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nina777
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Beitrag von nina777 »

25.11.2014

Auch Präventionsarbeit gefährdet

Aids-Hilfe Essen: Sexsteuer gefährdet schwule Szene


Die geplante Einführung der Sexsteuer in Essen ist nach Ansicht der örtlichen Aids-Hilfe eine Gefahr sowohl für die schwule Szene als auch für die Präventionsarbeit.

Der Stadtrat diskutiert derzeit über die "Steuer auf entgeltliche und gewerbsmäßige sexuelle Vergnügungen". Sie soll nicht nur für käufliche Liebe gelten, sondern auch für schwule Einrichtungen wie Saunen, in denen Prostitution ausdrücklich verboten ist. Betroffen sind die Phoenix-Sauna, die Max-Sauna, der Nachtclub Drexx, der Sexshop Wiscot sowie die Man Moviethek.

"Ein 'Szenesterben' hätte direkte negative Auswirkungen auf die seit vielen Jahren erfolgreich umgesetzte HIV/Aids-Prävention in der Hauptbetroffenengruppe der schwulen und bisexuellen Männer in Essen, da diese von der Vor-Ort-Arbeit nicht mehr zu erreichen wären", warnte nun die Aids-Hilfe Essen. Da nach wie vor in mehr als zwei Dritteln der Fälle HIV durch Sex zwischen Männern übertragen wird, würde das einen erheblichen Schlag gegen die Präventionsarbeit bedeuten. Die Aids-Hilfe wies auch darauf hin, dass bereits vor einigen Jahren die Einführung einer Sexsteuer in Dortmund die Szene geschwächt und die Prävention erschwert habe (queer.de berichtete)

Gemeinsam mit der schwul-lesbischen Gruppe F.E.L.S. und dem RuhrPride e.V. versucht die Aids-Hilfe, eine "maßvolle Lösung im Sinne der Stadtpolitik und nicht zuletzt des Wirtschaftsstandortes Essen zu finden". Die Ruhrmetropole müsse ein "Ort der Vielfalt" bleiben, in denen sich Schwule und Bisexuelle "mit ihren subkulturellen Lebensweisen zu Hause fühlen können".

Mit der Sexsteuer versuchen klamme Gemeinden, ihre Einnahmen zu erhöhen. Hintergrund: Kommunen haben nur sehr wenige Möglichkeiten, eigene Steuern zu erheben. Dazu zählen etwa die Hundesteuer, die Spielgerätesteuer und die Zweitwohnungssteuer. Andere Steuern, wie etwa die Hotelsteuer in Köln, bergen erhebliche juristische Risiken.

http://www.queer.de/detail.php?article_id=22765
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Beitrag von nina777 »

22.12.2014

Ägypten

Journalistin recherchiert in "Schwulensauna" und ruft dann die Polizei

In Ägypten drohen dutzenden Homosexuellen hohe Haftstrafen. Eine Fernsehjournalistin recherchierte zum Thema "Schwule und Aids", rief die Polizei an und ließ die Männer festnehmen. Sie begründet ihren Schritt mit der "Moral".


Dramatische Musik, unkenntlich gemachte Gesichter, verzerrte Stimmen, eine ernst blickende Reporterin: Investigativer Journalismus, wie wir ihn auch aus anderen Ländern kennen. Doch bei dieser Ausgabe der ägyptischen Dokumentationsserie "Das Versteckte" der Journalistin Mona Iraqi gibt es einen entscheidenden Unterschied: Am Ende kommt die Polizei, um vor laufender Kamera dutzende vermeintlich homosexuelle Männer festzunehmen. Die Notrufnummer hatte die Journalistin selbst gewählt.

In ihrem Dreiteiler "Schwule und Aids in Ägypten" ist die im Land berühmte Mona Iraqi "abartigen Schwulen" und "kriminellen Prostituierten" im Herzen Kairos auf der Spur.


In ihrer Dokumentation spricht Iraqi von "Menschenhandel" und einer "für die Familienmoral gefährlichen Sexindustrie". Dafür engagierte sie einen Schauspieler, um undercover in einem Hamam zu filmen. Der Ort im Stadtteil Ramses gilt auch als Schwulentreff, wo es durchaus auch zum Sex kommen kann. Die Dokumentation löste in Ägypten eine große Diskussion über Moral und journalistische Ethik aus.

Die Hauptszene der arabischen Originalfassung der Dokumentation zeigt, wie Mona Iraqi eine Polizeirazzia mit ihrem Handy filmt. In ihrer Sendung gibt sie zu, dass sie die Polizei verständigt habe: "Diese Praktiken sind gefährlich für unsere Gesellschaft und ich habe die Aufgabe, Ägypten vor der Ausbreitung von Aids zu schützen", erklärt sich Iraqi in ihrer Sendung. Daraufhin werden Bilder gezeigt, auf denen dutzende Männer, die sich im Hamam "Tor zum Meer" aufhielten und "auf frischer Tat ertappt" worden sind. Unbekleidet und mit den Händen vor ihren Gesichtern wurden die Männer von Polizisten abgeführt.

Vor allem der erste von drei Teilen der Dokumentation hat eine Botschaft: Homosexualität ist abartig, gefährlich und kriminell. In der arabischen Version (ohne Untertitel) steht oben im Bild über die ganze Dokumentation über ein Satz eingeblendet: "Sex zwischen Männern führt zu Aids". In Ägypten, einem Land gänzlich ohne Sexualunterricht, erreicht diese Information Millionen von Menschen, die sie dann für bare Münze nehmen.

Ein Hamam wie jeder andere

Munir* aus Kairo war selbst mehrfach im Hamam "Tor zum Meer". Über Ecken kennt er einige von den festgenommenen Männern, die nun auf ihre Verurteilung wegen "unnatürlicher Sexualpraktiken, Prostitution und Menschenhandel" warten. "Niemand hat etwas Illegales in diesem Hamam getan", sagt Munir. Der Ort sei kein Bordell, wie in der Dokumentation dargestellt. Die meisten Kunden würden sich tatsächlich zum Saunieren und Waschen dorthin begeben. Vor allem arme Menschen frequentierten das Bad, unter ihnen auch Schwule aus armen Verhältnissen. Solche Bäder gibt es sehr oft in Kairo.

Munir ist homosexuell und sagt, dass der Hamam unter Schwulen in der Stadt bekannt sei. Es gebe private Ecken, in denen man durchaus Sex haben könne. Der Hamam sei aber kein Bordell gewesen, beteuert der Student. Wer sich dort zum Sex verabredete, habe selbst in den dunklen Ecken auf Diskretion geachtet. Die Polizei nahm dennoch alle Männer im denkmalgeschützten Gebäude fest. Der Hauptbeweis: Alle im Hamam waren nackt oder hatten nur ein Handtuch um.

Im Internet diskutieren viele Ägypter leidenschaftlich über den Vorfall. Während sich eine Mehrheit in Foren und auf Sozialen Medien mit der Festnahme einverstanden zeigen, versuchen Menschenrechtsaktivisten so laut wie möglich auf die Verletzung der Privatsphäre durch die Recherchen von Iraqi hinzuweisen. Auch in Ägypten sei diese immerhin von der Verfassung garantiert, schreibt die ägyptische Menschenrechtsorganisation EIPR.

Es drohen bis zu 12 Jahre Haft

Scott Long ist US-amerikanischer Blogger und Menschenrechtsaktivist. Er hat sich auf LGBTQ-Rechte im Nahen Osten spezialisiert. Scott Long lebt in Kairo und war am Sonntag beim ersten Prozesstag gegen die festgenommenen Männer dabei. "Sie wurden in einen Käfig im Gerichtssaal gedrängt und geschlagen", berichtet Long. Die Sitzung wurde auf Anfang Januar 2015 vertagt. Obwohl die Anklageschrift noch nicht feststehe, seien die Aussichten für die Angeklagten sehr schlecht. Den 21 Besuchern des Bades drohen bis zu drei Jahren, den fünf Mitarbeitern des Hamams sogar bis zu 12 Jahren Haft.

Munir sorgt sich vor allem über die Angestellten des Hamams. Ihnen wird "systematischer Menschenhandel" vorgeworfen. Dabei seien sie "am unschuldigsten". Obwohl ihn das Vorgehen der Journalistin, so wie die ganze schwule Community im Nahen Osten, schockiert. Mona Iraqi würde nicht zum ersten Mal über journalistische Recherchen hinaus gehen. Im Internet berichten einige Kommentatoren, dass sie vor Kurzem eine Dokumentation über Drogenabhängige in Ägypten drehte. Auch danach sei sie zur Polizei gegangen.

Mona Iraqi arbeitet neben ihrer Tätigkeit als Reporterin für den Fernsehsender "Al-Qahira wa Nas" für das internationale Kurzfilmfestival "Shnit", das regelmäßig Filmvorführungen zum interkulturellen Austausch auch in Kairo organisiert. Das Festival ist international für seine Diversität bekannt. Es bemüht sich auch Filme und Filmemacher zu zeigen. Zunächst hatten sich einige Mitarbeiter des Festivals, zum Beispiel aus Russland, solidarisch mit Mona Iraqi gezeigt. In einer Pressemitteilung ließ das Management in Bern aber wissen, dass es die Geschehnisse rund um die Dokumentation ihrer Mitarbeiterin Mona Iraqi "aufmerksam verfolgen" würde. Bis auf weiteres liege die Zusammenarbeit mit ihr auf Eis.

Auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlichte Iraqi eine Fassung ihrer Dokumentation mit englischen Untertiteln, dort hat sie die Szene, wie sie die Polizei bei der Festnahme filmt und ihre moralischen Kommentare ausgespart. Für eine Stellungnahme war die Journalistin nicht verfügbar.

* Name von der Redaktion geändert.

http://www.tagesspiegel.de/politik/aegy ... 52234.html
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Beitrag von Doris67 »

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Beitrag von nina777 »

1.2.2015

Männer bei der Sexarbeit

Einer zahlt

Der eine ist alt, der andere jung. Der eine braucht Sex, der andere braucht Geld. Die Liebe funkt dazwischen. Das Protokoll einer Beziehung.


Eigentlich wollte ich nichts kaufen. Ich lief an dem Supermarkt vorbei, der zwischen zwei Sexkinos liegt. Das eine ist für Schwule und das andere für Heteros, in dem aber auch Freier mit ihren Strichern verkehren. Da sah ich ihn. Er stand vor dem Supermarkt und verkaufte die Straßenzeitung, und er war umwerfend. Hübsch, jung und sichtlich nicht deutsch, wie all die Jungs, die dort gewöhnlich stehen.

Nur hatte er feinere Züge. Er sah stolz aus und zugleich verletzlich. Wir schauten uns in die Augen - und da ging ich doch in den Supermarkt, um zwischen den Regalen zu überlegen, was ich ihm sagen könnte. Natürlich fiel mir nichts Originelles ein. Also ging ich raus zu ihm, drückte ihm zwei Euro in die Hand, sagte, die Zeitung wolle ich aber nicht haben - und was er sonst noch tun würde, außer Zeitungen zu verkaufen?

"Alles", sagte er. "Auch Sex?", habe ich gefragt, und da meinte er, das habe er zwar noch nie gemacht, aber ja, schon. Für mich, sozusagen. Als Ausnahme.

In das Sexkino wollte er nicht. Da drin seien zu viele seiner rumänischen Landsleute und er wolle dort nicht mit mir gesehen werden. Weil er kein Stricher sei. "Okay", habe ich gesagt, "dann gehen wir zusammen in ein Hotel, ich muss aber vorher noch meine Mutter im Krankenhaus besuchen." Wir tauschten Telefonnummern aus, ich würde ihn in einer Stunde abholen, und er sagte auf Englisch: "Ich warte auf dich." Im Rückspiegel sah ich ihn da stehen. Er hatte tiefe dunkle Augen. Er war schön.

Eine Odysee

Als ich ihn abholte, begann unsere Odyssee durch die Stadt. In das Stundenhotel kamen wir nicht rein, weil Florin - so hieß er, Florin - keinen Ausweis dabei hatte und der Mann an der Rezeption ihm nicht glaubte, dass er über 18 sei. Zu mir sagte er, er sei 23. Also fuhren wir zu ihm nach Hause, um seine Papiere zu holen. Da er seinen Pass verloren hatte, auf dem Bau - er arbeitete oft auf dem Bau -, besaß er nur noch eine Kopie. Die nahm er mit.

Auf dem Rückweg erzählte er von sich. Er war freundlich und erstaunlich ungezwungen, obwohl das ja eine seltsame Situation für ihn sein musste: Du setzt dich zu einem Mann ins Auto, auf der Suche nach einem Ort, an dem man Sex haben kann, du kennst den Mann nicht, und du kennst den Sex nicht, der dich erwartet. Ich wollte wissen, woher er kommt, was er eigentlich in Deutschland wollte und wie er lebte.

Florin stammte aus einem Dorf, ein paar hundert Kilometer von Bukarest entfernt. Er war gut situiert aufgewachsen, sein Vater besaß ein großes Haus. Doch der war Alkoholiker und hatte die Kinder und die Mutter misshandelt. Sie zogen aus, der Vater versoff das Geld, und die Familie verarmte. Sie hatten nicht mal genug Geld, um den Schulbus zu zahlen, sagte Florin. Ein paar Jahre lang habe er nachts bei einem Bäcker gearbeitet, um morgens in die Schule fahren zu können.

Irgendwann konnte er nicht mehr. Er träumte davon, wegzugehen und genug Geld zu verdienen, um später zurückkehren und einer Frau und seiner Familie ein Haus bauen zu können. Also zog er über Griechenland und Frankreich nach Deutschland und arbeitete auf dem Bau. Jetzt im Winter aber verkaufte er die Straßenzeitung, weil er sich für keinen anderen Job bewerben konnte, seit er seinen Pass verloren hatte.

Sie musste Jungfrau sein

Seine Lage wurde immer verzweifelter, denn mit dem Verkauf der Zeitung konnte er nicht mal seine Miete zahlen. Er wohnte in einer 2-Zimmer-Wohnung in Neukölln, zusammen mit acht anderen Rumänen. Der Vermieter, auch ein Rumäne, verlangte von jedem 200 Euro im Monat. Er erzählte, dass sie alle in einem Raum schliefen. Manchmal, wenn er die Enge nicht mehr aushielt, legte er sich nachts in die Badewanne.

Er hat mir das nicht alles auf unserer ersten Autofahrt erzählt, aber doch ziemlich viel. Auch von seiner Freundin. Die hatte er in Berlin kennengelernt, und auch sie lebte in dieser Wohnung, mit ihrer Mutter. Die beiden waren Roma und aus Rumänien gekommen, weil die Mutter die Tochter in Deutschland an einen einträglichen Mann vermitteln wollte.

Das war Florin nicht, deswegen gab es oft Streit. Aber er wollte das Mädchen heiraten. Sie war Jungfrau, das war ihm wichtig. Er sprach nicht über seine Gefühle für dieses Mädchen, sondern von dem großen Moment, wenn er nach der Hochzeit das frisch befleckte Leintuch aus dem Fenster des eigenen Hauses in Rumänien hängen würde.

Schließlich fanden wir ein Hotelzimmer und hatten Sex. Ich fragte ihn vorher, ob er nervös sei. Ich hatte das Gefühl, da passiert tatsächlich gerade etwas zum ersten Mal. Er sagte ja. Doch dann war alles sehr selbstverständlich. Und natürlich. Das irritierte mich. Aber nicht, weil ich dachte, er lügt, von wegen: Ich habe das noch nie gemacht! Sondern weil ich nicht den Eindruck hatte - die ganze Zeit nicht -, dass ihm unwohl war bei dem, was wir taten. Im Gegenteil. Da war ein Widerspruch zwischen dem, was er sich für sein Leben vorstellte - und dem, was er lebte. Und fühlte.

Zerreissende Doppelmoral

Als ich anfing, mich für das Strichermilieu zu interessieren, waren da vor allem deutsche Jungs, oft drogenabhängig. Dann kamen türkische und arabische und jetzt sind es, schätze ich, überwiegend Rumänen, darunter viele Roma. Die meisten Jungs, die sich prostituieren, sind nicht schwul. Viele haben eine starke religiöse Prägung, auch was Sexualität angeht.

Einen muslimischen Stricher habe ich mal gefragt, wie er seinen Job mit seinem Glauben vereinbaren könne, und er sagte: "Solange ich mich nicht ficken lasse und nicht selber blase, hat Gott nichts dagegen." Es herrscht auf dem Strich eine Doppelmoral, die einen eigentlich zerreißen muss. Diese Männer leben mit einer doppelten Stigmatisierung, sie sind Roma und männliche Nutten, die sich von alten Männern benutzen lassen - sozusagen unterster Bodensatz der Gesellschaft.

Um zumindest untereinander ihren Stolz zu wahren, schließen die Jungs eine Art Ehrenpakt: Sie bestehen während der Verhandlungen auf ihrer aktiver Rolle beim Sex. Sobald sie mit ihren Freiern alleine sind, werden die Regeln gebrochen. Dann heißt es: "Du kannst dies und jenes machen - aber nur, wenn du es nicht den anderen erzählst!" Das bringt dann zwischen 20 und 50 Euro. Am teuersten wäre es, einen Stricher eine Nacht lang mit nach Hause zu nehmen. Das hätte ich nie getan. Für arme Menschen muss meine Wohnung wie ein Schloss erscheinen. Man wäre einander ausgeliefert, das wäre zu gefährlich.

Florin war gläubiger Christ, und ich habe ihn sogar mal zu seinem Bibelkreis gefahren. Als ich ihm vorschlug, er könne doch einfach nach der Hochzeitsnacht das Leintuch mit roter Farbe beklecksen, war er entsetzt. Die Idee, eine unreine Frau nach Hause zu führen, war für ihn unvorstellbar. Aber er schlief mit mir, und es war schwer für ihn, das mit sich in Einklang zu bringen.

Es kam schleichend

Ich war nicht sofort verschossen, es kam schleichend. Er rief mich nach ein paar Tagen an und fragte, warum ich mich nicht meldete. Wir trafen uns wieder. Er sagte, er brauche Geld, für seinen Bruder in Rumänien. Ob das stimmte oder nicht, war mir egal. Seine Misere war offensichtlich. Ich habe ihn zum Essen und ins Kino eingeladen, "Mission Impossible 3". Er war als Kind zum letzten Mal im Kino gewesen und ganz hingerissen.

Er erschien mir trotz seiner verzweifelten Situation sehr selbstbewusst und souverän. Das imponierte mir. Er erzählte, dass er als Kind alle Lesewettbewerbe gewonnen habe, dass er Violinist werden wollte und Anwalt. Dabei leuchteten seine Augen, und ich dachte, wann er wohl das letzte Mal jemandem von seinen Träumen erzählt hatte. Und wie schön es wäre, wenn ich ihm helfen könnte, wenigstens ein bisschen von dem, was er sich gewünscht hatte, zu erreichen.

Ich war der einzige Deutsche, mit dem er Kontakt hatte. Natürlich hatte ich auch sexuelle Bedürfnisse an ihn und mir war klar, dass er das Geld brauchte. Aber ich wollte glauben, ich sei für ihn in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Ich wollte sein Freund sein. Wir gingen zusammen zu einer Beratungsstelle, zur Polizei und dann zur rumänischen Botschaft, wegen seines Passes. Es war für ihn unvorstellbar, in sein Dorf zurück zu müssen, um dort die nötige Geburtsurkunde zu besorgen, finanziell und moralisch.

Wenn wir uns trafen und er mir aus seinem Leben erzählte, wurden seine oft gequälten Züge weich, und er schien dankbar zu sein, reden zu dürfen. Ich half ihm, seiner Freundin zu helfen. Die flüchtete vor ihrer Mutter, da chauffierte ich sie mit ihrem Gepäck zu ihrem Arbeitgeber, einem Wirt, und wieder zurück, nachdem der versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Es war so bizarr.

]Wenn er bei mir einzöge

Allmählich begann ich dann zu fantasieren: Wenn ich ihm einen Job vermitteln könnte. Wenn er bei mir einzöge. Wenn ich ihm mal das Meer zeigen könnte. Wenn er erfahren könnte, wie schön Freundschaft ist. Und wenn meine Freunde vielleicht auch seine werden würden. Und ich bekam diese Symptome: dachte ständig an ihn, konnte nichts mehr essen, rauchte anderthalb Schachteln am Tag und stellte das Interesse meiner Freunde auf eine harte Probe: wieder und wieder mussten sie mit mir den Fall durchgehen.

Ich glaube, sie verstanden mich und spürten, dass ich verliebt war. Das war so extrem lang nicht mehr geschehen. Ich hatte 17 Jahre eine Beziehung, dann starb mein Freund, vor zwölf Jahren. Es war höchste Zeit, sich mal wieder verlieben. Ich stellte mir vor, die Grenzen zu überwinden zwischen drin sein und außen vor. Ich träumte davon, derjenige zu sein, der diesen Menschen glücklich macht!

Rückblickend denke ich: Wahrscheinlich ging es nicht um ihn. Verliebtsein hat doch etwas Narzisstisches. Mehr als man es sich in der akuten Situation eingestehen möchte. Es ist toll zu glauben, man werde von einem Menschen mit dem nahezu perfekten Körper begehrt - obwohl man selbst mehr als doppelt so alt ist. Und für diesen Menschen auch noch der Erste zu sein, der erste Mann.

Ich Konrad Lorenz - er die Graugans. Aber mehr noch ging es um die Idee, dass der andere quasi durch mich zu seinem eigentlichen Ich findet, das derart einzigartig zu mir passt, dass wir gemeinsam glücklich werden. Dieses Meister-Schüler-Ding, gepaart mit meinem Helfersyndrom. "Pretty Woman", "My Fair Lady" - die ganz große Pygmalion-Oper.

Er sah nicht glücklich aus

Heute frage ich mich, ob es möglich gewesen wäre, die kulturellen Widersprüche und die finanzielle Abhängigkeit jemals aus so einer Beziehung herauszubekommen. Oder ob wir beide immer wieder auf die Erkenntnis zurückgeworfen worden wären, dass alles letztlich auf einer geschäftlichen Abmachung gründet. Heute kann ich die Sache so nüchtern sehen. Schade, ja. Denn so oder so, ich war schon sehr verliebt.

Es kam dieser eine Abend. Seine Freundin war nicht in der Stadt, er sagte etwas von "freier Bahn" für uns beide. Ich lud ihn ein, zu mir nach Hause, er würde bei mir übernachten. Das erste Mal. Ich hatte Spaghetti Bolognese gekocht, die liebte er. Ich hatte einen Topf frischen Oregano gekauft und dessen Blätter über die Teller verstreut, eine Kerze angezündet. Er kam nicht.

Noch in dieser Nacht, als ich mich mit Aperol Spritz betrank und mein Mitbewohner mich zu trösten versuchte, wusste ich: Ich würde ihn nie wiedersehen. Einmal habe ich ihn noch auf seinem Handy erreicht, dann wechselte er die Nummer. Er sagte, es täte ihm leid, aber er könne nicht "in beiden Teams" spielen. Und ich sei erwachsen genug zu verstehen. Im Hintergrund hörte ich seine Freundin. Neulich, ein Jahr später, habe ich ihn auf Facebook gefunden. Er sieht nicht glücklich aus. Der Oregano blüht wieder.

http://www.taz.de/!153824/
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