Verführen für den "Führer"

Historische Betrachtungsweisen der Prostitution - Ein Spiegel der jeweiligen Zeit und Moral.
Benutzeravatar
JayR
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 1311
Registriert: 20.08.2006, 03:03
Wohnort: Dänemark
Ich bin: Keine Angabe

Verführen für den "Führer"

Beitrag von JayR »

Verführen für den "Führer"

Mit Charme und Champagner umgarnten Berliner Edelprostituierte im "Salon Kitty" Politiker, Diplomaten und Militärs - und spitzelten ihre Opfer aus. Auftraggeber: die SS. Bis heute ist das Nazi-Bordell geheimnisumwittert.
Von Hanna Huhtasaari

Bild

Nach außen gab sich das Etablissement im feinen Berliner Stadtteil Charlottenburg unscheinbar. "Pension Schmidt" verhieß das Schild am Eingang der Giesebrechtstraße 11, einer Seitenstraße des Ku'damms, in nüchternen, wenig einladenden Lettern.

Hinter der Tür im dritten Stock des Gründerzeitbaus allerdings tat sich betuchten Besuchern eine mondäne Luxuswelt auf: Im gedämpften Licht eines großen Kronleuchters räkelten sich junge, leicht bekleidete Schönheiten lasziv auf roten Samtmöbeln, Zigarettenspitze oder ein Glas Champagner in der Hand. Vom Grammophon ertönte leise Musik, es roch nach Parfüm und Zigarrenrauch - und hinter schweren Samtvorhängen gaben sich einflussreiche Herren aus Gesellschaft, Politik und Diplomatie den Freuden der käuflichen Liebe hin.

Das diskret versteckte, aber zentral gelegene Nobel-Bordell gehörte Katharina Zammit, Kennern besser bekannt als Kitty Schmidt. Bereits in den zwanziger Jahren hatte die üppige Brünette vom Jahrgang 1882 ihr Etablissement gegründet, und schon bald verkehrten die Spitzen der Berliner Gesellschaft bei Kitty. "Sie hatte im Laufe der Zeit viele Gönner, viele schätzten sie", erinnerte sich später ein Abwehroffizier, der selbst zu "Aufklärungszwecken" im Salon verkehrt hatte.

Geheimpapiere in schwarzen Socken

Auch die Machtübernahme der prüden Nazis, für die Sex vor allem zur Zeugung künftiger Soldaten dienen sollte, änderte zunächst wenig. Doch dann wurden 1939 Gestapo-Chef Reinhard Heydrich und sein Adlatus Walter Schellenberg auf das frivole Treiben in der Giesebrechtstraße aufmerksam. Statt den Edelpuff dichtzumachen, beschlossen die SS-Offiziere aus Heinrich Himmlers Reichssicherheitshauptamt (RSHA), den Salon Kitty unter ihre Fittiche zu nehmen - als Spionage-Bordell.

Als Edelprostituierte, die im geheimen Doppelauftrag für den "Führer" verführen sollten, benötigten die Geheimdienstler ganz besonders qualifiziertes Personal. Die Spitzen-Spioninnen sollten intelligent, mehrsprachig, nationalsozialistisch gesinnt sein - und außerdem "mannstoll". Fündig wurden die frischgebackenen Bordellwirte von der SS zum Beispiel in den Karteien der Sittenpolizei. Man habe sie vor die Alternative gestellt, erinnerte sich Ex-Kitty-Callgirl Liesel A. 1976 im SPIEGEL: Entweder rackern in der Panzerkettenfabrik - oder die vaterländische Pflicht im Salon Kitty erfüllen. "Und nicht bummeln", habe der Herr, der sie zur Spionage abordnete ihr noch mitgegeben, erinnerte sich die Ex-Salondame Jahrzehnte später. Ihr Auftrag: Flirten, verführen - und verpfeifen.

In der Horizontalen, so die Hoffnung von Kittys neuen Auftraggebern, werde sich in intimer Atmosphäre die Zunge der Freier lösen - und den Nazi-Machthaber wertvolle Informationen frei Haus liefern. Ganz unbegründet war das nicht - zu den Kunden des Etablissements zählten hohe ausländische Diplomaten, etwa der italienische Botschafter Dino Alfieri. Selbst dessen Chef, der italienische Außenminister Graf Ciano, zugleich Mussolinis Schwiegersohn, verbrachte bei seinen Berlin-Besuchen angenehme Stunden in den Armen der entgegenkommenden Fräuleins des Salon Kitty. Doch trotz vollen Körpereinsatzes gelang es Agentin Liesel A. nicht, das letzte Geheimnis des Hitler-Verbündeten zu lüften. Ciano "zog sich nie seine schwarzen Socken aus", erinnerte sich die Schönebergerin an den "zärtlichen Kavalier" - vielleicht habe er darin "Telefonnummern oder wichtige Papiere" verborgen.

Lauschangriff auf das Liebesgeflüster

Neben Staatsgeheimnissen ließ sich in der entspannten Atmosphäre des inoffiziellen Staatsbordells auch die nationalsozialistische Gesinnung und politische Zuverlässigkeit manches NSDAP-Funktionärs und Parteigenossen einer unverfänglichen Prüfung unterziehen. An Besuche des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten erinnerte sich Liesel A., ebenso wie an die Visiten hoher NS-Militärs wie Generaloberst Friedrich Fromm, dem Befehlshaber der Ersatzheeres, der später am 20. Juli 1944 im Berliner Bendler-Block die Anführer des Putschversuchs gegen Hitler festnehmen und erschießen ließ.

Heydrichs Leute verließen sich für den Lauschangriff auf das Liebesgeflüster auch nicht nur auf die Edelhuren und deren Berichte. Kittys Räumlichkeiten der Giesebrechtstraße waren, so versichern Zeitzeugen, zusätzlich mit Mikrofonen ausgestattet, verbunden mit einer Abhörzentrale im Keller des Hauses - ein neuer Mieter, der die Wohnung in den sechziger Jahren renovierte, stieß auf seltsame Kabel hinter den alten Tapeten.

Während oben in den Separees im dritten Stock erregtes Treiben herrschte, lauschten demnach unten Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS dem lustvollen Liebestreiben samt seiner hemmungslosen Momente - ob Schlüpfrig-Pikantes oder Politisch-Brisantes, nichts blieb ungehört. Worüber genau in den Betten des Salon Kitty gesprochen wurde, lässt sich allerdings heute nicht mehr nachvollziehen - die Spionage im Edelbordell gehörte zu den bestgehütesten Geheimnissen des "Dritten Reiches".

Misstrauische Spitzen-Nazis

Was an schriftlichen Aufzeichnungen existierte, wird wohl umgehend vernichtet worden sein. Der Berliner Historiker und Archivar Joachim Kundler, der sich intensiv mit der Geschichte des Salon Kitty befasst hat, ist sich aber sicher dass das Etablissement von "allerhöchsten Kreisen des RSHA und des Auswärtigen Amtes" gedeckt wurde. Geheimer als geheim gehalten wurde der wahre Zweck des Charlottenburger Liebesnestes auch deshalb, weil sich dort kompromittierendes Material über unliebsame Konkurrenten innerhalb des NS-Machtsystems ansammelte. "Im Nationalsozialismus misstrauten sich die Spitzenleute gegenseitig", sagt Kundler.

Auch nach dem Krieg blieb das Geheimnis des Salon Kitty lange unausgesprochen. Die Zeitzeugen schwiegen: Die Ex-Mitarbeiterinnen von Kitty Schmidt und ihren Hintermännern befürchteten, als Nazi-Agentinnen zur Verantwortung gezogen zu werden. Auch Kitty Schmidt schwieg bis zu ihrem Tod 1954 über das, was im Salon während des Krieges geschah und nahm ihr Wissen mit ins Grab. Hunderte von Trauergästen folgten ihrem Sarg, um Kitty die letzte Ehre zu erweisen - darunter wohl nicht wenige Stammgäste. Nach ihrem Tod übernahm ihre Tochter Kathleen den Betrieb und verwandelte den Salon in einen Künstlertreffpunk, aber die glanzvollen Jahre waren vorüber - heute erinnert nichts mehr an das legendäre Etablissement.

Die Legende von Salon Kitty allerdings wurde durch die offenen Fragen und Rätsel noch befeuert; der Edelpuff wurde zum Gegenstand von Romanen und Filmen, in denen die Autoren den Mangel an Fakten mit viel Phantasie kompensierten - zu unwiderstehlich war der Dreiklang Nazis, Sex und Spionage. In Tinto Brass' Verfilmung "Salon Kitty" von 1976 etwa lechzten braune Würdenträger in einem schwülstigen Sado-Maso-Spektalel nach Erniedrigung. Liesel A. wusste das besser. "Im allgemeinen", gab sie, die von 1940 bis 1945 bei Kitty NS-Prominenz erfreut hatte, zu Protokoll, "waren die Herren sehr solide."

Spiegel online
http://einestages.spiegel.de/external/S ... turedEntry

Benutzeravatar
Marc of Frankfurt
SW Analyst
SW Analyst
Beiträge: 14095
Registriert: 01.08.2006, 14:30
Ich bin: Keine Angabe

Clip from Tinto Brass movie Salon Kitty 1975

Beitrag von Marc of Frankfurt »


ehemaliger_User
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 2968
Registriert: 27.04.2008, 15:25
Ich bin: Keine Angabe

29.09.2009 - rbb um 20:15: Salon Kitty

Beitrag von ehemaliger_User »

rbb - 29.09.2009: 20:15 - 21:00

Filmemacher Claus Räfle verfolgt in seiner Dokumentation die spannende und unglaubliche Geschichte des so genannten "Salon Kitty". Eine historische Spurensuche.

Berlin 1939. Auf dem Höhepunkt der nationalsozialistischen Herrschaft erhalten alle Polizeidirektionen in Berlin per Telegramm eine Anfrage um Amtshilfe. Das Rundschreiben trägt den Vermerk: "Geheime Reichssache" und lautet:
"Gesucht werden Frauen und Mädchen, die intelligent, mehrsprachig, nationalsozialistisch gesinnt und ferner mannstoll sind". Die jungen Damen sollen als Edelprostituierte und Agentinnen für den Führer ihre Kundschaft belauschen. In entspannter Bordell-Atmosphäre, davon ist Gestapo-Chef Reinhard Heydrich überzeugt, neigt der Mensch zum Plaudern - über Dinge, die für seinen Geheimdienst aufschlussreich sein könnten. Unweit des belebten Kurfürstendamm in der Giesebrechtstraße 11 finden Heydrich und sein Mitarbeiter Walter Schellenberg einen geeigneten Salon, den die illustren Persönlichkeiten der Berliner Gesellschaft bereits seit Ende der 1920er-Jahre regelmäßig besuchen. Gezielt wird die Inhaberin Kitty Schmidt unter Druck gesetzt und für eine stillschweigende Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten gewonnen.
Der Salon in der Nähe des Kurfürstendamms ist ein mythenumrankter Ort. Niemand bestreitet, dass es ihn gegeben hat, jedoch gibt es kaum offizielle Unterlagen zu diesem Themenkomplex. Filmemacher Claus Räfle verfolgt in seiner Dokumentation die spannende und unglaubliche Geschichte des so genannten "Salon Kitty".

Eine historische Spurensuche von den frühen Anfängen im Berlin der 1930er-Jahre und in der sagenumwobenen Zeit der Nationalsozialisten, über die von Künstlern dominierte Nachkriegszeit, den Wirtschaftswunderjahren, bis hin in die Anfänge der 1990er-Jahre, als die Herberge sich schließlich zu einem Asylbewerberheim wandelt.
Berühmte Zeitzeugen kommen in dieser Dokumentation zu Wort, von Johannes Heesters über Ernst Stankowski bis hin zu Werner Rayakowski, den letzten Pressereferenten von Außenminister Ribbentrop. Erstmals spricht vor der Kamera eine Edelkurtisane, die noch unter Kitty Schmidt gearbeitet hat. Und der Film zeigt, wie es möglich war, dass eine Jüdin mit falschem Pass im Herzen dieser nationalsozialistischen Abhörzentrale als Küchenhilfe überleben konnte.

http://www.rbb-online.de/fernsehen/prog ... 37517.html

http://www.rbb-online.de/doku/titel_mit ... kitty.html
Auf Wunsch des Users umgenannter Account