bis 45-Jährigen) nicht einmal signifikant.

Völlig unabhängig von Alter und sexueller Erfahrung hängt der Impfnutzen bei sexuell erfahrenen Frauen daher vom Ergebnis eines cervikalen HPV-Tests ab. Ist dieser negativ, jedenfalls in Bezug auf HPV 16/18, ist von einem hohen Impfnutzen auszugehen, jedenfalls bei drei Impfdosen. Nach einer Metaanalyse aus dem Jahr 2013 (SOOHOO et al.) sind ca. 15 % aller FSW in Europa zu einem beliebigen Testzeitpunkt mit HPV 16 und/oder 18 infiziert. Umgekehrt bedeutet dies, dass ca. 85 % aktuell kein HPV 16 und/oder 18 am Gebärmutterhals aufweisen und damit von der Impfung wie oben beschrieben profitieren würden. Auch eine kürzlich veröffentlichte Studie über FSW in Amsterdam bestätigt diese Quoten (cervikal: 8 % HPV 16, 8 % HPV 18). Allerdings ist der Prozentsatz der FSW, die aktuell mit HPV 16 oder 18 infiziert sind, auch abhängig von Alter und Berufserfahrung. Bei jungen bereits aktiven FSW um 20 Jahre und knapp darüber dürfte diese Quote höher ausfallen als 15 % und danach wieder absinken.

Schwieriger wird die Situation, wenn aktuell HPV 16 oder 18 am Gebärmutterhals gefunden wird. Die Daten aus dem Cochrane-Review sprechen jedenfalls dafür, die Impfung dann solange zurückzustellen, bis diese Infektion ausgeheilt ist, also im cervikalen HPV-Test nicht mehr nachweisbar ist. Der Impfnutzen steigt dann wieder an – wie daran erkennbar ist, dass diejenigen, die Antikörper gegen HPV 16 oder 18 haben, aber zum Zeitpunkt der Impfung an der Cervix HPV-16-/18 frei sind, noch fast ebenso stark von der Impfung profitieren wie diejenigen, die noch nie mit HPV 16/18 infiziert waren und daher auch keine Antikörper haben.

Die Frage nach dem Aufschub der Impfung ist allerdings eine komplexe Abwägung im Einzelfall, in die auch andere HPV-Risiken (z.B. oral oder anal) einbezogen werden müssen. Auch ist die Frage der Impfung erneut zu diskutieren, wenn die cervikale Infektion nach eineinhalb bis zwei Jahren noch nicht ausgeheilt ist, weil die Chance, dass sie dann noch spontan ausheilt, stark sinkt. In diesem Fall ist zu überlegen, ob man trotzdem impft, um andere HPV-Risiken (z.B. durch andere HPV-Typen oder an anderen Körperstellen z.B. oral) abzudecken, oder ob man ganz auf die Impfung verzichtet. Der Gesamtnutzen der Impfung ist in einem solchen Fall zwar deutlich reduziert, andere Teilziele (unabhängig von den Folgen und dem Verlauf der bestehenden Infektion am Gebärmutterhals) können aber dennoch erfolgreich verfolgt werden.

Durch cervikalen HPV-Test und eine Impfentscheidung abhängig vom Testergebnis lässt sich der Impfnutzen und damit auch die Kosten-Nutzen-Relation in jedem Einzelfall abschätzen und optimieren. Pauschalargumente wie „zu alt“ oder „zu spät“ gelten damit nicht mehr.

Ein wichtiges Ergebnis des Cochrane-Reviews ist auch, dass eine Dosisreduktion (nur 1 oder 2 statt 3 Dosen) nur für sehr junge Frauen (unter 24 Jahren) vertretbar ist. Wenn man die Dosis reduziert, sollte man besser Cervarix nehmen, weil die gute Wirksamkeit trotz Dosisreduktion (selbst bei einer einzigen Dosis) bei jungen Frauen für Cervarix besser nachgewiesen ist als für Gardasil (4 Studien zu 1 Studie). Das heißt nicht, dass es bei Gardasil nicht funktioniert – es ist aber nicht so gewiss, weil nicht genügend intensiv untersucht. Eine Dosisreduktion auf 1 oder 2 Dosen kommt ja vor allem aus finanziellen Gründen infrage, oder wenn es jemand aus organisatorischen Gründen nicht geregelt bekommt, sich nach einer bestimmten Zeit noch einmal bzw. zweimal impfen zu lassen. In solchen Fällen bietet jungen Frauen (unter 24 Jahren) auch eine Einzeldosis Cervarix einen guten Schutz mindestens für 7 Jahre, aber eben nicht in dem breiten Spektrum von Gardasil 9 – eine solche Einzeldosis ist also schon mit gewissen Einschränkungen verbunden, bietet aber bei großer Finanzknappheit ein optimiertes Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Ein wichtiges Ergebnis der Amsterdamer FSW-Studie bestand noch darin, dass viele FSW, die meinten, gegen HPV geimpft zu sein, die HPV-Impfung mit der Hepatitis-B-Impfung verwechselt hatten. Antikörperuntersuchungen zeigten dann, dass sie gar nicht gegen HPV geimpft waren. Wer als FSW unsicher ist, ob sie gegen HPV geimpft ist (die Impfung ist ja immerhin jetzt schon fast 12 Jahre auf dem europäischen Markt), kann dies durch Antikörperuntersuchung feststellen lassen. Das ist billiger als ein Impfzyklus mit drei Dosen, der womöglich gar nicht mehr nötig wäre.

Wichtig: der Cochrane-Review beschränkt sich nur auf die Vermeidung von Krebsvorläuferläsionen (und persistierenden Infektionen) am Gebärmutterhals. Andere Schutzeffekte der Impfung, z.B. oral oder anal, aber auch an anderen Stellen im Genitaltrakt, werden dort nicht abgehandelt, und sind bei einer Impfentscheidung ggf. zusätzlich zu bedenken.

Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse des Cochrane-Reviews und seiner Auswirkungen auf die Impfberatung von FSW einschließlich Literaturreferenzen/Quellenangaben findet sich in der Anlage 16 (das ist etwa ab Seite 301) hier:

http://freepdfhosting.com/f2aa6824cb.pdf


Eddy