Von Mann zu Mann

Hier findet der Austausch von/über männliche Sexarbeiter statt
Online
Benutzeravatar
Zwerg
Senior Admin
Senior Admin
Beiträge: 18062
Registriert: 15.06.2006, 19:26
Wohnort: 1050 Wien
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Von Mann zu Mann

Beitrag von Zwerg »

Von Mann zu Mann
Vor allem junge Stricher aus Süd- und Osteuropa bedienen die heimischen Kunden. Ihr Publikum finden sie zunehmend im Internet.


Text: Hubert Kickinger

Eine unsichtbare Grenze trennt den Barbereich vom Speiseraum. Malo (Name geändert) übertritt sie nur, wenn ihn jemand zum Essen einlädt. Dann kommt er zu einem der meist älteren Männer an den Tisch, lächelt und versucht in seinem gebrochenen Deutsch, ein wenig Smalltalk zu betreiben. Zu Beginn gerät er dabei immer wieder ins Stottern. Zumindest so lange, bis die erste Aufregung nachlässt.
Malo verdient als Stricher sein Geld. Seit neun Monaten hält sich der gebürtige Ungar in Wien auf, um seinen Körper an Männer zu verkaufen. „Business machen“, wie er es nennt. 80 bis 100 Euro verlangt er dafür pro Stunde. Seine Arbeitskleidung sind ausgewaschene Jeans, eng anliegendes T-Shirt, Lederjacke und Sneakers; die kurzen dunklen Haare hat er mit Gel aufgestellt, unter den dichten Augenbrauen stechen ebenso dunkle Augen hervor.

Arbeitsplatz des 25-Jährigen mit dem athletischen Körper ist das Lokal „Goldener Spiegel“ an der Linken Wienzeile im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Goldgerahmte Spiegel und unzählige Bilder von Kaiser Franz Joseph säumen hier neben Fototapeten mit nackten Männern die Wände. Aufgesperrt wird um 18 Uhr, erst nach der Sperrstunde um drei taucht mit der Putzfrau die erste weibliche Person im Schankraum auf. Die Köchin bleibt während der ganzen Zeit dezent im Hintergrund.

Während der weibliche Straßenstrich im 15. Bezirk zunehmend wütende Anrainer auf den Plan gerufen hat, findet die Arbeit der männlichen Sexarbeiter im Internet oder unter Aufsicht des toten Habsburgers statt – nahezu abseits der Öffentlichkeit. So wie viele der weiblichen Sexarbeiterinnen kommen die meisten Stricher aus dem Osten, in der Hoffnung, so der Armut in der Heimat zu entfliehen.

Seit einem dreiviertel Jahr ist Malo einer von ihnen, und für seine Arbeit nimmt er ein Doppelleben in Kauf: Während er in Wien seinen Körper gegen Geld anbietet, weiß seine Familie zu Hause in Ungarn nicht, welcher Beschäftigung er hier nachgeht. Er habe „in Wien eine vermögende Frau kennengelernt“, erzählt er dann, wenn er seine Eltern einmal im Monat für ein paar Tage besucht. Zu Hause in Debrecen, der zweitgrößten Stadt Ungarns nahe der rumänischen Grenze, hatten seine Eltern bis zu ihrer Pensionierung ein kleines Lebensmittelgeschäft, in dem Malo und seine drei Schwestern neben der Schule aushalfen. Nachdem er mit knapp 19 Jahren die Schule abgeschlossen hatte, arbeitete Malo kurz als Kellner, ehe er arbeitslos wurde. Ein Freund gab ihm damals den Tipp, nach Deutschland anschaffen zu gehen: „Du siehst süß aus, du kannst viel Geld machen.“

2006 kam er nach Hamburg, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen – und ohne je mit einem Mann verkehrt zu haben. Freundinnen dagegen habe er immer wieder gehabt, sagt Malo. Erst kürzlich hat er mit seiner ungarischen Freundin Schluss gemacht, „wegen der Entfernung“. Sein „erstes Mal“ mit einem Mann erlebte er dann in der Hamburger Stricherbar „Rudys“. Ein Freier kam auf ihn zu, 50, 60 Jahre alt. Für einen Blowjob auf der Toilette des Lokals bot er ihm 80 Euro an. „Ich habe Angst gehabt“, sagt Malo. „Aber so ist das Leben.“ Heute bezeichnet er sich als bisexuell – auch wenn er mit Männern ausschließlich dann Sex hatte, wenn sie dafür bezahlten.

„Ich denke, bi-angehaucht muss man schon sein, um als Stricher arbeiten zu können“, sagt Natalino Neuwirth, Betreiber des „Goldenen Spiegel“. „Manche sind aber hetero und machen es aus einer Not heraus; sie haben durchaus auch Familien zu Hause, die sie unterstützen müssen.“ Immerhin steht es heute außer Strafe, unter Männern zu verkehren und dafür Geld zu verlangen. Nachdem eine Strafrechtsreform 1971 das Totalverbot der Homosexualität aufgehoben hatte, dürfen seit 1989 auch die „Schanddirnen des männlichen Geschlechts“, von denen das Wiener Wochenblatt „Die Sündflut“ 1913 schrieb, legal ihrem Beruf nachgehen – zumindest in acht der neun Bundesländer. Denn in Vorarlberg herrscht nach wie vor ein De-facto-Verbot männlicher und weiblicher Prostitution, und Prostitutionsgesetze sind Ländersache.

Während in Vorarlberg jedem Stricher bis zu 2.000 Euro Geldstrafe oder bis zu sechs Wochen Haft drohen, ist das Problem im Rest des Landes ein bürokratisches: Denn wie Malo ist der größte Teil der männlichen Sexarbeiter zwar legal in Wien, aber nicht nach dem Prostitutionsgesetz gemeldet. Damit umgehen sie das Finanzamt, ersparen sich eine Meldung bei der Polizeistation am Deutschmeisterplatz und einen vorgeschriebenen wöchentlichen Gesundheitscheck beim STD-Ambulatorium am Thomas-Klestil-Platz – haben aber auch keinen Versicherungsanspruch. Wenn Malo zum Arzt musste, hat er das bisher in Ungarn erledigt. Seit kurzem habe er eine E-Card, sagt er. Wie er zu dieser gekommen ist, ob sie auch funktioniert und überhaupt seine eigene ist, will er nicht beantworten.

Gerade einmal 62 Männer seien offiziell gemeldet, sagt Elisabeth Jarolim vom Ambulatorium für sexuell übertragbare Krankheiten des Wiener Gesundheitsamts. Diese würden aber „zum Großteil als sehr hübsche Frauen“, also Transsexuelle, ihr Geld verdienen und nicht als Stricher im eigentlichen Sinn. Wie viele „klassische“ Stricher es in Wien gibt, ist nicht belegt. In der Steiermark gebe es derzeit „zwischen 800 und 1.100 Sexarbeiterinnen, keine 50 davon Männer“, heißt es von der Landespolizei. In Kärnten sind nach letzten Zahlen zehn der 310 gemeldeten Prostituierten Männer, in Oberösterreich vier von 850. „Die Meldung bei der Polizei und die wöchentlichen Untersuchungen stellen oft das größte Hindernis dar, warum sich männliche Sexarbeiter nicht registrieren lassen“, sagt Christian Knappik, Sprecher der Internetplattform sexworker.at, auf der sich Sexarbeiter beiderlei Geschlechts über ihre Probleme austauschen. „Da die männlichen Sexarbeiter meist im unsichtbaren Bereich arbeiten, sind Schätzungen unseriös. Zudem gibt es viele Sexarbeiter, die nicht davon leben, sondern ihre Arbeit als Gelegenheit auf ein Zusatzeinkommen verstehen.“ Dazu kommt eine hohe Fluktuation unter den Strichern.

„Die Nachfrage nach neuen Gesichtern in der Szene ist groß“, sagt Malo. Weil er in Hamburg deswegen nicht mehr „so viel Geld machen konnte“, entschloss er sich im Herbst 2010, nach Wien zu gehen. Von den drei jungen Männern, mit denen er sich jetzt die Wohnung im 15. Gemeindebezirk teilt, arbeitet einer am Bau, die beiden anderen verdienen ebenfalls als Stricher ihr Geld. „Die meisten Freunde sind auch Stricher“, sagt Malo. „In Ungarn würde ich 300 Euro im Monat verdienen. Davon kann man nicht leben.“

„Sich einen Stricher zu nehmen ist für viele eine Sache von Macht. Ich zahle und schaffe damit an“, sagt Natalino Neuwirth. Der 26-Jährige ist seit einem halben Jahr Geschäftsführer des „Goldenen Spiegel“, dazu gekommen ist er „durch Zufall über drei Ecken“. In seinem Lokal warten an den Wochenenden mehr als 20 Stricher auf Kundschaft. „Manchmal schicke ich sie weg“, sagt Neuwirth. „Wie viele ich hereinlasse, hängt von der Anzahl der Gäste ab. Es geht darum, dass Investoren und Anbieter in einem guten Verhältnis da sind.“ Investoren – so nennt Neuwirth die Freier. „Vom Herrn Professor bis zum Wurstverkäufer“ sei da alles dabei. „Auch einige verheiratete Männer, die hier ihre Fantasie ausleben.“ Seit 35 Jahren gibt es das Lokal, damals noch als „Alfies goldener Spiegel“, davor sei ein serbischer Wirt drin gewesen, sagt Neuwirth. „Ein wildes Lokal. Dort wurden sogar ein paar Leute erschossen.“

Auch heute regiert im „Goldenen Spiegel“ nicht der Luxus, trotz Kaiser an der Wand. Vier Angestellte hat Neuwirth, meist hilft er selbst mit aus. Sein Geld macht er mit dem Verkauf von Speisen und Getränken. Die Karte liest sich wie jede andere: Ein gebratener Leberkäse kommt auf 7,20 Euro, Schnitzel mit Salat kostet 8,90, ein kleines Bier 2,70 Euro. Zusätzliches Geld kommt dem Vernehmen nach über die Vermietung von Kabinen für die Kunden herein. Malo selbst konsumiert meist nur, wenn ein Kunde ihn einlädt. Auch das toleriert der Wirt. Üblicherweise ist Malo an drei Tagen der Woche im „Goldenen Spiegel“ unterwegs. Ist dort nichts los, wechselt er in den gegenüberliegenden „Club Date“. Das teilverspiegelte Lokal in der Schikanedergasse im vierten Bezirk erinnert an eine Disco aus den Achtzigerjahren, eine verwaiste Striptease-Stange neben dem Eingang kündet von besseren Zeiten. Für ihn als Stricher aber sind die beiden Lokale so etwas wie ein Asyl.

Denn auch in der Schwulenszene sind Malo und seine Kollegen nicht überall willkommen. In vielen Lokalen, wo anonymer Sex und Cruising im Vordergrund stehen, haben Stricher keinen Zutritt. Etwa im „Sling“ in der Kettenbrückengasse im vierten Bezirk. Während in den Achtzigerjahren in der damaligen „Künstlerklause“ noch vorwiegend Polen anzutreffen waren und im „Goldenen Spiegel“ Burschen vom Balkan, wie sich ein Szenekenner erinnert, heißt es heute schon auf einem Schild an der Tür: „No prostitutes allowed!“ Selbiges gilt für das Gay-Kino Wiscot am Lerchenfelder Gürtel im 16. Bezirk. „Die Leute sollen sich wohlfühlen und nicht belästigt werden“, sagen die Betreiber. Auch im Café BaKul an der Margaretenstraße, ebenfalls nahe dem Naschmarkt im vierten Bezirk gelegen, lässt der Kellner keine Stricher hinein. „Die fladern ja“, sagt er.

Den vollständigen Artikel gibt es nur in der Printversion.
Wenn Sie wissen wollen, wo Sie die aktuelle Ausgabe kaufen können, klicken Sie hier http://www.datum.at/stories/743877/

http://www.datum.at/0911/stories/von-mann-zu-mann