Der Strich von Roland Girtler

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annainga
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Der Strich von Roland Girtler

Beitrag von annainga »

da dieses buch als "klassiker" gilt, habe ich es gelesen. nicht wie sonst in einer woche, sondern nur etappenweise, wie es mein gemüt zuließ, denn das ist harter tobak.
der schreibstil, sein anspruch, der voyeurismus.

2 jahre hat girtler "feldforschung" im milieu betrieben. beschreibung seiner untersuchungsmethoden sind spärlich, er hat seine eigene art "das untersuchungsobjekt prostitution" zu erforschen. aber er hat den anspruch, dass er die realität abbildet. sehr schwer zu beurteilen, wie sehr seine studie im ganzen gültig ist, aber für den bereich zu dem er zugang hatte, enthält das buch interessante aussagen, nachvollziehbare erklärungen des zusammenhanges von prostituierten, zuhältern, betreibern, freiern.

sehr genau nimmt er die beziehung zwischen hure und zuhälter unter die lupe:

"In Wirklichkeit ist der Zuhälter die Hur der Hur."

"Der Zuhälter ist es, der Liebe und Sexualität gibt, die die Prostituierte als Frau sich ersehnt und auch, wie hier angedeutet wird, erkauft. Die Gefühle der Prostituierten konzentrieren sich allein auf den Zuhälter."

"... veranlassten mich zu der Überlegung, daß die sexuelle Befriedigung der Prostituierten erst durch den Zuhälter möglich wird, denn der meist bloß kurze Kontakt zum Kunden vermag die Prostitutierte höchstens zu reizen, nicht jedoch zu befriedigen."

"Er ist mein Statussymbol und außerdem bin ich auf meinen Beruf stolz. Ich bekenne mich dazu, die Leute sollen sich nicht aufregen. Große und deutlich sichtbare Goldringe in verschiedener Ausführung demonstrieren neben anderem Goldschmuck, daß ihr Besitzer über Geld verfügen kann. Der Zuhälter wird somit zum Repräsentanten der Prostituierten. Es kehrt sich hier die übliche Rollenbeziehung zwischen Mann und Frau in gewisser Weise also um: die Rolle der Frau, die durch das Tragen besonderen Schmucks und teurer Kleidung die finanzielle Potenz des Mannes demonstrieren soll, wird so vom Zuhälter als dem "Freund" der Prostituierten übernommen."

"Zu solchen Symbolen zählen große Autos, eine Vielfalt von Schmuck, demonstrative Kleidung und manchmal auch Hunde."

In dieser art werden auch die anderen beziehungen erläutert, hure-freier, zuhälter-freier, freier-service, hure-geld, hure-hure, zuhälter-zuhälter.

man muss beachten, in welcher zeit die untersuchung stattfand, in welchem milieu, von welchem forscher, mit welchen untersuchungsmethoden usw.

für mich stellt es eine qualitativ hochwertige studie dar, die allerdings auf einen kleinen subjektiven bereich bezogen ist. der forderung nach wertneutralität erfüllt girtler nicht, vielmehr seint es zu schein, dass auch wissenschaftler nicht immun gegen voyeurismus sind. an seiner wortwahl meinte ich das zu erkennen.

girtlers meinung über sein eigenes werk "...daß meine Forschungen und Überlegungen zum Thema Prostitution einen gewissen "Ewigkeitswert" ", teile ich nicht.

ich war oft überrascht von seinen schlußfolgerungen, entsetzt über die damaligen zustände, empört über seine bewertungen, aber letztendlich auch begeistert über seine intelligenz und beobachtungsabe und analyse.

Hier noch ein weiterer link zu einer kritik an seinem buch:

Forum qualitative Sozialforschung

liebe grüße von annainga

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Marc of Frankfurt
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Soziologie der Prostitution

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Schade eigendlich, dass die Forengründerin den Wiener Doyen der Randgruppen-Soziologie nicht für das Forum gewinnen konnte.

http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=18





Die von ihm/dir geschilderte Analyse zum Zuhälter findet sich sehr eindrucksvoll so auch im Buch:

Iceberg Slim: Pimp - The story of my life

www.amazon.com/Pimp-Story-Life-Iceberg- ... 087067935X



Doku-Spielfilm: American Pimp:

viewtopic.php?p=22924#22924



Film: Hotte im Paradies:

viewtopic.php?p=54283#54283



Straftäter und jugendliche Zuhälter im Interview:

http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=23753#23753





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 18.04.2009, 00:57, insgesamt 1-mal geändert.

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Zwerg
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Beitrag von Zwerg »

In der angeführten Webseite (Google Buchsuche) findet Ihr einige ausführliche Leseproben des Buches:

http://books.google.at/books?id=SFsFDtt ... zgSMg8TTDg

Meiner Meinung nach ist das Buch auf der einen Seite eine Pflichtlektüre - aber doch restlos überholt... - bedingt durch die neuen Medien hat sich das Bild der Sexarbeit in Wien entscheidend geändert

Christian

martina
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Beitrag von martina »

würde als lektüre noch den Minus mann anraten
und früher wars auch in wien so wie girtler und co beschreiben. männer kontrollierten die frauen ,die damals absolut keine rechte hatten

war nie so easy wie jetzt als sexworkerin zu arbeiten

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Zwerg
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Beitrag von Zwerg »

Hi Martina!

Der Minus-Mann ist meines Erachtens bewusst provokant und maßlos übertrieben geschrieben worden. Alleine der Anfang des Buches ->

viewtopic.php?t=695

Liebe Grüße

Christian

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Hier gibt es eine Zuhälterstudie aus Chicago,

viewtopic.php?p=54156#54156


Habe jetzt unter dem Zeitungsartikel den Link zur Studie nachgetragen.





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