Zensurtendenzen

Alles, was sonst nirgendwo reinpaßt - hier paßt es garantiert rein...
Klaus Fricke
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 1121
Registriert: 05.11.2010, 16:16
Wohnort: Bremen / Sougia - Kreta
Ich bin: Keine Angabe

Zensurtendenzen

Beitrag von Klaus Fricke »

Querverweis:
(Entscheidung EuGH und LG Hamburg zur Seitenverlinkung) http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=13609
alle Links aktuell abgerufen


Totalitäres Potenzial liberaler Wertegemeinschaft


Das Thema scheint auf den ersten Blick wenig mit der aktuellen Situation der SW und der Pro-SW-Aktiven zu tun zu haben. Sofern jedoch zum Beispiel die abolitionistische Beschwerde gegen das neue deutsche SW-Recht gegenüber der EU-Kommisssion erfolgreich ist und die Auffassung, das SW Menschenrechte verletzt ("SW ist Gewalt gegen Frauen") Kriterium der weiteren Rechtssetzung und Rechtssprechung in der EU werden würde, könnte das in einem weiteren Schritt Pro-SW Stellungnahmen unter den Verdacht des Verstosses gegen die Menschenwürde stellen.

»Unsere liberale Wertegemeinschaft trägt in Zeiten zunehmender Polarisierung und Spaltung seltsame Blüten. Die Meinungsvielfalt - gemeinhin als deren Grundvoraussetzung ausgemacht - steht und fällt mit der Debattenkultur und ihren Spielregeln der Auseinandersetzung.« Am Beispiel der abolitionistischen Debatte gegen die SW, der Behauptung, SW sei "Gewalt gegen Frauen" zeigt sich, dass hier angemerkt, ebenfalls, welches totalitäre »Potenzial der Schutz der liberalen Wertegemeinschaft vor sich selbst haben kann. Denn dieser Selbstschutz zielt auf die chronische Entkernung des Schlagabtauschs, die Kassierung missliebiger Meinungen. Der schriller werdende Ton, der immer wahllosere Rückgriff ... auf persönliche Diffamierungen und Verleumdungen zeitigen die Aufkündigung einer maßvollen, aufgeklärten und freien Debattenkultur.« (1, S.1)

Aktuell gibt es im Sinne von Zensurtendenzen Überlegungen, die an den Begriff "Fake-News" anschließen. Danach könnten staatliche Institutionen etabliert werden, denen Eingriffe insbesondere in Internetmedien erlaubt werden sollen. »Ins Bild passt da, dass hierzulande das Bundesinnenministerium nun ernsthaft über die Einrichtung eines "Abwehrzentrums gegen Desinformation" - böse Zungen sprechen von einem orwellschen Wahrheitsministerium - nachdenkt.« (1, S.1). Hinzu kommt eine EuGH und LG Hamburg Rechtssprechung, die die Verlinkung fremder Inhalte durch Betonung des Urheberrechts einschränkt (siehe: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=13609 - Entscheidung EuGH und LG Hamburg zur Seitenverlinkung ) und, relativ unbemerkt, eine Reform des Strafrechts unter dem Begriff Datenhehlerei »Investigative Recherchen, die auf Leaks aufbauen, sind zum strafrechtlichen Minenfeld geworden. Schuld daran ist der Paragraph gegen Datenhehlerei, der versteckt mit der Vorratsdatenspeicherung eingeführt wurde. Mit einer Verfassungsbeschwerde wollen Journalisten und Bürgerrechtler jetzt ein Stück Pressefreiheit zurückerobern.« (2, S.1)

Es steht jedem frei solche Tendenzen zu ignorieren und den Hinweis darauf als langatmig zu betrachten. Es mag auch sein, das ich ein unklares Problem mit solchen Tendenzen habe. Ich bin nachsichtig und neige auch nicht zu einem Ton gegenüber anderen Pro-SW-Aktiven, der beabsichtigt die Pro-SW-Aktiven auseinander zu definieren (z.B. in Betreibende von SW-Orten und SW) (siehe: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 576#153576, http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 583#153583 und http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 583#153583 ), sondern eher dazu Zusammenhänge aufzuzeigen und das, ich gebe es zu, in längeren Beiträgen zu machen. Ich denke, das hat den Vorteil, das neue Nutzende des Forums einen Einblick in die oft über mehrere Threads geführte Diskussion in diesem Forum bekommen, sofern sie den Verlinkungen , die ich setze, folgen möchten. Daher diese ausführlichen Ausführungen, um z. B. Zensurtendenzen in ihrer möglichen Bedeutung für die SW zu verdeutlichen. Daher auch dieser Thread, in den unter einer Überschrift - übersichtlich auch für neue Nutzende des Forums - alle Beiträge eingestellt werden könnten, die Zensurtendenzen im EU- und im deutschen Recht bzw. dessen Novellierungen, immer dann dokumentieren, wenn das "totalitäre Potenzial liberaler Wertegemeinschaft" zu Tage tritt, wenn, wie der Bremer Senator des Inneren Ulrich Mäurer mit Bezug auf die Sexarbeit sagt, vorgeblich "der Holzweg des Liberalismus" beschritten wird.(3)

Sich mit diesen Tendenzen - nicht persönlich mit denen, die sie vertreten oder deren Organisationen - inhaltlich auseinander zu setzen (siehe: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 583#153583 ) könnte hilfreich sein in einer Zeit, in der Parteien, die in der Tradition des Faschismus stehen, nicht nur salon-, sondern - siehe Österreich - auch mehrheitsfähig zu werden scheinen.

»Erich Kästner hat 1958 in Hamburg anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennung eine Rede gehalten, in der es heißt: "Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. (...) Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben."« (4, S.1) (5) (Insgesamt richtig, auch wenn das Beispiel DDR zeigt, das amtierende totalitäre Regime auch auf friedlichem Weg überwunden werden können.)

Ich hoffe sehr, ich vorgeblicher Puffbetreiber und Schlaumeier (siehe http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 576#153576 ) belästige nicht zu sehr.

_______________________
(1)
Sebastian Müller
Plötzlich "Rechtspopulistin"
https://makroskop.eu/2017/01/ploetzlich ... opulistin/
PDF Version

(2)
Markus Reuter
netzpolitik.org klagt vor Verfassungsgericht gegen Einschränkung der Pressefreiheit
https://netzpolitik.org/2017/netzpoliti ... efreiheit/
PDF Version

(3)
Problem Zwangsprostitution
Weser-Kurier vom 26.11.2013
»Nach Einschätzung des Senators hat die Osterweiterung der EU zu einer Veränderung des Marktes für Prostitution geführt. So gebe es zunehmend mehr Billigbordelle und Sexarbeiterinnen, die ihren Dienst für sehr wenig Geld anböten. "Das ist menschenunwürdig und für die Frauen schädlich", so Mäurer. Zudem stelle man fest, dass die Prostituierten immer jünger werden. "Dagegen sollten wir etwas tun. Mit unserer Liberalität sind wir auf dem Holzweg", sagte er.« (Hvhbg. K.F.) Diesen und ähnliche Argumentationen, denen die Pro-SW-Aktiven nicht wirksam begegneten, verdanken wir das neue deutsche SW-Recht, in dem sich durchaus ein "totalitäres Potenzial liberaler Wertegemeinschaft" erkennen lässt. Das verdeutlicht auch ein Kommentar im WK zur beabsichtigten Sanktionierung von "Gefährdenden" »Eins der Probleme dabei ist doch auch: Wer bestimmt denn, wer "Gefährder" ist? Was ist, wenn z.B. die AfD irgendwann mal die absolute Mehrheit erringen sollte? Müssen dann alle -derer Meinung nach- "linksgrünversifften" Menschen, Kranke, Nicht-"Biodeutsche" und Andersdenkende mit Fußfesseln rumlaufen und werden im Zweifel weggesperrt? Das Gleiche für Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung etc...« (5)

(4)
Götz Eisenberg
Das Gespenst des Populismus
https://www.jungewelt.de/2017/01-14/064.php
PDF Version

(5)
rsm, Kommentar vom 12.01.2017, 00:41 zum Artikel
Gefährder in Bremen registriert
http://www.weser-kurier.de/bremen/breme ... 28536.html

Klaus Fricke
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 1121
Registriert: 05.11.2010, 16:16
Wohnort: Bremen / Sougia - Kreta
Ich bin: Keine Angabe

RE: Zensurtendenzen

Beitrag von Klaus Fricke »

alle Links aktuell abgerufen



Netzpolitik.org
Kommentar:
Darum klagen wir für mehr Pressefreiheit in Karlsruhe
von Markus Beckedahl
13. Januar 2017, 11:14 in Pressefreiheit

»Wir sehen den Straftatbestand der Datenhehlerei als großes Risiko für vernetzte Redaktionen wie wir es sind. Dazu kommt: Deutschland ist beim Whistleblowerschutz immer noch Entwicklungsland. Mit sehr viel Luft nach oben. Die Datenhehlerei verfestigt diesen beschämenden Status, denn es besteht die Gefahr, dass durch Ermittlungen gegen Journalisten deren Quellen enttarnt werden.

Die Datenhehlerei gefährdet nicht nur Journalisten. Es gibt viele Organisationen im Bereich Verbraucher- und Umweltschutz, wie Foodwatch oder Greenpeace, die gesellschaftliche Missstände und Skandale aufdecken und ihr Quellenmaterial ebenfalls auf digitalem Wege erhalten. Und viele Blogger, die eine gesellschaftlich wichtige Arbeit ehrenamtlich machen, weil einfach kein funktionierendes Geschäftsmodell existiert. Diese sind meist keine „berufsmäßigen Journalisten“, erfüllen aber oft auch eine mit Medien vergleichbare Wächterfunktion in unserer Gesellschaft. Genau deswegen brauchen sie mehr und nicht weniger Schutz.

Die Datenhehlerei ist ein Damoklesschwert über vernetzten Redaktionen


Wir arbeiten in unserer Redaktion mit beschränkten Ressourcen. Wir verfügen nicht über ein Justiziariat im eigenen Hause und sind glücklich darüber, dass uns externe Juristen bei vielen Fragestellungen unterstützen. Dazu brauchen diese auch Zugang zu digitalem Quellenmaterial. Wir sind aber auch darauf angewiesen, mit externen Technikern Datenberge analysieren und auch aufbereiten zu können. Diese arbeiten ebenfalls in der Regel ehrenamtlich für uns, was auch nicht der Definition von „Berufsmäßigkeit“ entspricht.

Mit anderen Worten: Selbst wenn wir als feste Redaktion in der Mitte einer journalistischen Prozesskette abgesichert sind, sind es aber nicht diejenigen, von denen wir Informationen bekommen, und diejenigen, die uns dabei unterstützen, diese aufzubereiten und zu analysieren. Und das ist ein Problem.

Nicht nur nach unseren Erfahrungen wegen Landesverrat sind wir überzeugt: Wenn es einen Weg gibt, um kritische Journalisten in ihrer Arbeit einzuschüchtern, dann wird er im Extremfall auch genutzt. Allein schon die Wahrscheinlichkeit, dass mit der Datenhehlerei gegen investigative Journalisten, ihre Quellen und vernetzte Mitarbeiter vorgegangen werden könnte, erzeugt einen Chilling-Effect, der wie eine Schere im Kopf Auswirkungen auf die Pressefreiheit hat. Das ist vergleichbar mit einem Damoklesschwert, das über einem schwebt und an das man sich bei jeder Veröffentlichung erinnert.

Als die Ermittlungen gegen uns wegen Landesverrat bekannt wurden, gab es eine riesige Welle der Solidarität. Wir bekamen viele Spenden, um uns vor Gericht dagegen zu wehren. Mit der Einstellung der Ermittlungen mussten wir das Geld nicht in aufwändige Prozesse stecken. Wir haben mit einem Teil unsere Redaktion ausgebaut. Aber wir nutzen auch einen Teil, um diese Verfassungsbeschwerde zu großen Teilen zu finanzieren. Und ziehen jetzt zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Reporter ohne Grenzen nach Karlsruhe.

Unsere Hoffnung: Mehr Rechtssicherheit für Journalisten und ein Update der Pressefreiheit


Unser Ziel ist mehr Rechtssicherheit für investigative Journalisten und ihre vernetzten Mitarbeiter und im Idealfall ein Update der Pressefreiheit durch eine zeitgemäße Entscheidung, die auch den Medienwandel und veränderte Rahmenbedingungen mit berücksichtigt. Denn die Hoffnung ist: Wenn das Bundesverfassungsgericht schon mal über einen Fall der Pressefreiheit entscheidet, dann kann es auch gleich klären, wer heutzutage auch unter dem Schutz der Pressefreiheit steht. Und das Kriterium sollte nicht eine Berufsmäßigkeit sein.

Natürlich freuen wir uns, wenn ein Teil der Kosten für diese Verfassungsbeschwerde wieder reinkommt, und wir diese in den Erhalt und Ausbau unserer Redaktion stecken können. Mit einer Spende oder einem Dauerauftrag kannst Du / können Sie uns unterstützen


https://netzpolitik.org/2017/kommentar- ... karlsruhe/