Halka Tatlisi: "Bordell-Dessert": Die türkische Süßspeise aus dem Rotlicht-Viertel Istanbuls

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deernhh
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Halka Tatlisi: "Bordell-Dessert": Die türkische Süßspeise aus dem Rotlicht-Viertel Istanbuls

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HALKA TATLISI
"Bordell-Dessert": Die türkische Süßspeise aus dem Rotlicht-Viertel Istanbuls

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Halka Tatlisi, ein kringelförmiges, türkisches Dessert
Halka Tatlisi heißt auf Deutsch "Ring-Dessert". Mit den geriffelten Kanten erinnert die Süßspeise an spanische Churros.
© YAY Images / Imago Images
Laura Hindelang
von Laura Hindelang
30.10.2022, 09:18
3 Min.

Außen knusprig, innen weich – und zuckersüß. Halka Tatlisi ist bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt. Früher war das türkische Dessert vor allem im Rotlichtviertel Istanbuls ein Verkaufsschlager.
Wir spazieren über die belebte Galatabrücke. Vor uns steht ein einsamer Straßenhändler, der eine bekannte Süßspeise auf seinem Stand aufgeladen hat: Halka Tatlisi, ein Teig-Ring, der frittiert und danach in Sirup gebadet wird. Den Zucker spürt man sofort – der Kringel schmeckt pappsüß. Der Zucker ist es auch, der der Süßigkeit ihren Spitznamen verleiht: "Bordell-Dessert." Doch das erfahre ich erst einige Wochen nach dem Urlaub, als ich zufällig über eine Reportage der BBC entdecke, die die Geschichte der Süßspeise erzählt.

Kraft für den Bordell-Besuch
Traditionell soll die Nascherei vor allem im Stadtteil Karaköy verbreitet gewesen sein. Das Hafenviertel liegt auf der europäischen Seite von Istanbul, am nördlichen Ende des Goldenen Horns – der Haupteinfahrt des Bosporus. Ab dem 13. Jahrhundert ließen sich dort Einwanderer aus zahlreichen Nationen nieder. Im Jahr 1884 durften die ersten Bordelle eröffnen. Es folgten mehr und mehr Etablissements. Der multikulturelle und zunehmend industrialisierte Stadtteil wurde zum Rotlichtviertel.

"Damals kamen anatolische Händler aus ländlichen Gebieten und kleineren Städten geschäftlich nach Karaköy und besuchten oft die Bordelle", sagt die Istanbuler Reiseleiterin Leyla Capaci im Gespräch mit der BBC. "Das Ringdessert ist billig, lecker, reich an Zucker und wurde hier beliebt, weil es angeblich Männern die Energie gab, die sie vor – und nach – dem Besuch bei den Frauen brauchten." Halka Tatlisi gilt als eines der ältesten und beliebtesten türkischen Street Foods. Der frittierte, sternförmige Kringel erinnert an spanische Churros.

Halka Tatlisi mit Churros verwandt
"Der Unterschied besteht darin, dass unsere Version – oft 'türkische Churros' genannt – eine runde Form hat und von Tulumba Tatlisi abgeleitet ist", sagt Leyla Capaci. Tulumba Tatlisi, die aussehen wie kurze, dicke Churros, werden vor allem bei Feierlichkeiten serviert. Und im Ramadan, als Zucker-Kick nach dem stundenlangen Fasten. Egal ob türkisch oder spanisch: Die drei Süßspeisen zeichnen sich durch ähnliche Zutaten und Zubereitung aus. Typisch ist ein Teig auf Stärkebasis, in dem Mehl und Gries vermischt werden.
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Im Gegensatz zur türkischen Variante werden Churros nach dem Frittieren nicht in Sirup getunkt, sondern mit Zucker bestreut
© PantherMedia / Maria Bertolini / Imago Images
Die Masse wird anschließend mit einer Spitztülle in heißes Öl gegeben. Obwohl es sich um ein simples Rezept handelt, sei die Herstellung der Naschereien eine Herausforderung, sagt der türkische Starkoch und Gastronom Somer Sivrioğlu der BBC: "Die Temperatur des Öls muss genau richtig sein, damit sie außen knusprig und innen weich werden." Alle drei Dessert-Varianten stammen aus der mittelalterlichen arabischen Küche und gehen aus einer Süßspeise namens Zalabiya Mushabbak, einer Art Pfannkuchen, hervor.

Lebensmittelhistoriker Nawal Nasrallah berichtet im Gespräch mit der BBC, dass viele Gerichte nach Istanbul kamen, als arabische Köche von den osmanischen Sultanen angestellt wurden, um in ihren Eliteküchen zu arbeiten. Als die Osmanen im Jahr 756 Spanien eroberten, verbreitete sich deren Kulinarik auf der iberischen Halbinsel. "Frittierte Krapfen des muslimischen Spaniens sind von der Küche des Nahen Ostens beeinflusst wurden", so der Experte.

Süßigkeiten als Aphrodisiakum
Bereits damals sagten die Menschen dem Dessert eine luststeigernde Wirkung nach. "Die Menschen im Mittelalter folgten den Grundsätzen von Galens Theorie der vier Körpersäfte", erläutert der Lebensmittelhistoriker. Die Mediziner des Mittelalters gingen davon aus, dass die Gesundheit des Menschen vom ausgewogenen Verhältnis seiner vier Körpersäfte abhängig sei. Dazu zählten sie Blut, Schleim (Phlegma), gelbe Galle (Cholera) und schwarze Galle (Melancholie).

Speisen und Getränke spielten in der Medizin eine wichtige Rolle. Jedem Lebensmittel schrieb man eine oder eine Mischung aus den vier Eigenschaften Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit zu. Damit ging eine bestimmte Wirkung einher. "Man glaubte, dass Süßigkeiten im Allgemeinen ein Aphrodisiakum seien – sie steigerten die Libido aufgrund ihrer heißen und feuchten Eigenschaften", erläutert Nawal Nasrallah.

Noch immer sei Halka Tatlisi laut dem türkischen Starkoch Sivrioğlu "als natürliches Viagra bekannt". Mit Rotlicht hat das Dessert aber nichts mehr zu tun. Die Bordelle in Karaköy haben längst dicht gemacht. Aus dem letzten, kürzlich geschlossenen Etablissement in der Zurafa-Straße wird aktuell ein Kunst- und Kulturzentrum. In Istanbul ist Halka Tatlisi an nahezu jeder Ecke zu finden. Noch immer soll die Süßigkeit Kraft verleihen – heute jedoch eher für stundenlange Spaziergänge durch die Millionen-Metropole.

Das türkische Ring-Dessert Halka Tatlisi
Nicht nur bei Einheimischen, sondern auch bei Touristen ist das knusprige Dessert beliebt
© Laura Hindelang

Varianten des Desserts finden sich übrigens auch in der armenischen, zypriotischen, serbischen, griechischen, mazedonischen, bosnischen, bulgarischen und albanischen Küche. Frittierte, zuckrige Süßspeisen sind eben überall beliebt.

https://www.stern.de/genuss/halka-tatli ... 51406.html