Frankfurt
Arbeitstrich
Prostitution der Muskelkraft
VON ALEKSANDRA WENGLORZ
Fünf Uhr morgens im Schatten der Großmarkthalle. An der Sonnemannstraße, Ecke Hanauer Landstraße stehen vereinzelt graue Gestalten. In Reisetaschen und Plastiktüten haben sie Hosen zum Wechseln, manchmal auch ein bisschen Werkzeug dabei. Mit den Händen in den Hosentaschen stehen sie an die Straßenpfeiler, oder auch an den Zaun gelehnt. Sie scheinen locker, doch auf den blassen Gesichtern zeichnet sich Angespanntheit ab.
Ihr Tag beginnt mit Warten. Warten auf das Ungewisse. Warten auf Arbeit. Am Straßenrand aber murrt keiner. Sie machen Witze, lächeln. Ein weißer Sprinter fährt vom Horizont heran. Ein Mann, Mitte Fünfzig, Schnauzbart, kurbelt das Fenster herunter. Er blickt zu den Männern, mustert sie. "Arbeit", ruft ihm Jacek (alle Namen von der Redaktion geändert) als erster mit rollendem R fragend zu. Er nickt, und Jacek läuft zu ihm auf die andere Straßenseite. Die beiden verhandeln nur kurz: "Ich mache alles", sagt der Pole. "Tapete, Parkett verlegen, Streichen, Malen und Gips." Auf Verlangen würde er auch putzen. Mehr deutsche Wörter beherrscht er nicht, aber zum Arbeiten ist das genug. Unter seinem T-Shirt zeichnet sich ein muskulöser Körper ab. Er verheißt die Kraft zur körperlichen Arbeit. Seine Hände sind kräftig, sehnig, etwas staubig. Links aber blitzt ein Ring an seinem Finger. Er verrät: Von dem Geld, dass er nach Hause bringt, essen zwei Menschen. "Fünfzig Euro - für fünf Stunden", bietet ihm der Bärtige an. Jacek schnappt seine Reisetasche und die zwei verschwinden mit der anbrechenden Morgenröte.
Tag für Tag bieten 20 bis 30 polnische Tagelöhner, manchmal auch Rumänen und Russen, ihre Arbeitskraft auf den 200 Metern vor der Großmarkthalle an. Für einen Lohn von acht bis zehn Euro pro Stunde sind ihre Handwerksdienste mindestens um ein Drittel billiger als bei einem professionellen Handwerker hierzulande üblich. Doch wie viel sie am Abend tatsächlich in der Tasche haben, ist am frühen Morgen noch ungewiss.
Unruhig läuft Marian den Bordstein auf und ab. Immer wieder wirft er einen Blick auf die Uhr. Es ist sieben. Zehn Männer, alles Polen, stehen inzwischen am "Straßenstrich" herum. "Für drei Tage sollte ich heute auf den Bau", sagt der 53-Jährige. Eine solche feste Verabredung sei auf dem "Arbeitsstrich" viel wert. Oft geschehe es, dass er den ganzen Tag vergeblich warte. Er weiß, wovon er redet. Schon seit zwölf Jahren bietet der ausgebildete Maurer seine Arbeit auf der Straße an. Ob er davon leben kann? Immerhin müsse er nicht verhungern, sagt er. Doch von seiner Verabredung ist auch um halb acht noch keine Spur. Er wirkt nervös. Überlegt, ob er nun mit jemand anderem mitfahren soll. Aber vielleicht verspäte sich der Mann ja bloß.
Die Stunden vergehen. Neue Gesichter kommen, alte gehen. Aus einem blauen Kombi mit Groß-Gerauer Kennzeichen steigt ein Mann, womöglich indischer Herkunft. Er blickt zu Marian. "Zu alt", murmelt er. Daraufhin begutachtet er die Männer auf der anderen Straßenseite. Er läuft vom einen zum anderen, verhandelt, schüttelt den Kopf. Bei Männern, die zu zweit zusammenstehen, verharrt er. "Wir arbeiten zu zweit", sagt einer von beiden. "Einer verlegt Parkett, der andere sägt." Aber auch Teppich verlegen, verputzen oder schrauben könnten sie. Doch der Kombifahrer entscheidet sich nur für Einen, für Gartenarbeit. Der Ausgewählte steigt in den Wagen ein - und mit ihm die Ungewissheit, ob er am Abend den vereinbarten Lohn ausbezahlt bekommt.
"Das letzte Mal zahlte mir einer die gesamte letzte Woche nicht aus", berichtet der 30- jährige Marek, der geblieben ist. Für vier Wochen hatte er einen Job in einer Villa bekommen. Anfangs erhielt er jeden Abend sein Gehalt. Dann erst am Ende der Woche. Doch nachdem er die dritte Woche bei ihm gearbeitet hatte, holte der Mann ihn plötzlich nicht mehr ab. Eine ganze Woche umsonst.
"Dem Inder hätten die 400 Euro nicht so sehr weh getan", sagt Mariusz. Seine Stimme klingt traurig. "Er war sehr reich. Warum hätte er mich nicht bezahlen sollen", fragt er sich noch immer. Ein schwerer Schlag. Mit dem erarbeiteten Lohn finanziere er die Schulbücher für seine Töchter. Die müssten in Polen selbst bezahlt werden und würden 100 Euro pro Kopf jährlich kosten. Selbst als diplomierter technischer Administrator, so sein Beruf, würde er in seiner kleinen Heimatstadt gerade mal 200 Euro Netto monatlich verdienen. Das reiche nicht mal aus, seine Miete zu bezahlen. seit dem EU-Beitritt ist das Leben in Polen teuer geworden. Die Lebensmittel kosten so viel wie in Deutschland. Um seiner Familie einen höheren Lebensstandard zu ermöglichen, bietet er sich seit zwei Jahren auf der Hanauer an. Seine Kinder sieht er alle zwei Monate für eine Woche.
Ein paar Meter weiter, unter der Honsellbrücke, wird der "Strich" von Litauern dominiert. Auch ein Deutscher ist unter ihnen. Als die Polizei vorbeifährt,vergraben sie ihre Gesichter in den Händen. Reden wollen sie nicht. Einer läuft davon. "Die fürchten sich sogar vor ihrem eigene Schatten", spottet der 21-jährige Dariusz. Er habe vor den "Gliny" (polnisch: "Bullen") keine Angst. "Was sollen die schon machen?" Vielleicht würden sie ihn einsperren, vielleicht für einen Monat. Danach aber würden sie ihn wieder laufen lassen. Schließlich halte er sich legal in Deutschland auf und habe eine Wohnung.
Dariusz ist vor zwei Monaten nach Deutschland gekommen - von der Arbeitermeile an der Sonnemannstraße erfuhr er von einem Bekannten in Polen. Bald will er zurück. "Wenn ich genügend Geld beisammen habe, kann ich mit meinem Studium beginnen."
Sein Studium will er unbedingt finanzieren, auch wenn er manchmal nur 25 Euro am Tag, und an anderen gar nichts verdient. Seine Chancen rechnet er sich sehr gut aus. Er komme, sagt er, oft auf 1 000 Euro monatlich.
Das er sich das Geld illegal verdient, stört ihn nicht. "Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen." Schließlich seien sich die Deutschen selbst zu teuer.
http://www.fr-online.de/frankfurt_und_h ... nt=1191495
Gibt es eine Nachfrage nach Menschenhandel und Arbeitssklaven, oder einen Bedarf nach preiswerter weil ausbeutbarer Arbeitskraft?
Arbeitssklaven in China
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Straßenstrich für Tagelöhner
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Zwangsarbeiter
Moderne Lohn-Sklaven des Systems der Arbeitsverwaltung
Presseinformation REPORT MAINZ, 27. August 2007
Hartz IV-Empfänger werden von Arbeitsverwaltung zu kostenloser Arbeit gezwungen
ver.di Chef Bsirske: „absoluter Skandal“
Mainz – Empfänger von Arbeitslosengeld II werden nach Recherchen von REPORT MAINZ im Rahmen von Praktika zu kostenloser Arbeit gezwungen. Bezieher von ALG II müssten unter Androhung einer Kürzung ihrer Bezüge oft sogar monatelang auf regulären Arbeitsplätzen arbeiten ohne dafür zusätzlich entlohnt zu werden. Das berichtet das ARD Politikmagazin in seiner Sendung am Montag, 27.08.07.
Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, verurteilte diese Praxis im Interview mit REPORT MAINZ scharf: „Ich empfinde das als absoluten Skandal, weil hier Menschen im Grunde gezwungen werden, zu Armutslöhnen zu arbeiten und reguläre Arbeitsplätze systematisch ersetzt werden durch Billigst- und Dumpingarbeitsplätze in einer offensichtlich rechtswidrigen Praxis“
Die gesetzlichen Grundlagen sehen vor, dass diese Praktika im Regelfall vier bis acht Wochen dauern dürfen, im Ausnahmefall bis 12 Wochen. REPORT MAINZ liegen zahlreiche Praktikanten-Verträge vor, die deutliche Überschreitungen dieser Grundlagen zeigen. Praktikanten wurden zum Beispiel neun Monate als Autoputzer, sechs Monate als Lagerarbeiter oder vier Monate als Gärtner beschäftigt.
In einem Urteil des Sozialgerichts Aachen vom März dieses Jahres hieß es „Unentgeltliche Arbeit ist nicht zumutbar“. Das Busunternehmen, in dem ein Praktikant auf ALG II Basis vier Monate gearbeitet hatte, sei durch insgesamt 7 Praktikanten um 28 Busfahrer-Monatsgehälter entlastet worden. Der Sozialrichter Michael-Wolf Dellen sagte im Interview mit REPORT MAINZ: „Ein regulärer Arbeitsplatz fiel dadurch weg.“
Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte im Interview mit REPORT MAINZ weiter: „Ich hätte den Behörden einiges zugetraut, aber eine solche Art der Geschäftemacherei, die darauf hinausläuft, private Unternehmen zu bedienen, indem ihnen im Grunde Billigstarbeitskräfte zugewiesen werden, das hat bis vor Kurzem mein Vorstellungsvermögen überstiegen.“
Quelle:
reportMainz.de
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Presseinformation REPORT MAINZ, 27. August 2007
Hartz IV-Empfänger werden von Arbeitsverwaltung zu kostenloser Arbeit gezwungen
ver.di Chef Bsirske: „absoluter Skandal“
Mainz – Empfänger von Arbeitslosengeld II werden nach Recherchen von REPORT MAINZ im Rahmen von Praktika zu kostenloser Arbeit gezwungen. Bezieher von ALG II müssten unter Androhung einer Kürzung ihrer Bezüge oft sogar monatelang auf regulären Arbeitsplätzen arbeiten ohne dafür zusätzlich entlohnt zu werden. Das berichtet das ARD Politikmagazin in seiner Sendung am Montag, 27.08.07.
Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, verurteilte diese Praxis im Interview mit REPORT MAINZ scharf: „Ich empfinde das als absoluten Skandal, weil hier Menschen im Grunde gezwungen werden, zu Armutslöhnen zu arbeiten und reguläre Arbeitsplätze systematisch ersetzt werden durch Billigst- und Dumpingarbeitsplätze in einer offensichtlich rechtswidrigen Praxis“
Die gesetzlichen Grundlagen sehen vor, dass diese Praktika im Regelfall vier bis acht Wochen dauern dürfen, im Ausnahmefall bis 12 Wochen. REPORT MAINZ liegen zahlreiche Praktikanten-Verträge vor, die deutliche Überschreitungen dieser Grundlagen zeigen. Praktikanten wurden zum Beispiel neun Monate als Autoputzer, sechs Monate als Lagerarbeiter oder vier Monate als Gärtner beschäftigt.
In einem Urteil des Sozialgerichts Aachen vom März dieses Jahres hieß es „Unentgeltliche Arbeit ist nicht zumutbar“. Das Busunternehmen, in dem ein Praktikant auf ALG II Basis vier Monate gearbeitet hatte, sei durch insgesamt 7 Praktikanten um 28 Busfahrer-Monatsgehälter entlastet worden. Der Sozialrichter Michael-Wolf Dellen sagte im Interview mit REPORT MAINZ: „Ein regulärer Arbeitsplatz fiel dadurch weg.“
Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte im Interview mit REPORT MAINZ weiter: „Ich hätte den Behörden einiges zugetraut, aber eine solche Art der Geschäftemacherei, die darauf hinausläuft, private Unternehmen zu bedienen, indem ihnen im Grunde Billigstarbeitskräfte zugewiesen werden, das hat bis vor Kurzem mein Vorstellungsvermögen überstiegen.“
Quelle:
reportMainz.de
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