Stellungnahme von MADONNA e.V. Verein zur Förderung der beruflichen und kulturellen Bildung von Prostituierten, Bochum
Das über die Kölner Grenzen hinaus bekannte Kulturfestival Sommerblut sorgte in diesem Frühjahr für Proteste, da auch Auftritte und Lesungen in Europas größtem Laufhaus Pascha (lt. Eigenwerbung) stattfinden sollten und damit ein Bordell als Szeneort etabliert werden sollte.
Für WIR FRAUEN hat Gabriele Bischoff mit MADONNA e.V., den Verein zur Förderung der beruflichen und kulturellen Bildung von Prostituierten aus Bochum gesprochen, wie sie zur Etablierung von Bordellen als Kulturorte stehen. Im Rahmen einer Diskussion „Kunst im Bordell“ mit Befürwortern und Gegnerinnen im Kölner Filmhaus waren auch drei Mitarbeiterinnen von MADONNA anwesend. Den dazu in der EMMA veröffentlichten Bericht kommentieren sie so:
„Der Artikel von Emma beginnt mit dem „tosenden Gelächter“ anlässlich eines Versprechers des Veranstalters des Sommerblutfestivals. Bitter sei das Lachen gewesen, da es doch um das mangelnde Interesse der Männer an der Entwürdigung von Frauen gegangen sei. Bitter war dieses Lachen keinesfalls, eher grölend, sich der eigenen Mehrheit bewusst, stark im Chor, immer bereits einsetzend, ehe die andere Partei ausreden konnte. Kurz, es erforderte reichlich Stehvermögen und Zivilcourage sich hier gegen die Mehrheitsmeinung zu platzieren.
Wir von MADONNA haben versucht mit sachlichen Argumenten darzulegen, was menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Prostitutionsbetrieben sein können, dass Prostitution nicht gleich Gewalt und Menschenhandel ist, dass Frauen und Männer in der Prostitution gehört werden sollten, wenn über sie, ihre Arbeit und ihre Arbeitsbedingungen diskutiert wird. Wir haben versucht, konkret als frauenverachtend empfundene Werbung für ein Bordell von der Frage zu trennen, ob Werbung für Prostitution an sich oder Kultur in einem Prostitutionsbetrieb verwerflich sind. Es war anstrengend bis widerwärtig, wie darauf im Publikum – nicht von den Frauen auf dem Podium - reagiert wurde. Es hat uns wieder mal bestätigt, wie berechtigt die Weigerung der meisten Prostituierten ist, in der Öffentlichkeit zu sprechen. […]
Darüber steht in dem Artikel kein Wort. Emma unterschlägt gern weibliche Stimmen, die sich ihrem Standpunkt nicht anschließen wollen. Und wenn diese Stimmen sich nicht unterdrücken lassen, werden sie schon mal pathologisiert („mangelndes Opferbewußtsein“) oder kriminalisiert („Zuhälternähe“). Wir wie auch andere Selbsthilfeorganisationen der Hurenbewegung und kirchliche Beratungsstellen haben bittere Erfahrungen mit dieser Art von Journalismus gemacht, weshalb die meisten Einrichtungen Interviews mit Emma inzwischen verweigern.
Diese Haltung gegenüber der Prostitution, gegenüber den darin arbeitenden Menschen und den akzeptierend und parteilich arbeitenden Beratungsstellen macht es schwer, über das Thema „Soll Kultur im Bordell stattfinden dürfen?“ in fruchtbaren Dialog zu treten.“
WIR FRAUEN: Wer profitiert von der „Kultiviertheit der Prostitution“?
MADONNA: Was ist „Kultiviertheit der Prostitution“? Prostitution ist ein Teil unserer Kultur. Sie existiert in allen Ländern der Erde, legal oder illegal, missachtet oder wertgeschätzt. Nicht die Tatsache der Prostitution unterscheidet die Kulturen, sondern die Art, wie mit ihr umgegangen wird. Bei uns wird Prostitution tabuisiert, kriminalisiert, verboten, verunglimpft, ins gesellschaftliche Abseits gerückt, in Dunkelfelder verwiesen, heimlich voyeuristisch beäugt und als Projektionsfläche für heimliche Wünsche und Befürchtungen genutzt. Hier wird fast übereinstimmend die schlimmste Gewalt gegen Frauen verortet, obwohl wir alle wissen, dass sie ihren Hauptsitz in Ehen und Beziehungen, also im häuslichen Umfeld hat.
Die Prostituierten würden eindeutig profitieren, wenn ihre Tätigkeit anderen Erwerbstätigkeiten gleichgestellt und die Orte, an denen sie arbeiten, wie andere Arbeitsorte auch als Teil unserer (Arbeits-) Kultur gesehen werden könnten. Transparenz könnte einkehren, die Arbeitsbedingungen könnten nach gesetzlichen Vorschriften und tariflichen Vereinbarungen gestaltet werden.
Die Frage, ob hier auch Künstler auftreten oder Kulturveranstaltungen stattfinden sollten, wäre dann nach ähnlichen Kriterien zu beurteilen, wie die Frage danach, ob das in einer Pharma- oder Autofabrik passieren dürfte.
Ändert sich der Blick auf Prostituierte, ändern sich ihre Arbeitsbedingungen, wenn Bordelle und angeschlossene Clubs als anerkannte Kulturorte wahrgenommen werden?
Wir glauben ja. Schwesterorganisationen wie z.B. Kassandra e.V. in Nürnberg (Hurenorganisation) und die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. (Beratungsstelle unter kirchlicher Trägerschaft) haben mehrmals bordellartige Betriebe als Orte für Kulturveranstaltungen unter dem Titel „Kunst im Bordell“ gewählt. Für die Besucherinnen solcher Veranstaltungen war es oft die erste und einzige Gelegenheit, einen Prostitutionsbetrieb von innen zu sehen und mit Prostituierten zu sprechen. Natürlich verlieren die Scheren im Kopf dann ihre Schärfe. Gewissheiten werden erschüttert und Vorurteile revidiert. Das finden wir wunderbar.
Wir glauben allerdings, dass auch umgekehrt eine Veränderung des Blickes auf Prostituierte und eine Veränderung der Arbeitsbedingungen dazu beitragen werden, sie als mögliche Kulturorte wahrnehmen zu können. Zur Veränderung des Blicks gehört, bei dem Wort Prostituierte nicht gleich „Opfer“ oder „Schlampe“ zu assoziieren, sondern sich einfach Frauen oder auch Männer vorzustellen, die ihren Lebensunterhalt in der Prostitution erwerben und dies auch wollen. Mit ein wenig Empathie könnte dann darüber nachgedacht werden, was sich Prostituierte wohl an Arbeitsbedingungen wünschen könnten. Ganz sicher wünschen sie sich nicht die Ausweitung der Sperrgebiete auf ganze Städte, wie Emma sie bejubelt, oder die Verlagerung aller Prostitutionsbetriebe in abgelegene Gegenden ohne soziale Infrastruktur.
Prostituierte denken eher an die Größe und Ausstattung der Zimmer, die Güte der Betten und sanitären Anlagen, an das Preis-Leistungsverhältnis der Miete, Gesundheitsschutz, Sicherheitsdienst, Rückzugsräume, Cafeterien … und auch daran, ob der Chef oder die Chefin ausreichende und gute Werbung macht, damit genug Kunden kommen.
Ein Betrieb, der durch kulturelle Veranstaltungen ins Rampenlicht tritt, wird sich guten Bedingungen eher verpflichtet fühlen, als all die verschwiegenen und abseits gelegenen Betriebe, in die niemand außer BetreiberInnen, Prostituierte und Freier einen Blick werfen.
Was hat die heutige öffentliche Wahrnehmung von Prostitution und die massive Bewerbung von Großbordellen wie dem Pascha mit dem ProstG zu tun?
Wir glauben, dass das wachsende Interesse an seriöser Berichterstattung über Prostitution ein Resultat des Gesetzes ist.
Werbung für Prostitution ist verboten. Mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes 2006 ist dieses Verbot mit Hinweis auf die Intentionen des Prostitutionsgesetzes gelockert worden.
Werbung für entgeltliche sexuelle Dienstleistungen ist danach nicht schlechthin verboten, sondern nur, wenn mit ihr eine „Beeinträchtigung von Rechtsgütern der Allgemeinheit, namentlich des Jugendschutzes“ einhergeht. Wir begrüßen diese Lockerung, weil das Verbot von Werbeträgern immer wieder dazu genutzt wurde, Prostituierten – sozusagen als Ausgleich für das Risiko, rechtswidrige Werbung zu setzen - überzogene Preise zu diktieren.
Wir haben nicht den Eindruck, dass die Werbung für Prostitution mit dem ProstG massiver geworden ist. Dass Großbetriebe massiver werben können, ist in anderen Branchen genauso. Wie in anderen Branchen findet auch hier ein harter Wettbewerb statt. Sperrgebiete, überzogene baurechtliche Auflagen und die Verdrängungspolitik mancher abolitionistischer Bürgerinitiativen schaffen nicht gerade Vorteile für Kleinbetriebe oder in der Wohnungsprostitution selbständig tätige Prostituierte.
Haben sich die Arbeitsbedingungen für Prostituierte seit dem ProstG zum Positiven geändert?
Leider ist das nur in sehr geringem Umfang zu beobachten. Die Gründe dafür stehen bereits in den Erklärungen der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Recht (Organ der Deutschen Hurenbewegung) von 2002 und 2003, nachzulesen unter
www.madonna-ev.de.
Sie liegen auch in der Halbherzigkeit des Gesetzgebers. Er scheute sich, Sexarbeit anderen Erwerbstätigkeiten wirklich gleich zu stellen. Zwischen den Paragraphen des Gesetzes schimmern die Ressentiments und Vorurteile gegen die Sexindustrie auf, und in Begründungen und Anhörungen wurde mehr über kriminelle Machenschaften, Zwang zu und Gewalt in der Prostitution nachgedacht, als über die wohltuenden Korrektive, die regulierte Arbeits- und Marktstrukturen mit sich bringen können: organisierte Tarifpartner und Berufsverbände, Gewerbeaufsicht, Arbeits- und Versicherungsschutz – kurz alle Vorteile des bürgerlichen Rechts(1). So fehlen bis heute eindeutige Umsetzungsrichtlinien für die nachgeordneten Verwaltungsebenen in Ländern und Kommunen.
Die Evaluation des Gesetzes hat die Mängel bestätigt und die Bundesregierung will Maßnahmen ergreifen, um sie zu beseitigen. Prostitutionsbetriebe sollen in Zukunft als Gewerbebetriebe angemeldet werden (können). Zivil-, verwaltungs- und arbeitsrechtsrechtliche Regelungen sollen Anwendung finden, wie in anderen Betrieben auch. Damit werden Wege für Standards geebnet – z.B. im Bereich Arbeitszeit, Hygiene, Sicherheit des Arbeitsplatzes.
Soll das Vorhaben gelingen, müssen die Beteiligten vor Ort - Prostituierte, BetreiberInnen von Prostitutionsbetrieben und ihre Interessensvertretungen – als ExpertInnen beteiligt werden. Auch das ist für andere Erwerbstätigkeiten eine Selbstverständlichkeit. Niemand würde Krankenschwestern und Krankenhausverwaltungen absprechen, bei Standards in Medizin und Pflege mitzusprechen.
Für die Prostitution gilt anderes, wie auch die Diskussion über „Kunst im Bordell“ gezeigt hat: Es gibt keine andere Erwerbsarbeit, von der öffentlich so wenig bekannt ist. Und doch glauben die meisten, die darin Arbeitenden nicht fragen zu müssen, sondern alles Wesentliche zu wissen und kolportieren oder über den Kopf der Beteiligten hinweg regeln zu dürfen. Solange das so bleibt, werden auch rechtliche Regelungen nicht allzu viel bewirken können.
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(1) Siehe auch: Monika Frommel: Menschen- und Frauenhandel - welche Interventionen wären aus kriminologischer Sicht sinnvoll?, Mai 2006, Seite 10, www.uni-kiel.de , Frommel kritisiert hier zu Recht die Fixierung auf strafrechtliche Kontrolle der Prostitution und gibt wertvolle Hinweise für ein zivilrechtliches Instrumentarium zur Regelung des sexuellen Dienstleistungsgewerbes.
Sexworker.at interne Querverweise:
• Einladungsplakat
Im Thema Termine folgt weiter unten die Dokumentation des fraglichen Emma-Artikels zur Sommerblut-Festival-Veranstaltung.
• Ausstellung im Bordell in Nürnberg
• WirFrauen
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Kunst im Bordell - Sommerblutfestival im Pascha Köln
- Marc of Frankfurt
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