Charlotte Roches neues Buch "Schoßgebete":
Trauerspiel statt Sexskandal
Es gehe um das Tabuthema Sex in der Ehe, wird Charlotte Roches neuer Roman angekündigt. Doch "Schoßgebete" dreht sich vor allem um die Autorin - die ihr Familienunglück zur Schau stellt.
Auch mit ihrem zweiten Buch "Schoßgebete" wird Charlotte Roche für viel Diskussionsstoff sorgen.
Es war die literarische Überraschung der vergangenen Jahre: Mit ihrem Debütroman "Feuchtgebiete" ist Charlotte Roche ein Megaseller gelungen, der sich knapp zwei Millionen Mal verkauft hat. Weil dieser gigantische Erfolg den darin verhandelten Tabuthemen wie Analsex, Intimrasur und dem vorherrschenden Hygienediktat zugeschrieben wurde, versucht der Piper-Verlag, den jetzt veröffentlichten Nachfolger "Schoßgebete" zu einem ebensolchen Skandalbuch hochzujazzen. Das Buch widme sich "einem unserer letzten Tabus: dem ehelichen Sex", heißt es auf der Homepage des Verlags. Der Titel unterstützt die Erwartung an deftigen Geschlechtsverkehr - und so überrascht es wenig, dass "Schoßgebete" gleich mit einer 15-seitigen Sexszene einsteigt.
Das Buch beschreibt drei Tage aus dem Leben der 33-jährigen Elizabeth Kiehl, Mutter und Ehefrau, die in einer Patchwork-Familie lebt. Das Thema scheint gut gesetzt: Die Frage, wie man als Frau eine gute Mutter und Ehefrau sein und gleichzeitig ein aufregendes Liebesleben führen kann, dürfte sich vielen jungen Frauen stellen - die Relevanz scheint für die Roche-Leserinnen gegeben zu sein.
Relevantes Thema
Was sich an den drei Tagen ereignet, lässt sich knapp zusammenfassen: Dienstag: Sex. Mittwoch: Arzttermin. Donnerstag: Bordellbesuch. Und die tägliche Sitzung bei der Psychoanalytikerin.
In den Therapiestunden kommt aber eine Komponente ins Spiel, die von dem angekündigten Thema wegführt. Während "Schoßgebete" vordergründig in der Gegenwart spielt und von der Ehe handelt, drängt sich immer stärker die Vergangenheit in das Buch hinein. Genau gesagt: ein acht Jahre zurückliegender Unfall, der schwer auf dem Leben Elizabeth Kiehls lastet. Oder soll man gleich sagen: auf dem Charlotte Roches? Denn diesen schrecklichen Unfall hat es wirklich gegeben. Vor zehn Jahren verunglückten ihre drei Brüder bei einem Autounfall tödlich. Sie waren auf dem Weg nach London, wo Charlotte Roche den Musikjournalisten Eric Pfeil heiraten wollte. Eine Tragödie antiken Ausmaßes: Der schönste Tag ihres Lebens gerät zur Katastrophe.
Nie verliert sie den Humor
Es ist zutiefst berührend, die Geschehnisse aus Elizabeths/Charlottes Perspektive nachzulesen: Wie sie am Flughafen in London die Todesnachricht erhält, wie ihre Beziehung daran zerbricht ("In dem Moment, wo der Unfall passierte, war unsere Liebe kaputt") und wie sie trotzdem noch einmal mit ihrem Freund schläft - und dabei ihre Tochter zeugt. All das schreibt sie ehrlich und schonungslos auf, ehrlich gegen sich selbst und schonungslos gegen ihre Liebsten: "Die Geburt unserer Tochter ist also untrennbar mit dem Unfall verbunden", heißt es an einer Stelle. "Wenn ich an ihre Geburt denke, stell ich mir drei tote Kinder daneben vor."
Sie schreibt, sie habe schon oft gewünscht, dass ihr Stiefsohn und ihr Exmann mit dem Flugzeug abstürzen. Über ihre Tochter heißt es einmal: "Ich hätte sie nie kriegen dürfen." Da fragt man sich als Leser erstmals, ob so etwas wirklich an die Öffentlichkeit gehört.
Das alles erzählt Roche in locker-flockigem Plauderton, beinahe beiläufig. Auch angesichts der schrecklichsten Ereignisse verliert sie nie ganz ihren Humor, etwa wenn sie über den Fahrer des Unglücksautos nachdenkt: "Vielleicht ist ihm eine Zigarette auf den Schoß gefallen und hat ihm die Eier verbrannt." Ihr Mann müsse zwar ihre aus dem Unfall resultierenden psychischen Störungen aushalten, "der hat aber auch viel davon, weil ich mir dafür (...) beim Blasen so viel Mühe gebe".
Immer wieder springt die Autorin in die Gegenwart zurück und versucht, das eigentliche Thema voranzutreiben: die Beziehung zwischen Elizabeth und ihrem neuen Mann, insbesondere ihr Sexualleben. Doch der Schatten des Vergangenen liegt schwer über diesem Buch, wie er auch über Charlotte Roches Leben liegt
http://www.stern.de/kultur/buecher/char ... 14610.html
"Schoßgebete" von Charlotte Roches
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"Schoßgebete" von Charlotte Roches
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Ein Gespräch mit Charlotte Roche
Ich bin keine Frau, die andere Frauen verrät
Wer schon jetzt vom Rummel um Charlotte Roches neuen Roman "Schoßgebete" genug hat, dem entgehen harte Wahrheiten über Paare, Sexualität und Familienleben. Roche steht mit ihrer eigenen Biographie für ihr Buch ein. So radikal wie in ihrer Literatur zeigt sie sich auch im Gespräch.
10. August 2011 2011-08-10 15:10:23
Frau Roche, als "Feuchtgebiete" vor drei Jahren erschien, hat mich das Buch nicht lange beschäftigt. Mit Ihrem neuen Roman ist das ganz anders: Seit ich "Schoßgebete" gelesen habe, denke ich über das Buch nach. Es geht ja um sehr viel, fast um alles: Paare, Familien, Tod, Angst, Sexualität, Umwelt, Heilung. Wovon handelt Ihr Buch für Sie?
Roche: Also, ich würde sagen: In "Schoßgebete" geht es um eine Frau, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hat und das Ziel verfolgt, für immer mit ihrem Mann zusammenzubleiben. Es geht um Therapie und Patchwork.
"Schoßgebete" erzählt die Geschichte einer Frau, die heiraten will. Doch dann verunglückt ihre Familie auf der Fahrt nach England zur Hochzeit, ihre drei Brüder sterben. Die Hochzeit findet nicht mehr statt, doch die Protagonistin bekommt mit ihrem Freund eine Tochter. Das Paar trennt sich, und die Heldin heiratet einen anderen Mann, der ebenfalls ein Kind aus einer früheren Beziehung hat. Die Inhaltsangabe liest sich wie Ihre eigene Lebensgeschichte. Wie autobiographisch ist der Roman?
Ich will mein Buch nicht zu Tode erklären. Das war bei "Feuchtgebiete" schon so, aber aus anderen Gründen. Da habe ich als Witz gesagt, ganz viel wäre überhaupt nicht erfunden. Bei diesem Buch möchte ich solche Witze nicht machen!
Das Buch ist Ihrem Mann gewidmet, und dass nun viele Leute denken werden, dass Sie ein ziemlich unkonventionelles Sexleben führen, liegt auf der Hand. Wie gehen Sie damit um, und vor allem: Wie geht Ihr Mann damit um, wie hat er auf das Buch reagiert?
Erst einmal gibt es das Buch sehr stark nur wegen ihm. Wenn ich zwei Motivationen nennen müsste, dann ist die erste mein Mann: Ich habe das Buch geschrieben, um ihn zu beeindrucken oder zu schocken oder so eine Art Hommage an ihn zu schreiben, eine unkitschige, romantische Geschichte. Der andere Grund war, dass viele in der Buchbranche gesagt haben: Nach dem Erfolg von "Feuchtgebiete" schreibt die nie wieder was. Da dachte ich: Denen will ich es zeigen, ich hau noch ein Ding raus.
Und Ihr Mann?
Das kam durch ein Abendessen mit befreundeten Schriftstellern. Bei einem Paar, das schon lange verheiratet ist, ist der Mann seit kurzem besessen von jüngeren Frauen und der Vorstellung, noch einmal mit einer anderen zu schlafen. Er würde gern darüber schreiben, hat uns aber erzählt, dass er das nicht machen kann, weil er damit Schande über seine Frau bringen würde. An dem Abend hat mein Mann auf dem Nachhauseweg zu mir gesagt: Charlotte, ich möchte nicht, dass du je sagst, dass du ein Buch aus Rücksicht auf mich nicht schreiben konntest. Da habe ich angefangen nachzudenken. Denn ich will natürlich über Dinge schreiben, von denen ich glaube, dass ich dazu etwas zu sagen habe. Und das ist bei mir eben massiv das Thema Beziehungen. Der größte Teil meines Lebens und die ganze Denkaufgabe ist immer: Beziehung, Beziehung, Beziehung. Die Frage: Wie kriegt man das hin, als Frau, Mutter, Tochter, Freundin? Und da dachte ich: Darüber will ich schreiben. Mein Mann hat das Buch dann erst ganz spät, schon in einer lektorierten Fassung, zu lesen bekommen.
Und wie hat er reagiert?
"Der größte Teil meines Lebens und die ganze Denkaufgabe ist immer: Beziehung, Beziehung, Beziehung."
Er war geschockt, zum Glück! (lacht) Er hatte zwar vorher gesagt: Gib Vollgas. Aber dann hat er gemeint, er hätte sich schon alles Mögliche ausgemalt, aber es sei noch viel schlimmer. Dann hat er vier Tage drüber nachgedacht. Er, das Buch und ich sind kein Problem, aber er und seine Familie oder der Metzger im Viertel sind ein Problem. Am Ende hat er aber dann gesagt: Gut, ich will nichts ändern.
Der Einstieg dürfte für viele der größte Aufreger sein: da schildern Sie sehr ausführlich ein Ritual aus dem ehelichen Sexleben Ihrer Heldin. Die Beschreibung selbst aber liest sich weder pornographisch noch erotisch, sondern sie ist von fast klinischer Nüchternheit.
Das gibt es ja an mehreren Stellen im Buch, dass so rangezoomt wird. Ich fühle mich nicht als Schriftstellerin, auch wenn ich jetzt zwei Bücher geschrieben habe. Ich war früher eher eine Frau des Sprechens als des Schreibens. Und jetzt ging es mir auch ein bisschen darum zu zeigen: Was kann ich, was habe ich bisher gelernt? Insofern ist das ein akribisches Abturnen von Sachen. Das soll zwar auch etwas romantisch sein, aber eigentlich nur in der Sorgfalt, wie sie ihn bedient. Dass das erotisch ist, während man es macht, soll im Buch zwar schon auch klarwerden - aber die Schilderung selbst soll es nicht sein.
Ich fand interessant, dass Ihre Protagonistin extrem auf die Wünsche des Mannes eingeht und diese über ihre eigenen Bedürfnisse stellt. Ist das ein Rezept für eine dauerhaft glückliche Partnerschaft?
Der Klassiker, was Paar-Beziehungen angeht, kommt ja lustigerweise auch im Buch vor: dass die Therapeutin die Patientin hart rannimmt, aber dem Mann immer recht gibt in allem. Was so viele Frauen machen: Man verliebt sich in einen Mann, und schon fängt man an, ihn ändern zu wollen, nach dem Motto: wieso ist der nicht so wie ich. Ein Therapeut wird dazu sagen: Sobald Sie den Mann verändert haben, verachten Sie ihn. Und das kann nicht Sinn der Sache sein, jemanden zu sich selber zu machen. Aber Frauen nehmen sich das oft heraus.
Das ist der eine Aspekt: den anderen hinnehmen, wie er ist. Es geht aber auch um die Frage, wie wichtig sexuelle Erfüllung für eine glückliche Beziehung ist. Elizabeth sagt: Sex weg, Liebe weg.
Das ist einfach meine Erfahrung. Nichts bindet uns doch heutzutage so sehr wie Sex. Ohne Sexualität wäre die Beziehung mit dem Partner nur eine Freundschaft. Man kann einen Menschen nicht an sich binden, indem man heiratet, mit ihm ein Haus baut oder sogar ein Kind kriegt. Das Einzige, was einen zusammenhält, ist die sexuelle Paarbeziehung, finde ich. Insofern ist das ein Tabu: Paare, die zusammen sind, sprechen wenig offen. Über eine bestehende Beziehung ist man nicht gnadenlos ehrlich.
Inwiefern?
Es gibt viele Beziehungen, die ich habe zu Bruch gehen sehen, wo man als Außenstehender dachte: Bei denen ist doch alles wunderbar. Und dann kommt raus: Die hatten jahrelang keinen Sex mehr, er hat sie betrogen und so weiter. Und sie hatten komplett, wie in den fünfziger Jahren, den Deckel draufgehalten. Und man denkt: was, heutzutage? Kann eine Freundin immer noch nicht zur anderen sagen: Bei uns läuft es gerade katastrophal schlecht? Sondern alle tun wunderbar und laden ein zum Kochen und so. In meinen langen Beziehungen kam am Ende immer der Punkt, wo man zumacht. Da will man dann keinen Sex mehr haben. Das war immer klar der Punkt, wo man weiß, jetzt sind wir angezählt. Das Ende ist da nur noch eine Frage der Zeit.
Ist es aber nicht eher so, dass uns von außen nur ständig suggeriert wird, dass Sexualität so entscheidend ist? Der Sex anderer Leute muss einen doch überhaupt nicht interessieren.
Ich finde, es ist so, wie ich es auch schreibe: Man will wissen, wie machen die anderen das, will nichts falsch machen, nicht peinlich sein. Das ist doch total interessant! Allein das Thema Schambehaarung: Ich glaube, jüngere Leute ekeln sich heutzutage regelrecht vor Schambehaarung, während ältere wahrscheinlich komplett enthaarte Frauen abstoßend finden. Das ist wie schon in der Grundschule: Man möchte nicht so was richtig peinlich Schlimmes machen, und wenn, dann möchte man wenigstens bewusst etwas anders machen und nicht aus Versehen. Daher das Gucken und das Sich-Austauschen. Das ist befreiend.
Haben Sie das bei "Feuchtgebiete" auch schon so empfunden?
Absolut. Völlig egal, wie hysterisch das Buch medial wahrgenommen wurde - wenn man dann eine Lesung macht, und der Saal ist voll mit jungen Frauen, die überhaupt nicht hysterisch sind, sondern alles genau verstehen, die hinterher ankommen und erzählen, dass sie zum ersten Mal mit ihrer Mutter darüber gesprochen haben, wie blöd die sie zur Intimhygiene erzogen hat ... Das war das Allergrößte: dieses ruhige, entspannte Frauen-picken-sich-Themen-raus, die ihr Leben angehen. Diese Erfahrung ist für mich das Allerbeste am Schreiben.
Haben Sie an diese Leserinnen jetzt auch bei "Schoßgebete" gedacht? Empfinden Sie eine Verantwortung Ihrem Publikum gegenüber?
Ich habe schon als ganz junge Frau gesagt, dass ich Feministin bin. Das war damals wie heute etwas Besonderes, eine Aussage, auf die sich alle stürzen. Es gibt immer noch junge Frauen, die denken, das darf man nicht sagen, Schauspielerinnen, die das weit von sich weisen, weil sie denken, das ist karriereschädigend, immer noch. Deswegen glaube ich, man muss es immer besonders laut und selbstbewusst sagen: Ich bin Feministin! Damit möglichst viele nachziehen und mitdenken. Ich hab immer schon, auch bei Viva, als ich zwanzig, fünfundzwanzig war, gedacht, ich habe Verantwortung, ich möchte kein Bimbo sein, keine Frau, die andere Frauen verrät. Kann ja sein, dass man Fehler macht, und kann auch sein, dass man feministisch falsch verstanden wird - Alice Schwarzer sagt vielleicht, was hat das mit Feminismus zu tun ...
Die Schilderung einer Frau, die mit ihrem Mann ins Bordell geht, weil dieser sich das wünscht, ist jedenfalls sicher keine, die als besonders feministisch angesehen werden dürfte.
Das verstehe ich, teilweise ist das Buch sehr unfeministisch. Aber ich finde es dann wieder doch feministisch, den Ist-Zustand zu beschreiben. Ich selbst bin ja komplett gehirngewaschen von der Erziehung meiner Mutter, was Siebziger-Jahre-Feminismus angeht, und für mich ist das eine Befreiung zu sagen: Ich interessiere mich für die Wünsche meines Mannes, ich will ihn glücklich machen. Oder auch, dass eine Frau sagt: Nein, egal, wie viel Geld ich habe, mein Mann soll bitte schön mehr haben. Das klingt jetzt vielleicht Fünfziger-Jahre-peinlich, aber dass man einfach sagt: Entschuldigung, das ist aber so, ist vielleicht auch feministisch befreiend. Dass man einfach erst mal den Ist-Zustand ganz ehrlich auf den Tisch packt. Und sagt: So ist das, so bin ich heute.
Ich habe den Eindruck, Sie verfolgen eine Mission - oder sogar mehrere. Aber man soll "Schoßgebete" doch nicht als Aufruf zur Libertinage lesen, oder?
Natürlich sollen Frauen das jetzt nicht alles nachmachen. Das war ja auch schon bei "Feuchtgebiete" so: Wenn man das nachgemacht hätte, wäre man wahrscheinlich an einer bakteriellen Infektion gestorben. Meine Heldinnen sind keine Vorbilder. In "Schoßgebete" soll man teilweise Mitleid haben mit der Frau, man soll teilweise aber auch denken: cool, wie die an sich arbeitet, guck mal, wie gnadenlos die mit sich ins Gericht geht.
Patchwork spielt eine große Rolle. Elizabeth hadert mit der frühen Trennung ihrer eigenen Eltern und ist zugleich eifersüchtig auf den Sohn ihres Mannes. Haben Sie beim Schreiben an Ihre Tochter und Ihren Stiefsohn gedacht?
Klar, wenn mein Mann sagt, schreib ohne Rücksicht auf Verluste, dann ist das die eine Sache. Aber die Kinder können das nicht sagen, die wissen nur: Die Mama schreibt ein Buch, und das dürfen wir nicht lesen. Sie wissen, dass meine Bücher extrem nur für Erwachsene sind. Die Kinder sind jetzt acht, und das haben wir ihnen superernst, klipp und klar gesagt.
Und kriegen die nicht von Schulkameraden etwas gesagt, so nach dem Motto: Meine Mutter sagt über deine Mutter, die ist nicht anständig?
Das kann sein, aber das kriege ich nicht so mit - und wenn ich es mitbekommen würde, würde ich Amok laufen (lacht). Aber das wäre natürlich der schlimmste Treppenwitz des ganzen Buches, wenn meine Tochter oder mein Stiefsohn irgendwann so sauer auf mich wären, dass es die Familie kaputtmachen würde. Das ist immer mit dabei: dass man schreibt und denkt, ich muss das jetzt schreiben, auch wenn die mir später Vorwürfe machen. Ich kann das weder alles vorwegdenken noch es deswegen sein lassen. Also: Mir ist der aggressive Akt total klar. Einfach zu sagen: Bumm, das ist meine Wahrheit, so empfinde ich Patchwork, mit dieser gnadenlosen Brutalität. Aber es hat eben etwas unglaublich Befreiendes, einfach die Wahrheit zu sagen darüber, wie schwierig es ist, mit dem Ex-Partner klarzukommen, mit der früheren Frau des Mannes und so.
Das Buch ist aber keine Abrechnung, sondern eine Auseinandersetzung mit Trauer und Schuldgefühlen. Da gibt es etwa, was Elizabeth und ihren früheren Freund angeht, viel Wehmut darüber, dass man die Nähe nicht zurückholen kann, weil sich das, was passiert ist, eben nicht ungeschehen machen lässt. Bei aller Wut, die Ihre Heldin hat, empfinde ich "Schoßgebete" auch als zärtliches Buch.
Für mich ist eine der intimsten Stellen die, wo gesagt wird, dass vielleicht keine Beziehung das alles aushalten würde. Das soll ja das ganze Buch sagen: Das Leben ist nicht wie im Film. Ich weiß das ganz genau. Schlimme Dinge passieren. Und die Leute reagieren nicht wie im Film. Die helfen einander nicht, man wird auch nicht stark und wächst über sich hinaus, sondern man kracht vollkommen zusammen. Jede Beziehung geht kaputt, niemand kann dem anderen helfen, keiner ist fähig zu trauern. Nichts ist wie im Film. Auch die Stelle, wo Elizabeth versucht, sich klarzumachen, was sie ihrem Freund angetan hat, weil sie ihn verlassen hat, trotz des Kindes, ist mir wichtig. Denn das finde ich ja auch. Ich mache meinen Eltern bis heute einen Vorwurf, weil sie nicht zusammengeblieben sind. Jeder Mensch hat ja dieses Kind in sich, das findet, wenn man schon ein Kind in die Welt setzt, soll man gefälligst auch zusammenbleiben. Deswegen hat man als Patchworker immer ein schlechtes Gewissen. Wenn Elizabeth denkt, sie müsste dem Exfreund Geld geben als Entschädigung dafür, dass sie ihn verlassen hat, ist das nur ein halber Witz.
Ein weiteres Thema ist die Umwelt, Elizabeths "Ersatzreligion". Der neueste Gott Ihrer Heldin ist Jonathan Safran Foer. Das Cover seines Buchs „Tiere essen“ haben Sie selbst sich sogar auf den Arm tätowieren lassen. War das so eine wichtige Lektüre?
Ja! (zeigt ihr Tattoo) Nach der Hälfte des Buchs habe ich mir geschworen, nie mehr Fleisch zu essen. Dass ich aus einer Öko-Familie komme, ist ja bekannt. Schon in der Jugend war ich mal Vegetarier. Das Tattoo soll jetzt dabei helfen, dass ich es auch bleibe. Ich gucke alle böse an, die Fleisch essen. Da bin ich extrem moralisch. Außerdem ist der Umweltfimmel auch für die Geschichte gut, weil er zeigt, wie bescheuert Elizabeth ist, weil sie immerzu denkt, wenn sie nur alles richtig macht, dann passiert ihr nichts.
Elizabeth ist ein Zwangscharakter.
Ja, so wie sie alles immer bis ins letzte Detail denkt, den Unfall ebenso wie den Sex mit ihrem Mann. Genauso ist das auch mit der Umwelt. Elizabeth will nicht zu den Menschen gehören, die sich denken: Das wäre jetzt zwar richtig, mache ich aber lieber erst morgen oder vielleicht eben nie. Teilweise ist das leider sehr nah an mir dran. Wenn ich einmal eine Erkenntnis bekommen habe, wie in "Tiere essen", lege ich eine Art Gelübde ab.
Es ist viel von Glauben die Rede in "Schoßgebete" und von Elizabeths Versuch, eine Kompensation dafür zu finden. Neben der Umwelt ist auch Sex für Ihre Protagonistin eine Ersatzreligion.
Sagen wir so: Es gibt auf jeden Fall genug, womit man sich von der Erkenntnis ablenken kann, dass man so völlig hoffnungslos verloren ist.
Der Roman ist, anders als die eher locker gestrickten „Feuchtgebiete“, sehr dicht und sehr ernst, und er verhandelt viele existentielle Themen. Haben Sie sich fürs Schreiben einen Plan gemacht?
Angefangen habe ich im vergangenen November, und dann habe ich unfassbar schnell geschrieben. Vom Vorgehen her war es ähnlich wie bei „Feuchtgebiete“: Erst kamen die Thesen, die Überlegung, was will ich eigentlich aussagen. Und dann haben die Finger praktisch schneller geschrieben, als ich denken konnte, weil ich das alles schon so lange im Kopf hin und her gewälzt hatte.
Finden Sie eigentlich, Elizabeth ist eine gute Mutter? Sie kennt neben der Liebe auch Hassgefühle für ihr Kind.
In dem Buch stehen einige wenig freundliche Dinge über Mutterschaft und Elternzeit. Aber das Kitschige macht ja jeder schon, also in der Öffentlichkeit sagen: Mein Kind ist das schönste, beste, klügste, ich liebe es über alles. Aber wenn man das nur so sagt, ist das einfach verlogen, finde ich. Klar, von der Evolution her macht es Sinn, dass Kinder nerven, damit man sie nicht vergisst, sich kümmert, sie putzt und wäscht und füttert und erzieht - aber sie machen einen eben auch schier wahnsinnig! Mag sein, dass ich schwächere Nerven habe als andere, aber ich hab eigentlich eher das Gefühl, ich bin nur ehrlicher als andere. Ist ja klar, dass man seine Kinder über alles liebt - und dass man trotzdem manchmal denkt, wann sind achtzehn Jahre endlich vorbei, ich dreh durch. Gerade weil man alles so gut und so richtig machen will. Man hat ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn man seine Kinder mal anschreit, weil man dann nicht perfekt genug ist. Man kriegt Kinder und hat keinen Plan, dass man so hohe Ansprüche hat, eine gute Mutter zu sein, dass man daran fast zerbricht.
Also ist Elizabeth vor allem eine sehr typische Frau unserer Generation?
Alle Frauen, die ich kenne, mich eingeschlossen, haben ein Abgrenzungsproblem. Das kann man am Körper festmachen, aber auch an den Erwartungen, diesem ganzen Druck. Die sagen nicht: Bis hierhin und nicht weiter, jetzt will ich locker sein, jetzt ist es egal, wie ich aussehe. Die wollen immer alles im Griff haben, überlegen immer: Was ist gerade gefragt, in der Erziehung, im Job, in der Beziehung? Frauen finden, alles an ihnen muss ständig optimiert werden, und sehen überall nur Arbeit. Das meine ich mit Abgrenzungsproblem. Aber ich muss jetzt mal mit diesem Therapiedeutsch aufhören!
Der Roman feiert die Therapie als Segen: Elizabeth geht dauernd hin. Ist Therapie denn wirklich eine Lösung?
Auf jeden Fall! Einer meiner Pläne, als ich mit dem Buch anfing, war es, ein Riesen-Werbebuch für Therapie zu schreiben. Das ist mir extrem wichtig. Zum Beispiel die Kinderangst am Anfang. Ganz ehrlich: wenn ich intuitiv erziehen würde - das arme Kind! Wann immer ich denke, dies oder jenes ist eine gute Idee, und das mit meiner Therapeutin bespreche - dann sagt die: Auf keinen Fall machen Sie das, denn wenn Sie das machen, dann führt das dazu. Zum Beispiel: Angst ernst nehmen. Man denkt doch eigentlich, man ist eine gute Mutter, wenn man sagt: Quatsch, es gibt keine Geister, es gibt keine Piraten, du brauchst dich nicht zu fürchten. Aber dem Kind ist viel mehr geholfen, wenn man den Piraten mitsieht. Solche Aha-Erlebnisse habe ich die ganze Zeit in der Therapie.
Ein leidenschaftliches Hass-Objekt Ihrer Heldin ist die „Druck“-Zeitung, ein Blatt, das Elizabeth nach dem Unfall regelrecht verfolgt hat. Was empfinden Sie angesichts der Einstellung der "News of the World" in Ihrer britischen Heimat?
Ich freue mich darüber und frage mich, wieso nicht auch die bösen Zeitungen in Deutschland eingestellt werden, die, wie ich aus Erfahrung weiß, bei ihren Recherchen ebenfalls über Leichen gehen.
Unmittelbar nach dem Unfall ruft die "Druck" Elizabeth an und fragt nach einer Stellungnahme. Und sie erinnert sich: "Der Eingriff in unser Leben, in unsere Trauer, für die Auflage der Zeitung, hatte dort erst begonnen. Ein Feind was born." Ist Ihr Roman auch eine Abrechnung mit der "Bild"?
Wenn man die "Bild"-Zeitung boykottiert, wäre das die beste Wirkung, die mein Buch überhaupt haben kann. Aber ich mache mir da keine großen Hoffnungen. Und: Im Buch sind ja nur Sachen drin, die ich für die Geschichte gut fand. Die Sache mit dem Foto, die am bekanntesten ist, habe ich außen vor gelassen.
Welche Sache meinen Sie?
Drei Monate nach dem Unfall gab es ein Foto von mir, lachend, an meinem ersten Arbeitstag bei Viva. Mein damaliger Freund hatte auf der Straße etwas Lustiges zu mir gesagt, und genau in dem Moment bin ich von einem Paparazzo abgeschossen worden. Mit dem lachenden Bild hat man Druck ausgeübt, weil die immer noch kein Interview bekommen hatten zum Unfall und zum Tod meiner Geschwister. Die haben angerufen und gesagt, wir machen die platt, wir haben das lachende Bild und wir werden in der Zeitung schreiben: So egal ist der Roche der Tod ihrer Brüder. Die Geschichte habe ich oft erzählt. Darüber hat es dann auch eine Gerichtsverhandlung gegeben. Ich darf seither nicht sagen, dass das ein Mensch war, der sich als „Bild“-Reporter ausgegeben hat. Das alles habe ich im Buch weggelassen, weil das schon so durchgenudelt ist.
Das Gespräch führte Felicitas von Lovenberg.
F.A.Z. 10.08.2011
Ich bin keine Frau, die andere Frauen verrät
Wer schon jetzt vom Rummel um Charlotte Roches neuen Roman "Schoßgebete" genug hat, dem entgehen harte Wahrheiten über Paare, Sexualität und Familienleben. Roche steht mit ihrer eigenen Biographie für ihr Buch ein. So radikal wie in ihrer Literatur zeigt sie sich auch im Gespräch.
10. August 2011 2011-08-10 15:10:23
Frau Roche, als "Feuchtgebiete" vor drei Jahren erschien, hat mich das Buch nicht lange beschäftigt. Mit Ihrem neuen Roman ist das ganz anders: Seit ich "Schoßgebete" gelesen habe, denke ich über das Buch nach. Es geht ja um sehr viel, fast um alles: Paare, Familien, Tod, Angst, Sexualität, Umwelt, Heilung. Wovon handelt Ihr Buch für Sie?
Roche: Also, ich würde sagen: In "Schoßgebete" geht es um eine Frau, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hat und das Ziel verfolgt, für immer mit ihrem Mann zusammenzubleiben. Es geht um Therapie und Patchwork.
"Schoßgebete" erzählt die Geschichte einer Frau, die heiraten will. Doch dann verunglückt ihre Familie auf der Fahrt nach England zur Hochzeit, ihre drei Brüder sterben. Die Hochzeit findet nicht mehr statt, doch die Protagonistin bekommt mit ihrem Freund eine Tochter. Das Paar trennt sich, und die Heldin heiratet einen anderen Mann, der ebenfalls ein Kind aus einer früheren Beziehung hat. Die Inhaltsangabe liest sich wie Ihre eigene Lebensgeschichte. Wie autobiographisch ist der Roman?
Ich will mein Buch nicht zu Tode erklären. Das war bei "Feuchtgebiete" schon so, aber aus anderen Gründen. Da habe ich als Witz gesagt, ganz viel wäre überhaupt nicht erfunden. Bei diesem Buch möchte ich solche Witze nicht machen!
Das Buch ist Ihrem Mann gewidmet, und dass nun viele Leute denken werden, dass Sie ein ziemlich unkonventionelles Sexleben führen, liegt auf der Hand. Wie gehen Sie damit um, und vor allem: Wie geht Ihr Mann damit um, wie hat er auf das Buch reagiert?
Erst einmal gibt es das Buch sehr stark nur wegen ihm. Wenn ich zwei Motivationen nennen müsste, dann ist die erste mein Mann: Ich habe das Buch geschrieben, um ihn zu beeindrucken oder zu schocken oder so eine Art Hommage an ihn zu schreiben, eine unkitschige, romantische Geschichte. Der andere Grund war, dass viele in der Buchbranche gesagt haben: Nach dem Erfolg von "Feuchtgebiete" schreibt die nie wieder was. Da dachte ich: Denen will ich es zeigen, ich hau noch ein Ding raus.
Und Ihr Mann?
Das kam durch ein Abendessen mit befreundeten Schriftstellern. Bei einem Paar, das schon lange verheiratet ist, ist der Mann seit kurzem besessen von jüngeren Frauen und der Vorstellung, noch einmal mit einer anderen zu schlafen. Er würde gern darüber schreiben, hat uns aber erzählt, dass er das nicht machen kann, weil er damit Schande über seine Frau bringen würde. An dem Abend hat mein Mann auf dem Nachhauseweg zu mir gesagt: Charlotte, ich möchte nicht, dass du je sagst, dass du ein Buch aus Rücksicht auf mich nicht schreiben konntest. Da habe ich angefangen nachzudenken. Denn ich will natürlich über Dinge schreiben, von denen ich glaube, dass ich dazu etwas zu sagen habe. Und das ist bei mir eben massiv das Thema Beziehungen. Der größte Teil meines Lebens und die ganze Denkaufgabe ist immer: Beziehung, Beziehung, Beziehung. Die Frage: Wie kriegt man das hin, als Frau, Mutter, Tochter, Freundin? Und da dachte ich: Darüber will ich schreiben. Mein Mann hat das Buch dann erst ganz spät, schon in einer lektorierten Fassung, zu lesen bekommen.
Und wie hat er reagiert?
"Der größte Teil meines Lebens und die ganze Denkaufgabe ist immer: Beziehung, Beziehung, Beziehung."
Er war geschockt, zum Glück! (lacht) Er hatte zwar vorher gesagt: Gib Vollgas. Aber dann hat er gemeint, er hätte sich schon alles Mögliche ausgemalt, aber es sei noch viel schlimmer. Dann hat er vier Tage drüber nachgedacht. Er, das Buch und ich sind kein Problem, aber er und seine Familie oder der Metzger im Viertel sind ein Problem. Am Ende hat er aber dann gesagt: Gut, ich will nichts ändern.
Der Einstieg dürfte für viele der größte Aufreger sein: da schildern Sie sehr ausführlich ein Ritual aus dem ehelichen Sexleben Ihrer Heldin. Die Beschreibung selbst aber liest sich weder pornographisch noch erotisch, sondern sie ist von fast klinischer Nüchternheit.
Das gibt es ja an mehreren Stellen im Buch, dass so rangezoomt wird. Ich fühle mich nicht als Schriftstellerin, auch wenn ich jetzt zwei Bücher geschrieben habe. Ich war früher eher eine Frau des Sprechens als des Schreibens. Und jetzt ging es mir auch ein bisschen darum zu zeigen: Was kann ich, was habe ich bisher gelernt? Insofern ist das ein akribisches Abturnen von Sachen. Das soll zwar auch etwas romantisch sein, aber eigentlich nur in der Sorgfalt, wie sie ihn bedient. Dass das erotisch ist, während man es macht, soll im Buch zwar schon auch klarwerden - aber die Schilderung selbst soll es nicht sein.
Ich fand interessant, dass Ihre Protagonistin extrem auf die Wünsche des Mannes eingeht und diese über ihre eigenen Bedürfnisse stellt. Ist das ein Rezept für eine dauerhaft glückliche Partnerschaft?
Der Klassiker, was Paar-Beziehungen angeht, kommt ja lustigerweise auch im Buch vor: dass die Therapeutin die Patientin hart rannimmt, aber dem Mann immer recht gibt in allem. Was so viele Frauen machen: Man verliebt sich in einen Mann, und schon fängt man an, ihn ändern zu wollen, nach dem Motto: wieso ist der nicht so wie ich. Ein Therapeut wird dazu sagen: Sobald Sie den Mann verändert haben, verachten Sie ihn. Und das kann nicht Sinn der Sache sein, jemanden zu sich selber zu machen. Aber Frauen nehmen sich das oft heraus.
Das ist der eine Aspekt: den anderen hinnehmen, wie er ist. Es geht aber auch um die Frage, wie wichtig sexuelle Erfüllung für eine glückliche Beziehung ist. Elizabeth sagt: Sex weg, Liebe weg.
Das ist einfach meine Erfahrung. Nichts bindet uns doch heutzutage so sehr wie Sex. Ohne Sexualität wäre die Beziehung mit dem Partner nur eine Freundschaft. Man kann einen Menschen nicht an sich binden, indem man heiratet, mit ihm ein Haus baut oder sogar ein Kind kriegt. Das Einzige, was einen zusammenhält, ist die sexuelle Paarbeziehung, finde ich. Insofern ist das ein Tabu: Paare, die zusammen sind, sprechen wenig offen. Über eine bestehende Beziehung ist man nicht gnadenlos ehrlich.
Inwiefern?
Es gibt viele Beziehungen, die ich habe zu Bruch gehen sehen, wo man als Außenstehender dachte: Bei denen ist doch alles wunderbar. Und dann kommt raus: Die hatten jahrelang keinen Sex mehr, er hat sie betrogen und so weiter. Und sie hatten komplett, wie in den fünfziger Jahren, den Deckel draufgehalten. Und man denkt: was, heutzutage? Kann eine Freundin immer noch nicht zur anderen sagen: Bei uns läuft es gerade katastrophal schlecht? Sondern alle tun wunderbar und laden ein zum Kochen und so. In meinen langen Beziehungen kam am Ende immer der Punkt, wo man zumacht. Da will man dann keinen Sex mehr haben. Das war immer klar der Punkt, wo man weiß, jetzt sind wir angezählt. Das Ende ist da nur noch eine Frage der Zeit.
Ist es aber nicht eher so, dass uns von außen nur ständig suggeriert wird, dass Sexualität so entscheidend ist? Der Sex anderer Leute muss einen doch überhaupt nicht interessieren.
Ich finde, es ist so, wie ich es auch schreibe: Man will wissen, wie machen die anderen das, will nichts falsch machen, nicht peinlich sein. Das ist doch total interessant! Allein das Thema Schambehaarung: Ich glaube, jüngere Leute ekeln sich heutzutage regelrecht vor Schambehaarung, während ältere wahrscheinlich komplett enthaarte Frauen abstoßend finden. Das ist wie schon in der Grundschule: Man möchte nicht so was richtig peinlich Schlimmes machen, und wenn, dann möchte man wenigstens bewusst etwas anders machen und nicht aus Versehen. Daher das Gucken und das Sich-Austauschen. Das ist befreiend.
Haben Sie das bei "Feuchtgebiete" auch schon so empfunden?
Absolut. Völlig egal, wie hysterisch das Buch medial wahrgenommen wurde - wenn man dann eine Lesung macht, und der Saal ist voll mit jungen Frauen, die überhaupt nicht hysterisch sind, sondern alles genau verstehen, die hinterher ankommen und erzählen, dass sie zum ersten Mal mit ihrer Mutter darüber gesprochen haben, wie blöd die sie zur Intimhygiene erzogen hat ... Das war das Allergrößte: dieses ruhige, entspannte Frauen-picken-sich-Themen-raus, die ihr Leben angehen. Diese Erfahrung ist für mich das Allerbeste am Schreiben.
Haben Sie an diese Leserinnen jetzt auch bei "Schoßgebete" gedacht? Empfinden Sie eine Verantwortung Ihrem Publikum gegenüber?
Ich habe schon als ganz junge Frau gesagt, dass ich Feministin bin. Das war damals wie heute etwas Besonderes, eine Aussage, auf die sich alle stürzen. Es gibt immer noch junge Frauen, die denken, das darf man nicht sagen, Schauspielerinnen, die das weit von sich weisen, weil sie denken, das ist karriereschädigend, immer noch. Deswegen glaube ich, man muss es immer besonders laut und selbstbewusst sagen: Ich bin Feministin! Damit möglichst viele nachziehen und mitdenken. Ich hab immer schon, auch bei Viva, als ich zwanzig, fünfundzwanzig war, gedacht, ich habe Verantwortung, ich möchte kein Bimbo sein, keine Frau, die andere Frauen verrät. Kann ja sein, dass man Fehler macht, und kann auch sein, dass man feministisch falsch verstanden wird - Alice Schwarzer sagt vielleicht, was hat das mit Feminismus zu tun ...
Die Schilderung einer Frau, die mit ihrem Mann ins Bordell geht, weil dieser sich das wünscht, ist jedenfalls sicher keine, die als besonders feministisch angesehen werden dürfte.
Das verstehe ich, teilweise ist das Buch sehr unfeministisch. Aber ich finde es dann wieder doch feministisch, den Ist-Zustand zu beschreiben. Ich selbst bin ja komplett gehirngewaschen von der Erziehung meiner Mutter, was Siebziger-Jahre-Feminismus angeht, und für mich ist das eine Befreiung zu sagen: Ich interessiere mich für die Wünsche meines Mannes, ich will ihn glücklich machen. Oder auch, dass eine Frau sagt: Nein, egal, wie viel Geld ich habe, mein Mann soll bitte schön mehr haben. Das klingt jetzt vielleicht Fünfziger-Jahre-peinlich, aber dass man einfach sagt: Entschuldigung, das ist aber so, ist vielleicht auch feministisch befreiend. Dass man einfach erst mal den Ist-Zustand ganz ehrlich auf den Tisch packt. Und sagt: So ist das, so bin ich heute.
Ich habe den Eindruck, Sie verfolgen eine Mission - oder sogar mehrere. Aber man soll "Schoßgebete" doch nicht als Aufruf zur Libertinage lesen, oder?
Natürlich sollen Frauen das jetzt nicht alles nachmachen. Das war ja auch schon bei "Feuchtgebiete" so: Wenn man das nachgemacht hätte, wäre man wahrscheinlich an einer bakteriellen Infektion gestorben. Meine Heldinnen sind keine Vorbilder. In "Schoßgebete" soll man teilweise Mitleid haben mit der Frau, man soll teilweise aber auch denken: cool, wie die an sich arbeitet, guck mal, wie gnadenlos die mit sich ins Gericht geht.
Patchwork spielt eine große Rolle. Elizabeth hadert mit der frühen Trennung ihrer eigenen Eltern und ist zugleich eifersüchtig auf den Sohn ihres Mannes. Haben Sie beim Schreiben an Ihre Tochter und Ihren Stiefsohn gedacht?
Klar, wenn mein Mann sagt, schreib ohne Rücksicht auf Verluste, dann ist das die eine Sache. Aber die Kinder können das nicht sagen, die wissen nur: Die Mama schreibt ein Buch, und das dürfen wir nicht lesen. Sie wissen, dass meine Bücher extrem nur für Erwachsene sind. Die Kinder sind jetzt acht, und das haben wir ihnen superernst, klipp und klar gesagt.
Und kriegen die nicht von Schulkameraden etwas gesagt, so nach dem Motto: Meine Mutter sagt über deine Mutter, die ist nicht anständig?
Das kann sein, aber das kriege ich nicht so mit - und wenn ich es mitbekommen würde, würde ich Amok laufen (lacht). Aber das wäre natürlich der schlimmste Treppenwitz des ganzen Buches, wenn meine Tochter oder mein Stiefsohn irgendwann so sauer auf mich wären, dass es die Familie kaputtmachen würde. Das ist immer mit dabei: dass man schreibt und denkt, ich muss das jetzt schreiben, auch wenn die mir später Vorwürfe machen. Ich kann das weder alles vorwegdenken noch es deswegen sein lassen. Also: Mir ist der aggressive Akt total klar. Einfach zu sagen: Bumm, das ist meine Wahrheit, so empfinde ich Patchwork, mit dieser gnadenlosen Brutalität. Aber es hat eben etwas unglaublich Befreiendes, einfach die Wahrheit zu sagen darüber, wie schwierig es ist, mit dem Ex-Partner klarzukommen, mit der früheren Frau des Mannes und so.
Das Buch ist aber keine Abrechnung, sondern eine Auseinandersetzung mit Trauer und Schuldgefühlen. Da gibt es etwa, was Elizabeth und ihren früheren Freund angeht, viel Wehmut darüber, dass man die Nähe nicht zurückholen kann, weil sich das, was passiert ist, eben nicht ungeschehen machen lässt. Bei aller Wut, die Ihre Heldin hat, empfinde ich "Schoßgebete" auch als zärtliches Buch.
Für mich ist eine der intimsten Stellen die, wo gesagt wird, dass vielleicht keine Beziehung das alles aushalten würde. Das soll ja das ganze Buch sagen: Das Leben ist nicht wie im Film. Ich weiß das ganz genau. Schlimme Dinge passieren. Und die Leute reagieren nicht wie im Film. Die helfen einander nicht, man wird auch nicht stark und wächst über sich hinaus, sondern man kracht vollkommen zusammen. Jede Beziehung geht kaputt, niemand kann dem anderen helfen, keiner ist fähig zu trauern. Nichts ist wie im Film. Auch die Stelle, wo Elizabeth versucht, sich klarzumachen, was sie ihrem Freund angetan hat, weil sie ihn verlassen hat, trotz des Kindes, ist mir wichtig. Denn das finde ich ja auch. Ich mache meinen Eltern bis heute einen Vorwurf, weil sie nicht zusammengeblieben sind. Jeder Mensch hat ja dieses Kind in sich, das findet, wenn man schon ein Kind in die Welt setzt, soll man gefälligst auch zusammenbleiben. Deswegen hat man als Patchworker immer ein schlechtes Gewissen. Wenn Elizabeth denkt, sie müsste dem Exfreund Geld geben als Entschädigung dafür, dass sie ihn verlassen hat, ist das nur ein halber Witz.
Ein weiteres Thema ist die Umwelt, Elizabeths "Ersatzreligion". Der neueste Gott Ihrer Heldin ist Jonathan Safran Foer. Das Cover seines Buchs „Tiere essen“ haben Sie selbst sich sogar auf den Arm tätowieren lassen. War das so eine wichtige Lektüre?
Ja! (zeigt ihr Tattoo) Nach der Hälfte des Buchs habe ich mir geschworen, nie mehr Fleisch zu essen. Dass ich aus einer Öko-Familie komme, ist ja bekannt. Schon in der Jugend war ich mal Vegetarier. Das Tattoo soll jetzt dabei helfen, dass ich es auch bleibe. Ich gucke alle böse an, die Fleisch essen. Da bin ich extrem moralisch. Außerdem ist der Umweltfimmel auch für die Geschichte gut, weil er zeigt, wie bescheuert Elizabeth ist, weil sie immerzu denkt, wenn sie nur alles richtig macht, dann passiert ihr nichts.
Elizabeth ist ein Zwangscharakter.
Ja, so wie sie alles immer bis ins letzte Detail denkt, den Unfall ebenso wie den Sex mit ihrem Mann. Genauso ist das auch mit der Umwelt. Elizabeth will nicht zu den Menschen gehören, die sich denken: Das wäre jetzt zwar richtig, mache ich aber lieber erst morgen oder vielleicht eben nie. Teilweise ist das leider sehr nah an mir dran. Wenn ich einmal eine Erkenntnis bekommen habe, wie in "Tiere essen", lege ich eine Art Gelübde ab.
Es ist viel von Glauben die Rede in "Schoßgebete" und von Elizabeths Versuch, eine Kompensation dafür zu finden. Neben der Umwelt ist auch Sex für Ihre Protagonistin eine Ersatzreligion.
Sagen wir so: Es gibt auf jeden Fall genug, womit man sich von der Erkenntnis ablenken kann, dass man so völlig hoffnungslos verloren ist.
Der Roman ist, anders als die eher locker gestrickten „Feuchtgebiete“, sehr dicht und sehr ernst, und er verhandelt viele existentielle Themen. Haben Sie sich fürs Schreiben einen Plan gemacht?
Angefangen habe ich im vergangenen November, und dann habe ich unfassbar schnell geschrieben. Vom Vorgehen her war es ähnlich wie bei „Feuchtgebiete“: Erst kamen die Thesen, die Überlegung, was will ich eigentlich aussagen. Und dann haben die Finger praktisch schneller geschrieben, als ich denken konnte, weil ich das alles schon so lange im Kopf hin und her gewälzt hatte.
Finden Sie eigentlich, Elizabeth ist eine gute Mutter? Sie kennt neben der Liebe auch Hassgefühle für ihr Kind.
In dem Buch stehen einige wenig freundliche Dinge über Mutterschaft und Elternzeit. Aber das Kitschige macht ja jeder schon, also in der Öffentlichkeit sagen: Mein Kind ist das schönste, beste, klügste, ich liebe es über alles. Aber wenn man das nur so sagt, ist das einfach verlogen, finde ich. Klar, von der Evolution her macht es Sinn, dass Kinder nerven, damit man sie nicht vergisst, sich kümmert, sie putzt und wäscht und füttert und erzieht - aber sie machen einen eben auch schier wahnsinnig! Mag sein, dass ich schwächere Nerven habe als andere, aber ich hab eigentlich eher das Gefühl, ich bin nur ehrlicher als andere. Ist ja klar, dass man seine Kinder über alles liebt - und dass man trotzdem manchmal denkt, wann sind achtzehn Jahre endlich vorbei, ich dreh durch. Gerade weil man alles so gut und so richtig machen will. Man hat ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn man seine Kinder mal anschreit, weil man dann nicht perfekt genug ist. Man kriegt Kinder und hat keinen Plan, dass man so hohe Ansprüche hat, eine gute Mutter zu sein, dass man daran fast zerbricht.
Also ist Elizabeth vor allem eine sehr typische Frau unserer Generation?
Alle Frauen, die ich kenne, mich eingeschlossen, haben ein Abgrenzungsproblem. Das kann man am Körper festmachen, aber auch an den Erwartungen, diesem ganzen Druck. Die sagen nicht: Bis hierhin und nicht weiter, jetzt will ich locker sein, jetzt ist es egal, wie ich aussehe. Die wollen immer alles im Griff haben, überlegen immer: Was ist gerade gefragt, in der Erziehung, im Job, in der Beziehung? Frauen finden, alles an ihnen muss ständig optimiert werden, und sehen überall nur Arbeit. Das meine ich mit Abgrenzungsproblem. Aber ich muss jetzt mal mit diesem Therapiedeutsch aufhören!
Der Roman feiert die Therapie als Segen: Elizabeth geht dauernd hin. Ist Therapie denn wirklich eine Lösung?
Auf jeden Fall! Einer meiner Pläne, als ich mit dem Buch anfing, war es, ein Riesen-Werbebuch für Therapie zu schreiben. Das ist mir extrem wichtig. Zum Beispiel die Kinderangst am Anfang. Ganz ehrlich: wenn ich intuitiv erziehen würde - das arme Kind! Wann immer ich denke, dies oder jenes ist eine gute Idee, und das mit meiner Therapeutin bespreche - dann sagt die: Auf keinen Fall machen Sie das, denn wenn Sie das machen, dann führt das dazu. Zum Beispiel: Angst ernst nehmen. Man denkt doch eigentlich, man ist eine gute Mutter, wenn man sagt: Quatsch, es gibt keine Geister, es gibt keine Piraten, du brauchst dich nicht zu fürchten. Aber dem Kind ist viel mehr geholfen, wenn man den Piraten mitsieht. Solche Aha-Erlebnisse habe ich die ganze Zeit in der Therapie.
Ein leidenschaftliches Hass-Objekt Ihrer Heldin ist die „Druck“-Zeitung, ein Blatt, das Elizabeth nach dem Unfall regelrecht verfolgt hat. Was empfinden Sie angesichts der Einstellung der "News of the World" in Ihrer britischen Heimat?
Ich freue mich darüber und frage mich, wieso nicht auch die bösen Zeitungen in Deutschland eingestellt werden, die, wie ich aus Erfahrung weiß, bei ihren Recherchen ebenfalls über Leichen gehen.
Unmittelbar nach dem Unfall ruft die "Druck" Elizabeth an und fragt nach einer Stellungnahme. Und sie erinnert sich: "Der Eingriff in unser Leben, in unsere Trauer, für die Auflage der Zeitung, hatte dort erst begonnen. Ein Feind was born." Ist Ihr Roman auch eine Abrechnung mit der "Bild"?
Wenn man die "Bild"-Zeitung boykottiert, wäre das die beste Wirkung, die mein Buch überhaupt haben kann. Aber ich mache mir da keine großen Hoffnungen. Und: Im Buch sind ja nur Sachen drin, die ich für die Geschichte gut fand. Die Sache mit dem Foto, die am bekanntesten ist, habe ich außen vor gelassen.
Welche Sache meinen Sie?
Drei Monate nach dem Unfall gab es ein Foto von mir, lachend, an meinem ersten Arbeitstag bei Viva. Mein damaliger Freund hatte auf der Straße etwas Lustiges zu mir gesagt, und genau in dem Moment bin ich von einem Paparazzo abgeschossen worden. Mit dem lachenden Bild hat man Druck ausgeübt, weil die immer noch kein Interview bekommen hatten zum Unfall und zum Tod meiner Geschwister. Die haben angerufen und gesagt, wir machen die platt, wir haben das lachende Bild und wir werden in der Zeitung schreiben: So egal ist der Roche der Tod ihrer Brüder. Die Geschichte habe ich oft erzählt. Darüber hat es dann auch eine Gerichtsverhandlung gegeben. Ich darf seither nicht sagen, dass das ein Mensch war, der sich als „Bild“-Reporter ausgegeben hat. Das alles habe ich im Buch weggelassen, weil das schon so durchgenudelt ist.
Das Gespräch führte Felicitas von Lovenberg.
F.A.Z. 10.08.2011
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Rainer Moritz schreibt in der "Stuttgarter Zeitung" vom 10.08.2011:
"Man wird den Verdacht nicht los, das Ergebnis therapeutischen Scheiterns zu lesen. ...
Wie wäre dieser Roman wohl aufgenommen worden, wenn seine Verfasserin Yvonne Pfleiderer hieße und man über deren Leben nichts wüßte?"
"Man wird den Verdacht nicht los, das Ergebnis therapeutischen Scheiterns zu lesen. ...
Wie wäre dieser Roman wohl aufgenommen worden, wenn seine Verfasserin Yvonne Pfleiderer hieße und man über deren Leben nichts wüßte?"
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Die Welt schreibt am 11.08.2011:
http://www.welt.de/kultur/literarischew ... alsex.html
Und die Süddeutsche:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/charl ... -1.1129744
http://www.welt.de/kultur/literarischew ... alsex.html
Und die Süddeutsche:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/charl ... -1.1129744
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RE: "Schoßgebete" von Charlotte Roches
Über Geist und Genitalien
Frank A. Meyer und Marc Walder - Fragen und Meinungen zu den Themen der Woche.
Frank A. Meyer, 67, (l.) arbeitet als Journalist im Hause Ringier. Marc Walder, 45, ist CEO Ringier Schweiz und Deutschland.
Sagen Sie mal, Frank A. Meyer, wir reden ja ab und zu ganz gern über Bücher. Sie lesen also nicht immer nur Zeitungen. Sagt Ihnen der Name Charlotte Roche etwas?
Selbstverständlich.
Von ihrem ersten Buch «Feuchtgebiete» verkaufte sie rund 2 Millionen – monatelang stand sie auf Platz 1 der deutschen Bestsellerlisten! Nun liegt ihr zweites vor: «Schossgebete» …
… bisher dachte ich, Charlotte Roche verfasse Porno-Texte. Nun aber musste ich feststellen, dass sich seriöseste Zeitungen und nobelste Feuilletons ganzseitig oder gar mehrseitig mit ihr beschäftigen. Das machte mich neugierig. Ich habe mich daher in den letzten Tagen durch ihr Buch gelesen.
Und?
Ich war gelangweilt. Und ich bin fassungslos.
Ich meine, wie ist denn das neue Buch von Charlotte Roche?
Es handelt sich um 288 schlecht geschriebene Seiten einer komplett verspiesserten Frau. So etwas ist zwar nicht verboten, aber eben der Diskussion nicht wert. Zum Beispiel schildert sie über mehr als dreissig Seiten hinweg mit einer völlig unerotischen Detailversessenheit, wie sie den Geschlechtsverkehr vollzieht. Es ist, als lese man die Anleitung zur Reparatur eines Epson-Druckers. Am Schluss hat man schmutzige Hände. Sonst nichts.
Diese Betriebsanleitung wird aber im Augenblick überall bejubelt, gefeiert, zumindest diskutiert.
Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» widmete Charlotte Roche eine ganze Seite, der neue «Spiegel» und das neue «Zeit-Magazin» feiern sie mit infantilen Interviews. Mit Literaturkritik hat das nichts zu tun. Es kann damit ja auch nichts zu tun haben. Denn es verbietet sich jeder literarische Gedanke.
Womit hat es denn sonst zu tun, Frank A. Meyer?
Wir werden gerade Zeugen davon, wie eine hochtourig laufende Marketing-Maschine wütet. Vergleichbar ist das im Grunde nur mit dem regelmässigen Hochjubeln von Hollywood-Blockbustern. Dabei stellen die Blätter, die sich sonst so sehr über den Boulevard-Journalismus erhaben fühlen, ihre eigene Vulgarität zur Schau.
Vulgär ist das Buch, kein Zweifel. Aber gibt der sensationelle Erfolg Charlotte Roche und dem Piper Verlag nicht recht?
Nach dem Muster der Millionen Fliegen, die sich ja bekanntlich nicht irren können, wenn sie feuchten Kuhmist lieben. Die Verbindung von Vulgarität und Erfolg ist kennzeichnend für unseren Zeitgeist: Vulgär ist die Gier nach Geld, vulgär ist die Sucht nach Selbstdarstellung, vulgär ist der sinnlose Konsum, vulgär ist die Ästhetik dieser Gesellschaft, wenn wir denn von Ästhetik überhaupt noch reden dürfen. Die Vulgarität ist zum Schlüsselbegriff geworden.
Was meinen Sie damit?
Sie brauchen sich nur auf unseren Strassen umzuschauen: Wie sich junge Menschen kleiden, wie sie sich inszenieren, wie sie sich benehmen, wie sie reden: vulgär, wie Roche redet, wie Roche schreibt, wie Roche provoziert. Insofern ist «Schossgebete» ein Schlüsselbuch. Ein Vorbild-Buch. Weitere Vorbilder für die grassierende Vulgarität gibt es in Fülle: in der Modewelt, in der Finanzwelt, in der Film- und Fernsehwelt. In der Politik ist die Vulgarität am Rechtspopulismus abzulesen, am deutlichsten – sogar im internationalen Vergleich – an der vulgären Plakatsprache der SVP. Und soeben ist das Vulgäre mit den Ergüssen von Roche auch in die Feuilletons von Zeitungen und Magazinen übergeschwappt.
Aber warum ist das Vulgäre so erfolgreich?
Weil nur noch gilt, was Geld bringt, was verkäuflich ist, letztlich Prostitution. Wer sich heute nicht verkauft, der ist nicht.
http://www.schweizer-illustrierte.ch/ze ... chtgebiete
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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RE: "Schoßgebete" von Charlotte Roches
Charlotte Roche, Alice Schwarzer und die Sechzehnjährige
Alte Geschlechterrollen und neuer Konservatismus
In Roches neuem Buch "Schoßgebete" hat auch Alice Schwarzer ihren Auftritt. Dieser gefällt Schwarzer offenbar nicht, weshalb sie einen offenen Brief auf ihre Homepage stellt. "Betroffenheitsliteratur, Heimatschnulze, so nennt Schwarzer das Werk, hat aber auch einige grundsätzliche Anmerkungen zu Roches Frauenbild.
Nein, dieser offene Brief von Alice Schwarzer an Charlotte Roche taugt nicht für eine neue Feminismus-Debatte. Sein Schlusssatz "Denn du hast nicht die Lösung, du hast das Problem" rennt angesichts des ja ganz offensichtlich selbst-therapeutischen Buches von Roche weit offene Türen ein, wie übrigens auch die im Grunde richtige psychologische Familienaufstellung, die Schwarzer liefert. Demnach reagiert Roche auf eine forciert emanzipierte Mutter mit dem Gegenmodell, dem Glauben an ewige Liebe in einer Beziehung, die nie auseinander gehen darf. Ob die Feministin Roche (wie sie sich selbst nennt) aber wie ihre Oma alles nur mitmacht, damit der Mann bei ihr bleibt, oder ob sie Analverkehr postfeministisch geil und Bordellbesuche wenn nicht pc dann doch jedenfalls unproblematisch findet, kann nicht Thema der Auseinandersetzung sein. Denn selbst über Prostitution müsste heute, im Zeitalter massenhaft verbreiteter Internet-Pornographie und einer sich libertinär gebenden Ideologie, die doch nur wieder eine des Marktes ist, anders geredet oder geschrieben werden als vor 40 Jahren.
Interessant allerdings wäre, aus übergeordneter Perspektive "das Problem" zu betrachten. Nennen wir es "Taliban"-Problem. Den westlichen weiblichen ideologischen Zwangscharakter, den Roches Alter Ego Elizabeth Kiehl darstellt und der doch ein paar Probleme junger Frauen heute bündelt. Etwa das Problem eines fürchterlichen Anpassungsdrucks, der aus der sexuellen Befreiung ein Modediktat aus Push-Ups, High Heels und String-Tangas gemacht hat. Der aus vierfach belasteten Frauen (Kinder, Küche, Kohle, Sozialleben) fünffach belastete macht, weil sie die Hure zuhause auch noch spielen sollen.
In einem hellsichtigen Artikel hat Iris Radisch im Sommer in der ZEIT über "die nackte Gesellschaft" gesprochen. Darin sagt sie über die Autorin der "Feuchtgebiete", Roche arbeite "mit noch ungewissem Erfolg an der weiblichen Neuerfindung einer Kunst des nackten Frauenkörpers". Jetzt stellt sich heraus, dass es sich in der Tat um unschöne Selbstpornographisierung handelt, um die derzeit aber offenbar einzige Möglichkeit für junge Frauen, vom Objekt zum Subjekt zu werden - und damit doch wieder zum Objekt. Charlotte Roches hochneurotische Protagonistin lebt einen totalitären Anspruch an sich selbst. Ihre selbstverordnete Moral in Sachen Vegetarismus oder Umweltschutz stellt da nur die andere Seite der Selbstüberforderung dar.
Um einen Fall von Selbstüberschätzung handelt es sich bei Christian von Boetticher, der glaubte, eine unkonventionelle Liebesbeziehung mit dem Amt eines Spitzenpolitikers vereinbaren zu können, und der am Wochenende prompt über die Liaison mit einer Sechzehnjährigen stolperte. Ein unbedingt kulturell zu nennender Plot, denn von "Effi Briest" und Nabokovs "Lolita" über den Tatort "Reifezeugnis" mit Nastassja Kinski als 16-jähriger Schülerin, die ihren Lehrer liebt bis hin zu "American Beauty" ist die Liebe älterer Männer zu jungen Mädchen literarisch und skandalträchtig dokumentiert. Dass an so etwas heute noch Politkarrieren scheitern, hat viel weniger mit Moral zu tun als behauptet und ist einfach alter Konservatismus: der männliche Protagonist lässt seine Freundin ("Es war Liebe!") für seine Karriere fallen und fällt dann selbst über die vorweggenommene öffentliche Meinung.
Was Charlotte Roche macht, ist neuer Konservatismus in einer Welt von Pseudo-Libertinage und Leistungsdenken, in einer Welt voller Selbstoptimierer. Sie hat Selbstkritik und Selbstentblößung so verinnerlicht, dass sie im Namen des Feminismus auch noch dessen Verneinung hin bekommt. Und über all das so selbstbewusst und selbstverständlich schreibt und redet, dass ganz sicher ein paar Menschen es für Fortschritt halten werden. Ist es nicht. Aber auch keine neue Debatte.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1531018/
Alte Geschlechterrollen und neuer Konservatismus
In Roches neuem Buch "Schoßgebete" hat auch Alice Schwarzer ihren Auftritt. Dieser gefällt Schwarzer offenbar nicht, weshalb sie einen offenen Brief auf ihre Homepage stellt. "Betroffenheitsliteratur, Heimatschnulze, so nennt Schwarzer das Werk, hat aber auch einige grundsätzliche Anmerkungen zu Roches Frauenbild.
Nein, dieser offene Brief von Alice Schwarzer an Charlotte Roche taugt nicht für eine neue Feminismus-Debatte. Sein Schlusssatz "Denn du hast nicht die Lösung, du hast das Problem" rennt angesichts des ja ganz offensichtlich selbst-therapeutischen Buches von Roche weit offene Türen ein, wie übrigens auch die im Grunde richtige psychologische Familienaufstellung, die Schwarzer liefert. Demnach reagiert Roche auf eine forciert emanzipierte Mutter mit dem Gegenmodell, dem Glauben an ewige Liebe in einer Beziehung, die nie auseinander gehen darf. Ob die Feministin Roche (wie sie sich selbst nennt) aber wie ihre Oma alles nur mitmacht, damit der Mann bei ihr bleibt, oder ob sie Analverkehr postfeministisch geil und Bordellbesuche wenn nicht pc dann doch jedenfalls unproblematisch findet, kann nicht Thema der Auseinandersetzung sein. Denn selbst über Prostitution müsste heute, im Zeitalter massenhaft verbreiteter Internet-Pornographie und einer sich libertinär gebenden Ideologie, die doch nur wieder eine des Marktes ist, anders geredet oder geschrieben werden als vor 40 Jahren.
Interessant allerdings wäre, aus übergeordneter Perspektive "das Problem" zu betrachten. Nennen wir es "Taliban"-Problem. Den westlichen weiblichen ideologischen Zwangscharakter, den Roches Alter Ego Elizabeth Kiehl darstellt und der doch ein paar Probleme junger Frauen heute bündelt. Etwa das Problem eines fürchterlichen Anpassungsdrucks, der aus der sexuellen Befreiung ein Modediktat aus Push-Ups, High Heels und String-Tangas gemacht hat. Der aus vierfach belasteten Frauen (Kinder, Küche, Kohle, Sozialleben) fünffach belastete macht, weil sie die Hure zuhause auch noch spielen sollen.
In einem hellsichtigen Artikel hat Iris Radisch im Sommer in der ZEIT über "die nackte Gesellschaft" gesprochen. Darin sagt sie über die Autorin der "Feuchtgebiete", Roche arbeite "mit noch ungewissem Erfolg an der weiblichen Neuerfindung einer Kunst des nackten Frauenkörpers". Jetzt stellt sich heraus, dass es sich in der Tat um unschöne Selbstpornographisierung handelt, um die derzeit aber offenbar einzige Möglichkeit für junge Frauen, vom Objekt zum Subjekt zu werden - und damit doch wieder zum Objekt. Charlotte Roches hochneurotische Protagonistin lebt einen totalitären Anspruch an sich selbst. Ihre selbstverordnete Moral in Sachen Vegetarismus oder Umweltschutz stellt da nur die andere Seite der Selbstüberforderung dar.
Um einen Fall von Selbstüberschätzung handelt es sich bei Christian von Boetticher, der glaubte, eine unkonventionelle Liebesbeziehung mit dem Amt eines Spitzenpolitikers vereinbaren zu können, und der am Wochenende prompt über die Liaison mit einer Sechzehnjährigen stolperte. Ein unbedingt kulturell zu nennender Plot, denn von "Effi Briest" und Nabokovs "Lolita" über den Tatort "Reifezeugnis" mit Nastassja Kinski als 16-jähriger Schülerin, die ihren Lehrer liebt bis hin zu "American Beauty" ist die Liebe älterer Männer zu jungen Mädchen literarisch und skandalträchtig dokumentiert. Dass an so etwas heute noch Politkarrieren scheitern, hat viel weniger mit Moral zu tun als behauptet und ist einfach alter Konservatismus: der männliche Protagonist lässt seine Freundin ("Es war Liebe!") für seine Karriere fallen und fällt dann selbst über die vorweggenommene öffentliche Meinung.
Was Charlotte Roche macht, ist neuer Konservatismus in einer Welt von Pseudo-Libertinage und Leistungsdenken, in einer Welt voller Selbstoptimierer. Sie hat Selbstkritik und Selbstentblößung so verinnerlicht, dass sie im Namen des Feminismus auch noch dessen Verneinung hin bekommt. Und über all das so selbstbewusst und selbstverständlich schreibt und redet, dass ganz sicher ein paar Menschen es für Fortschritt halten werden. Ist es nicht. Aber auch keine neue Debatte.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1531018/
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Schwarzers Brief
Hallo Charlotte,
ich bin’s, dein Über-Ich. Du weißt schon, diese feministische Rachegöttin, die Seite an Seite mit deiner Mutter durch dein Buch geistert. Die deiner Protagonistin Elizabeth immer über die Schulter guckt, wenn die gerade mal Spaß haben will - die Eichel ihres Mannes mit der Zunge putzt, auf dem Familiensofa Pornos guckt oder es mit ihm und einer Brasilianerin zu dritt im Edelbordell treibt. Dein Mann ist ja Katholik und erst das „Sündigen“ wider Gottes Gebote macht ihn so richtig an. Und du bist zwar Atheistin, aber Feministin – und erst das „Sündigen“ wider den Feminismus gibt dir anscheinend den letzten Kick. Insofern habe ich eigentlich eine echt sexy Rolle in deinem Buch. Auch wenn ich sie mir mit dem Papst teilen muss.
Du machst keinen Hehl daraus, dass dein „Roman“ – der 70er-Jahre-Begriff „Betroffenheitsliteratur“ wäre wohl treffender – ganz ganz dicht an dir dran ist. Zu dicht. Also reden wir ohne Umschweife. 350 Euro habt ihr bei eurer Dienstleisterin aus den Slums von Rio o.ä. für drei Stunden abgedrückt. Viel für sie. Wenig für dich. Da verdienst du mit deinen Büchern doch einen stattlicheren Stundenlohn. Und du lässt dir dafür zwar die Seele betatschen, aber nicht auch noch den Körper. Vor allem: Du musst nicht so tun, als ob... nein, das Schreiben macht dir sogar in echt Spaß.
Aber halt, heute schreibe ich nicht als deine feministische Rachegöttin, heute schreibe ich dir als die Freundin, die ich mal war. Das letzte Mal haben wir am Tag nach dem Tod deiner Brüder miteinander telefoniert.
Danach habe ich erst viel, viel später wieder von dir gehört. Diesmal via Medien. Da warst du schon mit deinem jetzigen Mann zusammen und hast über „die Alice Schwarzer“ räsoniert. Die, die so viele kennen. Das Klischee halt, dein Über-Ich. Und dabei ist es seither geblieben. Warum auch immer.
Vielleicht passt es so besser zu deinem neuen Leben als Seine Frau. Eine Frau, die über ihren Mann schreibt: „Er hat mir gnadenlos alles über seine Sexualität gesagt.“ Und die wenige Zeilen später sinniert: „Jetzt bin ich bald dran, ihn mit meiner wahren Sexualität zu konfrontieren.“ In der Tat, das wäre keine schlechte Idee nach all den Jahren.
Doch an zwei Punkten muss ich dich enttäuschen. Erstens finde ich deine beiden Sexszenen in dem Buch weder erotisch noch pornografisch, eher erhellend. Und zweitens hast du recht: Du bist trotzallem eine Feministin, wenn auch eine Feministin auf dem Trip.
Das Thema Sex in deinem Buch, um das es letztendlich nur auf elf Seiten von 276 geht, halte ich eher für einen Verkaufstrick (sex sells). Dieser von dir wie durch ein Mikroskop klinisch betrachtete eheliche Sex zwischen Wirsingeintopf und Wärmedecke klingt wenig aufregend. Die Frage, die sicht aufdrängt, ist: Wird dir das auf Dauer genügen? Das fragt man sich nicht nur als Ex-Freundin. Gut immerhin, dass du deinen hintersinnigen Humor und deine Selbstironie selbst jetzt nicht verlierst.
Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht, Charlotte, wenn ich dir sage: Das Modell, das deine so autobiografisch beladene Heldin da lebt, ist alles andere als neu. Ja doch, ich verstehe durchaus: Du reagierst auf deine so forciert emanzipierte Mutter, die immer, wenn es Probleme gab mit Männern, das sinkende Schiff rasch verließ (auf Kosten der kleinen Charlotte und ihrer Brüder). Aber deine Mutter hat auch nur auf ihre Mutter, deine Großmutter reagiert. Und du wiederum, du reagierst nun auf deine Mutter – und machst es wie die Großmutter. Soll diese fatale Wechselwirkung immer so weitergehen? Wollen wir Frauen diesen Teufelkreis denn nie durchbrechen? Muss deine Tochter nun etwa wieder werden wie deine Mutter?
Die Großmütter haben übrigens auch alles nur mitgemacht, damit ihr Mann bei ihnen bleibt. Auch sie haben gehofft, dass die Liebe nie endet. Aber sie waren existenziell darauf angewiesen, denn ohne Mann waren sie nichts und hatten nichts. Du aber hast inzwischen dein eigenes Geld. Doch - hast du auch eine eigene Existenz? Bist du mit deinem Mann freiwillig zusammen weil du es so willst – oder bist du es, weil du emotional von ihm abhängig bist und bei ihm bleiben musst?
Das einzig Neue an deinem Oma-Beziehungs-Modell scheint mir, dass du ihn nicht allein ins Bordell schickst, sondern mitgehst – wenn auch unter Bauchschmerzen und mit Durchfall. Dein Körper weiß eben mehr als dein Kopf.
Womit wir endlich bei deinem eigentlichen Thema wären: Bei der Verzweiflung der Frauen. Diese Verzweiflung, die dir so schrecklich vertraut ist. Diese Ängste. Diese Destruktivität. Diese Todessehnsucht. Dieser Selbsthass. Zu kleine Brüste, zu kurze Beine, zu schlechte Mutter. Dieses Sich-Klammern-an-einen-starken-Mann (Der ja vielleicht auch gerne mal schwach wäre). Dieses Immer-alles-total-machen-Wollen (Eine Sucht, die du erkennst, aber nicht abstellen kannst). Dieses Immer-allen-gefallen-Wollen (Was deine Therapeutin gerade versucht, dir abzugewöhnen).
All das kennst du gut, zu gut. Dazu hast du auch den von dir so oft zitierten „jungen Frauen“ sicherlich einiges zu sagen. Und überraschenderweise durchaus auch einigen Älteren, wie wir den deutschen Feuilletons entnehmen. In denen wirst du interessanterweise von den meisten Frauen beschwärmt, von den meisten Männern aber verrissen. Sie scheinen dich nicht zurückzulieben, die Männer.
Okay, damit sollte eine starke Frau leben können. Eines allerdings wäre fatal: Wenn deine Leserinnen deine verruchte Heimatschnulze über Sex & Liebe für ein Rezept halten würden. Denn du hast nicht die Lösung, du hast das Problem.
Dass du das irgendwann löst, das wünscht dir
Deine
Alice
Hallo Charlotte,
ich bin’s, dein Über-Ich. Du weißt schon, diese feministische Rachegöttin, die Seite an Seite mit deiner Mutter durch dein Buch geistert. Die deiner Protagonistin Elizabeth immer über die Schulter guckt, wenn die gerade mal Spaß haben will - die Eichel ihres Mannes mit der Zunge putzt, auf dem Familiensofa Pornos guckt oder es mit ihm und einer Brasilianerin zu dritt im Edelbordell treibt. Dein Mann ist ja Katholik und erst das „Sündigen“ wider Gottes Gebote macht ihn so richtig an. Und du bist zwar Atheistin, aber Feministin – und erst das „Sündigen“ wider den Feminismus gibt dir anscheinend den letzten Kick. Insofern habe ich eigentlich eine echt sexy Rolle in deinem Buch. Auch wenn ich sie mir mit dem Papst teilen muss.
Du machst keinen Hehl daraus, dass dein „Roman“ – der 70er-Jahre-Begriff „Betroffenheitsliteratur“ wäre wohl treffender – ganz ganz dicht an dir dran ist. Zu dicht. Also reden wir ohne Umschweife. 350 Euro habt ihr bei eurer Dienstleisterin aus den Slums von Rio o.ä. für drei Stunden abgedrückt. Viel für sie. Wenig für dich. Da verdienst du mit deinen Büchern doch einen stattlicheren Stundenlohn. Und du lässt dir dafür zwar die Seele betatschen, aber nicht auch noch den Körper. Vor allem: Du musst nicht so tun, als ob... nein, das Schreiben macht dir sogar in echt Spaß.
Aber halt, heute schreibe ich nicht als deine feministische Rachegöttin, heute schreibe ich dir als die Freundin, die ich mal war. Das letzte Mal haben wir am Tag nach dem Tod deiner Brüder miteinander telefoniert.
Danach habe ich erst viel, viel später wieder von dir gehört. Diesmal via Medien. Da warst du schon mit deinem jetzigen Mann zusammen und hast über „die Alice Schwarzer“ räsoniert. Die, die so viele kennen. Das Klischee halt, dein Über-Ich. Und dabei ist es seither geblieben. Warum auch immer.
Vielleicht passt es so besser zu deinem neuen Leben als Seine Frau. Eine Frau, die über ihren Mann schreibt: „Er hat mir gnadenlos alles über seine Sexualität gesagt.“ Und die wenige Zeilen später sinniert: „Jetzt bin ich bald dran, ihn mit meiner wahren Sexualität zu konfrontieren.“ In der Tat, das wäre keine schlechte Idee nach all den Jahren.
Doch an zwei Punkten muss ich dich enttäuschen. Erstens finde ich deine beiden Sexszenen in dem Buch weder erotisch noch pornografisch, eher erhellend. Und zweitens hast du recht: Du bist trotzallem eine Feministin, wenn auch eine Feministin auf dem Trip.
Das Thema Sex in deinem Buch, um das es letztendlich nur auf elf Seiten von 276 geht, halte ich eher für einen Verkaufstrick (sex sells). Dieser von dir wie durch ein Mikroskop klinisch betrachtete eheliche Sex zwischen Wirsingeintopf und Wärmedecke klingt wenig aufregend. Die Frage, die sicht aufdrängt, ist: Wird dir das auf Dauer genügen? Das fragt man sich nicht nur als Ex-Freundin. Gut immerhin, dass du deinen hintersinnigen Humor und deine Selbstironie selbst jetzt nicht verlierst.
Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht, Charlotte, wenn ich dir sage: Das Modell, das deine so autobiografisch beladene Heldin da lebt, ist alles andere als neu. Ja doch, ich verstehe durchaus: Du reagierst auf deine so forciert emanzipierte Mutter, die immer, wenn es Probleme gab mit Männern, das sinkende Schiff rasch verließ (auf Kosten der kleinen Charlotte und ihrer Brüder). Aber deine Mutter hat auch nur auf ihre Mutter, deine Großmutter reagiert. Und du wiederum, du reagierst nun auf deine Mutter – und machst es wie die Großmutter. Soll diese fatale Wechselwirkung immer so weitergehen? Wollen wir Frauen diesen Teufelkreis denn nie durchbrechen? Muss deine Tochter nun etwa wieder werden wie deine Mutter?
Die Großmütter haben übrigens auch alles nur mitgemacht, damit ihr Mann bei ihnen bleibt. Auch sie haben gehofft, dass die Liebe nie endet. Aber sie waren existenziell darauf angewiesen, denn ohne Mann waren sie nichts und hatten nichts. Du aber hast inzwischen dein eigenes Geld. Doch - hast du auch eine eigene Existenz? Bist du mit deinem Mann freiwillig zusammen weil du es so willst – oder bist du es, weil du emotional von ihm abhängig bist und bei ihm bleiben musst?
Das einzig Neue an deinem Oma-Beziehungs-Modell scheint mir, dass du ihn nicht allein ins Bordell schickst, sondern mitgehst – wenn auch unter Bauchschmerzen und mit Durchfall. Dein Körper weiß eben mehr als dein Kopf.
Womit wir endlich bei deinem eigentlichen Thema wären: Bei der Verzweiflung der Frauen. Diese Verzweiflung, die dir so schrecklich vertraut ist. Diese Ängste. Diese Destruktivität. Diese Todessehnsucht. Dieser Selbsthass. Zu kleine Brüste, zu kurze Beine, zu schlechte Mutter. Dieses Sich-Klammern-an-einen-starken-Mann (Der ja vielleicht auch gerne mal schwach wäre). Dieses Immer-alles-total-machen-Wollen (Eine Sucht, die du erkennst, aber nicht abstellen kannst). Dieses Immer-allen-gefallen-Wollen (Was deine Therapeutin gerade versucht, dir abzugewöhnen).
All das kennst du gut, zu gut. Dazu hast du auch den von dir so oft zitierten „jungen Frauen“ sicherlich einiges zu sagen. Und überraschenderweise durchaus auch einigen Älteren, wie wir den deutschen Feuilletons entnehmen. In denen wirst du interessanterweise von den meisten Frauen beschwärmt, von den meisten Männern aber verrissen. Sie scheinen dich nicht zurückzulieben, die Männer.
Okay, damit sollte eine starke Frau leben können. Eines allerdings wäre fatal: Wenn deine Leserinnen deine verruchte Heimatschnulze über Sex & Liebe für ein Rezept halten würden. Denn du hast nicht die Lösung, du hast das Problem.
Dass du das irgendwann löst, das wünscht dir
Deine
Alice
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