Damals hatten wir es schonmal

Wie´s früher einmal war
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fraences
Admina
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Damals hatten wir es schonmal

Beitrag von fraences »

POLIZEI / STEUERN

Nach Dirnenart


Am späten Abend des 5. April fuhr Susanne Bieber*, 32, im dunkelblauen Mercedes 220 SE ihres Mannes zur Apotheke im Frankfurter Hauptbahnhof, um ein dringend benötigtes Medikament zu holen. Sie kannte sich -erst wenige Monate zuvor aus Ludwigsburg zugezogen -- im Bahnhofsviertel nicht gut aus. So fand sie erst nach einigen Kurven den Weg zurück zur Wohnung im Vorort Rödelheim.

Ein knappes Jahr später, am 1. März 1967, erhielt Susanne Bieber Post von der Frankfurter Steuerfahndung. Einem vorgedruckten Schreiben konnte sie entnehmen, daß "die Einnahmen, die Sie aus Ihrer Tätigkeit erzielen ... nach den gesetzlichen Vorschriften als "sonstige Einkünfte" einkommensteuerpflichtig" seien; das habe der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 23. Juni 1964 bestätigt.

Mit diesem Urteil hatte der Bundesfinanzhof die Erben der Frankfurter Lebedame Rosemarie Nitribitt -- und damit gleichzeitig alle bundesdeutschen Prostituierten -- beschieden, daß Einkünfte aus dem Liebesgewerbe vom Staat zu besteuern seien. Aber das wußte Frau Bieber nicht.

Daß man sie bezichtigte, gewerbsmäßig auf den Strich zu gehen, erfuhr

* Der richtige Name wurde durch ein Pseudonym ersetzt.

sie erst, als sie arglos telephonisch bei Steuer-Sachbearbeiter Karl-Heinz Kirchheim nach dem Sinn der Zahlungsaufforderung fragte. Kirchheim klärte die katholische Mutter von vier Töchtern im Alter von zwei bis sieben Jahren -- wie sich Susanne Bieber erinnert -- so auf: "Das Gefummle da unten ist steuerpflichtig."

Susanne Bieber war geschockt, konnte aber den Mann von der Steuer schließlich überzeugen, daß die Steuerfahndung doch auf einer falschen Fährte sei. Kirchheim habe ihr gesagt: "Dann werfen Sie das Schreiben einfach in den Papierkorb." Auch der Leiter der Frankfurter Steuerfahndung, Oberregierungsrat Gerhard Eckerle, zeigte Gelassenheit: "So etwas kann passieren -- irren ist menschlich. Wenn uns eine Liste mit einem Haufen Namen auf den Tisch kommt, können wir das nicht so genau nachprüfen." Als der SPIEGEL den hessischen Finanzminister Albert Osswald auf die merkwürdigen Praktiken ansprach, ergaben Nachforschungen, daß Susanne Bieber durch ein Zusammenspiel zwischen Steuerfahndung und Frankfurter Polizei auf die Strichliste gekommen war.

"Mit Rücksicht auf die praktischen Schwierigkeiten" (Eckerle) hatten die Finanzbehörden nach dem Dirnen-Urteil des Bundesfinanzhofs nur zögernd begonnen, die Prostituierten steuerlich zu erfassen. Da nicht nur bundeseinheitliche, sondern auch Anweisungen der Länderfinanzverwaltungen bis heute ausblieben, kurbelte Eckerle die Fahndung nach eigenem Gutdünken an. Zwei Fahndungsprüfer erhielten die Anweisung, Frankfurts rund 1000 registrierte Dirnen zu erfassen.

Die Beamten nahmen ihren Auftrag ernst. Beide Prüfer opferten -- so Eckerle in einem Bericht an Minister Osswald -- "wiederholt in den Abend- und Nachtstunden" ihre Freizeit, um "an den bekannten Plätzen und Straßen Frankfurts" die Prostitution zu beobachten. Namen und Adressen erfuhren sie indes erst bei der Polizei. Bereitwillig öffnete das Sittendezernat seine Dirnenkartei, doch gab die Kripo nur die Damen preis, "von denen wir mit Sicherheit wissen, daß sie auf den Strich gehen" (Kriminalrat Gerd Knappik).

Auch im 4. Revier am Wiesenhüttenplatz, zu dessen Bereich der Sperrbezirk am Hauptbahnhof gehört, wurden die Fahnder fündig. Dort hatten die Revierpolizisten eine Kartei mit den Namen der Frauen angelegt, die ihnen der Unzucht verdächtig vorkamen.

Verdächtig schien ihnen auch die Blitzvisite der rothaarigen Susanne Bieber im Bahnhofs-Viertel gewesen zu sein -- denn die Steuerfahnder rechtfertigten sich ihrem Minister gegenüber damit, diesen Namen aus der Revierkartei erhalten zu haben.

Während jedoch die Polizei bestreitet, über Frau Bieber jemals eine Karteikarte angelegt zu haben, berichteten die Fahnder, die Polizei habe beobachtet, "wie sie (Frau Bieber) ... nach Dirnenart langsam in den Straßen des Bahnhofsviertels umherfuhr und deshalb zur weiteren Überwachung in die Kartei aufgenommen wurde".

Die Strich-Liste auf Verdacht hält Polizeioberrat Josef Jordan im übrigen für rechtmäßig: "Am Hauptbahnhof erleben wir -- auch mit Ehefrauen -- die tollsten Sachen. Man muß uns doch gestatten, eine Art Buchführung zu haben." Den Steuerfahndern die Namen bloß Verdächtigter auszuhändigen, wäre für Jordan allerdings auch "eine nicht korrekte Praxis".

Den Fahndern jedenfalls genügte, daß Susanne Bieber, Ehefrau eines arrivierten Diplom-Volkswirtes, einen Mercedes 220 fuhr, "wie er gern von Prostituierten benutzt wird", um sie alsbald wegen Erwerbs-Unzucht zur Kasse zu bitten. So gerät man in Frankfurt von Amts wegen auf den Strich.


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46409284.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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bettyboop
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RE: Damals hatten wir es schonmal

Beitrag von bettyboop »

HERRLICH IRRE ;-)

Danke! ...und knutscher an dich und Gunni!
Prostitution policy is plagued by bad numbers. Bad numbers and wild estimates. If there are millions of trafficking victims who counted them and where are they?