Klassische Filme

Filme, Bücher, Spiele, Musik, Theater, Lokale, Websites... alles rund ums Thema Unterhaltung findet hier in Besprechungen, Empfehlungen und Kritiken Platz
Benutzeravatar
fraences
Admina
Admina
Beiträge: 7434
Registriert: 07.09.2009, 04:52
Wohnort: Frankfurt a. Main Hessen
Ich bin: Keine Angabe

Klassische Filme

Beitrag von fraences »

Bleiregen und Sprengkörper

Mit Klassikern von Francesco Rosi, Elio Petri und Gillo Pontecorvo ruft eine Filmreihe die Blütezeit italienischer Politthriller in Erinnerung.


1/12«Confessione di un commissario di polizia al procuratore della Repubblica» (1972) von Damiano Damiani zeigt die Auseinandersetzung zwischen einem Kommissar und einem Staatsanwalt.


«Wie bringst du mich heute um?», fragt die schöne Prostituierte in spassigem Tonfall. «Ich schneide dir die Kehle durch», antwortet ihr Freier. Wenige Sekunden später ist die Frau tot. Damit beginnt «Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger», wie der korrekt übersetzte Verleihtitel des italienischen Films «Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto» lautet. Die Frage, wer der Mörder und was sein Motiv ist, stellt sich gar nicht mehr. Das ist die erste Überraschung im Thriller von Elio Petri. Die zweite: Der Täter ist nicht nur Polizist in führender Stellung im Morddezernat, er unternimmt auch nichts, um Spuren des Verbrechens zu verwischen. Im Gegenteil: Als die Ermittlungen nicht mehr vorwärtskommen, zeigt er sich selber an.

Gallig-bitterer Humor durchzieht diese Parabel über die Perversion der Macht, die 1970 in Cannes mehrfach preisgekrönt worden ist und jetzt zurück ins Kino kommt: in der Reihe «Italienisches Politkino». Das Kino Kunstmuseum ruft mit diesem Zyklus eine Zeit in Erinnerung, die in Italien noch deutlich dramatischer war als in anderen westeuropäischen Ländern: In den Unruhen, die der 1968er-Rebellion folgten, kämpfte hier die politische Linke nicht nur gegen den Staat und die damals noch sehr mächtige katholische Kirche, sondern auch gegen die Mafia, die längst alle staatstragenden Instanzen infiltriert hatte.

Nur tote Richter sind stumm

In den «anni di piombo», den «bleiernen Jahren», die der Flowerpower-Ära folgten, bombten und mordeten deshalb nicht nur linke Terroristen, sondern auch Gangster und Neofaschisten. Was in der Rückschau viele als blutige und unheilvolle Zeit empfanden, fiel zusammen mit einer äusserst fruchtbaren Epoche des italienischen Kinos. Neben dem Autorenkino und den Italowestern erlebte auch der Politthriller eine Blütezeit.

Erste Versuche, Krimispannung mit klaren politischen Statements zu verbinden, gab es schon in der Zeit des Neorealismus mit Filmen wie Pietro Germis «In nome della legge» (1949). Eigentlicher Schrittmacher des Genres war Francesco Rosi, der ab 1960 regelmässig Marksteine setzte mit «Salvatore G.» und vielen weiteren Klassikern. Von ihm läuft «Cadaveri eccellenti». Diese 1976 inszenierte Verfilmung von Leonardo Sciascias Roman «Tote Richter reden nicht» prangert ein politisches System an, das sich selbst zerfleischt. Reihenweise werden darin hohe Justizbeamte umgebracht. Lino Ventura als Inspektor vermutet ein rachedurstiges Justizopfer hinter den Taten, doch die Wahrheit ist viel schrecklicher.

Fast zeitgleich wie die eingangs erwähnten «Ermittlungen» entstand mit «Confessione di un commissario di polizia al procuratore della repubblica» ein weiterer Thriller um einen mordenden Polizisten. Im Gegensatz zu dem von Gian Maria Volonté verkörperten Psychopathen in Petris Film ist Martin Balsam als Kommissar Bonavia ein Gerechtigkeitsfanatiker, der aus Verzweiflung zur Selbstjustiz schreitet. Damiano Damiani hat diese mörderische Geschichte mit den reisserischen Stilmitteln und dem hämmernden Montagerhythmus eines Italowesterns inszeniert.

Politische Statements mit Bezug zur Gegenwart finden sich mitunter in Filmen, in denen man es gar nicht erwartet. Unter den Nebenfiguren in Fernando Di Leos knalligem B-Movie «Milano calibro 9» findet sich ein Polizist, der regelmässig darüber ausruft, dass die Polizei nie ermittelt gegen Reiche, die Millionen Schwarzgeld in die Schweiz schmuggeln.

Kameraschwenk ins Jetzt

Eine Klasse für sich ist Gillo Pontecorvos «La battaglia di Algeri», der Episoden aus dem algerischen Unabhängigkeitskampf rekonstruiert und in der Darstellung von Anschlägen und Folterungen oft bis zur Schmerzgrenze geht. Wuchtig und fesselnd ist dieses 1965/66 gedrehte, in Frankreich bis 1970 verbotene Werk noch heute; man wünscht sich, es gäbe Filmschaffende, die auch über die aktuellen Umwälzungen im arabischen Raum so vielschichtige Werke drehen würden.

Dass es solche Regisseure gibt, belegt in der Reihe der gleichermassen wütende wie poetische Film «Gomorra» von Matteo Garrone. Das 2008 an Originalschauplätzen in Neapel gedrehte Drama beschreibt das Treiben der Mafia so präzis, dass der Autor des gleichnamigen Tatsachenberichts, Roberto Saviano, seit langem unter Polizeischutz leben muss. Zusammen mit «Gomorra» schlagen auch Marco Bellochios «Buongiorno notte» und Renato De Marias «La prima linea» den Bogen zur Gegenwart.

Interessant ist die Premiere von «Arrivederci amore, ciao» (2006) von Horrorfilmregisseur Michele Soavi. Ausgerechnet der als Gangsterjäger in der TV-Serie «Allein gegen die Mafia» bekannte Michele Placido spielt einen korrupten Cop, der zusammen mit einem ehemaligen Linksterroristen, zwei Ustascha-Faschisten und einem spanischen Anarchistentrio einen grossen Coup durchziehen will. Alle Ideologien sind beliebig austauschbare Lippenbekenntnisse, es geht nur noch ums Überleben mit möglichst viel Geld – ein deprimierendes, aber treffendes Bild der Welt von heute.

http://bazonline.ch/kultur/kino/Bleireg ... y/27149992
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

*****
Fakten und Infos über Prostitution

Benutzeravatar
annainga
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 3836
Registriert: 01.02.2007, 22:33
Wohnort: nrw
Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn

RE: Klassische Filme

Beitrag von annainga »

gestern kam einer meiner lieblingsfilme im wdr-fernsehen.
ich hatte zuvor nicht realisiert, dass der film zum teil mit sexarbeit zu tun hat.
zudem wird das milieu positiv gezeigt, wie selten:

Die totale Erinnerung – Total Recall
Science-Fiction-Film von 1990

ein schauplatz ist ein bordell und eine der hauptpersonen ist eine prostituierte.
die menschen, die im bordell arbeiten werden als außergewöhnlich, als charakterstark und integer dargestellt,
so z.b. die 3-brüstige mary

Bild

unter der beschreibung in wikipedia wird von sexarbeit nichts erwähnt, ist ja auch nicht so wichtig, aber wenn schon mal sexarbeit in einem angenehmen licht dargestellt wird, wollte ich es erwähnen.

lieben gruß, annainga

Benutzeravatar
Veraguas
unverzichtbar
unverzichtbar
Beiträge: 195
Registriert: 08.07.2012, 02:20
Wohnort: Hamburg
Ich bin: Keine Angabe

Dorotheas Rache von 1974

Beitrag von Veraguas »

Als Alternative zu den derzeitigen ärgerlichen politischen Entwicklungen hier ein Kulturhinweis.

Das aktuelle filmhistorische Cinefest in Hamburg beschäftigt sich dieses Jahr mit Filmen die Objekt staatlicher und institutioneller Zensur wurden. U.a. wird dieses Jahr der Film Dorotheas Rache gezeigt.
Der Film aus dem Jahre 1974 mit Anna Henkel/Grönemeyer, Rene Durant u.a. war zeitweise wegen "Verbreitung unzüchtiger Darstellungen" vom Amtsgericht Hamburg beschlagnahmt worden.

Der Film ist eine Reise in eine Zeit als sich in den Bahnhofskinos verklemmte Herren mit inhaltlich seichten Produktionen wie Schulmädchen Report oder Hausfrauen Report erregten.
Als eine neue Generation, der die überkommenen politischen und moralischen Wertvorstellungen der Eltern so fremd wie die von Marsmenschen erschienen, neue Wege des Zusammenlebens ausprobierte.
In einer Zeit als die kommerzielle Sexindustrie in Hamburg St.Pauli auf Grund der neu erkämpften Freiheiten aufblühte drehte Peter Fleischmann mit Laienschauspielern den Film Dorotheas Rache.
Konzipiert als Anti Porno.
Der Film zeigt die 17 jährige Dorothea, Tochter eines Lachsackfabrikanten zwischen bigotten Freiern, Schulfreunden, Eros Center, Land-WG und Pornoindustrie auf der Suche nach dem was Liebe sein könnte.

Ein Film mit Protagonisten die die überkommene political correctness ihrer Eltern ablehnten und die derzeitig aktuelle political correctness noch nicht kannten. Mit vielen Bildern aus den Strassen von Hamburg St.Pauli und St.Georg vor der aktuellen Gentrifizierung. Und für ältere Semester aus Hamburg ein Wiedersehen mit vielen damaligen Bekannten und Freunden.

Nach der heutigen Vorführung werden Teile des Festivalprogramms in
Berlin, Wiesbaden, Prag, Wien und Zürich gezeigt werden.

http://www.cinefest.de
Dateianhänge
Dorothea mit ihrer Freundin, der Sexarbeiterin Sissi, in den Strassen Hamburgs.
Dorothea mit ihrer Freundin, der Sexarbeiterin Sissi, in den Strassen Hamburgs.